Medizinrecht

Verneinung von Abschiebungsverboten

Aktenzeichen  W 6 K 18.31787

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5534
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 77 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1, § 113 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG kann nicht für die Auslegung des Art. 3 EMRK herangezogen werden (Anschluss an VGH München BeckRS 2015, 41010 Rn. 19). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bezogen auf krankheitsbedingte Verschlechterungen des Gesundheitszustands eines Ausländers bei Rückkehr in sein Heimatland muss für eine extreme Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG daher ernsthaft zu befürchten stehen, dass sich der Gesundheitszustand in seinem Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, die drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität ist und die zu erwartende Gesundheitsverschlechterung alsbald nach Rückkehr in den Zielstaat einzutreten droht (Anschluss an BVerwG BeckRS 2007, 20389). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamtes vom 21. November 2017 – soweit er noch verfahrensgegenständlich ist – nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind, § 113 Abs. 5 VwGO. Denn die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zunächst auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheids, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der im deutschen Recht im Rang eines Bundesgesetzes geltenden EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Allerdings erstreckt sich die Prüfbefugnis des BAMF nur auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und Abschiebungshindernisse. Einschlägig wäre hier alleine Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Die Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Auch bei nationalen Abschiebungsverboten ist darauf abzustellen, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers Art. 3 EMRK. Der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog kann von der Gesetzessystematik her allerdings nicht herangezogen werden (BayVGH, B.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe sind keine stichhaltigen Gründe vorgetragen, die ein entsprechend hohes Gefährdungsniveau bei den Klägern im Falle ihrer Rückkehr in die Ukraine nahelegen könnten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Kläger tatsächlich Gefahr laufen könnten, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Soweit der Kläger zu 1) vorträgt, dass er im April 2015 in Altschewsk von den dortigen Machthabern festgesetzt und misshandelt wurde, handelt es sich um kriminelles Unrecht, welches auf dem Gebiet der seit März 2014 bestehenden, selbst proklamierten Lugansker Volksrepublik von pro-russischen Separatisten begangen wurde. In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donetsk und Lugansk haben ukrainische Behörde und Amtsträger derzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine – Lagebericht, 22.2.2019, S. 5). Diese Handlung kann daher schon nicht dem ukrainischen Staat zugerechnet werden. Den Klägern ist es unbenommen, in den Bereich der unter ukrainischer Kontrolle stehenden Gebiete der Ukraine zurückzukehren, wo sie keine weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen oder Übergriffe von pro-russischen Separatisten befürchten müssen. Dies haben die Kläger vor ihrer Ausreise aus der Ukraine auch getan und sich in Charkiw ein neues Leben aufgebaut. Soweit dahingehend vorgetragen wurde, dass der Kläger zu 1) in Charkiw, welches dauerhaft unter ukrainischer Kontrolle gewesen ist, durch Polizisten bedroht und erpresst wurde, handelte es sich hierbei ebenfalls um kriminelles Unrecht. Ungeachtet dessen, dass das Gericht auch bei Wahrunterstellung des Vorfalls bereits erhebliche Zweifel an der Echtheit dieser Polizeikontrolle hat – einer der Polizisten soll gerade ein pro-russischer Separatist aus Altschewsk gewesen sein – wäre auch ein solches Handeln eines Polizisten kriminelles Unrecht gewesen, das zur Anzeige gebracht werden kann, was die Kläger nach eigener Aussage nicht taten. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass dem Kläger zu 1) insbesondere angesichts der weitreichenden (staats-)politischen Veränderungen in der Ukraine und den weitreichenden Reformen des Staats- und Polizeiapparats bei seiner Rückkehr etwas Vergleichbares drohen könnte. Als gesunder junger Mann vermag der Kläger zu 1) auch für den Lebensunterhalt der Familie aufzukommen, ebenso ist die Klägerin zu 2) nach ihren eigenen Aussagen arbeitswillig und -fähig, sodass ihnen eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung aufgrund einer fehlenden Gewährleistung der Existenzgrundlage nicht droht.
