Medizinrecht

Weitere Ausnahme von der Quarantänepflicht, Einreise aus Hochinzidenzgebiet, Geltend gemachter Aufenthalt in Teilregion mit niedriger Inzidenz

Aktenzeichen  B 7 E 21.512

Datum:
30.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13074
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
EQV § 2 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller befinden sich seit dem 16.04.2021 mit ihrem Wohnmobil in Kroatien und beabsichtigen, am 30.04.2021 wieder in den Freistaat Bayern einzureisen.
Sie wandten sich am 29.04.2021 per E-Mail an das Landratsamt … und beantragten eine Ausnahme von der Pflicht zur häuslichen Quarantäne (§ 1 Abs. 1 EQV) nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV. Die Durchreise sei im Transitverkehr ohne Unterbrechung durch die Länder Österreich und Slowenien erfolgt. So sei auch die Rückreise geplant. Die Antragsteller hätten sich ohne Ausnahme im Bezirk (Gespanschaft) von Istrien aufgehalten, nämlich an deren Westküste in Funtana, Rovinj, Bale und Pula. Die geltenden Hygienevorschriften seien eingehalten worden. Fremdkontakte mit anderen seien schon aus eigenem Antrieb auf das Lebenswesentliche beschränkt worden. Die Campingplätze, auf denen sie sich aufgehalten hätten, seien ohnehin weitestgehend menschenleer gewesen. Die durchschnittliche veröffentlichte Wocheninzidenz in Istrien habe zum 28.04.2021 45 betragen. Die Zahlen hätten insgesamt auf die Zeit ihres Aufenthalts gerechnet bei etwa einem Viertel der in Bayern festgestellten Inzidenzen gelegen. Am 29.04.2021 sei bei ihnen im Gesundheitsamt vom Pula ein Antigentest vorgenommen worden, der jeweils negativ ausgefallen sei. Keiner der Antragsteller leide an den bekannten Symptomen einer COVID-19-Infektion. Insgesamt sei damit die Gefahr, dass sie in Bayern andere Personen mit COVID-19 anstecken könnten, erheblich unter dem Landesdurchschnitt. Aufgrund der besonderen regionalen Reisesituation sei eine häusliche Quarantäne nicht erforderlich. Auf die mit der häuslichen Quarantäne einhergehende erhebliche Einschränkung ihrer Freiheit und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wiesen sie hin. Selbstverständlich seien beide bereit, sich nach den Vorgaben des Landratsamts weiteren Tests zu unterziehen. Hier sei ggf. denkbar, die Erlaubnis mit Auflagen/Bedingungen zu verknüpfen. Sie hätten den Antrag nicht schon früher gestellt, weil sie die aktuellen Daten hätten abwarten wollen.
Mit E-Mail vom 29.04.2021 teilte des Landratsamt … den Antragstellern mit, dass hier leider keine Ausnahme gemacht werden könne. Ganz Kroatien sei vom RKI als Hochinzidenzgebiet ausgewiesen. Es seien keine Gebiete ausgenommen. Demnach seien die Antragsteller bei Rückreise nach Deutschland zur zehntägigen Einreisequarantäne verpflichtet. Frühestens am fünften Tag nach Einreise könnten sie mit einem weiteren Test die Quarantäne verkürzen.
Am 30.04.2021 ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten die vorliegenden Eilanträge stellen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, sie hätten sich ausschließlich in Gebieten mit niedriger Inzidenzzahl aufgehalten. Die Quarantäne bedeute im Einzelfall der Antragsteller einen unzulässigen Eingriff in deren Freiheitsrechte.
Es handele sich bei der einstweiligen Anordnung zwar um eine Leistungsverfügung, die im Falle des Obsiegens die Hauptsache vorwegnehme. Ein wirksamer Rechtsschutz sei jedoch auf andere Weise nicht zu erlangen. Aus der Quarantäne würde den Antragstellern im Falle der Begründetheit der Klage ein nicht mehr gutzumachender Schaden, nämlich der temporäre Verlust ihrer persönlichen Freiheit, entstehen, hingegen sei das Risiko bei einer späteren Unbegründetheit der Klage und bei einer dann folgerichtig fehlerhaften Befreiung von der häuslichen Absonderungspflicht, nämlich dass andere Personen durch die Antragsteller mit COVID-19 angesteckt werden könnten, äußerst gering, da sich die Antragsteller ausschließlich in einer Region aufgehalten hätten, die eine deutlich geringere Infektionsrate als das Heimatland aufweise. Zudem bestehe bei den Antragstellern bereits vor Einreise eine negative Coronatestung. Im Vergleich zu anderen Bürgern des Freistaates Bayern bestehe damit bei den Antragstellern sogar ein deutlich geringeres Infektionsrisiko für Dritte.
Zu dem Bescheid des Landratsamtes … sei zudem festzustellen, dass dieser ganz offensichtlich rechtswidrig sei. Formal enthalte der Bescheid keine Begründung. Lediglich der Gesetzeswortlaut werde wiederholt. Mit den Argumenten der Antragsteller setze sich das Landratsamt in keiner Weise auseinander. Dieser formale Begründungsmangel habe zur Folge, dass das Landratsamt von dem ihm eingeräumten Ermessen ganz offensichtlich keinen Gebrauch gemacht habe und sich auch nicht damit auseinandergesetzt habe, wie etwa durch Bedingungen oder Auflagen ein Interessenausgleich gefunden werden könne. Zudem seien die Antragsteller der Meinung, dass bei der dargestellten Sachlage, nämlich einem derart gravierenden Inzidenzunterschied zwischen den Infektionen in Istrien und denen in Bayern, eine Ermessensreduzierung auf null in der Weise vorliege, dass dem Antrag der Antragsteller, ggf. unter Auflagen oder Bedingungen, hätte stattgegeben werden müssen. Die Befreiungsvorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV, das verlange eine verfassungskonforme Auslegung, erfülle gerade die Funktion, in Einzelfällen verfassungsgemäße Zustände zu erzielen. Sollte die Vorschrift anders verstanden werden, so bestünden erhebliche Zweifel an deren Verfassungsgemäßheit, da dann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht beachtet wäre. In diesem Fall wäre die gesetzlich angeordnete Quarantäne insgesamt rechtswidrig und dem Hilfsantrag stattzugeben. Der Schutz der Freiheit und der Gesundheitsschutz könnten nicht derart gegeneinander abgewogen werden, dass dem Gesundheitsschutz automatisch immer der Vorrang einzuräumen sei, vielmehr müsse eine Abwägung im Einzelfall möglich sein und stattfinden.
