Medizinrecht

Soziales Entschädigungsrecht: Voraussetzungen eines Beweisnotstandes für Beweiserleichterung

Aktenzeichen  L 15 VG 26/16

Datum:
3.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 43507
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
OEG § 1 Abs. 1 S. 1
KOV-VfG § 15
BVG § 60 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Der Beweismaßstab des § 15 KOVVfG findet keine Anwendung, wenn Beweisnot dadurch entsteht, dass ohne nach vollziehbaren Grund erste viele Jahrzehnte nach Erreichen der Volljährigkeitsgrenze und Beendigung einer Heimunterbringung Antrag auf Opferentschädigung sowie Strafanzeige wegen sexuellen Mißbrauchs während der Zeit der Heimunterbringung gestellt werden. (Rn. 75 – 76)
1. In Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern kommt es für die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes entscheidend darauf an, dass die Begehungsweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche (oder das spielerische) Moment im Vordergrund steht. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff muss nachgewiesen sein. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Ausreichend und erforderlich ist ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind nach § 15 Satz 1 KOV-VfG der Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind. Die Bestimmung findet auch dann Anwendung, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind, etwa weil der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist, Zeugen vorhanden sind, diese aber von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und auch dann, wenn eine als Täter in Betracht kommende Person als Zeuge aussagt, die schädigende Handlung aber bestreitet (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 15 KOV-VfG bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beweiserleichterungen nur solange und soweit gewährt werden, wie sich der Antragsteller in einer unverschuldeten Beweisnot befindet. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 30 VG 14/15 2016-03-11 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. März 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die auf die Gewährung einer Opferentschädigungsrente auf der Grundlage eines Grades der Schädigung (GdS) von mindestens 50 gerichtete Klage des Klägers zu Recht als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger hat hierauf keinen Anspruch.
Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.
Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG geht der Senat (vgl. etwa Urteile vom 5. Februar 2013, Az. L 15 VG 42/09, vom 20. Oktober 2015, Az. L 15 VG 23/11, vom 26. Januar 2016, Az. L 15 VG 30/09, alle in juris) unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung von folgenden rechtlichen Maßgaben aus:
Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung zu sehen (BSG, Urteil vom 10. September 1997, Az. 9 RVg 1/96, vom 7. April 2011, Az. B 9 VG 2/10 R, zuletzt vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, alle in juris). Entscheidend ist dabei auf der einen Seite die Rechtsfeindlichkeit im Sinne vor allem einer Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, wobei sich die Auslegung dieses Begriffs allerdings von subjektiven Merkmalen wie etwa einer kämpferischen oder feindseligen Absicht des Täters mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes weitestgehend gelöst hat. Auf der anderen Seite genügt es nicht, dass die Tat gegen eine Norm des Strafgesetzes verstößt. Denn die Verletzungshandlung im OEG ist nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt. Dessen ungeachtet orientiert sich die Auslegung des Begriffs des „tätlichen Angriffs“ an der im Strafrecht zu den§§ 113,121 Strafgesetzbuch (StGB) gewonnenen Bedeutung. Wesentlich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. B 9 V 3/15 R, in juris Rn. 23, unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs 7/2706 S. 10).
In Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern kommt es für die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes entscheidend darauf an, dass die Begehungsweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche (oder das spielerische) Moment im Vordergrund steht (BSG vom 7. April 2011, Az. B 9 VG 2/10 R, in juris).
Darüber hinaus muss der tätliche Angriff gemäß § 1 OEG vorsätzlich erfolgt und rechtswidrig sein.
Folgende, grundsätzlich als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe in Betracht kommende Handlungen sind streitgegenständlich
1. 1967 Sex-Spiele einer Mutter im SOS-Kinderdorf
2. 1968 Sexueller Missbrauch durch Ordensschwestern im M.-Kinderheim in Form der Selbstbefriedigung auf dem Kopf des Klägers
3. 1969: Gewalttätige Angriffe eines Erziehers im evangelischen Kinderheim S. (Prügel, Körperverletzung mit Stein)
4. 1973/1974 sexueller Missbrauch durch den leitenden Erzieher Herrn F. (ca. 3-4 Vorfälle: Anfassen, Selbstbefriedigung im Zimmer des Klägers)
5. 1975: Aufforderung zum Nacktduschen evt. mit sexuellen Übergriff und eventuell Verabreichung von Betäubungsmitteln durch Herrn F. im Garten von Herrn R. E.
6. 1976, Winter/Herbst: Vergewaltigung durch Herrn F. in der Wohnung N-Straße, Reiheneckhaus (wohl Nr. 30)
7. Sexuelle Belästigungen durch den ehemaligen Vormund G. (unsittliche Berührungen an den Innenseiten der Oberschenkel und an den Genitalien).
Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff muss nachgewiesen sein. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Ausreichend und erforderlich ist ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. B 9 VG 3/99 R, in juris).
Nach Auffassung des Senats kommt die Beweiserleichterung des § 15 S. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG), die gemäß § 6 Abs. 3 OEG auch im Opferentschädigungsverfahren Anwendung findet, dem Kläger nicht zugute.
Nach dieser – sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren anzuwendenden (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, Az. B 9 RVg 3/89, in juris) – Bestimmung sind Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind. Mit dieser Verweisung wollte der Gesetzgeber der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen. Die Bestimmung findet auch dann Anwendung, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind, etwa weil der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist (vgl. BSG, Urteile vom 31. Mai 1989, Az. B 9 RVg 3/89, vom 17. April 2013, Az. B 9 V 1/12 R, alle in juris), Zeugen vorhanden sind, diese aber von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und auch dann, wenn eine als Täter in Betracht kommende Person als Zeuge aussagt, die schädigende Handlung aber bestreitet (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, in juris). Auch in letzterem Fall ist die Beweisnot des Opfers, so das BSG, nicht geringer als in den anderen Fällen.
Weder aus den schriftlichen Aussagen der Zeugen noch aus den Aussagen der vom Senat in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen ergibt sich eine Bestätigung der konkret genannten Vorfälle gegenüber dem Kläger als selbst wahrgenommen. Zeugen wurden ohnehin vom Kläger nur benannt für den Vorfall Nr. 6 (Vergewaltigung durch den Zeugen F.). Für die übrigen Tatkomplexe wurden von vornherein keine Zeugen benannt. Die Zeugen F. und G. haben allerdings jegliche sexuellen Übergriffe abgestritten. Auch die Zeugin E. hat keinen konkreten Vorwurf des Klägers bestätigt. Dies gilt gleichermaßen für den Zeugen H.. In der Anhörung durch den Beklagten hat er in Bezug auf die vom Kläger behauptete Vergewaltigung durch den Zeugen F. im Anschluss an den Fahrradunfall des Klägers dargetan, er habe es selbst mitbekommen, ohne dies jedoch näher zu spezifizieren. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er dann jedoch angegeben, dass er bei der eigentlichen vom Kläger behaupteten Tat nicht dabei gewesen sei. Dieser habe sich im Keller abgespielt, er sei jedoch nicht im Keller gewesen. Auch die anderen Zeugen (H.-A., C.) konnten aus eigener Anschauung keine Angaben zu den Tatkomplexen des Klägers machen.
Obwohl damit grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 15 KOV-VfG für alle Tatkomplexe eröffnet ist, scheidet die Anwendung des § 15 KOV-VfG dennoch aus, da die Beweisnot des Klägers nicht unverschuldet gewesen ist. Es ist kein triftiger Grund ersichtlich, warum der Kläger nicht bereits früher etwa in den 80iger oder 90iger Jahren Strafanzeige erstattet oder einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG gestellt hat. Damals wäre eine Beweiserhebung noch leichter möglich gewesen. So wären etwa noch weitere Zeugen (Mitschüler F. P. und C. L., die bereits verstorben sind) vorhanden oder für den Kläger erreichbar gewesen (Mitschüler W. F., über dessen Aufenthalt der Kläger keine Angaben mehr machen konnte). Darüber hinaus wären noch weitere, mittlerweile vernichtete Unterlagen über den Kläger im fraglichen Zeitraum in den Heimen zur Verfügung gestanden.
Die Regelung des § 15 KOV-VfG bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beweiserleichterungen nur solange und soweit gewährt werden, wie sich der Antragsteller in einer unverschuldeten Beweisnot befindet. Dies macht § 15 KOV-VfG auch dadurch deutlich, dass die Angaben des Antragstellers der Entscheidung dann nicht zugrunde zu legen sind, wenn die Unterlagen durch sein Verschulden verloren gegangen sind. Die heute vorliegende Beweisnot des Klägers ist aber im Wesentlichen nicht durch die Gewalttat bedingt, sondern beruht auf dem Zeitablauf und dem damit verbundenen Wegfall der Beweismittel. Das BSG hat klargestellt, dass der Zeitablauf die Beweismöglichkeiten des Antragstellers beeinträchtigt und die Beweisnot verstärkt. Die Verstärkung der Beweisnot geht jedenfalls dann zulasten des Antragstellers, wenn kein Grund bestand, den Antrag nicht in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994, Az. 9/9a RV 9/92,(B.RS 1994, 30752276) auch in juris, vgl. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Juni 2016, Az. L 4 VG 2/16, in juris).
