Medizinrecht

Sofortvollzug des Entzugs der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  B 1 S 17.566

Datum:
13.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151023
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FeV § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung von Zweifeln an der Kraftfahreignung setzt konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für solche Zweifel voraus. Hierfür bedarf es belastbarer Feststellungen. (Rn. 19 und 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO darf das Verwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigen, dass ungeachtet defizitärer behördlicher Feststellungen sich Zweifel an der Kraftfahreignung aus anderen Umständen ergeben können, die der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 8.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Einer Kurzmitteilung der Polizeiinspektion … vom 1. Februar 2017 an die Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts … ist zu entnehmen, dass eine Polizeistreife am 27. Januar 2017, 10:39 Uhr, anlässlich eines medizinischen Notfalls an die Wohnadresse des Antragstellers gerufen wurde. Der Antragsteller habe während der Arbeit an dem Bach, der durch sein Anwesen fließt, einen Anfall erlitten, dessen Ursache vor Ort nicht habe geklärt werden können. Er habe für einen Zeitraum von etwa zehn Minuten das Bewusstsein verloren, sei gestürzt und habe für den genannten Zeitraum mit den Beinen im Wasser gelegen. Hier habe ihn sein Sohn aufgefunden. Dieser habe gegenüber der Streife angegeben, dass es bereits vor ein paar Jahren zu einem ähnlich gelagerten Anfall bei seinem Vater gekommen sei. Der Antragsteller sei zur weiteren Behandlung und Abklärung ins Krankenhaus verbracht worden. Über Häufigkeit und Ursache der Anfälle könnten keine weiteren Angaben gemacht werden. Es könne eine Gefährdung des Straßenverkehrs durch den Antragsteller für diesen selbst sowie für andere Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen werden.
Aufgrund dieser Mitteilung forderte das Landratsamt … den Antragsteller mit Schreiben vom 9. Februar 2017 zur Beibringung eines Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Das Gutachten solle über folgende Fragen Auskunft geben:
Liegt beim Antragsteller eine Erkrankung vor, die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist der Antragsteller in der Lage, den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 sowie der Gruppe 2 gerecht zu werden? Sind Nachuntersuchungen erforderlich? Wenn ja, in welchen Abständen?
Dem Antragsteller wurde Frist zur Vorlage des Gutachtens bis spätestens 20. April 2017 gesetzt. Auf die Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten Vorlage wurde hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 8. März 2017 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers an und monierte, dass die Anordnung einer rechtlichen Grundlage entbehre. Höchst vorsorglich werde Widerspruch gegen diese Anordnung eingelegt. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass beim Antragsteller eine Erkrankung vorliege, die seine Eignung zum Führen von Fahrzeugen beeinträchtigen könne. Es werde bestritten, dass der Antragsteller einen „Anfall“ gehabt habe, auch in der Vergangenheit habe ein „Anfall“ nicht stattgefunden. Auf die positive Bescheinigung über die ärztliche Untersuchung des Betriebsmedizinischen Zentrums nach Anlage 5 zur FeV vom 25. Januar 2017 wurde hingewiesen. Der Antragsteller sei aus dem Klinikum … ohne jeglichen Befund entlassen worden. Nach genommener Akteneinsicht vertiefte der Bevollmächtigte des Antragstellers sein Vorbringen. Es sei nicht zutreffend, dass der Sohn des Antragstellers geäußert habe, sein Vater habe schon einmal einen solchen Anfall gehabt.
