Medizinrecht

Vergütungsanspruch des Krankenhauses bei neurologischer Komplexbehandlung eines akuten Schlaganfalls

Aktenzeichen  S 15 KR 2343/18

Datum:
27.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 11597
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 301 Abs. 2 S. 6
SGB V aF § 301 Abs. 2 S. 4
OPS 8-981, 8-98b
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Nach zutreffender wortlautgetreuen Auslegung ist bereits nach alter Fassung der OPS 8-981 und 8-98b (“Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls” bzw. “Andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls”) unter Transportentfernung die Zeit zu verstehen, die der Patient im Transportmittel verbringt (Abweichung zu BSG BeckRS 2018, 22032 und BSG BeckRS 2018, 23816). (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 301 Abs. 2 S. 4 SGB V in der Fassung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I 2394) ist nicht verfassungswidrig. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 718,63 EUR festgelegt.
IV. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist möglich, da die Sache keinerlei Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden angehört.
Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen dann vor, wenn der Fall komplizierte Rechtsfragen aufwirft, die höchstrichterlich noch nicht entschieden sind. Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen auch dann vor, wenn es um die Auslegung und Anwendung vom bisherigen Rechtszustand abweichender neuer Rechtsnormen geht, die höchstgerichtlich nicht geklärt sind, ferner, wenn das Sozialgericht von einer Entscheidung eines Landessozialgerichts des Bundessozialgerichts oder des gemeinsamen Senats abweichen will (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 105 Rn. 6b). Die Auslegung und Anwendung der Regelung von § 301 Abs. 2 S. 6 SGB V ist vorliegend aber gerade nicht streitig. Sofern diese Regelungen verfassungsmäßig Bestand haben (wovon das erkennende Gericht ausgeht, s. u.), ist weder die Auslegung noch die Anwendung dieser Norm schwierig.
Diese Einschätzung konnte auch vom Schriftsatz der Klägerin vom 23.04.2020 nicht widerlegt werden, der zur Begründung einer einfachgesetzlichen Schwierigkeit auf das Urteil des BSG vom 30. Juli 2019 (B 1 KR 13/18 R -, SozR 4-5562 § 9 Nr. 13, Rn. 23) verweist. Danach heißt es aber: „Das DIMDI kann aber nach dem Wortlaut der Vorschrift nur „bei Auslegungsfragen zu den Diagnosenschlüsseln nach Satz 1 und den Prozedurenschlüsseln nach Satz 2 Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vornehmen“.” Diese Auslegungsfragen (zu Diagnose- und Prozedurenschlüsseln) sind aber hier gerade betroffen, und nicht Kodierrichtlinien als vorgelagerter Normenbereich.
Der Anspruch der Klägerin ist somit nach eigener Auffassung nur dann gegeben, wenn § 301 Abs. 2 S. 6 SGB V verfassungswidrig wäre. Hierfür wurde seitens der Klägerin ein ausführliches Sachverständigengutachten eingeholt, welches nicht notwendig wäre, würde sich der Anspruch bereits aus einfachem Recht ergeben. Auch eine Verfassungsvorlage, die nach der Überzeugung der Klägerin notwendig ist, wäre dann weder zulässig noch erforderlich. Die Klägerin argumentiert mithin alleine aus prozesstaktischen Gründen, um einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid ein Argument entgegenhalten zu können, diametral zur bisherigen Linie. Die Argumente der Klägerin im Schriftsatz vom 23.04.2020 vermögen daher nicht zu überzeugen.
Nach einfachem Recht liegt mithin keine schwierige Rechtsfrage vor. Das Sozialgericht ist nicht befugt, über die Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen zu entscheiden. Dies obliegt alleine dem Bundesverfassungsgericht (vgl. § 93 Bundesverfassungsgericht), so dass die von der Klägerin dargelegte Schwierigkeit der verfassungsrechtlichen Frage für die Entscheidung, ob eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheid ergehen kann, unerheblich ist. Zwar weicht die erkennende Kammer in einer Auslegungsfrage von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts ab. Diese abweichende Auslegung ist aber nur eine zusätzliche Stütze für die Ablehnung der Klage; zuvörderst ergibt sich die Ablehnung aber aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Die Abweichung ist daher nicht entscheidungstragend und zwingt daher ebenfalls nicht zu einer Entscheidung mittels Urteil. Aus diesen Gründen liegt auch keine grundsätzliche Bedeutung vor.
