Medizinrecht

Vergiftung durch Insektenbekämpfungsspray als Dienstunfall

Aktenzeichen  B 5 K 15.654

Datum:
28.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Kausalität von Dienstunfallfolgen (u.a. Kopf- und Gliederschmerzen, Schwindelgefühl, Reizungen) ist im Sinne eines Anscheinsbeweises nachgewiesen, wenn ein Lehrer Unterricht in einem Raum erteilt hat, der mit einem pyrethroidhaltigen Insektenbekämpfungsmittel behandelt wurde, andere Ursachen für erhöhte Schadstoffwerte im Urin nicht ersichtlich sind und typische Symptome einer akuten Pyrethroid-Vergiftung auftreten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Finanzen vom 20. August 2015 das Schadensereignis vom 13. April 2015 als Dienstunfall mit den Unfallfolgen
– Reiz des Rachens,
– Brennen der Augen, Tränen der Augen,
– Beengungsangst,
– erhebliche Kopfschmerzen,
– Gliederschmerzen und
– Schwindelgefühl mit einer Ausheildauer bis zum 14. Juni 2015 anzuerkennen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 13. April 2015 als Dienstunfall mit den aus dem Tenor ersichtlichen Unfallfolgen und einer Ausheildauer bis zum 14. Juni 2015.
a) Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Dabei sind nach der von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache nur solche kausalen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn für den Schadenseintritt (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die im Dienstunfallrecht herrschende Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache hat die Funktion, im Sinne einer sachgerechten Risikoverteilung dem Dienstherrn die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder die nach der Lebenserfahrung auf sie zurückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken aufzubürden, hingegen diejenigen Risiken, die sich aus persönlichen, von der Norm abweichenden Anlagen oder aus anderen als dienstlich gesetzten Gründen ergeben, bei dem Beamten zu belassen. Nach der danach maßgebenden Kausalitätstheorie besteht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden nicht mehr, wenn für diesen eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hatte (vgl. etwa BVerwG, U.v. 1.3.2007 – 2 A 9/04 – juris Rn. 8; U.v. 28.4.2002 – 2 C 22/01 – ZBR 2003, 140 – juris Rn. 10; B.v. 8.3.2004 – 2 B 54/03 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 – juris Rn. 7).
Im Dienstunfallrecht gelten dabei die allgemeinen Beweisgrundsätze. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Wenn sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht klären lassen, trägt der Beamte die materielle Beweislast. Auch im Beamtenrecht entstehende Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine von den allgemeinen Beweisgrundsätzen abweichende mildere Beurteilung der Beweisanforderungen. Es besteht kein Grundsatz des Inhalts, dass die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ in allen Fällen als ausreichend angesehen werden kann, in denen ein Beteiligter unverschuldet noch erforderliche Beweismittel nicht benennen kann und auch das Gericht nicht in der Lage ist, die erforderlichen Beweismittel heranzuziehen. Die im Wiedergutmachungsrecht entwickelten Grundsätze bei in Beweisnot befindlichen wiedergutmachungsrechtlichen Personen sind auch nicht entsprechend anzuwenden. Allerdings führt der auch in diesem Bereich anwendbare Beweis des ersten Anscheins zu Beweiserleichterungen. Der Anscheinsbeweis kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht, und zwar in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des Einzelfalles für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind. Sind keine Tatsachen erwiesen, welche die Möglichkeit eines von dem typischen Geschehensablauf abweichenden Geschehens dartun, so bedarf es für den Ursachenzusammenhang keines weiteren Beweises (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17.81 – ZBR 1982, 307, juris Rn. 18; U.v. 28.4.2011 – 2 C 55.09 – ZBR 2012, 38, juris Rn. 13).