Nach gewährter Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens bis 12. Mai 2017 übersandte das Landratsamt … die Unterlagen an die TÜV-Life Service GmbH … Weitere Fristverlängerungen erfolgten zunächst bis zum 2. Juni 2017, sodann letztmalig bis 23. Juni 2017. Das weitere Fristverlängerungsgesuch (Schreiben des Bevollmächtigten vom 19. Juni 2017) um zusätzliche fünf bis sechs Wochen wurde abgelehnt, einem Aktenvermerk vom 20. Juni 2017 ist zu entnehmen, dass der TÜV-Life Service GmbH dem Landratsamt … mitgeteilt habe, dass das Gutachten bisher noch nicht habe erstellt werden können, da noch ein Befund des Antragstellers vorzulegen sei. Daraufhin legte der Bevollmächtigte des Antragstellers gegen die Ablehnung der Fristverlängerung Widerspruch ein und stellte vorsorglich einen Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO. Nach einem Aktenvermerk hat die TÜV-Life Service GmbH … am 23. Juni 2017 mitgeteilt, dass alle Befunde nunmehr vorliegen und das Gutachten erstellt werden könne.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2017 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis unter Fristsetzung bis 12. Juli 2017 angehört. Hierauf entgegnete der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass bislang nicht klar sei, ob dem eingelegten Widerspruch abgeholfen werde oder nicht. Es werde angefragt, wann die Sache an die Widerspruchsbehörde zur Entscheidung abgegeben werde. Eine weitergehende Entscheidung in dieser Sache könne nicht ergehen, solange über den Widerspruch nicht abschließend entschieden worden sei. Der Bevollmächtigte des Antragstellers wurde daraufhin vom Landratsamt … darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Einlegung eines Widerspruchs sowie ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erst in der Folge eines möglichen Entzugsbescheids gestellt werden könne. Auf die Frist bis 12. Juli 2017 werde hingewiesen. Nach weiterem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch gegen das Anhörungsschreiben vom 21. Juni 2017 sowie ein weiteres Schreiben des Landratsamts … vom 28. Juni 2017 ein, beantragte die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, begehrte eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde und kündigte die Erhebung einer Untätigkeitsklage an.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 entzog das Landratsamt … dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T (Nr. 1). Der Antragsteller wurde aufgefordert, den Führerschein unverzüglich bei der Führerscheinstelle des Landratsamtes … abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung aus Nr. 2 innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Landratsamt … aus, dass beim Antragsteller aufgrund des Vorfalls vom 27. Januar 2017 Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Die zutage getretenen Auffälligkeiten machten eine weitere Aufklärung einer möglicherweise fahreignungsrelevanten Erkrankung sowie die Klärung der Fahreignung notwendig, weswegen gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV eine Begutachtung durch einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet werde. Zweifelsfrei stehe durch die Schilderungen fest, dass der Antragsteller mindestens das Bewusstsein verloren habe. Die Bedenken seien durch die Aussage des Sohnes des Antragstellers erhärtet worden, da von diesem von einem ähnlichen „Anfall“ vor Jahren berichtet worden sei. Demnach lägen der Anordnung konkrete Tatsachen zu Grunde, die den hinreichenden Verdacht fehlender oder eingeschränkter Eignung begründeten. Für die Beibringung des Gutachtens sei eine angemessene Frist gesetzt worden, zuletzt bis 23. Juni 2017. Auch im Rahmen des eingeleiteten Entziehungsverfahrens hätte letztlich bis 12. Juli 2017 die Möglichkeit bestanden, das geforderte Gutachten vorzulegen. Aus der Nichtbeibringung des angeordneten ärztlichen Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde daher nach § 11 Abs. 8 FeV den Schluss ziehen können, der Antragsteller sei zum Führen von Kfz ungeeignet. Sodann wurden die weiteren Anordnungen, die Zwangsmittelandrohung sowie der Sofortvollzug begründet.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. Juli 2017, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Klage erheben (Az. B 1 K 17.567) und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Insbesondere liege keine Krankheit mit anfallsartigen Störungen und akuten Beeinträchtigungen des Bewusstseins vor. Der Antragsteller habe am 27. Januar 2017 einen Unfall bei Arbeiten in seinem privaten Garten erlitten, sich den Kopf gestoßen und sei gestürzt. Beim Eintreffen des Notarztes sei er bei Bewusstsein gewesen. Er sei nach ein paar Tagen ohne Befund wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Auf die Bescheinigung des Betriebsmedizinischen Zentrums vom 25. Januar 2017 werde nochmals hingewiesen. Der Antragsteller besitze als selbstständiger Transportunternehmer und Geschäftsführer eines Bauunternehmens seit über 35 Jahren die Fahrerlaubnis; es sei niemals zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung gekommen, vielmehr habe er stets die erforderlichen Fahreignungsverlängerungen erhalten, so zuletzt am 6. Februar 2017. Ohne jeglichen Anhaltspunkt für eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder eine Gefährdung Dritter überwiege das Interesse des Antragstellers, weiterhin Kraftfahrzeuge zu führen. Bereits die Anordnung der Untersuchung sei rechtswidrig gewesen. Das Landratsamt … habe sich lediglich auf die Schilderung eines Polizeibeamten gestützt, der unstreitig nicht die medizinischen Kenntnisse besitze, um neurologische Krankheiten zu diagnostizieren.
