Medizinrecht

Versicherungspflicht eines alleinigen GmbH-Geschäftsführers

Aktenzeichen  S 8 R 422/16

Datum:
21.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1
SGG SGG § 197a
GKG GKG § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der praktizierten Rechtsbeziehung richtet sich im Regelfall auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und damit beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht (Anschluss an BSG BeckRS 1987, 30724061). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das GmbH-Recht erlaubt die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ in unterschiedlichster Weise zu regeln. Dabei liegt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis regelmäßig nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft beteiligt ist und die typische Abhängigkeit vermeiden kann. Das ist jedenfalls der Fall, wenn der Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Aufgrund der Gestaltung dieses Treuhandvertrages hat der Geschäftsführer die Stellung als alleiniger Gesellschafter lediglich formalrechtlich inne, kann diese Position jedoch rechtlich nicht ausnutzen. Wie die Anhörung des Geschäftsführers und die Vernehmung des Treugebers ergaben, trifft letzterer die wichtigen Entscheidungen bezüglich der GmbH und weist den Geschäftführer an, der somit eher das Bild eines leitenden Angestellten vermittelt. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.01.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2016 verpflichtet, die Versicherungspflicht des Beigeladenen für seine Tätigkeit bei der Klägerin in der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung festzustellen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 16.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist zulässig (vgl. §§ 51, 57, 78, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, soweit darin von einer Versicherungsfreiheit des Beigeladenen ausgegangen wurde.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.01.2007 – SozR 4 2400 § 7 Nr. 7). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Das Gesamt bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Ein im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist.
Nach diesen Grundsätzen richtet sich im Regelfall auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und deshalb beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht (vgl. hierzu BSG vom 08.12.1987 – 7 RAr 25/86 m. w. N.). Dabei ist allerdings zu beachten, dass das GmbH-Recht die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter, in unterschiedlichster Weise zu regeln erlaubt. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liegt danach normalerweise nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft beteiligt ist und allein oder jedenfalls mit Hilfe seiner Gesellschafterrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit vermeiden kann. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zur GmbH hat das BSG daher grundsätzlich verneint, wenn der Geschäftsführer mindestens über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt. Vorliegend ist allerdings der Treuhandvertrag vom 08.06.2015 zwischen dem Beigeladenen und dem Treugeber zu beachten. Aufgrund dieser besonderen vertraglichen Ausgestaltung durch das Treuhandverhältnis ist die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. hierzu BSG vom 08.12.1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18). Die Kammer schließt sich dieser Auffassung vorbehaltlos an. Der hier zu beurteilende Sachverhalt weist die Besonderheit auf, dass die hundertprozentige Kapitalbeteiligung des Beigeladenen nicht mit einem entsprechenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft einhergeht. Als Treuhänder für den hinter der Gesellschaftsgründung stehenden und wirtschaftlich für sie aufkommenden Treugeber hat der Beigeladene die Stellung als alleiniger Gesellschafter lediglich formalrechtlich inne, vermag jedoch aufgrund der geregelten Weisungsbefugnis des Treugebers in dem gleichzeitig mit der Gesellschaftsgründung geschlossenen Treuhandvertrag seine gesellschaftsrechtliche Position als Alleingesellschafter nicht wirklich auszuüben. So ist der Treuhänder grundsätzlich verpflichtet, bei allen Handlungen im Rahmen der Gesellschaft die Weisungen des Treugebers zu befolgen. Insbesondere kann der Treugeber die Treuhandschaft auch jederzeit kündigen und für den Fall der Beendigung des Treuhandvertrages wurde eine vorweggenommene dingliche Übertragung der Geschäfts- und Gesellschaftsanteile geregelt.
Entscheidend ist daher vorliegend, ob der Beigeladene als Geschäftsführer nach der Gestaltung seiner vertraglichen Beziehungen zur Klägerin und der tatsächlichen Durchführung des Vertrages im Wesentlichen weisungsfrei war oder nicht. Maßgebend ist damit die persönliche Abhängigkeit des Beigeladenen von der Klägerin und damit die Unterordnung unter ein Weisungsrecht gerade in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Diesbezüglich hat die Kammer den Beigeladenen angehört und den Treugeber als Zeugen vernommen. Danach ergibt sich im Wesentlichen, dass der Treugeber sehr wohl wesentlichen Einfluss auf die Geschicke der Klägerin nimmt. Auch wenn der Beigeladene das Alltagsgeschäft im Wesentlichen allein erledigt, so bespricht der Treugeber mit den Beigeladenen regelmäßig den laufenden Geschäftsanfall und trifft die alleinige Entscheidung über wesentliche Investitionen. Die laufende Geschäftsentwicklung wird vom Treugeber regelmäßig kontrolliert. Auch der Urlaub des Beigeladenen wird praktisch vom Treugeber genehmigt. Auch wenn der Treugeber damit nicht nach außen in Erscheinung tritt, so trifft der Treugeber doch die wichtigen Entscheidungen bezüglich der Klägerin und weist den Beigeladenen entsprechend an. Der Beigeladene selbst hat keine wirkliche Rechtmacht, sich diesen Weisungen zu widersetzen. Er muss andernfalls mit der Kündigung des Treuhandvertrages rechnen. Damit würde automatisch die Mehrheit der Gesellschaftsanteile an den Treugeber fallen.
Insgesamt ergibt sich damit für die Kammer, im Hinblick auf den Beigeladenen das Bild eines abhängig beschäftigten leitenden Angestellten. Der Beigeladene ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch tatsächlich an die Weisungsmacht gebunden. Insbesondere wird diese Weisungsmacht vom Treugeber auch tatsächlich in erheblichem Umfang ausgeübt.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind deshalb entsprechend aufzuheben und es ist festzustellen, dass der Beigeladene für seine Tätigkeit bei der Klägerin der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. §§ 154, Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VWGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Gericht hat dabei die ungefähre Beitragsschuld eines Jahres zugrunde gelegt.


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