Medizinrecht

Stationäre Behandlung, Vollstationäre Krankenhausbehandlung, Vollstationäre Behandlung, Sozialgerichte, Großer Senat des BSG, Pflegesatzvereinbarung, Stationäre Krankenhausbehandlung, Ambulante Behandlung, Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, Berufungsbeklagter, Treuwidrigkeit, Vergütungsanspruch, Krankenhausvergütung, Treuwidriges Verhalten, Aufrechnung, Versorgungsmanagement, Behandlungsbedürftigkeit, SGB V, häusliche Krankenpflege, Kostenentscheidung

Aktenzeichen  L 4 KR 509/17

Datum:
28.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41387
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
§§ 387 ff BGB
SGB V § 109 Abs. 4
§ 11 ff SGB V
SGB V § 39

 

Leitsatz

1. Voraussetzung für die Gewährung von vollstationärer Krankenhausbehandlung ist, ob die vollstationäre Behandlung die (allein) geeignete Behandlungsform ist.
2. Kommt anstelle der vollstationären Behandlung allein eine Anschlussheilbehandlung in einer spezialisierten Reha-Einrichtung in Betracht und kann die Krankenkasse nicht rechtzeitig eine Einrichtung anbieten, liegt eine Überschreitung der Grenzverweildauer im Verantwortungsbereich der Krankenkasse.
3. Die stationäre Krankenhausbehandlung kann dann weiterhin aus medizinischen Gründen notwendig sein.
4. Zur Kürzung der Krankenhausrechnung als mögliches treuwidriges Verhalten der Krankenkasse.