Vorgelegt wurden im Verfahren zwei undatierte, nicht unterschriebene Blätter ohne Briefkopf, bei denen es sich laut Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers um einen Teil des Entlassungsberichts des Klinikums … vom 2. Februar 2017 handele. Diesem ist u.a. zu entnehmen, dass ein cMRT für den 3. Februar 2017 geplant sei. Des Weiteren wurde die Bescheinigung über die ärztliche Untersuchung nach Anlage 5 der FeV durch das Betriebsmedizinische Zentrum … vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2017 beantragte das Landratsamt …, den Antrag abzulehnen.
Im Wesentlichen werde auf die im angefochtenen Bescheid dargelegten Gründe verwiesen. Die Vorlage des geforderten Gutachtens diene gerade der Ausräumung der aufgetretenen Eignungszweifel im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung. Der Anordnung zu Grunde gelegt worden seien lediglich die polizeilichen Schilderungen, nicht jedoch eine weitergehende medizinische Einordnung. Zur verkehrsmedizinischen Klärung sei die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens erforderlich. Sodann wurde der Sofortvollzug begründet. Solange nicht feststehe, dass die Fahreignung wieder bzw. noch gegeben sei, könne der Allgemeinheit nicht das Risiko der Gefährdung von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Sachwerten im Straßenverkehr auferlegt werden.
Nach gerichtlichem Hinweisschreiben, wonach Bedenken bestünden, ob zum Zeitpunkt der Anordnung der Gutachtensbeibringung eine hinreichende Tatsachengrundlage vorgelegen habe, jedoch auch auf die von Antragstellerseite unvollständig vorgelegten Unterlagen hingewiesen wurde, teilte das Landratsamt … mit Schreiben vom 9. August 2017 mit, dass eine Aufhebung des Bescheides nicht beabsichtigt sei. Im Wesentlichen wurden die bereits vorgebrachten Argumente wiederholt. Das Gericht forderte den Antragsteller auf, den vollständigen Befundbericht des Klinikums … sowie den Ergebnisbefund des cMRT vorzulegen. Daraufhin erwiderte der Bevollmächtigte des Antragstellers unter dem 4. September 2017, dass die Vorlage der Unterlagen nicht sachgerecht sei. Der Entlassungsbericht sei nicht aussagekräftig, andererseits habe das cMRT vom 3. Februar 2017 nichts Neues gegenüber einem früheren cMRT gebracht. Darüber hinaus habe der Antragsteller bereits einen Untersuchungstermin der Uniklinik …, um sämtliche Verdachtsmomente ausschließen zu können. Weitere aussagekräftige Unterlagen würden vorgelegt, sobald die Untersuchung in der Uniklinik … abgeschlossen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Hierbei sind die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, das Gericht hat zudem in einer eigenständigen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides gegen das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach der hier einschlägigen Norm des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach der Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, Urt.v. 09.06.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.06.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris). In formeller Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein, der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. In materieller Hinsicht ist eine Gutachtensaufforderung nur rechtmäßig, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Hiernach muss sich die Anforderung eines Gutachtens auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (st. Rspr., so z.B. VGH Baden-Württemberg, Urt.v. 23.02.2010 – 10 S 221/09 – juris). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Gutachtens ist auf den Zeitpunkt der Gutachtensanforderung abzustellen (BVerwG, Urt.v. 05.07.2001 -3 C 13/01 – juris Rn. 27).