Es muss dem Kläger angelastet werden, wenn die Zweifel an dem Hergang der Schädigung mangels überzeugender Beweismittel nicht zu beseitigen sind. Der Kläger war nach Eintritt der Volljährigkeit nicht daran gehindert (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG), eine Strafanzeige und/oder einen Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem OEG zu stellen, also zu Zeitpunkten, als eine Sachaufklärung noch eher möglich gewesen wäre. Es lassen sich aus den vom Senat beigezogenen medizinischen Unterlagen keine Hinweise auf eine fortdauernde psychische Erkrankung entnehmen, die den Kläger daran gehindert haben könnte, frühzeitiger Strafanzeige zu erstatten bzw. einen Antrag auf Opferentschädigung zu stellen. Auch lagen keine Gedächtnisstörungen des Klägers o.ä. vor. Wie sich aus der glaubwürdigen Aussage der Ehefrau des Klägers Frau H.-A. ergibt, hat der Kläger bereits ab Anfang der Beziehung im Jahr 1990 über 24 Jahre lang über seine, auch nunmehr hier geltend gemachten Erlebnisse in der Kindheit in den Heimen berichtet. Die aktenkundigen Angaben des Klägers gegenüber Dr. B. (Gutachten vom 28. März 2014 für die Deutsche Rentenversicherung Bund), der sexuelle Missbrauch und Gewalt seien im Jahre 2014 bei ihm wieder hochgekommen, da seine Tochter den gleichen Betreuer beim ehemaligen Vormundschaftsverein bekommen habe, der auch ihn betreut habe, ist damit wenig glaubwürdig. Dieser Angabe steht doch sehr deutlich die Aussage der Ehefrau entgegen, wonach ihr der Kläger 24 Jahre haarsträubende Tatsachen über seine Kindheit und die vielen negativen Erfahrungen mit dem K. e.V. berichtet habe, dabei auch von sexuellen Übergriffen. Dies belegt, dass der Kläger seine behaupteten Kindheitserinnerungen nicht verdrängt hatte.
Auch die vom Kläger dann in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Frage hin präsentierte Erklärung, warum er die Tat nicht bereits früher angezeigt habe, hält der Senat weder für glaubwürdig noch für entlastend.
Nach den Angaben des Klägers habe der damalige Polizeipräsident R., H-Stadt, ihn während eines Kaffees im Jahre 1980 gefragt, wie es ihm im A.-Heim ergangen sei, ob es ihm nicht gut ergangen sei. Dies habe der Kläger dann bejaht. Herr R. habe dann erklärt, er habe gerade jemanden vom A.-Heim eingesperrt. Es habe, so der Kläger, sich jetzt für ihn herausgestellt, dass es sich um den Heimleiter T. gehandelt habe. Wenn der Kläger aber Strafanzeige erstatte, habe er keine Chance. Auch ein anderer Bekannter habe ihm gesagt, er habe keine Chance. Es hätte ihm niemand geglaubt.
Für den Senat ist schon nicht nachvollziehbar, warum ein Polizist einerseits dem Kläger davon berichtet haben soll, dass Strafverfolgungsmaßnahmen gegen einen Mitarbeiter des A.-Heims erfolgreich abgeschlossen worden seien, ihm auf der anderen Seite aber bedeutet haben soll, dass der Kläger im Falle der Erstattung einer Strafanzeige hingegen keine Chance habe. Irgendeinen nachvollziehbaren Sinn vermag der Senat aus einer solchen Einlassung eines hochrangigen Polizisten nicht zu entnehmen. Die Verurteilung eines Lehrers des A.-Heims wegen Übergriffen gegenüber Zöglingen ist vielmehr ein Beleg dafür, dass auch damals schon Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte im Falle einer Anzeige ermittelt haben und es auch zu Verurteilungen kommen konnte. Der pauschale Verdacht, Mitte der siebziger Jahre seien alle Vorwürfe des (sexuellen) Missbrauchs von Heimzöglingen unter den Teppich gekehrt worden, trifft also nicht zu. Wäre keine Verurteilung des Heimleiters T. erfolgt und damit die Anzeige gegen ihn im Sande verlaufen, wäre eine dementsprechende Aussage des Polizeipräsidenten für den Senat nachvollziehbar, aber nicht in dem Falle einer gerade eben erfolgten erfolgreich abgeschlossenen Strafverfolgungsmaßnahme. Dies hätte vielmehr gerade Anlass für einen Polizisten, der ohnehin von Amts wegen Straftaten zu verfolgen hat, sein müssen, dem Kläger erst recht zu einer Anzeige zu raten, zumal das vom Kläger behauptete strafbare Verhalten insbesondere mit der Vergewaltigung durch den Zeugen F. wesentlich gravierender ist als die zur Verurteilung des Heimleiters T.s führende Körperverletzung in Form der Züchtigung von Kindern.