Das Ermessen (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 9) war vom Gericht dahingehend auszuüben, dass eine schriftliche Entscheidung im Gerichtsbescheid-Verfahren ergeht, um eine Gefährdung der Prozessbeteiligten (somit auch der ehrenamtlichen Richter auch im Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG) während der Corona-Krise zu verhindern.
Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr. 13 m.w.N.; und vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.), aber nicht begründet.
Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin besteht einfachgesetzlich nicht (hierzu unter 1.).
Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2018 (B 1 KR 38/17 R und B 1 KR 39/17 R) ist nicht zu folgen (hierzu unter 2.).
Das Gericht hält die entscheidenden Rechtsgrundlagen nach dem Pflegekräfte-Stärkungsgesetz nicht für verfassungswidrig, so dass eine Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) nicht in Betracht kommt (hierzu unter 3.). Auch kommt es auf die Verfassungswidrigkeit der Normen nicht an.
1. Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie P vom 14.07.2016 bis 15.07.2016 stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS. von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist.
Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarung (FPV)) konkretisiert. Die Spitzenverbände der Krankenkassen (heute der Spitzenverband Bund der Krankenkassen) und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.
Die vertraglichen Fallpauschalen ergeben sich daraus, dass die nach den aufgezeigten gesetzlichen Regelungen hierzu berufenen Vertragspartner eine Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mit einem Fallpauschalen-Katalog als Teil derselben und Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche Kodierrichtlinien (DKR)) vereinbart haben. DKR und FPV bilden den konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2). Im vorliegenden Fall sind maßgebend – jeweils normativ wirkend – die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2016 (FPV 2016) einschließlich der Anlagen und die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2016 (DKR 2016). Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl. BSG a.a.O.). „Die Anwendung der DKR und der FPV einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen“ (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.; auch z.B. Urteile vom 21.04.2015 – B 1 KR 9/15 R -, und vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R – beide juris m.w.N.; Unterstreichungen durch die erkennende Kammer).
Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Beklagten aufgrund der stationären Behandlung von P unter Einbeziehung des streitigen OPS 8-981 ein Anspruch auf die abgerechnete Vergütung in Höhe von 1.949,55 EUR zustand; eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 10).
Unstreitig ist ebenfalls, dass die Klägerin alleine dann einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in beantragter Höhe geltend machen könnte, wenn die Voraussetzungen für die OPS 8-981 nicht vorliegen würden und damit die von ihr bezahlte Rechnung über die Behandlung der P um diesen Betrag überhöht wären.
Die Beteiligten gehen richtigerweise mit dem BSG (BSG, Urteil vom 10. März 2015 – B 1 KR 2/15 R -,Rn. 27) davon aus, dass vorliegend das Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung und nicht das der Auffälligkeitsprüfung (vgl. zur Abgrenzung beider Rechtsinstitute SG München, Gerichtsbescheid vom 26.02.2019 – S 15 KR 1993/17 -) greift. Eine Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gem. § 275 Abs. 1 SGB V war daher nicht erforderlich.
Streitig ist alleine die richtige Auslegung des OPS 8-981 „Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls“. Dieser lautet in der neuesten Fassung, die mit Rückwirkung (§ 301 Abs. 2 S. 6 SGB V) seit dem 01.01.2014 gilt:
Behandlung auf einer spezialisierten Einheit durch ein multidisziplinäres, auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes Team unter fachlicher Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie mit: unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner, der innerhalb einer halben Stunde zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende (das ist die Zeit, die der Patient im Transportmittel verbringt) erreichbar ist. Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn der Transport unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (z.B. Hubschrauber) grundsätzlich innerhalb einer halben Stunde möglich ist. Wenn der Transport eines Patienten erforderlich ist und das Zeitlimit nur mit dem schnellstmöglichen Transportmittel eingehalten werden kann, muss dieses auch tatsächlich verwendet werden. Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden.) [Hervorhebungen durch die Kammer] In der Fassung vor den Klarstellungen des DIMDI lautete dieser:
„Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende). Das Strukturmerkmal ist erfüllt, wenn die halbstündige Transportentfernung unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels (zB Hubschrauber) grundsätzlich erfüllbar ist. Wenn der Transport eines Patienten erforderlich ist und das Zeitlimit nur mit dem schnellstmöglichen Transportmittel eingehalten werden kann, muss dieses auch tatsächlich verwendet werden. Wenn ein Patient transportiert wurde und die halbe Stunde nicht eingehalten werden konnte, darf der Kode nicht angegeben werden.“ (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 5 KR 95/16 -, Rn. 14, juris)
Der Fassungsvergleich zeigt, dass die neueste Fassung die halbstündige Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende) klarer fasst, als diese als die Zeit definiert wird, die der Patient im Transportmittel verbringt.
Ausgehend hiervon stellt das Gericht eine Transportzeit von maximal 28 min fest. Dies ergibt sich aus Google Maps für Nachtfahrten mittels PKW. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht das Gericht nicht davon aus, dass ein Krankentransportwagen langsamer fährt als ein PKW. Es ist eine gerichtsbekannte Tatsache, dass Krankentransportwagen – sofern notwendig – sehr schnell unterwegs sind. Zusätzlich bestehen auf Landstraßen Höchstgeschwindigkeiten (80 km/h oder 100 km/h), die problemlos von Krankentransportwägen und von Lieferwägen erreicht werden. Das Gericht geht auch davon aus, dass diese Höchstgeschwindigkeiten bei Nachtfahrten wegen des geringen Verkehrsaufkommens regelmäßig erreicht werden und eine zusätzliche Zeitersparnis bei den Ampelschaltungen in E-Stadt erreicht wird, die mittels „Blaulicht“ zeitverkürzend überwunden werden können. Die 28 min sind daher als maximale Transportzeit in der Nacht zu verstehen. Tagsüber ist die Transportzeit bei Transport mittels „Christoph D-Stadt“ unstrittig kürzer.
Die DIMDI-Definition der Transportzeit ist auch gem. § 301 Abs. 2 S. 6 SGB V i.d. F. ab dem 01.01.2020 wirksam. Die ursprüngliche Fassung der Norm vom 12.12.2019 (S. 4: „Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information kann bei Auslegungsfragen zu den Diagnosenschlüsseln nach Satz 1 und den Prozedurenschlüsseln nach Satz 2 Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vornehmen, soweit diese nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen.) ist mittlerweile gegenstandlos, die Rechtsgrundlage für die rückwirkende Änderung (Fassung vom 14.12.2019) nunmehr aber wortlautgleich in Satz 6 enthalten.
Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2018 kommt es mithin nicht mehr an (genauso Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 01.04.2019, Az. S 38 KR 142/19, S. 4, Bl. 103 der Gerichtsakte).
Unerheblich ist auch das Argument, dass die Klarstellung durch das DIMDI bereits am 03.12.2018 erlassen wurde, d.h. bevor die Rechtsgrundlage (§ 301 Abs. 2 S. 4 bzw. 6 SGB V n. F.) in Kraft getreten ist. Das DIMDI hat sich explizit auf die neue Rechtsgrundlage bezogen und klargestellt, dass der neue Anhang zusammen mit dem OPS 2019 am 01.01.2020 gültig wird (https://www.dimdi.de/dynamic/de/das-dimdi/aktuelles/meldung/OPS-2019-Neuer-Anhang-Klarstellungen). Entgegen der Auffassung der Klägerin war eine gültige Rechtsgrundlage vorhanden. Die schnelle Klarstellung des DIMDI war auch unter dem Aspekt, dass es um die Sicherstellung der Schlaganfall-Versorgung in Deutschland geht (dazu unten unter 3.) notwendig.
2. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2018 ist nicht anzuwenden, da nach den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei einer wortlautgetreuen – alleine durch systematische Erwägungen ergänzten – Auslegung die sogenannte „Rettungskette“ nicht zur Transportzeit zählt.
Bezüglich des vergleichbaren OPS 8-98b, der ebenfalls eine halbstündige Transportentfernung fordert, führt der Erste Senat aus:
„Bei gebotener Auslegung (dazu aa) ist die von OPS 8-98b dafür eingeforderte höchstens halbstündige Transportentfernung zum Kooperationspartner unter Verwendung des schnellstmöglichen Transportmittels nur dann grundsätzlich erfüllbar, wenn für den Transport des Patienten jederzeit („rund um die Uhr“) regelmäßig höchstens eine halbe Stunde benötigt wird (dazu bb). Die Transportzeit von einer halben Stunde beginnt mit der Anforderung des Transportmittels und endet mit Übergabe des Patienten an das kooperierende Krankenhaus (dazu cc). Die Klägerin erfüllte dieses „Strukturmerkmal“ in keinem der Behandlungsfälle „grundsätzlich“ (dazu dd).
aa) Die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 19 RdNr. 17 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr. 27; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 51 RdNr. 13 mwN; BSG SozR 4-5562 § 2 Nr. 1 RdNr. 15; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im OPS vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 32 RdNr. 12 ff). Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl zum Ganzen BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 21, RdNr. 18; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 RdNr. 18; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 19 RdNr. 18 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr. 27; zur Bundespflegesatzverordnung: BSG SozR 4-5565 § 14 Nr. 10 RdNr. 14; BSG SozR 3-5565 § 14 Nr. 2 S. 15; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr. 1 S. 6).
bb) Nach diesen Maßstäben ist der „unmittelbare Zugang“ zu den Behandlungsmaßnahmen in halbstündiger Transportentfernung zum Kooperationspartner nur dann „grundsätzlich erfüllbar“, wenn die Einhaltung des Zeitlimits regelhaft jederzeit erfüllbar ist. Dies folgt aus Wortlaut und Regelungssystem (…).
cc) Die höchstens halbstündige Transportentfernung bemisst sich nach dem Zeitintervall zwischen Rettungstransportbeginn, dem Ingangsetzen der Rettungskette durch die Entscheidung, ein Transportmittel anzufordern, und Rettungstransportende, der Übergabe des Patienten an die behandelnde Einheit im Kooperationspartner-Krankenhaus. Dies folgt aus Wortlaut und Binnensystematik von OPS 8-98b.
OPS 8-98b definiert die Transportentfernung nicht räumlich, sondern nur zeitlich. OPS 8-98b spricht von einer „halbstündige(n)“ Transportentfernung. Die Klammerdefinition erläutert, dass es um die „Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende“ geht. Dies meint die gesamte Zeit, die die Rettungskette benötigt, um einen Patienten vom zunächst behandelnden Krankenhaus in die behandelnde Einheit im Kooperationspartner-Krankenhaus zu verlegen. Die Klammerdefinition stellt bewusst auf die Inanspruchnahme des gesamten Rettungstransportsystems ab, auf die Rettungskette, nicht nur auf Teilabschnitte wie die reine Transportzeit eines Transportmittels.
Eine andere Auslegung des Begriffs der Transportentfernung wäre mit jenem des unmittelbaren Zugangs unvereinbar. Er setzt für den das Leitbild prägenden Grundfall (Krankenhaus verfügt über alle Abteilungen) voraus, dass der Patient am selben Ort innerhalb eines sehr engen Zeitfensters neurochirurgisch, gefäßchirurgisch oder interventionell-neuroradiologisch behandelt werden kann. Diese Grundlage würde verlassen, wenn nicht die Zeit der Rettungskette maßgeblich wäre, sondern – wie die Klägerin fälschlich meint – nur die Zeit, in der sich der Patient im Transportmittel befindet. Die von OPS 8-98b vorgegebene zeitliche Begrenzung auf höchstens eine halbe Stunde ließe sich – systemwidrig – erheblich erweitern, wenn bei Einsatz des Rettungshubschraubers als Transportmittel Vorbereitungs- und Rüstzeiten (zB Zeit für Alarmierung, Flugplanung bei Dunkelheit, Startvorbereitungen) sowie Anflugzeiten von einem dritten Ort unerheblich wären. Die von der Klägerin vertretene vermeintlich enge Wortauslegung des Transportbegriffs bedeutete in Wahrheit eine überdehnende Auslegung des Begriffs des (noch) unmittelbaren Zugangs zu den genannten Behandlungsmaßnahmen.“ (BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 1 KR 39/17 R -, SozR 4-5562 § 9 Nr. 10, Rn. 16 – 23, Hervorhebungen durch die Kammer).
Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Der Erste Senat hat ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine wortlautenge Auslegung, allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen, angemahnt. Der Wortlaut des OPS 8-981 ist (vgl. bereits oben):
„(…) unmittelbarem Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen (Es gibt jeweils eine eigene Abteilung im Hause oder einen Kooperationspartner in höchstens halbstündiger Transportentfernung (Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende).“
Eine „halbstündige Transportentfernung“ ist nach dem klaren Wortlaut die zeitliche Dimension des Transports, der maximal eine halbe Stunde dauern soll. In diesem Wortlaut ist weder eine „Rettungskette“ noch „Vorbereitungs- und Rüstzeiten (zB Zeit für Alarmierung, Flugplanung bei Dunkelheit, Startvorbereitungen)“ sowie „Anflugzeiten“ oder generell Anfahrtszeiten enthalten, da alle diese Zeiten nicht auf den Transport des Patienten bezogen sind. Auch die Zeit der Übergabe des Patienten fällt nicht unter „Transport“, da der Patient – bei Anwesenheit im vorliegenden Fall im Klinikum E-Stadt – ja bereits transportiert wurde. Die Wortlautauslegung des Bundessozialgerichts wird auch nicht dadurch überzeugender, dass es die Einbeziehung der „Rettungskette“ aus dem Klammerzusatz ableiten will. Denn auch hier wird jeweils auf den Transportbeginn bzw. auf das Transportende abgestellt. Ein Transport ist aber etwas räumlich-physisches und enthält nicht etwaige Vorbereitungszeiten. Entsprechend definiert Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Transport): „Der Transport (oder das Transportieren) ist in der Logistik die Beförderung von Frachtgut (Gütertransport), Passagieren (Personentransport) oder Nachrichten (Nachrichtenübertragung) mit Hilfe von Transportmitteln durch Ortsveränderung von einem Ort zu einem anderen Ort.“ Auch der Duden benennt als Bedeutung: Beförderung von Dingen oder Lebewesen. Es kann nach dem Wortlaut mithin nur auf die reine Beförderungszeit ankommen.
Auch eine – alleine ergänzend anwendbare – systematische Auslegung führt nicht weiter. Die systematische Auslegung zielt auf das Verhältnis einzelner Normen zueinander ab. Es muss ein Bedeutungszusammenhang zwischen den entsprechenden Normen bestehen. Bei der systematischen Auslegung hilft vor allem ein Blick auf die Überschrift der Norm, die Überschrift des Abschnitts, in dem die Norm steht und auf nahe gelegene Normen.
Das Bundessozialgericht hat keinen systematischen Zusammenhang mit anderen Normen oder Regelungen des einschlägigen OPS aufgezeigt. Vielmehr hat es alleine wegen der Notwendigkeit eines „unmittelbaren Zugangs“ im selben Regelungsabschnitt der Norm die Vorstellung der gesamten Rettungskette als Teil der „Transportzeit“ vertreten. Dies ist aber erkennbar eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der gleichen Norm, d.h. eine teleologische Argumentation. Sinn und Zweck der Vorschrift ist hierbei, dass „der Patient am selben Ort innerhalb eines sehr engen Zeitfensters neurochirurgisch, gefäßchirurgisch oder interventionell-neuroradiologisch behandelt werden kann.“ Damit verlässt das Bundessozialgericht aber den Boden seiner eigenen Rechtsprechung.
Dies sieht im Übrigen auch Prof. Dr. Kingreen im von der Klägerin vorgelegten Gutachten (a.a.O) so, auf dessen Expertise sich die Klägerin stützt. Dieser führt (zutreffend) aus (S. 38): „Das Bundessozialgericht hat für die „halbstündige Transportentfernung“ auf die Dauer der gesamten Rettungskette und nicht nur auf die reine Transportzeit abgestellt. Der Klammerzusatz („Zeit zwischen Rettungstransportbeginn und Rettungstransportende“) hätte allerdings eine andere Auslegung zumindest nahegelegt. Die Begründung des Bundessozialgerichts ist denn entgegen dem eigenen Methodenbekenntnis auch eher teleologisch denn grammatisch angelegt: Die von OPS 8-98b vorgegebene zeitliche Begrenzung auf höchstens eine halbe Stunde ließe sich – systemwidrig – erheblich erweitern, wenn bei Einsatz des Rettungshubschraubers als Transportmittel Vorbereitungs- und Rüstzeiten (zum Beispiel Zeit für Alarmierung, Flugplanung bei Dunkelheit, Startvorbereitungen) sowie an Flugzeiten von einem dritten Ort unerheblich wären. .“
Daher folgt die Kammer der streitgegenständlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht. Nach zutreffender wortlautgetreuen Auslegung ist bereits nach alter Fassung der OPS 8-981/ 8-98b unter Transportentfernung die Zeit zu verstehen, die der Patient im Transportmittel verbringt. Die hier von der Klägerin angegriffene Klarstellung ist insoweit lediglich die Auslegung, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts naheliegt und dieser Rechtsprechung am ehesten gerecht wird.
3. Eine Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) kommt nicht in Betracht. Zum einen ist die gerügte Verfassungswidrigkeit von § 301 SGB V in der Fassung ab dem 01.01.2020 nicht entscheidungserheblich (vgl. hierzu Maunz/Düring, GG, Lfg 70 Dez. 2013, Art. 100 Rn. 139, 155), da die erkennende Kammer der Auslegung des Bundessozialgerichts nicht folgt. Zum anderen geht das Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit von § 301 SGB V aus.
Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist eine Richtervorlage nur zulässig, wenn das Gericht das betreffende Gesetz für verfassungswidrig „hält“. Das vorlegende Gericht kann nur dann geltend machen, dass es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, wenn es von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Dieses Erfordernis der fachgerichtlichen Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit bildet eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung (Maunz/Düring, GG, a.a.O. Rn. 128). Bloße Zweifel oder Bedenken des Gerichts an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes genügen nicht (BVerfGE1, 184, 189). Eine für die Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG hinreichende Überzeugung hat sich das Gericht erst dann gebildet, wenn seine verfassungsrechtlichen Bedenken dazu nötigen, die entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig zu erklären (Maunz/Düring, a.a.O., Rn. 129). Generell sind die Anforderungen an die Begründung des vorlegenden Gerichts, von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes überzeugt zu sein, hoch. Der Vorlagebeschluss muss die für die Überzeugung maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen und sich mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, namentlich auch mit den Erwägungen des Gesetzgebers (vgl. Maunz/Düring, a.a.O., Rn. 136). Die mit einer Normenkontrolle verbundene Beeinträchtigung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (hier der Beklagten) erscheint nur dann vertretbar, wenn das Fachgericht darzulegen vermag, den Ausgangsrechtsstreit nur noch mithilfe des Bundesverfassungsgerichts fortführen zu können (vgl. hierzu Maunz/Düring, a.a.O Rn. 189).