Gemessen an diesen Grundsätzen sieht das Gericht zwar in der Kurzmitteilung der Polizeiinspektion … einen geeigneten Anlass für das Landratsamt …, in Ermittlungen zur Fahreignung des Antragstellers einzutreten. Daraus aber bereits die Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens ohne weitere Sachverhaltsaufklärung zu schlussfolgern, erscheint vorliegend jedoch unverhältnismäßig. Die sehr kurz gehaltene Mitteilung kann zum konkreten Vorgang, der zu der Bewusstlosigkeit des Antragstellers geführt hat, nichts Belastbares aussagen, denn offensichtlich wurde der Antragsteller erst später von seinem Sohn aufgefunden. Es hätten vielfältige Gründe für einen Sturz in Betracht kommen können, z.B. auch ein Ausrutschen auf eisglatter Fläche. Im Hinblick darauf, dass eine Gutachtensaufforderung nicht isoliert angefochten werden kann, für den Fahrerlaubnisinhaber mit Kosten verbunden ist und er einen Fahrerlaubnisentzug nach § 11 Abs. 8 FeV fürchten muss, verweigert er sich einer Begutachtung, ist es daher notwendig, dass die Fahrerlaubnisbehörde die ihr zeitnah möglichen und zumutbaren Ermittlungen anstellt, bevor sie ein derartiges Gutachten fordert. Es können durchaus Fallkonstellationen vorliegen, in denen sich die Fahrerlaubnisbehörde allein auf einen Polizeibericht stützen kann. In solchen Fällen sind dann aber z.B. Äußerungen des vor Ort anwesenden Arztes vorhanden, der den Betroffenen u.U. bereits kennt oder der Einschätzungen zum konkret vorgefundenen Krankheitsbild machen kann. Vorliegend stützt sich die Fahrerlaubnisbehörde auf die Schilderung der Auffindesituation durch die Polizeibeamten und eine – vom Antragsteller bestrittene – Äußerung des Sohnes des Antragstellers. Es wäre nicht sehr aufwendig gewesen und hätte auch nur eine kurze Zeitspanne in Anspruch genommen, die näheren Umstände des Vorfalls vom 27. Januar 2017 abzuklären, z.B. durch die Einvernahme des Sohnes des Antragstellers, die Vorlage des Entlassungsberichts des Klinikums … oder eines Gesundheitsfragebogens. Zwar wurde vorliegend nicht explizit die Beibringung eines psychiatrischen Gutachtens gefordert, dessen Anordnung wegen der damit verbundenen Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht auf das zwingend erforderliche Maß zu beschränken ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.04.2017 – 11 CS 16.227 – juris). Jedoch ist die Fragestellung in der streitgegenständlichen Gutachtensaufforderung derart weit gehalten und deckt alle in der Anlage 4 zur FeV aufgeführten Krankheitsbilder und Mängel ab, dass sich der Antragsteller damit einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen hat, weshalb es angezeigt gewesen wäre, bereits im Vorfeld weitere Ermittlungen und ggf. eine Eingrenzung vorzunehmen.
Die im gerichtlichen Verfahren vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen und die im behördlichen Verfahren nicht zielführenden Anträge des Bevollmächtigten des Antragstellers spielen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung keine Rolle, sind aber im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung zu berücksichtigen (siehe sogleich unter 2.).
2. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage kommt vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil nach Auffassung der Kammer erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die gesundheitliche Situation des Antragstellers doch nicht so unproblematisch darstellt, wie von diesem behauptet. Unter diesen Umständen führt unabhängig von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens eine Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass derzeit ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 17. Juni 2017 besteht. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es danach, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss den Entzug dieser Berechtigung dann hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert; dieses Risiko muss deutlich über demjenigen liegen, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist (BayVGH, B.v. 29.07.2007 – 11 CS 08.683 – m.w.N.).