Darüber hinaus haben die behaupteten Ratschläge den Kläger dann aber nicht davon abgehalten, doch noch im März 2014 Strafanzeige gegen die Zeugen F. und G. zu erstatten, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Erfolgsaussichten dieser Strafanzeigen viel geringer waren als etwa in den 80iger oder 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts, da selbst eine Vergewaltigung nach einem derart langen Zeitablauf verjährt ist, wie auch von der Staatsanwaltschaft festgestellt wurde.
Davon abgesehen sind die vom Kläger behaupteten Ratschläge, selbst wenn sie erfolgt sein sollten, keine hinreichende Entschuldigung für eine unterlassene Strafanzeige bzw. unterlassene Antragstellung. Gerade weil die Anschuldigungen des Klägers insbesondere im Hinblick auf die behauptete Vergewaltigung durch den Zeugen F. so gravierend sind, sind bloße Ratschläge Dritter kein zureichender Grund, von einer Anzeige bzw. einer Antragstellung auf Leistungen nach dem OEG abzusehen. Es ist nicht ersichtlich, dass es für den Kläger aus anderen Gründen nach Erreichen der Volljährigkeitsgrenze und endgültiger Beendigung der Heimunterbringung unzumutbar gewesen wäre, eine Strafanzeige zu erstatten. Eine besondere Nähebeziehung des Klägers zu den Tätern oder das Bestehen von wirtschaftlicher Abhängigkeit von diesen – Umstände, die etwa im Falle des sexuellen Missbrauchs eines Elternteils an seinem Kind eine derartige Unzumutbarkeit begründen können – liegen hier nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger bei einer Anzeige selbst der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt hätte, wenn man die Möglichkeit einer Anzeige wegen falscher Verdächtigung, die aber mit jeder Anzeige verbunden ist, außer Betracht lässt.
Zusammenfassend war es aus Sicht des Senats für den Kläger auch bei entsprechender Anlegung der Maßstäbe des § 2 Abs. 2 OEG in diesem Zusammenhang (vgl. hierzu Friedrich, Anmerkung zur Entscheidung des BSG vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, SGb 2018, 116 ff.) nicht unzumutbar gewesen, nach Erreichen der Volljährigkeit und Beendigung der Heimunterbringung Strafanzeige zu erstatten. Durch das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. Juli 1974 wurde der Eintritt der Volljährigkeit vom vollendeten 21. Lebensjahr auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herabgesetzt. Der im Februar 1960 geborene Kläger ist also im Februar 1978 volljährig geworden. Es wäre dem Kläger durchaus zuzumuten gewesen, in den 80iger oder 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts Anzeige zu erstatten. Jedenfalls ein Abwarten hiermit bis zum Jahr 2014 ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Damit ist § 15 KOV-VfG nicht anwendbar.
Der Senat hat keine volle richterliche Überzeugung davon gewinnen können, dass die geschilderten Vorfälle so stattgefunden haben, wie sie vom Kläger geschildert wurden. Zwar verlangt der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen, da ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit so gut wie nie zu erlangen ist. Das bedeutet, dass auf dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist aber nur dann bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. B 9 V 3/15 R, m.w.N., in juris).
Vernünftige Zweifel verbleiben aber in Bezug auf alle geschilderten Vorgänge.
Im Vordergrund steht als gravierendste Tat die behauptete Vergewaltigung durch den Zeugen F. nach dem vom Kläger geschilderten Fahrradunfall in der Außenwohngruppe des A.-Heims in der N-Straße in H-Stadt.
Der Senat hat nach Würdigung der Aussagen des Klägers und der Zeugen in der mündlichen Verhandlung sowie des gesamten Akteninhalts ganz erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich vom Zeugen F. in der Außenwohngruppe in der N-Straße in H-Stadt vergewaltigt worden ist.
Die Aussagen des Klägers zu diesem Tatgeschehen sind nur sehr vage und wenig präzise. Eine Beschreibung des eigentlichen Vergewaltigungsaktes konnte der Kläger nicht abgeben. Begründet hat er dies damit, dass er einen Filmriss habe, da er betrunken gemacht worden sei. Bei seiner Antragstellung hat der zudem angegeben, nach seinem „Filmriss“ seien E. und C. zurückgekommen und hätten den Zeugen F. in eindeutiger Pose über ihm (Vergewaltigung von hinten) ertappt. C. habe dann den Zeugen F. verprügelt. Die Tat habe im Erzieher- oder Wohnzimmer stattgefunden.
