Medizinrecht

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Aktenzeichen  12 ZB 17.1072

Datum:
25.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7797
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
VwGO § 101, § 116 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 173 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei der mit einer Erkrankung des Bevollmächtigten begründeten Beantragung einer Terminsaufhebung bzw. –verlegung nur einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung muss der Verhinderungsgrund wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht zu beanstanden, einen kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellten Verlegungsantrag nicht noch vor dem Termin zu bescheiden, noch sich veranlasst zu sehen, einen entsprechenden Hinweis zur weiteren Substantiierung zu geben.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die zweite in § 116 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgesehene Möglichkeit des sofort anzuberaumenden Verkündungstermins stellt durch die Formulierung „in besonderen Fällen“ klar, dass dies nur die Ausnahme gegenüber der alsbaldigen Bekanntgabe ist.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 15 K 15.1083 2017-03-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. März 2017, mit dem ihre Klage auf Bewilligung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für das Schuljahr 2014/15 abgewiesen wurde, bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), liegen – sofern überhaupt den Voraussetzungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt – nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Berufung ist nicht wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat dadurch, dass es dem Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin auf Terminsverlegung nicht stattgegeben und diesen auch nicht vor dem Termin verbeschieden hat, das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt.
1.1 Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines erheblichen Grundes für eine Terminsverlegung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegend verneint. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung infolge einer kurzfristigen, überraschenden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten mit daraus folgender Unzumutbarkeit des Erscheinens oder des Verhandelns ist zwar in der Regel ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung (vgl. BVerwG, Urteil v. 10.12.1985 – 9 C 84.84 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 178 S. 68, v. 26.1.1989 – 6 C 66.86 – BVerwGE 81, 229; BayVGH, Beschluss v. 27.7.2016 – 11 ZB 16.30121 – juris). Wenn ein solcher Grund vorliegt, verdichtet sich angesichts des hohen Ranges des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Ermessen, das § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO einräumt, regelmäßig zu einer entsprechenden Verpflichtung des Gerichts (BayVGH v. 27.7.2016, a.a.O., m.w.N.). Das Verwaltungsgericht geht jedoch zutreffend davon aus, dass im Fall eines – wie hier – erst kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags besondere Anforderungen an das vorzulegende ärztliche Attest zu stellen sind. Denn bei der mit einer Erkrankung begründeten Beantragung einer Terminsaufhebung bzw. –verlegung nur einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung muss der Verhinderungsgrund wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungsbzw. Reisefähigkeit besteht. Nur die Vorlage eines ärztlichen Attestes, welches den Beteiligten nicht nur eine Erkrankung überhaupt, sondern eine nachvollziehbar dargelegte krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen (BVerwG, Beschluss v. 9.8.2007 – 5 B 10.07).
1.2 Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist die Verfahrensweise der Kammer, im hier vorliegenden Fall des erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellten Verlegungsantrags, weder vor dem Termin über den Antrag zu entscheiden noch sich veranlasst zu sehen, einen entsprechenden Hinweis zur weiteren Substantiierung zu geben, nicht zu beanstanden. In einem solchen Fall ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger – grundsätzlich weder verpflichtet, den Betroffenen auf die einschlägige Rechtslage hinzuweisen noch ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern oder selbst Nachforschungen anzustellen (vgl. BayVGH v. 27.2.2016, a.a.O., unter Hinweis auf BSG, Beschluss v. 3.7.2013 – B 12 R 38.12b – juris).
1.3 Das hier vorgelegte Attest lässt weder die Schwere der Erkrankung noch das Maß etwaiger Beeinträchtigungen der Reise- und Verhandlungsfähigkeit erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – AnwZ (Brfg) 43/14 – juris). Es genügt insbesondere nicht den Anforderungen an die Vorlage eines substantiierten ärztlichen Attests, in dem nicht nur das Ergebnis der ärztlichen Feststellungen aufgeführt werden soll, sondern zugleich auch eine hinreichende Plausibilisierung stattfinden muss. Dazu sind zur Erkrankung zumindest solche Angaben zu machen, aus denen das Gericht nachvollziehbar auf eine die Sitzungsteilnahme ausschließende Verhandlungsunfähigkeit schließen kann (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 11.8.2016 – 13 A 98/16 – juris). Die im Attest diagnostizierte „akute Lumbago mit Verhandlungsunfähigkeit“ lässt nicht schlüssig und nachvollziehbar erkennen, dass dem Klägerbevollmächtigten dadurch die Sitzungsteilnahme am Verhandlungstermin unmöglich gewesen wäre. Der sog. „Hexenschuss“ ist nämlich in den unterschiedlichsten Ausprägungen denkbar; er kann von einer mäßigen Verspannung bis hin zu einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit reichen. Hierzu enthält das ärztliche Attest indes keinerlei Angaben, vor allem auch nicht dazu, warum trotz ärztlicher Behandlung am darauf folgenden Tag der mündlichen Verhandlung weiterhin Verhandlungsunfähigkeit gegeben gewesen sein sollte. Darauf weist das Verwaltungsgericht völlig zu Recht hin und auch darauf, dass zwar der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit konkret bezeichnet wird, nicht hingegen die Dauer der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit. Eine bei einem Rechtsanwalt bestehende Arbeitsunfähigkeit ist auch nicht zwangsläufig mit einer Verhandlungsunfähigkeit gleichzusetzen (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 11.08.2016 – 13 A 98/16 – juris). Ganz offensichtlich war dem Klägerbevollmächtigten durchaus die mangelnde Detaillierung, insbesondere ausführliche Befundung, selbst bewusst, wie er in seinem Schriftsatz vom 15. März 2017 zum Ausdruck bringt. Ein entsprechender Hinweis des Gerichts hierzu war indes, wie bereits ausgeführt, gegenüber einem Rechtsanwalt nicht angezeigt. Nichts anderes gilt für das kurzfristig vor dem anberaumten Termin gestellte Akteneinsichtsgesuch. Am Rande sei hierzu angemerkt, dass der Klägerbevollmächtigte im Berufungszulassungsverfahren von zwei ihm gebotenen Möglichkeiten zur Wahrnehmung seines Akteneinsichtsrechts keinen Gebrauch gemacht hat.