Den vom Antragsteller ins gerichtliche Verfahren eingeführten Unterlagen lässt sich gerade nicht entnehmen, dass dieser ohne Befund aus dem Klinikum … entlassen worden ist. Denn diesem nur unvollständig vorgelegten Bericht ist weder zu entnehmen, von wem und wann er gefertigt wurde, noch wie lange der Aufenthalt des Antragstellers im Klinikum dauerte und welche Entlassungsdiagnose gestellt worden ist. Durch die nur teilweise Vorlage, insbesondere die zweite Seite der Unterlagen, bei der offensichtlich große Teile vor dem Kopieren abgedeckt worden sind, nährt der Antragsteller den Verdacht, er wolle Entscheidungserhebliches verbergen. Bereits der auf der zweiten Seite vermerkte Satz, wonach ein cMRT für den 3. Februar 2017 geplant sei, zeigt auf, dass aus medizinischer Sicht noch Abklärungsbedarf bestand. Einerseits argumentiert der Antragsteller, der Entlassungsbericht weise keinen Befund aus, andererseits trägt er zuletzt vor, dieser Bericht sei nicht aussagekräftig. Dieser Sachverhalt kann vom Gericht nicht ausgeblendet werden. Denn wenn die Beteiligten der ihnen nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegenden Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung nachkommen und insbesondere Tatsachen vortragen, die „in ihre Sphäre„fallen, sind sie gehalten, dies auch vollständig zu tun. Dies bedeutet zwar nicht, dass ein Fahrerlaubnisinhaber gehalten wäre, einer zu Unrecht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Fahrerlaubnisentziehung positiv den Nachweis seiner Fahreignung entgegenzusetzen, da die Rechtmäßigkeit der Entziehung an den Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV zu messen ist. Wenn er aber seine Rechtsverteidigung auf Dokumente stützt, ist er gehalten, diese so vollständig vorzulegen, wie es zur Beurteilung notwendig ist (Breunig in: BeckOK VwGO, 42. Ed. 01.07.2017, VwGO § 86 Rn. 108). Nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO trifft das Gericht seine Entscheidung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Nichtvorlage bzw. eine unvollständigen Vorlage trotz Aufforderung durch das Gericht kann zum Nachteil des Beteiligten berücksichtigt werden bzw. es dürfen negative Schlüsse hieraus gezogen werden (Garloff in: BeckOK VwGO, 42. Ed. 01.04.2017, VwGO § 98 Rn. 17-17.31; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., Rn. 19 zu § 98). Diese Grundsätze sind auch vorliegend zur Anwendung zu bringen. Für das Gericht ergibt sich gerade durch das Vorgehen des Antragstellers, nur ausgewählte Passagen des Entlassungsberichts vorzulegen bzw. dessen Aussagekraft zuletzt in Frage zu stellen, in der Zusammenschau mit dem ungeklärten Ereignis vom 27. Januar 2017 sowie dem gesamten verwaltungsbehördlichen Verfahrensverlauf, der Verdacht, er wolle fahreignungsrelevante Tatsachen verbergen. Im Interesse der Allgemeinheit kann es daher derzeit nicht verantwortet werden, den Antragsteller am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Die Zurückweisung der gerichtlichen Aufforderung als „nicht sachgerecht“ seitens des Antragstellers kann nicht nachvollzogen werden. Gleichzeitig macht er deutlich, dass demnächst ein weiterer Untersuchungstermin am Uniklinikum … ansteht und er diesen Bericht dann vorlegen wolle. Hieraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass im Entlassungsbericht für ihn ungünstige Tatsachen enthalten sind.
Die eigenständige Interessenabwägung des Gerichts führt daher vorliegend zu dem Ergebnis, dass es dem Antragsteller zuzumuten ist, einstweilen bis zur Ausräumung der dargelegten gerichtlichen Zweifel nicht am Straßenverkehr teilzunehmen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass dies für ihn zu beruflichen Unannehmlichkeiten führen kann, dies ist aber im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit hinzunehmen.
Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, die derzeit beim Gericht aufgrund des oben dargestellten Sachverhalts vorhandenen Zweifel an seiner Fahrgeeignetheit durch eine Vorlage der vollständigen medizinischen Unterlagen, zu denen dann auch der Ergebnisbefund der seinen Ausführungen nach demnächst stattfindenden abschließenden Untersuchung im Uniklinikum … zu zählen sein wird, auszuräumen und in einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zu versuchen, eine Änderung dieser Entscheidung herbeizuführen. Der Antragsteller hat selbstverständlich auch weiter die Möglichkeit, das offensichtlich bereits erstellte Gutachten der TÜV-Life Süd GmbH vorzulegen.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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