Diese Angaben sind für den Senat unglaubwürdig, da sie mit den Aussagen des Zeugen H. („E.“) in der mündlichen Verhandlung nicht vereinbar sind. Der Zeuge H. hat angegeben, er habe Schreie des Klägers aus dem Keller gehört. Zu dem eigentlichen Vorfall im Keller, was dort passiert sei, könne er keine Aussagen mehr machen. Er könne sich auch nicht daran erinnern, was ihm dann später darüber erzählt worden sei. Er könne auch nichts dazu sagen, ob der Kläger betrunken gewesen sei.
Der Zeuge H. hat also gerade nicht bestätigt, dass der Zeuge F. in eindeutiger Pose über dem Kläger gewesen sei. Vielmehr konnte er zu dem eigentlichen behaupteten Vergewaltigungsgeschehen aus eigener Anschauung keinerlei Angaben machen. Er konnte sich noch nicht einmal erinnern, was ihm dann später darüber erzählt worden ist. Dies ist erstaunlich, da es sich, wenn man den Angaben des Klägers folgt, doch um einen außergewöhnlichen und ganz gravierenden Vorfall gehandelt hat, der, wenn er sich tatsächlich so abgespielt hätte, mit Sicherheit in allen Einzelheiten von den anwesenden Heimzöglingen erörtert worden wäre. Darüber hinaus konnte der Zeuge H. auch nicht bestätigen, dass der Kläger alkoholisiert gewesen sei. Dies ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, da der Kläger, wenn man seinen Angaben Glauben schenkt, in einem sehr erheblichen Maße alkoholisiert gewesen sein muss, da er hierdurch einen „Filmriss“ erlitten hat.
Schließlich sind die Angaben des Klägers zu der zeitlichen Einordnung dieses Vorfalls nicht konsistent und unglaubwürdig. Der Kläger hat in einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Landgericht München I vom 18. März 2014 von einem Zeitraum Ende 1974 bis in die ersten Monate 1975, also im Winter und jedenfalls vor dem Stichtag nach § 10a Abs. 1 OEG, gesprochen. Auch in seiner Anzeige gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 28. Januar 2014 hat er nur Taten zwischen 1969 und 1975 behauptet. Die Datierung der Vergewaltigung durch den Kläger in einer E-Mail vom 19. Oktober 2014 dann später in das Jahr 1976 kurz vor oder kurz nach dem im Sommer 1976 stattgefundenen Englandaufenthalt erscheint angesichts dieser Umstände als wenig überzeugend. Denn im Antrag auf Gewährung von OEG-Leistungen vom 16. Juli 2014 hatte der Kläger behauptet, er sei auf einem zugefrorenen Bahngleis in H-Stadt gestürzt. Dies ist kurz vor oder kurz nach dem im Sommer 1976 stattgefundenen Englandaufenthalt nicht vorstellbar.
Im Klageverfahren wurde dann schriftsätzlich vorgetragen, die Vergewaltigung habe sich nach dem Englandaufenthalt des Klägers ereignet, bei dem er einen Sprachkurs belegt habe. Dieser habe in den Sommerferien 1976 stattgefunden. Der zeitliche Bezugspunkt in seiner Erinnerung sei stets der Englandaufenthalt gewesen. Bis Ende 2014 sei der Kläger davon ausgegangen, dass er sich im Sommer 1975 in England aufgehalten habe. Wie sich jedoch nach Akteneinsicht beim Betreuungsgericht am 6. November 2014 herausgestellt habe, habe dieser Aufenthalt erst im Sommer 1976 stattgefunden. Dies ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, da der Kläger nicht erst seit dem 6. November 2014 unter Bezugnahme auf den Englandaufenthalt einen späteren Termin der Vergewaltigung durch den Zeugen F. geltend gemacht, sondern bereits vorher durch E-Mail vom 19. Oktober 2014. Der zeitlichen Einordnung in das Jahr 1976 steht im Übrigen auch die eidesstattliche Versicherung des H. B. entgegen, der in diesem Zusammenhang vom Winter des Jahres 1974 gesprochen hat und der nach den Angaben des Klägers diese Erklärung nicht aufgrund einer Beeinflussung seitens des Klägers abgegeben hat. Auch der Zeuge H. hat in seiner eidesstattlichen Versicherung auf die Jahre 1974 und 1975 verwiesen, in der mündlichen Verhandlung konnte er hierzu dann keine Angaben mehr machen.