1.4 Das Verwaltungsgericht hat deshalb überzeugend dargelegt, dass das am Tag vor der mündlichen Verhandlung um 20:42 Uhr bzw. 20:43 Uhr per Telefax bei Gericht eingegangene ärztliche Attest diesen gesteigerten Anforderungen nicht genügt. Demgegenüber enthält die Antragsbegründung lediglich Angaben zu den Umständen der Erkrankung des Klägerbevollmächtigten, sie verhält sich aber nicht dazu, inwieweit sich dem Gericht aus dem vorgelegten ärztlichen Attest selbst anhand der oben aufgezeigten Maßstäbe die Frage der Verhandlungsunfähigkeit hätte erschließen müssen.
1.5 Daraus folgt zugleich, dass es auch an einer hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrundes fehlt. Die Begründung der Verfahrensrüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sei verletzt, erfordert eine substantiierte Darlegung, wodurch das rechtliche Gehör verletzt sein soll, was hätte vorgetragen werden können und warum dies rechtserheblich hätte sein können, insbesondere ist auch darzulegen, warum die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruhen kann (BayVGH, Beschluss v. 20.12.2000 – 12 ZE 00.3298 – juris m.w.N.). Dem Rechtsmittelführer obliegt deshalb neben der Schilderung des prozessualen Verletzungsvorgangs auch die Darlegung dessen, was im Fall ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs Entscheidungserhebliches vorgetragen worden wäre (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 124a Rn. 74).
1.6 Insoweit trägt der Klägerbevollmächtigte indes lediglich vor, dass bei einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Vorlage weiterer Unterlagen, Urkunden und insbesondere mündlicher Ausführungen eine andere Entscheidung zu erwarten gewesen wäre. Er legt jedoch nicht dar, warum das Verwaltungsgericht ohne den gerügten Verfahrensverstoß zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können und gegebenenfalls auch müssen. So zeigt der Klägerbevollmächtigte auch im Rechtsmittelzulassungsverfahren nicht unter Vorlage aller erforderlichen Unterlagen auf, dass die Ausbildung der Klägerin ohne Vorleistungen nach § 36 Abs. 2 BAföG gefährdet gewesen wäre (vgl. auch Beschluss d. Senats v. 8.9.2015 – 12 C 15.1650). Ebenso wenig ist dies sonst ersichtlich.
1.7 Soweit der Klägerbevollmächtigte ferner rügt, das Gericht habe die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin dadurch verletzt, dass es die Entscheidung sofort nach der mündlichen Verhandlung und nicht erst in einem späteren Termin verkündet habe, legt er den damit angeblich verbundenen Verfahrensmangel nicht in der Sache nachvollziehbar dar. Die Verkündung des Urteils innerhalb des Termins, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, bildet den Regelfall der Verkündung verwaltungsgerichtlicher Urteile, da nur so gewährleistet ist, dass dieses im vollen Sinne des Wortes aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 101 Abs. 1 VwGO) ergeht (§ 116 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. VwGO). Die zweite, in § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehene Möglichkeit des sofort anzuberaumenden Verkündungstermins, stellt demgegenüber durch die Formulierung „in besonderen Fällen“ klar, dass dies die Ausnahme gegenüber der alsbaldigen Bekanntgabe ist (Stuhlfauth in: Baader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 116 Anm. I 1). Inwieweit vorliegend ein derartiger Ausnahmefall vorliegen sollte, zeigt der Klägerbevollmächtigte nicht auf.
2. Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 27. Juli 2016 – 11 ZB 16.30121 – ab, macht der Klägerbevollmächtigte sinngemäß, ohne dass er dies allerdings konkret so benannt hätte, die Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO geltend, mit der er jedoch ebenfalls nicht durchdringen kann.
Die Darlegung einer Divergenz hätte erfordert, dass die Klägerin nicht nur die Divergenzentscheidung benennt, sondern zudem auch angibt, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angegriffenen Urteil aufgestellter Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht (vgl. Happ a.a.O., § 124a Rn. 73). Daran fehlt es jedoch.
Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung den Maßstab der zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Juli 2016 zugrunde gelegt und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass, wie ausgeführt, der Verhinderungsgrund nicht ausreichend dargelegt wurde. Eine Divergenz liegt daher auch in der Sache selbst gänzlich fern.
3. Da weitere Zulassungsgründe nicht geltend gemacht worden sind, hat der Zulassungsantrag mithin insgesamt keinen Erfolg. Mit dieser Entscheidung wird das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. März 2017 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.
5. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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