Dass der Kläger am 13. April 2015 in einem Raum Unterricht gehalten hat, der zuvor mit einem pyrethroidhaltigen Insektenbekämpfungsmittel behandelt wurde, ergibt sich aus den vorgelegten Behördenakten und wird auch vom Beklagten nicht bestritten. Damit liegt ein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis vor. Ebenso von Beklagtenseite unbestritten sind die vom Kläger geklagten Körperschäden, deren Vorliegen im Zeitraum vom 13. April 2015 bis 14. Juni 2015 auch durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers dargetan ist. Im Streit steht hier lediglich die Frage der Kausalität des Aufenthalts in dem zuvor mit Insektenbekämpfungsmittel behandelten Unterrichtsraum und den vom Kläger geklagten Beschwerden.
b) Insoweit liegt mit dem Laborbefund vom 28. April 2015 lediglich eine Aussage zur Konzentration des Pyrethroid-Metaboliten trans-CDCA im Urin am 16. April 2015, also drei Tage nach dem Unfallereignis vor. Danach bestand in diesem Zeitpunkt eine im Vergleich zum späteren Befund vom 12. Mai 2015 auffällig erhöhte Konzentration von 0,54 μg/l. Dies mag zwar nach den Angaben im Schreiben der … Universität … vom 29. Juni 2015 trotz der angegebenen Halbwertszeit des Metaboliten keinen sicheren Rückschluss auf die konkrete Konzentration am 13. April 2015 zulassen. Dem kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass beim Kläger am 13. April 2015 keine Pyrethroid-Belastung vorgelegen hätte. Angesichts dessen, dass der Kläger nachweislich am 13. April 2015 Unterricht in einem Raum erteilte, der zuvor mit einem pyrethroidhaltigen Insektenbekämpfungsmittel behandelt wurde, und andere Ursachen für eine drei Tage nach diesem Ereignis noch erhöhte trans-CDCA-Konzentration im Urin nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich sind, entspricht es aber nach Auffassung der Kammer der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Unterricht am 13. April 2015 zu der für den Dienstunfall maßgeblichen Exposition mit Pyrethroiden geführt hat. Dabei kommt es nicht auf einen belegbaren, konkreten Wert der trans-CDCA-Konzentration im Urin am 13. April 2015 an. Dem steht auch die Stellungnahme des Landratsamtes K. – Gesundheitsamt – vom 20. Juli 2015 entgegen, die lediglich die Einschätzung aus dem Schreiben der …-Universität … vom 29. Juni 2015 wiederholt. Darüber hinaus hat der Kläger mit den von ihm geklagten Schleimhautreizungen, des Enge- und Schwindelgefühls sowie der Kopfschmerzen auch typische Symptome einer akuten Pyrethroid-Vergiftung beschrieben (vgl. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Umweltmedizinische Hintergrundinformationen zu Pyrethroiden, Dezember 2005, S. 12). Die Kausalität der geltend gemachten Dienstunfallfolgen ist damit jedenfalls im Sinne eines Anscheinsbeweises zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Der Beklagte hat insoweit nicht darlegen können, dass der hier anzunehmende typische Geschehensablauf sich anders zugetragen hätte. Auch die zwei Tage nach dem Unfallereignis erfolgte fachärztliche neurologische Untersuchung, ein EEG sowie ein MRT des Kopfes haben keine Hinweise auf eine andere Ursache ergeben. Vom Kläger eine weitergehende Beweisführung zu verlangen, würde die Anforderungen an einen Nachweis der Kausalität überspannen. Der Kläger hat sich hier unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben und damit zumindest eine zeitnahe Befunderhebung ermöglicht. Von ihm kann als medizinischem Laien auch nicht erwartet werden, dass er bei einem Verdacht auf eine Pyrethroid-Vergiftung unmittelbar noch weitergehende Beweise – in welcher Form auch immer – sicherstellt. Damit ist die Kausalität der dienstlichen Tätigkeit des Klägers am 13. April 2015 für die geltend gemachten Unfallfolgen nach den oben dargestellten Grundsätzen nachgewiesen.
c) Der Klägerbevollmächtigte hat den Klageantrag in der mündlichen Verhandlung auf eine Ausheildauer bis zum 14. Juni 2015 beschränkt. Dies entspricht dem Zeitraum der durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerden des Klägers nur über einen kürzeren Zeitraum vorlagen, dies wurde auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 der Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben