Medizinrecht

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Aktenzeichen  L 20 KR 406/18

Datum:
4.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 33418
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 27 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz

1. Überschüssige Haut an Brüsten und Oberarmen aufgrund Gewichtsverlustes nach einer bariatrischen Operation stellt für sich genommen keinen krankhaften Befund dar.
2. Grundsätzlich sind dermatologische Erkrankungen mit den Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Nur wenn trotz über einen längeren Zeitraum erfolgter fachdermatologischer Behandlung kein Erfolg erzielt werden kann, ist zu prüfen, ob als ultima ratio ein Anspruch auf Hautstraffung besteht.
3. Hautüberschüsse aufgrund einer Gewichtsreduktion nach einer bariatrischen Operation sind nicht mit einer Brustrekonstruktion bei Mammakarzinom vergleichbar. Im einen Fall geht es um den Ausgleich der unmittelbaren Folgen der Krankenbehandlung an dem erkrankten und von der Behandlung betroffenen Organ (Brust) und im anderen Fall um den mittelbaren Ausgleich an einem zunächst von der Krankheit (Adipositas) bzw. deren Behandlung (bariatrische Operation) nicht betroffenen Organ (Haut).

Verfahrensgang

S 5 KR 700/16 2018-05-07 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.05.2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 03.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2016 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Abweisung der Klage. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf postbariatrische Operationen an den Oberarmen und der Brust als Sachleistung.
Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf eine Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (z.B. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R).
Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R). Zu fordern ist in jedem Fall eine schwerwiegende Erkrankung, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen Behandlungsmaßnahmen (ultima ratio) und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg bringt (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11; LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; LSG Hamburg, Urteil vom 25.08.2016, L 1 KR 38/15; Hessisches LSG, Urteil vom 09.02.2017, L 1 KR 134/14; Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17).
In diesem Sinne stellt die überschüssige Haut im Bereich der Brüste und der Oberarme der Klägerin für sich genommen keinen krankhaften Befund bzw. regelwidrigen Körperzustand dar (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17). Dass die ausgeprägte Hautfaltenbildung vom Normalbefund des Körpers abweicht, reicht, anders als Dr. G. meint, nicht aus, um ihr Krankheitswert zuzusprechen.
Nach der Rechtsprechung des BSG kommt gerade nicht jeder Abweichung vom Normalbefund des Körpers Krankheitswert zu. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine Abweichung im Sinne einer Entstellung vorläge. Dabei ist bei der Beurteilung der Entstellung vom bekleideten Zustand des Betroffenen auszugehen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006, L 4 KR 60/04; Hessisches LSG, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11; LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13).
Entstellend sind die Hautfalten an den Oberarmen sowie die Brust der Klägerin jedenfalls nicht, selbst im unbekleideten Zustand nicht, wie aus der von Dr. G. angefertigten Fotodokumentation ersichtlich ist. Erst recht kann dann im bekleideten Zustand von einer Entstellung nicht die Rede sein. Es wäre mit der aufgezeigte Rechtsprechung des BSG und der Landessozialgerichte, der sich der Senat anschließt, nicht zu vereinen, Hautüberschüsse nach Gewichtsabnahme allgemein – ohne Berücksichtigung etwaiger funktioneller Beeinträchtigungen – bereits deshalb als Krankheit zu betrachten, weil sie vom „Normalzustand“ abweichen.
Die Klägerin mag (weiterhin) ihre Körperhülle in dem jetzigen Zustand mit den Falten nicht akzeptieren, sich in ihrer Ehe beeinträchtigt fühlen und insgesamt einen diesbezüglichen Leidensdruck empfinden, worauf Dr. G. hinweist. Bei einer starken Ausprägung dieser Gefühle ist die Klägerin jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R) auf eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung zu verweisen. Für die Annahme einer Regelabweichung im Sinne einer Entstellung ist nicht die subjektive Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein ein objektiver Maßstab entscheidend. Danach liegt eine schwere Entstellung erst dann vor, wenn – anders als im Falle der Klägerin – eine körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R).
Auch aus dermatologischen Gründen besteht kein Anspruch auf die streitgegenständlichen Hautstraffungsoperationen.