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht, da nach der Überzeugung des Gerichts weder die von der Klägerin dargelegten tatsächlichen noch rechtlichen Gesichtspunkte in einer Gesamtschau zu einer Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Normen führen würden. Auch andere, nicht von der Klägerin dargelegte Gründe, sind nicht ersichtlich.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob sich die Klägerin auf den Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand einer Regelung, die einmal für schon abgewickelte Tatbestände gefunden worden ist (echte Rückwirkung), berufen kann. Die Kammer neigt aber auch hierbei der Rechtsauffassung der Beklagten zu, die mit durchaus beachtlichen Argumenten im in Auftrag gegebenen Gutachten von Prof. Dr. Huster (a.a.O., S. 9 ff. des Gutachtens) darlegen ließ, dass das Rückwirkungsverbot Ausdruck des grundrechtlichen Vertrauensschutzes sei und mithin die Klägerin nicht geschützt sei. In diese Richtung geht auch die Kommentarliteratur (z. B. Maunz/Düring, Art. 20 GG, Lfg 48 November 2006, Rn. 80), die auf das „Vertrauen des Bürgers“, also des Grundrechtsträgers, abstellt. Doch unabhängig von dieser Ausgangsfrage kann selbst die Rechtsauffassung der Klägerin, dass auch die Klägerin als öffentlich-rechtliche Körperschaft durch das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) gegen (echte) rückwirkende Regelungen geschützt sei, übernommen werden. Denn das Verbot einer echten Rückwirkung ist nicht absolut. Das Bundesverfassungsgericht hat auch Ausnahmen zugelassen, in denen auch echte rückwirkende Regelungen verfassungslegitim sind. Danach kann der einer echten Rückwirkung entgegenstehende Vertrauensschutz ausnahmsweise wegen überwiegender, zwingender Gründe des Gemeinwohls überwunden werden. Während dieser Gesichtspunkt bei der unechten Rückwirkung in die dafür geforderte Güterabwägung einfließt, handelt es sich bei der echten Rückwirkung um eine Reservation, die nur in Ausnahmefällen greift (Maunz/Düring, Art. 20 GG, a.a.o., Rn. 85). Der Gesetzgeber muss die zur sofortigen Abwehr offensichtlicher Gefahren und Missstände geeigneten und notwendigen Maßnahmen treffen können (vgl. H. Maurer, in: HStR III, § 60 Rn. 39; H. Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl., 1991, § 15 Rn. 540; vgl. auch BVerfGE 95, 64 (89) – für die tatbestandliche Rückanknüpfung, zitiert aus BVerfG, Beschluss vom 03. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 -, BVerfGE 97, 67-88, Rn. 50; Hervorhebung durch die erkennende Kammer).
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind bei Krankenhausstreitigkeiten schlichte Zahlungsansprüche zwischen juristischen Personen ohne Verknüpfung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen betroffen. Es geht nur um die Reichweite eines Steuerungsinstruments, das der Gesetzgeber zwischen beiderseits auf öffentliche Finanzmittel angewiesenen professionellen Akteuren des Gesundheitswesens einsetzt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 – 1 BvR 318/17 -, Rn. 52, juris). Die grundrechtliche Bedeutung des Zahlungsanspruchs der Klägerin ist mithin gering (unabhängig von der Frage, ob die Klägerin Trägerin von Grundrechten sein kann; hiergegen überzeugend Huster, a.a.O., S. 7 f.). Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber die von der Klägerin angegriffene Regelung aber damit rechtfertigt, dass nur so (d.h. mit einer anderen Definition der Transportzeit, d.h. nicht im Sinne einer Rettungskette) die für die Bürger der Bundesrepublik lebensnotwendige Schlaganfallversorgung aufrechterhalten bleiben kann (vgl. BR-Drs. 376/18 (Beschluss), S. 36 unter https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/0301-0400/376-18(B).pdf? blob=publicationFile v=1: „Zur Sicherstellung einer weiterhin flächendeckenden qualitativ hochwertigen Schlaganfallversorgung der Patientinnen und Patienten, a) Der Bundesrat macht darauf aufmerksam, dass durch die Umsetzung der aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2018 (…) eine Gefährdung der flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Versorgung – insbesondere in den Flächenländern – zu befürchten steht.“ Dieses Anliegen und die Notwendigkeit der Klarstellung wurde sodann in der Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 19/4729, S. 9, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/047/1904729.pdf) aufgegriffen und führte zu der Verabschiedung der von der Klägerin angegriffenen gesetzlichen Normen.