Dem Argument, das gesamte Staatsgebiet von Kroatien sei ein Hochinzidenzgebiet, könne aus Sicht der Antragsteller im Übrigen dann nicht gefolgt werden, wenn es – wie hier – verlässliche Zahlen über einzelne Verwaltungsbezirke gebe. Nicht zuletzt habe deshalb bis zum 04.04.2021 dieses Jahres durch das RKI eine differenzierte Betrachtung gegolten und gelte für andere Länder auch heute noch. Möglicherweise liege ein Rechtsverstoß dann auch darin, dass Risikogebiete zu pauschal ausgewiesen würden bzw. der Verordnungsgeber diese zu pauschal übernehme. Trotz des größten Verständnisses für Corona-Schutzmaßnahmen sei es bei einer derart großen Differenz zwischen den Inzidenzen in Bayern und denen in Istrien mit Händen zu greifen, dass eine Beschränkung der persönlichen Freiheit der Antragsteller unzulässig sei.
Die Antragsteller beantragen,
im Wege der einstweiligen Anordnung zu beschließen, dass der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt …, verpflichtet wird, einen Bescheid derart zu erlassen, dass den Antragstellern, nach der Einreise aus Kroatien (Istrien) in den Freistaat Bayern am 30.04.2021 eine Ausnahme von der häuslichen Absonderungspflicht gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV erteilt wird, hilfsweise, dass eine solche Absonderungspflicht nicht besteht.
Das Landratsamt …, dem der Antrag zugeleitet wurde, hat sich innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Eilbedürftigkeit) gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann.
Wird – wie hier – in der Sache eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, so kann eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur ergehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache besteht.
Im Falle der Antragsteller kann jedoch nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass zu ihren Gunsten ein „triftiger Grund“ im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV vorliegen würden, der überhaupt erst die Möglichkeit eröffnen würde, dass die Behörde im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung zu der Erteilung einer weiteren Ausnahme im Sinne der Verordnung gelangt.
Ein Anspruch auf Erteilung einer weiteren Ausnahme von der Quarantänepflicht aufgrund eines triftigen Grundes kommt nämlich nur in Betracht, wenn es sich um einen Sachverhalt handelt, der entweder mit den in § 2 Abs. 2 und 3 EQV genannten Lebenssachverhalten vergleichbar ist oder bei dem es sich um einen atypischen Fall handelt, den der Verordnungsgeber nicht im Blick hatte oder nicht berücksichtigen konnte und bei dem der Verweis auf die Quarantäne unzumutbar wäre (vgl. VG Regensburg, B.v. 4.3.2021 – RN 5 E 21.318 – juris).
Alleine der Umstand, dass sich der Betreffende in einem vom RKI als Hochinzidenzgebiet ausgewiesenen Land ausschließlich in solchen Regionen aufgehalten hat, die isoliert betrachtet keine hohe Inzidenz aufweisen, ist nicht geeignet, einen triftigen Grund im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV zu begründen. Denn dieser Sachverhalt ist weder mit den in der Verordnung ausdrücklich geregelten Ausnahmetatbeständen vergleichbar, noch liegt ein atypischer Fall vor, den der Verordnungsgeber nicht berücksichtigen konnte oder sonst nicht im Blick gehabt hätte. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass auch innerhalb eines als Hochrisikogebiet eingestuften Landes es stets einzelne Gebiete, Orte, etc. geben mag, die für sich genommen keine hohe Inzidenz aufweisen. Es dürfte sich dabei um einen durchaus häufig anzutreffenden Befund handeln, der nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer weiteren Ausnahme nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV erfüllt.
Die behördliche Einstufung Kroatiens insgesamt als Hochinzidenzgebiet bei einer aktuellen landesweiten 7-Tage-Inzidenz von über 330 (vgl. https://www.adac.de/news/kroatien-urlaub-corona/) begegnet – soweit dies im Eilverfahren überprüft werden kann – keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Waren jedoch bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Satz 1 EQV nicht erfüllt, so bedurfte es keiner behördlichen Ermessensbetätigung, ob eine Ausnahme erteilt wird, die dann erst in den Grenzen des § 114 VwGO der gerichtlichen Kontrolle zugänglich wäre.
Soweit die Antragsteller mit dem Hilfsantrag die (vorläufige) Feststellung begehren, dass eine Absonderungspflicht trotz Vorliegens der in der Verordnung normierten Voraussetzungen nicht bestehe, insbesondere weil die Regelung unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sei, steht das Verfahren nach § 123 VwGO nicht zur Verfügung. Statthaft wäre insoweit alleine ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 20 CE 20.1388 – juris).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.


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