Medizinrecht

Verwaltungsgerichte, Ausnahmegenehmigung, Einstweilige Anordnung, Vorläufiger Rechtsschutz, Betriebsuntersagung, Rechtsschutzinteresse, Antragsgegner, Prozeßkostenhilfeverfahren, Antrag auf Erlaß, Rechtsschutzbedürfnis, Antragstellers, Kostenentscheidung, Rechtsschutzziel, Festsetzung des Gegenstandswertes, Beschwerdeentscheidung, Beschwerdeschrift, Wert des Beschwerdegegenstandes, Beschwerdeeinlegung, Anspruch auf Erteilung, Rechtsmittelbelehrung

Aktenzeichen  Au 9 E 21.91

Datum:
20.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1961
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BayIfSMV § 12 Abs. 2 der 11.
BayIfSMV § 27 Abs. 2 S. 1 der 11.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zur Wiedereröffnung ihres Friseursalons.
Die Antragstellerin betreibt in, … einen Friseursalon. Wegen der Ausbreitung der Corona-Pandemie sind Dienstleistungsbetriebe, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, wie beispielsweise Friseure, nach § 12 Abs. 2 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. Nr. 737) in der Fassung vom 15. Januar 2021 (BayMBl. Nr. 34) untersagt. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV können auf Antrag im Einzelfall Ausnahmegenehmigungen von den zuständigen Kreisverwaltungsbehörden erteilt werden, soweit dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.
Mit Schreiben vom 6. Januar 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 15. Januar 2021 eingegangen, hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes sinngemäß beantragt,
ihren Friseursalon ab sofort wieder öffnen zu dürfen.
Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, bei ihr sei am 19. März 2020 eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus festgestellt worden. Die Infektion sei im Rahmen der Antikörperstudie der Universität … aufgrund vorhandener Antikörper bestätigt worden. Nach der aktuellen Studie der Universität … stelle die durchgemachte Infektion einen Immunitätsschutz dar, der eine nochmalige Infektion ausschließe. Dieses Ergebnis stimme mit den Ergebnissen weiterer Studien überein. Nach diesen Erkenntnissen habe die Antragstellerin bereits zum jetzigem Zeitpunkt einen Gesundheitsstatus, der dem einer gegen das Coronavirus geimpften Person entspreche bzw. sogar darüber hinausgehe. Dadurch stelle die Antragstellerin keine Belastung für das Gesundheitssystem und die Gesundheitsämter dar. Sie gefährde ihre Gesundheit nicht und schütze ihre Mitbürger durch die Anwendung der Hygienemaßnahmen. Aus diesem Grund bestehe keine Grundlage für eine weitere Schließung ihres Friseurbetriebs. Die Antragstellerin sei in ihrem Friseursalon alleine tätig und verfüge über zwei Friseurplätze.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 ist das Landratsamt dem Antrag für den Antragsgegner entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Landratsamt führt aus, der Antrag sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin zuvor keinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung beim Antragsgegner gestellt habe. Es fehle somit an einem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin. Der Antrag sei aber auch unbegründet, da die Gewährung einer Ausnahme auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente aus Infektionsschutzsicht nicht vertretbar sei. Zwar deuteten erste Studien auf eine grundsätzliche Immunität nach durchgemachter Infektion hin. Allerdings sei der wissenschaftliche Stand noch als nicht abschließend zu bewerten. Auch lägen hinsichtlich etwaiger Mutationen noch keine Erkenntnisse vor. Zudem sei noch nicht geklärt, ob eine Übertragbarkeit der Infektion auf andere Personen trotz Immunität möglich sei. Unter diesen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Inzidenzzahlen und Todesfälle, sei die Erteilung einer Ausnahme abzulehnen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf den in der Gerichtsakte enthaltenen Schriftverkehr verwiesen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
a) Nach verständiger Auslegung des Rechtsschutzziels der Antragstellerin (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) bestehen an der Statthaftigkeit des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO keine rechtlichen Bedenken. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach den Vorschriften der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Zur Erreichung dieses Rechtsschutzziels wäre in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage im Sinn des § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zu erheben. Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes kommt daher im vorliegenden Fall eine Regelung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Betracht.
b) Es fehlt der Antragstellerin ferner nicht an einem Rechtsschutzinteresse. Zwar setzt die Erteilung einer Genehmigung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV voraus, dass der Betroffene bei der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde einen Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung stellt. Nach Angaben des Antragsgegners ist dies im Fall der Antragstellerin jedoch unterblieben. Es erscheint jedoch nicht sachgerecht, die Antragstellerin auf die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens zu verweisen, da der Antragsgegner in seinem Erwiderungsschreiben vom 19. Januar 2021 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass ein solcher Antrag der Antragstellerin ohne Erfolg bleiben würde.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Nach summarischer Prüfung steht der Antragstellerin kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zu.
a) Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV können von Maßnahmen nach der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung auf Antrag Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Die Betriebsuntersagung für den Friseursalon der Antragstellerin gemäß § 12 Abs. 2 der 11. BayIfSMV stellt eine Infektionsschutzmaßnahme dar, die einer Ausnahme nach § 27 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV grundsätzlich zugänglich ist.
b) Nach der im Eilverfahren anzustellenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage besitzt die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigung zur Öffnung ihres Friseursalons. Da die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV im Ermessen der Antragsgegnerin liegt, kommt eine Genehmigung nur in Betracht, wenn eine sogenannte Ermessensreduzierung auf Null vorliegen würde, d.h. eine andere Entscheidung der Behörde als die Erteilung der gewünschten Genehmigung ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig wäre. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände nicht vor. Ein Anspruch auf Ausnahme von der geltenden Betriebsuntersagung nach § 12 Abs. 2 der 11. BayIfSMV ist aus infektionsschutzrechtlicher Sicht nicht gegeben.
aa) Das Infektionsgeschehen hat sich in den vergangenen Wochen weiter zugespitzt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist darauf hin, dass nach wie vor eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten ist. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung wird insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Ältere Personen seien aktuell sehr häufig von COVID-19 betroffen. Insbesondere in dieser Personengruppe bewegten sich die Anzahl schwerer Fälle und Todesfälle weiterhin auf hohem Niveau. Diese könnten vermieden werden, wenn alle mit Hilfe der Infektionsschutzmaßnahmen die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus verlangsamen. Die Belastung des Gesundheitssystems hänge maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (beispielsweise Kontaktbeschränkungen, physische Distanzierung) ab. Nach dem Situationsbericht vom 20. Januar 2021 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-01-20-de.pdf? blob= publicationFile) liegt die aktuelle Inzidenz der letzten 7 Tage deutschlandweit bei 123 Fällen pro 100.000 Einwohner (EW). Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen, mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und in Alten- und Pflegeheimen. Am 19. Januar 2021 befanden sich 4.836 COVID-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Es wurden 15.974 neue Fälle und 1.148 neue Todesfälle übermittelt.
bb) Zur Eindämmung des sich weiter stark ausbreitenden Infektionsgeschehens sieht die aktuelle Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung eine Reihe von Maßnahmen vor, die in ihrer Gesamtheit der Ausbreitung des Coronavirus wirksam begegnen sollen. Die vorläufigen Betriebsschließungen stellen neben den verfügten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ein weiteres Element des infektionsschutzrechtlichen Gesamtkonzeptes dar, das insbesondere eine Reduzierung von Personenbewegungen und zwischenmenschlichen Kontakten auf ein absolutes Mindestmaß als Ausgangspunkt hat. Die Schließung des Friseursalons der Antragstellerin stellt damit einen Teil dieses Gesamtkonzepts dar, mit dem durch ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen nicht zwingend notwendige Kontakte vermieden und das Infektionsschutzgeschehen verlangsamt werden sollen. Unabhängig davon, ob die Antragstellerin nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion über eine Immunität gegen den Erreger verfügt, würde die Öffnung ihres Friseursalons dem infektionsschutzrechtlichen Gesamtkonzept widersprechen, da dadurch zwangsläufig zusätzliche Personenbegegnungen und weitere Personenkontakte entstünden. Insbesondere im Hinblick auf die nach § 2 der 11. BayIfSMV geltenden Ausgangsbeschränkungen würde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung dem infektionsschutzrechtlichen Ziel der Verordnung widersprechen, da damit zwangsläufig zusätzliche Personenbewegungen verbunden sind, die es nach dem Willen des Verordnungsgebers aus Infektionsschutzgründen unbedingt zu vermeiden gilt. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens besteht auch unter Beachtung der individuellen Umstände der Antragstellerin kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung.
Nach alldem scheidet ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin aus, sodass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014). Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs wurde der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert.


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