Medizinrecht

Unzulässigkeit vorläufigen Rechtsschutzes wegen fehlender Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs

Aktenzeichen  M 30 S 20.3336

Datum:
5.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19508
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage setzt die Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs voraus. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit Schreiben vom 24. Juli 2020 an das Verwaltungsgericht München vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Zusammenhang mit einer Verpflichtung aufgrund einer Anordnung und Dienstanweisung der Landtagspräsidentin für die Räumlichkeiten des Landtags mit Ausnahme der Fraktionsräumlichkeiten zum Tragen eines sog. face shield statt einer Mund-Nasen-Bedeckung bei Vorliegen eines ärztlichen Attests.
Mit Anordnung und Dienstanweisung vom 3. Juli 2020 zu „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des „Corona-Virus“ bedingten besonderen Situation“ hat die Landtagspräsidentin für den Bayerischen Landtag in Ausübung des Hausrechts im Wege einer Allgemeinverfügung neben einem Mindestabstandsgebot von 1,50 Meter die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Abdeckung angeordnet. Gemäß Nr. 3 d) sind vom Tragen einer Mund-Nasen-Abdeckung Personen befreit, die zum Beispiel mittels ärztlichen Attests glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Abdeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar ist. Als Ersatz sei von diesen Personen ein Visier, sog. face shield, zu tragen, sofern nicht entsprechend Satz 1 glaubhaft gemacht werde, dass auch dies unmöglich oder unzumutbar ist. Der von der Tragepflicht befreite Personenkreis habe in besonderem Maße die Verpflichtung, das Mindestabstandsgebot gem. Nr. 4a einzuhalten. Die sofortige Vollziehung der Anordnungen wurde in Nr. 5 angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller, der von der Regelung betroffener Fraktionsmitarbeiter mit Arbeitsplatz im M. sei, aber aus medizinischen Gründen keinen Mund-Nase-Schutz tragen könne. Zur Begründung gibt er an, er halte die Anordnung für medizinisch unsinnig. Darüber hinaus rechtfertigten die derzeit sehr geringen Infektionszahlen eine solche Maßnahme nicht. Das sog. face shield werde in der 6. BayIfSMV nicht einmal erwähnt. Mit einer Befreiung von der Pflicht, eine Mund-Nasen-Abdeckung zu tragen, könne er in der rush hour in der U-Bahn dicht gedrängt zur Arbeit hin- und zurückfahren, aber im Landtag, wo man sehr wohl gut Abstand halten könne, solle er eine nachweislich medizinisch unsinnige Plastikscheibe vor dem Gesicht tragen. Per Telefax vom 31. Juli 2020 ergänzte er in Erwiderung auf den Antragsgegner, er werde in Ausübung seines Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und der Freiheit der Person gemäß Art. 2 GG verletzt. Auch alle anderen Mitarbeiter auf dem Gelände des M. seien von der Grundrechtsverletzung betroffen. Zudem verwies er auf Studien zur Übertragung durch Aerosole, Wirksamkeit von Masken und Visieren, psychischen Auswirkungen der Verordnungen, der Infektionszahlenentwicklung sowie Unzuverlässigkeit der Tests.
Der Antragssteller beantragt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Antragsgegner, Frau Landtagspräsidentin I. A., gemäß § 80 VwGO wegen einer in Teilen unzulässigen Anordnung und Dienstanweisung vom 03.07.2020.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er nahm mit Schreiben vom 29. Juli 2020 Stellung und legte die Behördenakte vor. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei bereits unzulässig, da der Antragsteller keine Antragsbefugnis dahingehend, inwiefern der Antragsteller sich in seinen eigenen Rechten verletzt sehe, geltend gemacht habe. Zudem fehle es an einem Hauptsacherechtsbehelf, ohne den der Antrag denknotwendigerweise ins Leere laufe. Im Übrigen sei die Regelung zum Tragen eines face shield geeignet, erforderlich und angemessen, um im Falle einer Befragung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes der Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. Juli 2020 wurde der Antragsteller unter anderem auf die Ausführungen des Antragsgegners zur Frage der Zulässigkeit eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ohne Einlegung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache hingewiesen und dem Antragsteller Gelegenheit zur kurzfristigen Stellungnahme gegeben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig und daher abzulehnen.
Gegen die Dienstanordnung der Landtagspräsidentin des Bayerischen Landtags vom 3. Juli 2020 ist grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, soweit sich der Antragsteller als Fraktionsmitarbeiter gegen die Regelung in Nr. 3 d) zum Tragen eines sog. face shield statt Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund Befreiung hiervon durch Attest wendet.
In der Hauptsache wäre gegen die Dienstanordnung als Allgemeinverfügung i.S.v.
Art. 35 Satz 2 BayVfG die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft. Daher richtet sich das antragstellerische Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Mangels Einlegung der Anfechtungsklage als Hauptsacherechtsbehelf ist der Antrag jedoch unzulässig.
Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage setzt denklogisch die Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs voraus (h.M., Schoch in Schoch/ Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand 37. EL Juli 2019, § 80 Rn 460 m.w.N. – beck-online; Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 80 Rn 81 m.w.N. – beck-online). Soweit die Gegenmeinung – mitunter unter entsprechender Anwendung von § 123 VwGO – insbesondere auf eine das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG tangierende Verkürzung der Rechtsmittelfrist abstellt (vgl. Gersdorf in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019,§ 80 Rn 164 – beck-online; Schenke in Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 24. Auflage 2018, § 80 Rn 139; Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018 § 80 Rn. 129 – beck-online), verfängt dies jedenfalls vorliegend nicht. Zwar ist die Rechtsmittelfrist aufgrund fehlender Rechtsmittelbelehrunggemäß § 58 Abs. 2 VwGO noch nicht abgelaufen, der Antragsteller hatte aber zumindest einen Monat – und damit den vom Gesetzgeber als im Regelfall ausreichend angesehenen Zeitraum (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) -, um über eine Klageeinreichung zu entscheiden. Eine Konstellation, in der dennoch aus Gründen effektiven Rechtsschutzes Eilrechtsschutz bereits vor Einlegung des Hauptsacherechtsbehelfs als zulässig anzusehen sein könnte (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 16.3.1993 – 2 BvR 202/93 – beck-online in Bezug auf die Frage unmenschlicher Haftbedingungen im Zusammenhang mit § 114 StVollzG), ist vorliegend ebensowenig ersichtlich. Insbesondere wird den grundgesetzlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz auch insoweit genüge getan, als Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände aufgrund § 80 Abs. 7 VwGO hinreichend Rechnung getragen werden kann.
Der Antragsteller wurde zudem auf die Unzulässigkeit seines Eilantrages durch die Stellungnahme des Antragsgegners und Hinweis darauf im Schreiben des Gerichts vom 30. Juli 2020 hingewiesen, verhielt sich aber in seiner Erwiderung vom 31. Juli 2020 hierzu nicht. Das Gericht konnte daher bereits über den Eilantrag entscheiden, ein weiteres Abwarten in Bezug auf eine etwaige, aber nicht näher angekündigte Klageerhebung bedurfte es nicht.


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