Grundsätzlich sind dermatologische Erkrankungen mit den Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Sollte sich herausstellen, dass mit diesen Mitteln kein dauerhafter Erfolg erzielt werden kann, so wäre erst im Anschluss zu prüfen, ob als ultima ratio eine Hautstraffung notwendig ist (LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13; vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2018, L 8 KR 254/17).
Eine Entfernung der überschüssigen Hautlappen aus dermatologischen Gründen kommt nur in Betracht, wenn durch den Hautüberschuss ständige Hautreizungen wie Pilzbefall, Sekretionen oder entzündliche Veränderungen auftreten, die sich als dauerhaft therapieresistent erweisen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006, L 4 KR 60/04).
Die die Klägerin behandelnden Ärzte haben Funktionsmängel im Sinne von wiederkehrenden Hautentzündungen bzw. -mazerationen bei der Klägerin beschrieben. Auch wenn Dr. G. bei seiner Untersuchung der Klägerin einen solchen Befund aktuell nicht erheben konnte, bestätigte er stattgehabte Hautentzündungen aufgrund der Pigmentierungsveränderungen im Bereich der submammären Haut. Diese Hautreizungen im Unterbrustbereich, die sich auch aus der vom MDK vorgelegten Fotodokumentation folgern lassen, treten jedoch nicht ständig auf. So konnte Dr. G. bei seiner Untersuchung der Klägerin im Unterbrustbereich kein Nässen und keine Rötung feststellen, ebenso wenig Hautveränderungen im Sinne von Mazeration oder offenen Stellen. Zudem kommt eine Hautstraffungsoperation als zumindest teilweise mittelbarer Eingriff in auch nicht entzündetes bzw. nicht betroffenes Hautgewebe nur in Betracht, wenn sie als ultima ratio nach erfolgloser Anwendung der zur Verfügung stehenden konventionellen Behandlungsoptionen notwendig ist. Eine Therapieresistenz bezüglich konventioneller Behandlungen kann der Senat jedoch nicht feststellen. Zum einen liegen die Hautirritationen, wie dargestellt, nicht permanent vor. Zum anderen sind die fachdermatologischen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Die Klägerin hat im Erörterungstermin vor dem SG nur angegeben, einige Wochen zuvor wegen eines Ausschlages am ganzen Körper in dermatologische Behandlung gewesen zu sein. Es ging also offensichtlich damals nicht speziell um die Problembereiche Unterbrustbereich und Oberarme wegen der dortigen Hautfalten. Auf Nachfrage des SG im Erörterungstermin hat die Klägerin die sie behandelnden Ärzte benannt. Ein Dermatologe befand sich nicht darunter. Auf die explizite Aufforderung des Gerichts, im Nachgang zum Erörterungstermin noch etwaige weitere ärztliche Behandler zu nennen, hat die Klägerin keine dermatologische Behandlung vorgetragen. Auch im Berufungsverfahren konnte die Klägerseite über keine fachdermatologische Behandlung der Klägerin berichten.
Zunächst ist daher im Falle der Klägerin, sofern erforderlich, die Durchführung einer fachdermatologischen Behandlung vorrangig, um einen etwaigen krankhaften Hautbefund wieder zu normalisieren. Die Klägerin hat nicht, auch nicht auf die explizite Nachfrage des SG nach den sie behandelnden Ärzten, vorgetragen, dass sie wegen der Hautlappen bzw. -falten je in fachdermatologischer Behandlung gewesen sei. Ohne den Nachweis einer über einen längeren Zeitraum erfolgten fachdermatologischen – letztlich erfolglosen – Behandlung kann aber das Vorliegen einer von der Rechtsprechung geforderten ultima ratio-Situation und damit einer OP-Indikation wegen der klägerischen Hautprobleme nicht bejaht werden.
Schließlich können die begehrten Operationen auch nicht zur Behandlung etwaiger Wirbelsäulen- oder Schulter-Arm-Beschwerden beansprucht werden. Sofern die Klägerin im Widerspruchsverfahren angegeben hat, dass ihr „das Kreuz“ schmerze, reicht dieser Hinweis angesichts der oben dargestellten ultima ratio-Rechtsprechung keinesfalls, um einen mittelbaren Eingriff in ein anderes Organ mittels Hautstraffungsoperationen zu rechtfertigen. Gleiches gilt im Hinblick auf die in die Schulterhaut einschneidenden BH-Träger. Hier ist gegebenenfalls auf ein anderes Modell mit breiteren und gepolsterten Trägern zurückzugreifen. Dr. G. hat in seinem Gutachten keine direkten Bewegungseinschränkungen im Sinne von Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit der Klägerin festgestellt. Die Hautlappen führen laut Dr. G. nicht zu einer Beuge-, Streck- oder Drehbewegungshemmung. Jedoch führt Dr. G. aus, dass die andauernde und gleichförmige Bewegung durch Reibung der Hautfalten und deren Pendeldynamik beeinträchtigt werde. Damit lägen funktionelle Beeinträchtigungen der Bewegungsabläufe hinsichtlich der Haut durch die Hautlappen an den Oberarmen vor. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zum einen hat Dr. G. nicht näher beschrieben, wie die unphysiologischen Bewegungsabläufe durch die Hautlappen verursacht und ausgeführt werden sollen. Zum anderen kann sich der Senat keine Überzeugung davon bilden, dass Hautlappen an den Oberarmen und lateralen Thoraxwänden so, wie sie auf der Fotodokumentation von Dr. G. ersichtlich sind, zu Bewegungseinschränkungen in einem Ausmaß führen, dass ihnen Krankheitswert zukäme.
Sofern Dr. G. darauf hinweist, dass allein die drastische Gewichtsreduktion aufgrund der (von der Beklagten gewährten) Magenbypassoperation die geschilderten Hautprobleme erst ausgelöst hat, vermag ein solcher Ursachenzusammenhang ebenfalls keine Leistungspflicht der Beklagten für die begehrten Straffungseingriffe zu rechtfertigen. Zwar hat das Sächsische LSG mit Urteil vom 31.05.2018, L 1 KR 249/16, entschieden, dass, sofern eine wegen einer Hauterkrankung erforderliche Hautfettschürzenresektion im Bauchbereich notwendige Folge einer von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Magenverkleinerung sei, auch die operative Beseitigung dieser Folgeerkrankungen in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung falle. Insofern könnten, so das Sächsische LSG, die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zur Mamaaugmentationsplastik nach Entfernung eines Mammakarzinoms (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R) entsprechend herangezogen werden.
Diese Sichtweise teilt der Senat nicht. Denn die Lebenssachverhalte einer operativen Behandlung eines Brustkarzinoms und einer bariatrischen Operation bei Adipositas mit möglicherweise anschließend sich einstellenden Hautfaltenüberschüssen sind nicht vergleichbar. Insofern kann die Klägerin auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nichts anderes für sich herleiten. Der Gleichheitssatz ist nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 19.12.2012, 1 BvL 18/11). So verhält es sich hier nicht. Die Hautlappenüberschüsse aufgrund der Gewichtsreduzierung nach der bariatrischen Operation sind einer Brustrekonstruktion bei Mammakarzinom nicht im Wesentlichen gleich, sodass beide Fallgruppen auch nicht gleich zu behandeln sind. Denn bei der Brustkrebspatientin wird krankhaftes Gewebe entfernt und dieses wird im Rahmen der Rekonstruktion ersetzt. Bei der Klägerin soll jedoch in Gewebe eingegriffen werden, welches nicht krank, sondern welches lediglich als Folge der Behandlung der Lipödeme nicht mehr mit Gewebe ausgefüllt ist. Das sind zwei unterschiedliche Ausgangssituationen. Im einen Fall geht es um den Ausgleich der unmittelbaren Folgen der Krankenbehandlung an dem erkrankten und von der Behandlung betroffenen Organ (Brust) und im anderen Fall um den mittelbaren Ausgleich an einem zunächst von der Krankheit (Adipositas) bzw. deren Behandlung nicht betroffenen Organ (Haut) (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.07.2014, L 1 KR 160/13).
Schließlich weist Dr. G. noch auf die nicht zu unterschätzende Rolle der plastischen Rekonstruktionschirurgie in der interdisziplinären Behandlung der Adipositas im Hinblick auf die damit verbundenen deutlichen Outcome-Verbesserungen hin. Dies entspricht auch der aktuellen S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ (Seite 111 ff., Ziff. 6.4.), wonach „die Körperformung nach massiver Gewichtsreduktion ein wichtiges Teilgebiet innerhalb der interdisziplinären Behandlung von Adipositaspatienten ist“ und deshalb bei Patientenwunsch und entsprechender medizinischer Indikation eine Straffungsoperation angeboten und durchgeführt werden soll. Dies mag aus Sicht der Patienten wünschenswert sein. S3-Leitlinien geben Ärzte und in der Folge auch Verwaltung und Gerichten wichtige Entscheidungshilfen, sie sind jedoch für diese nicht bindend (vgl. Hessisches LSG, Urteile vom 05.07.2016, L 1 KR 116/15, und vom 22.05.2014, L 8 KR 7/11). Die Krankenkassen und Gerichte haben vielmehr das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V zu beachten, wonach nur notwendige und wirtschaftliche Leistungen bewilligt werden dürfen. Zudem ist die Rechtsprechung des BSG zu beachten, wonach eine mittelbare Behandlung durch einen chirurgischen Eingriff in ein von der zu behandelnden Krankheit nicht betroffenes Organ nur unter engen Voraussetzungen im Rahmen einer Güterabwägung zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; siehe bereits oben). Die Hautstraffung erfolgt jedoch bei der Behandlung der Adipositas grundsätzlich aufgrund der kosmetische Situation, die durch die bariatrische Operation entstanden ist (zur Sondersituation von – bei der Klägerin nicht nachgewiesenen – auch fachdermatologisch nicht hinlänglich therapierbaren Hautfaltenüberschüssen siehe oben). Eine derartige Maßnahme kann schon aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Betroffenen nur in sehr engen Grenzen erfolgen, die durch das Kriterium der Entstellung ausgefüllt werden (LSG Hamburg, Urteil vom 17. Juli 2014, L 1 KR 160/13). Auch aus Leitlinien-Empfehlungen ergibt sich damit kein Anspruch der Klägerin auf die begehrten Straffungsoperationen.
Damit besteht insgesamt kein Anspruch der Klägerin auf postbariatrische Operationen an Brüsten und Oberarmen gegen die Beklagte. Die Berufung der Beklagten war deshalb erfolgreich.
Zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen sah sich der Senat nicht veranlasst, insbesondere nicht zu der Frage, ob bei der Klägerin therapierefraktäre Ekzeme bzw. Hautveränderungen vorliegen. Dass die Hautreizungen kein unbehandelbarer Dauerzustand bei der Klägerin sind, zeigt sich bereits dadurch, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. G. keine aktuellen Hautprobleme der Klägerin feststellbar waren. Zum anderen wäre die Klägerin hier zunächst darauf zu verweisen, überhaupt erst einmal fachdermatologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass die Klägerin tatsächlich in (konsequenter) fachdermatologischer Behandlung wäre, wurde aber auch in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2018 – wie bereits vor dem SG – trotz entsprechender Nachfrage nicht vorgetragen.
Der hilfsweise gestellte Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2018, ein unabhängiges Sachverständigengutachten im Rahmen der Amtsermittlung nach § 106 SGG einzuholen, ist abzulehnen. Denn der Antrag gibt kein Beweisthema an oder umreißt wenigstens, was die Beweisaufnahme ergeben soll (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn. 18a m.w.N. auf die Rspr. des BSG).
Der äußerst hilfsweise gestellte Antrag, ein unabhängiges Sachverständigengutachten nach § 109 SGG einzuholen, war ebenfalls abzulehnen. Zum einen ist auch insofern unklar, zu welcher Frage der Sachverständige Stellung nehmen sollte, zum anderen wurde auch kein bestimmter Arzt als Gutachter bezeichnet (vgl. insg. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 109 Rn. 10a). Schließlich war der erst in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2018 gestellte Antrag auch als verspätet abzulehnen. Bestimmt das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung, darf ein Verfahrensbeteiligter nicht bis zur mündlichen Verhandlung mit seinem Antrag gemäß § 109 SGG zuwarten (so schon BSG, Urteil vom 22.06.1966, 8 RV 227/65). Neue Aspekte in tatsächlicher Hinsicht wurden in der mündlichen Verhandlung nicht eingeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


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