Verfahrensgang

S 12 KR 553/14 2017-02-16 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 10.483,32 EUR festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 10.483,32 EUR nebst Zinsen hieraus von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 18. Dezember 2010 zu zahlen. Der Vergütungsanspruch der Klägerin beruht auf § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung. Es liegt auch für die Zeit vom 17. bis 26. Januar 2010 eine Krankenhausleistung der Klägerin im Sinne von § 39 SGB V vor. Die Beklagte durfte nicht gemäß § 69 S. 3 SGB V in Verbindung mit §§ 387 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 10.483,32 EUR aufrechnen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird hierzu gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.
Der Versicherte konnte am 16. Januar 2010 (Ablauf der GVD) nicht ohne Weiteres nach Hause entlassen werden. Dies ergibt sich neben dem Vortrag der Beteiligten jedenfalls auch aus der Stellungnahme des MDK vom 30. November 2010. Offensichtlich ist auch, dass als Alternative zur stationären Behandlung nur eine AHB in Betracht kam. Ein Platz hierfür konnte von der Beklagten jedoch erst zum 27. Januar 2010 vermittelt werden.
Soweit die Beklagte auf die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung hingewiesen hat, hat sie zuletzt hieran nicht festzuhalten. Dem steht auch die o.g. Stellungnahme des MDK eindeutig entgegen. Die im Begutachtungsgrund von der Beklagte aufgeworfene Frage an den MDK, ab welchem Zeitpunkt die vollstationäre medizinische Behandlung nicht mehr mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses erforderlich war und ob unter Hinzuziehung von entsprechenden Komplementärleistungen eine Behandlung im ambulanten Rahmen erfolgen könnte, hat der MDK mit dieser Stellungnahme verneint. Angezeigt war eine Fortsetzung der Behandlung in einer spezialisierten pulmologischen Reha-Einrichtung in Form einer AHB.
Wie das Sozialgericht auch zutreffend ausgeführt hat, war auch eine Entlassung in eine Kurzzeitpflegeeinrichtung nicht möglich, da dort zwar eine umfassende Versorgung im Bereich der Grundpflege möglich ist, jedoch nicht die hier notwendige ständige ärztliche Präsenz gewährleistet ist.
Damit kam als einzige Alternative zur AHB nur die Fortdauer der stationären Behandlung (§ 39 SGB V) in Betracht. Diese war deshalb in vorliegendem Fall medizinisch geboten.
Die rechtlichen Ausführungen der Beklagten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 25. September 2007 (a.a.O.), des BSG vom 10. April 2008 (a.a.O.) und zuletzt auch vom 17. November 2015 (a.a.O.) sind zwar zutreffend. Zutreffend ist daher, dass maßgeblich ist, ob die vollstationäre Behandlung die (allein) geeignete Behandlungsform ist. Zutreffend ist ferner, dass die Klägerin als Krankenhaus aus dem richtigen Entlass- bzw. Versorgungsmanagement nach § 11 Abs. 4 SGB V a.F. keinen Anspruch auf die Krankenhausvergütung ableiten kann.
Maßgeblich ist nach dem Großen Senat des BSG die medizinische Notwendigkeit der stationären Behandlung. Von besonderer Bedeutung für die Entscheidung des Senats ist in diesem Zusammenhang, dass, wie dargelegt, nur eine weitere Behandlung in einer pulmologischen Rehabilitationsklinik in Betracht kam. Streitig ist im Wesentlichen zwischen den Beteiligten nur, ob dieser Umstand dazu führt, dass die besonderen Mittel des Krankenhauses nicht länger vonnöten waren und die stationäre Behandlung durch die Klägerin nicht mehr die (allein) geeignete Behandlungsform darstellte.
Stellte man wie die Beklagte auf die Notwendigkeit der alleinigen Geeignetheit ab, wäre der Beklagte zuzustimmen, dass hier zumindest auch die AHB geeignet war. Eine derartige enge Auslegung vermag der Senat jedoch der Entscheidung des Großen Senats des BSG nicht zu entnehmen. Dort bestand nämlich die Möglichkeit, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen der GKV wie einer ambulanten Behandlung einschließlich einer häuslichen Krankenpflege zu erreichen (BSG, a.a.O., juris Rn. 15). Dies ist wie dargelegt in dem hier zu entscheidenden Fall jedoch gerade nicht der Fall. Als Alternative zur stationären Behandlung ist nur die AHB in einer spezialisierten pulmologischen Reha-Einrichtung in Betracht gekommen. Einen AHB-Platz konnte die Beklagte jedoch erst zum 27. Januar 2010 anbieten. Eine andere Leistungsart nach § 11 ff SGB V war nach Überzeugung des Senats ausgeschlossen, da der Versicherte in vorliegendem Rechtsstreit im Hinblick auf die ärztliche Überwachung auf besondere Mittel einer stationären Einrichtung angewiesen war, so dass bis zur Ermöglichung der AHB der Anspruch auf Behandlung einer Krankheit nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 ff SGB V nur durch die Überschreitung der GVD im Klinikum der Klägerin möglich war. Die stationäre Krankenhausbehandlung war somit aus medizinischen Gründen notwendig (s.a. BSG, a.a.O., juris Rn. 27 ff).
Zu Recht verweist die Klägerin hierbei auf ein treuwidriges Verhalten der Beklagten. Die Klägerin hat für den Versicherten frühzeitig am 30. Dezember 2009 per Fax den Antrag auf eine AHB-Maßnahme gestellt. Eine Mitteilung von der Beklagten an die Klägerin erging erst am 7. Januar 2010; mit Fax erst vom 19. Januar 2010, also bereits nach Ablauf der GVD, erging die Mitteilung über eine mögliche Aufnahme in der Fachklinik im A. ab 27. Januar 2010 – also erst nach 20 Tagen. Die Aufnahme erst am 27. Januar 2010 (28 Tage später) lag im Verantwortungsbereich bzw. im Verhalten der Beklagten begründet. Dabei liegt es im Übrigen auch nahe, dass der Jahreswechsel mit zu der Verzögerung beigetragen hat. Es ist treuwidrig (§ 242 BGB analog), nun der Klägerin, die sich frühzeitig bereits am 30. Dezember 2009 um eine AHB bemüht hat, den Vergütungsanspruch vorzuenthalten mit der Begründung, dass die GVD ab 17. Januar 2010 überschritten sei. Dabei war die Lungenfachklinik P-Stadt über den Sozialdienst der Klägerin als geeignete Einrichtung empfohlen worden – dies ist jedoch für die Beklagte nicht bindend. Ihr hätte es offen gestanden bzw. es wäre sogar eine Obliegenheit der Beklagten gewesen, bei Belegungsproblemen zeitnah eine andere vergleichbar geeignete Einrichtung für die AHB auszuwählen.
Hinsichtlich des Zinsanspruchs wird ebenfalls gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Streitwert ist mit der streitigen Forderung in Höhe von 10.483,32 EUR anzusetzen (§ 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz – GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).


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