Der angeschuldigte Zeuge F. hingegen hat für den Senat glaubwürdig bestritten, den Kläger vergewaltigt zu haben. Das Entsetzen über diese gravierende Anschuldigung war dem Zeugen F. ins Gesicht geschrieben. Es stand außerhalb der Vorstellungskraft des Senats, dass dieses Entsetzen gespielt sein könnte. Gerade auch weil der Zeuge F. in Bezug auf den Zeugen H. die Möglichkeit eines Fehlverhaltens (evtl. unsittliche Berührung ohne eigene Erinnerung daran) im Zustand der Trunkenheit mit dem deutlichen Ausdruck des Bedauerns („die Sache mit dem Zeugen H. im Kloster W. tue ihm leid“) eingeräumt, also nicht jeden Vorwurf pauschal abgestritten hat, hielt der Senat seine Einlassungen für glaubwürdiger als die Vorwürfe des Klägers.
Dem Senat erschien in diesem Zusammenhang auch völlig unplausibel, dass der Zeuge F. ein derart gravierendes Delikt wie eine Vergewaltigung eines Heimzöglings in einem Umfeld begeht, bei der eine Entdeckung der Tat nahezu sicher gewesen sein muss. Denn nach den Angaben des Zeugen H. war der Zeuge F. nicht allein mit dem Kläger in dem Reihenhaus in der N-Straße, sondern es waren andere Jugendliche vor Ort. Diese seien aufgrund der Schreie des Klägers in den Keller gelaufen. Aus Tätersicht ist es jedoch ausgesprochen irrational, in der nahen Gegenwart Dritter eine Vergewaltigung zu begehen. Für den, auf den Senat keinen irrationalen Eindruck machenden Zeugen F. hätte sich sicher, wenn er denn dies gewollt hätte, eine bessere Gelegenheit für eine derartige Tat geboten als am Nachmittag in einer Außenwohngruppe, in der mehrere andere Jugendliche anwesend sind.
Auch die Aussage der unbeteiligten Zeugin E. spricht gegen die Vergewaltigungsvorwürfe des Klägers. Die Zeugin E. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft angegeben, sie habe damals keine Kenntnis von dem Vorfall (Vergewaltigung des Klägers nach einem Fahrradunfall in der N-Straße durch den Zeugen F.) gehabt. Sie wäre jedoch sicher von den Jugendlichen oder von den Erziehern R. hierüber informiert worden, wenn da etwas gewesen wäre. Für den Senat erschien diese Einlassung auch deshalb überzeugend, weil sich die Jugendlichen bereits wegen dem wesentlich geringfügigeren angeblichen Vorfall im Kloster W. an die Zeugin E. gewandt hatten. Gerade weil der Heimleiter T. strafrechtlich verfolgt worden ist, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Verantwortlichen des A.-Heims alle strafrechtlich relevanten Vorfälle der Gewalt gegenüber den anvertrauten Jugendlichen und insbesondere eine derart gravierende Straftat wie eine Vergewaltigung unter den Teppich gekehrt haben.
Die Zeugin H.-A. hat verständlicherweise aus eigener Anschauung keine verwertbaren Angaben hierzu machen können.
Die eidesstattliche Versicherung des bereits verstorbenen H. B. konnte den Senat schließlich auch nicht davon überzeugen, dass der Zeuge F. den Kläger vergewaltigt hat. Diese enthält nur vage Behauptungen, die auf Hörensagen beruhen. Eigene Wahrnehmungen zum Tatgeschehen werden von Herrn B. hierin ebenfalls nicht geschildert.
Damit konnte der Senat nicht die volle Überzeugung gewinnen, dass der Kläger tatsächlich von dem Zeugen F. vergewaltigt worden ist.
Gleiches gilt auch für die weiteren Vorwürfe des Klägers gegen den Zeugen F. in Form der Selbstbefriedigung vor dem Kläger bzw. von unsittlichen Berührungen. Auch hier erschien dem Senat wenig plausibel, dass der Zeuge F. nach den Angaben des Klägers Taten begangen haben soll, die mit einem derart hohen Entdeckungsrisiko verbunden sind. Denn durch das Ejakulieren auf eine Bettdecke entstehen nicht mehr durch den Täter zu beseitigende Spuren. Auch soll der Zeuge F. unsittliche Berührungen in Anwesenheit Dritter (C. F.) begangen haben.