2. Abschiebungsverbote aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn sich die Klägerin zu 2) ausweislich der Behördenakte sowie der im Verfahren vorgelegten Atteste in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung befindet, vermag dies kein Abschiebungsverbot i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
Hierfür bedürfte es einer konkreten individuellen extremen Gefahr für Leib und Leben, die sich alsbald nach der Rückführung erheblich verschlimmern und zum Tode führen würde (BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05, NVwZ 2007, 345/346 a.E.). Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die vorliegende Erkrankung aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit von Medikamenten nicht behandelt werden kann. Dabei kann eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben auch dann bestehen, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen tatsächlich nicht zugänglich ist. Als Rahmen für die Einordnung von Erkrankungen als Abschiebungshindernissen gibt der Gesetzgeber § 60 Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 AufenthG vor, wonach eine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankung vorausgesetzt wird, die sich im Falle der Abschiebung erheblich verschlechtern würde, und zudem festlegt, dass eine Gleichwertigkeit der medizinischen Versorgung mit Zielstaat mit der Versorgung in Deutschland gerade nicht erforderlich ist.
Ob eine erhebliche konkrete Gefahr besteht, muss anhand des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs wie im Asylrecht, nämlich demjenigen der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – BVerwG 9 C 9.95 – BVerwGE 99, S. 324/330, juris). Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der die Abschiebung des Ausländers in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung damit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10, juris). Bezogen auf krankheitsbedingte Verschlechterungen des Gesundheitszustands eines Ausländers bei Rückkehr in sein Heimatland muss daher ernsthaft zu befürchten stehen, dass sich sein Gesundheitszustand in seinem Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, etwa, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Erforderlich ist, dass die drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität ist und die zu erwartende Gesundheitsverschlechterung alsbald nach Rückkehr in den Zielstaat einzutreten droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02, beide juris).
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 -) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u. a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört. Diese Maßstäbe sind auf die Beurteilung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG übertragbar (vgl. hierzu ausführlich OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17).
2.1. Ausweislich des im Klageverfahren zuletzt vorgelegten ärztlichen Attestes des behandelnden Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Sch. vom 23. Januar 2020 befindet sich die Klägerin zu 2) seit Oktober 2016 bei ihm in Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und mittelgradigen Depression. Der Arzt bescheinigt, dass sich die Symptome in dieser Zeit gebessert hätten, jedoch die Klägerin zu 2) weiterhin eine medikamentöse und psychosomatische Behandlung benötigt. Unter Anwendung der oben genannten Maßstäbe ergibt sich aus diesem aktuellen Attest des behandelnden Facharztes jedenfalls nicht, dass der Klägerin zu 2) im Falle einer Abschiebung eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen wesentlichen Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes drohen könnte. Soweit der Klägerin zu 2) Behandlungsbedürftigkeit attestiert wird, ist ausweislich der Auskunftslage die medizinische Versorgung in der Ukraine flächendeckend und kostenlos, unter anderem gibt es auch Einrichtungen, in denen psychische Krankheiten behandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.2.2019, S. 18).
2.2. Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO ergab sich auch keine Veranlassung, den Sachverhalt durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens (weiter) aufzuklären.
Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und ist nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden, § 86 Abs. 1 VwGO. Anlass für gerichtliche Ermittlungsmaßnahmen besteht immer dann, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen aus der Sicht des Gerichts unklar sind. Die Amtsermittlungspflicht greift, wenn der vorgetragene oder aus den Akten ersichtliche Sachverhalt Anlass für weitergehende Tatsachenfeststellungen bietet. In tatsächlicher Hinsicht sind Aufklärungsmaßnahmen in der Regel nur dann veranlasst, wenn sich diese nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen (Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 86 Rn. 32f.).
2.2.1. Vorliegend attestiert die vorgelegte Bescheinigung des Facharztes Dr. Sch. vom 23. Januar 2020 der Klägerin zu 2) eine Behandlungsbedürftigkeit wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und mittelgradig schweren Depression und stellt fest, dass sich die Symptome der Klägerin zu 2) während der nunmehr 3,5 Jahre dauernden Behandlung gebessert hätten. Unter Zugrundelegung dieses aktuellen Befundes besteht aus Sicht des Gerichts kein Bedarf für weitere Tatsachenfeststellungen von Amts wegen. Die Anregung im Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 7. Februar 2020, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären, dass die Klägerin zu 2) an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und durch diese eine naheliegende und konkrete Suizidgefahr bestehe, stellt eine Behauptung auf, für deren Eintrittswahrscheinlichkeit jedenfalls zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine tatsächlichen Anhaltspunkte sprechen.
So kann bereits nach der Gesetzesbegründung eine schwerwiegende Erkrankung i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG in Fällen von posttraumatische Belastungsstörung regelmäßig nicht angenommen werden (BT-Drucks. 18/7538, S. 18). Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, folglich muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Insoweit genügt das Attest vom 23. Januar 2020 schon nicht den bereits oben im Detail dargestellten Anforderungen. Zwar befinden sich in der Behörden- und Gerichtsakte weitere ärztliche Atteste für die Klägerin zu 2), die jedoch allesamt aus der ersten Jahreshälfte 2017 datieren, sodass ihnen mangels Aktualität höchstens nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung zukommen kann. Dies gilt auch, weil der behandelnde Facharzt in seiner Bescheinigung vom 23. Januar 2020 feststellt, dass es insgesamt zu einer Besserung der Symptomatik gekommen sei. Daher wäre ein Beweisantrag mit dem Ziel der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Ergebnis ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gewesen, da die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht hinreichend substantiiert worden sind.
Dies gilt umso mehr, da es sich bei den 2017 diagnostizierten Erkrankungen schwere Depression und posttraumatische Belastungsstörung um zwei nicht klar voneinander abgrenzbare Erkrankungen handelt, deren Abgrenzung zudem in keinem vorliegenden ärztlichen Attest vorgenommen worden ist. Sogar das ausführlichste, als „ärztlicher Befundbericht“ bezeichnete ärztliche Attest vom 5. April 2017 (Bl. 282 ff d. BA), welches wohl als qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG angesehen werden könnte, scheitert an der klaren (Differential-)Diagnostizierung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es wird nämlich schon kein traumatisierendes Ereignis festgestellt, sondern es wird darin nur festgehalten, die Klägerin zu 2) stamme aus dem Kriegsgebiet der Ukraine, habe Kampfhandlungen erlebt, und erlebte den Aufenthalt in der Flüchtlingsunterkunft in Polen „aufgrund der hygienischen und sozialen Verhältnisse als traumatisierend“. Zum einen sind diese Umstände zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte, zum anderen ist zu beachten, dass es nicht ausreicht, dass jemand ein potenziell traumatisierendes Ereignis erlebt hat, denn dies bedeutet noch nicht, dass er tatsächlich auch traumatisiert worden ist (Resilienz). So definiert auch ICD-10 F 43.1 die posttraumatische Belastungsstörung dahingehend, dass es nicht nur eines entsprechenden Ereignisses bzw. einer Situation bedarf, sondern diese zusätzlich eine tiefe Verzweiflung und ein Ohnmachtsgefühl hervorrufen muss. Darüber hinaus fehlt in diesem Befundbericht die Feststellung der typischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung (Flashbacks, Nachhallerinnerungen, Albträume, emotionale Stumpfheit/Gleichgültigkeit, Vermeidung von Aktivitäten oder Situationen, die eine Erinnerung hervorrufen könnten). Da gerade Angst und Depression häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert sind, wäre eine Abgrenzung zur ebenfalls diagnostizierten Depression zwingend erforderlich.
2.2.2. Soweit in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, die Klägerin zu 2) habe kein qualifiziertes ärztliches Gutachten vorlegen können, da sie sich ein solches nicht leisten könne bzw. die Kostenübernahme erst nach § 6 AsylbLG beantragt werden müsse und zur Glaubhaftmachung ein Schreiben des behandelnden Facharztes Dr. Sch. vom 6. Februar 2020 übergeben wurde, in welchem der Arzt darauf hinweist, dass eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung je nach Aufwand ca. 400,00 EUR koste, vermag dies nichts zu ändern.
So ist es für das Gericht schon nicht nachvollziehbar, dass der seit Jahren behandelnde Facharzt eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nur als sonstige Leistung i.S.v. § 6 AsylbLG erbringen könnte. Dies zum einen, da die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, sie würde regelmäßig einmal im Monat diesen Arzt aufsuchen, sodass das Gericht bei lebensnaher Betrachtung davon ausgehen kann, dass es dem behandelnden Arzt binnen fünf Wochen seit Bekanntwerden des Termins zur mündlichen Verhandlung möglich sein müsste, eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Ausweislich der Behördenakte hat derselbe Arzt zum anderen eine solche Leistung schon einmal erbracht, nämlich das als „ärztlicher Befundbericht“ bezeichnete ärztliche Attest vom 5. April 2017 (Bl. 282 ff d. BA), welches hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen als qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG angesehen werden dürfte. Jedoch ist es bereits knapp drei Jahre alt und damit veraltet, sodass es jedenfalls nicht mehr herangezogen werden kann. Dies folgt schon daraus, dass zum damaligen Zeitpunkt der Klägerin eine schwere depressive Episode (ICD-10 F32.2 G) attestiert wurde, nunmehr im Attest vom 23. Januar 2020 eine mittelgradige Depression als Diagnose steht (ICD-10 F32.1 G).
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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