Die Schlaganfallversorgung, die aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach der Befürchtung von Bundesregierung und Bundesrat gefährdet sein könnte, ist nach Auffassung der erkennenden Kammer ein solch überwiegender, zwingender Grund des Gemeinwohls, welcher auch eine echte rückwirkende Regelung rechtfertigt, zumal die grundrechtliche Bedeutung der Krankenhausstreitigkeiten (im Sinne von Finanzierungsstreitigkeiten) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gering ist, die Schlaganfallversorgung der Bürger aber unmittelbar die Grundrechte jedes einzelnen (potentiell) betroffenen Bürgers nach Art. 2 Abs. 2 GG betrifft. Die Erlaubnis der Klarstellung der Bedeutung des Norminhalts ist insoweit auch eine geeignete und notwendige, zudem verhältnismäßige Maßnahme, um das Ziel – Sicherstellung der Schlaganfallversorgung – zu erreichen. Der Gesetzgeber befürchtete, dass als Folge der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die bisherige Finanzierung der Schlaganfallversorgung gefährdet wäre und daher viele Kliniken gezwungen sein könnten, niederschwellige Schlaganfall-Versorgungsangebote aufzugeben. Dies ist nicht im Sinne einer möglichst flächendeckenden Versorgungssituation auch im ländlichen Raum, in dem Kliniken (wie das Krankenhaus D-Stadt) nicht alle notwendigen Versorgungsstrukturen wirtschaftlich bereitstellen können, durch Kooperation mit einem Maximalversorger aber zur bestmöglichen Versorgung auch in der Fläche beitragen.
Dahinstehen kann daher auch, ob vorliegend auch tatsächlich eine echte Rückwirkung vorliegt. Denn hierfür braucht es ein Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand von Regelungen, die einmal schon für abgewickelte Tatbestände gefunden wurden. Anknüpfungspunkt ist vorliegend aber eine Regelung, die sich gerade nicht geändert hat. Sowohl die alte als auch die neue DIMDI-Definition des OPS sind identisch bis auf die „Klarstellung“ bzgl. der Transportzeit. Diese Klarstellung war aber die überwiegende Auffassung der Rechtspraxis bis zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19.06.2018. Es lässt sich daher argumentieren, dass genau wie die Änderung der bisherigen Instanz -Rechtsprechung (aufgrund der Auslegung durch das Bundessozialgericht) keine echte Rückwirkung bewirkt, da lediglich der Bedeutungsgehalt einer Norm (mittels Auslegung) ex tunc neu festgelegt wurde, auch die Klarstellung keine Rückwirkung hat, da diese in gleicher Weise den Bedeutungsgehalt der Norm neu „alt“ definierte (also insoweit den Bedeutungsgehalt der Norm, den die Beteiligten des vorliegenden Gerichtsverfahrens im Jahre der Behandlung zugrundegelegt haben, wiederhergestellt hat). Da die Beklagte vorliegend keine Verjährung geltend machte und die Klage vor dem 09.11.2018 anhängig wurde, kommt es auf (die Verfassungswidrigkeit) der §§ 109 Abs. 5, 325 SGB V erkennbar nicht an.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 s. 1 SGG, § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt die Höhe der eingeklagten Forderung.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Berufungssumme von 750 EUR nicht erreicht wird und weder grundsätzliche Bedeutung (siehe oben) noch Divergenz (siehe oben) vorliegen.


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