Der Zeuge F. hat für den Senat ebenso überzeugend wie beim Vorwurf der Vergewaltigung derartige Verhaltensweisen bestritten. Diese seien für ihn unvorstellbar. Sexuelle Kontakte zum Kläger habe es nicht gegeben. Er habe den Kläger nicht länger betreuen wollen, weil er gewusst habe, dass er ihm nicht gerecht werden könne. Er habe nicht das Gefühl gehabt, vorurteilsfrei mit dem Kläger umgehen zu können. Schließlich sei er auch 40 Jahre Trainer in Sportvereinen für Erwachsene und Jugendliche gewesen. Dort sei nie etwas vorgefallen, er sei auch nie wegen derartiger Straftaten verurteilt worden. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, diese Angaben des Zeugen in Zweifel zu ziehen. Diese passen jedoch nicht in das vom Kläger gezeichnete Bild des Zeugen F. als Intensiv-Sexualverbrecher, der zu mehrfachen, teils schwersten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in der Lage sein soll.
Auch aus dem Umstand, dass der Zeuge F. dem Zeugen H. eine Geldzuwendung hat zukommen lassen, lassen sich keine relevante Rückschlüsse zugunsten des Klägers ziehen. Der Zeuge F. hat angegeben, dass er mehreren Zöglingen, denen es nicht so gut gehe, etwa auch einem Äthiopier, bereits jetzt helfen wolle. Er habe daher diesen, unter anderem auch dem Zeugen H., Geldzuwendungen aus einer Erbschaft gemacht. Dies ließe grundsätzlich die Vermutung zu, der Zeuge F. wollte damit seinem, auch in der mündlichen Verhandlung erkennbaren schlechten Gewissen gegenüber dem Zeugen H., abhelfen. Dem Kläger hat der Zeuge F. aber keine Geldzuwendung zukommen lassen. Der Umstand, dass an den Kläger Zuwendungen durch den Zeugen F. unterblieben sind, spricht dann sogar eher gegen Missbrauchshandlungen gegenüber dem Kläger als dafür.
Die gleichen Bedenken des Senats bestehen auch in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachte Aufforderung zum Nacktduschen durch den Zeugen F.. Diese stellt davon abgesehen noch keinen tätlichen Angriff dar. Für die Annahme eines sexuellen Missbrauchs von Kindern genügen Handlungen nicht, die objektiv nicht sexualbezogen sind, selbst dann, wenn sie vom Täter als solche betrachtet werden sollten. Hierzu zählt auch die Aufforderung zum Nacktbaden (vgl. F., StGB, § 176 Rn. 11 m.w.N.). Ein darauffolgender sexueller Übergriff wird vom Kläger nicht konkret behauptet, sondern nur dargetan, dass eventuell ein solcher stattgefunden haben könnte. Dies reicht jedoch für die Annahme eines tätlichen Angriffs nicht aus.
Auch die Missbrauchsvorwürfe gegenüber dem Zeugen G. haben sich in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise erhärtet. Der Zeuge G. hat einen Vorfall geschildert, bei dem er dem Kläger nähergekommen ist. Dies sei an dem Tag gewesen, als der Kläger angerufen hatte, weil er von seiner Mutter von der Wohnung verwiesen und die Schulsachen über die Treppe gekippt worden seien. Er, der Zeuge, sei dann sofort zum Kläger gefahren. Es sei die Mutter erschienen und habe ihn mit einem Grillspieß in den Oberarm gestochen. Er sei dann mit dem Kläger mit dem Auto zum Büro zurückgefahren. Der Kläger sei völlig aufgelöst gewesen. Da könne er nicht ausschließen, dass er den Kläger dann in seinem Arbeitszimmer auf seinen Schoß genommen und beruhigt habe, mehr jedoch nicht. Den Vorwurf des Klägers, er habe ihm auf der Autofahrt zwischen die Beine an die Genitalien gegriffen, hat er als völlig aberwitzig zurückgewiesen. Er hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er bei Autofahrten seine Hände am Steuer habe. Der Zeuge G. hat auf den Senat einen ruhigen, glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck gemacht. Er hat seine zu einer Verurteilung wegen Falschaussage in Zusammenhang mit der Verurteilung des Herrn T. zu einem halben Jahr Gefängnis erfolgte Falschaussage erläutert. Der Fehler, der ihm damals unterlaufen ist, lässt nicht darauf schließen, dass der Zeuge G. gegen besseres Wissen Herrn T. gedeckt hat. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Zeugin E. erklärt hat, ihr sei damals auch nicht bekannt geworden, dass Herr G. unsittliche Berührungen vorgenommen habe.
Schließlich hat auch der Zeuge C., derzeitiger Geschäftsführer beim K. e.V. ausgesagt, es sei damals eine Kommission gegründet worden zur Aufklärung von Vorkommnissen im Bereich des K. e.V.. Dieser habe ihre Arbeit ohne Ergebnis eingestellt. Die erfolgte Entschuldigung sei nur erfolgt, um den Streit zu beenden. Dies stützt die Vorwürfe des Klägers ebenfalls nicht.
Angesichts der vielen unglaubwürdigen Angaben des Klägers in Bezug auf die Vorgänge im A.-Kinderheim konnte sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass die sonstigen Anschuldigungen in Bezug auf Missbrauchshandlungen vor der Aufnahme des Klägers in das A.-Kinderheim zutreffend sind. Irgendwelche objektiven Belege für die dort geltend gemachten tätlichen Angriffe (Sex-Spiele einer Mutter im SOS-Kinderdorf, Selbstbefriedigung durch Ordensschwestern im M. Kinderheim in Form der Selbstbefriedigung auf dem Kopf des Klägers, Prügel, Körperverletzungen mit einem Stein) gibt es nicht. Es sind weder Zeugen noch sonstige Unterlagen über die Heimaufenthalte des Klägers vorhanden. Die Taten muten teilweise auch nach Auffassung des Senats so absonderlich an (Selbstbefriedigung von Nonnen auf den Köpfen von Kindern), dass erhebliche Zweifel bestehen, dass sie sich tatsächlich so zugetragen haben. Im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten und des SG und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG, § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 136 Abs. 3 SGG).
Der Senat ist nach alledem nicht davon im Sinne des Vollbeweises davon überzeugt, dass der Kläger Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden ist.
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass für ihn sämtliche vom Kläger erhobenen Anschuldigungen auch nicht glaubhaft im Sinne des § 15 KOV-VfG erscheinen. Selbst bei der Anlegung dieses Beweismaßstabes kommt es nach Auffassung des Senats nicht zu einem anderen Ergebnis.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOV-VfG handelt es sich um den mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaftzumachende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlichen Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. B 9 V 3/15 R, in juris, m.w.N.).
Aus Sicht des Senats ist es zwar möglich, dass sich die vom Kläger geschilderten Vorgänge so wie geschildert abgespielt haben. Von der guten Möglichkeit geht der Senat allerdings nicht aus. Es spricht nicht mehr dafür als dagegen, dass sich die Taten so zugetragen haben, wie sie vom Kläger behauptet werden. Angesichts der oben eingehend ausgeführten Ungereimtheiten in den Angaben des Klägers zu dem gravierendsten Tatkomplex der Vergewaltigung durch den Zeugen F. sah sich der Senat nicht mehr in der Lage, im Hinblick auf alle Vorwürfe des Klägers, die in keiner Hinsicht auf andere Weise zu objektivieren waren, zu der Annahme zu gelangen, dass besonders viel dafürspricht, dass die vom Kläger erhobenen Vorwürfe zutreffen. Der Senat geht ebenfalls davon aus, dass der Kläger eine schwierige Kindheit und Schulzeit durchlebt hat. Wie das SG zutreffend dargestellt hat, stellen die mit der Heimunterbringung verbundenen Belastungen als solche ohne hinreichende Glaubhaftmachung konkreter vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe jedoch keinen Entschädigungsgrund dar, auch wenn das Entschädigungsbegehren des Klägers insoweit sehr stark ausgeprägt ist.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens war vom Senat nicht zu entsprechen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 17. April 2013, Az. B 9 V 3/12 R, in juris, deutlich herausgearbeitet, dass die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Angaben grundsätzlich zu den Aufgaben des Tatrichters gehört. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens komme daher nur ausnahmsweise in Betracht. Sie könne dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson und deren Behandlung beeinflusst werden können.
Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Zwar stellen die Angaben des Klägers im Wesentlichen das einzige Beweismittel dar. Es sind aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese durch eine psychische Erkrankung oder deren Behandlung beeinflusst worden sind. Dies wurde vom Kläger selbst schon nicht geltend gemacht. Derartiges lässt sich aber auch weder aus den vorliegenden Befundberichten noch aus den Gutachten von Dr. K. und Dr. B. ableiten. Aus Sicht des Senats liegt hier kein Ausnahmefall, sondern der Regelfall vor, bei dem die Beurteilung der Glaubwürdigkeit sowohl des Klägers als auch der Zeugen einer der Kernaufgaben der richterlichen Tätigkeit ist, die nicht einem Sachverständigen überlassen werden kann (vgl. die ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteil vom 26.01.16, Az.: L 15 V 30/09, unter Verweis auf die Rechtsprechung d. BVerfG, in juris).
Die Kostenentscheidung (§ 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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