Medizinrecht

Wildunfall

Aktenzeichen  S 15 U 5006/19

Datum:
5.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1839
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 13a, § 4 Abs. 2
BJagdG § 1 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Wer ein angefahrenes Tier nach einem PKW-Wildunfall beseitigt, kommt der eigenen Verkehrssicherungspflicht nach, so dass er nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das gilt auch, wenn ein Jagdberechtigter einen PKW-Wildunfall auf der Heimfahrt von der Jagdausübung erleidet. (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 18.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 18.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Auch Wege nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit sind versichert (gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung (- der sog. innere Zusammenhang) mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der es rechtfertigt, das entsprechende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. etwa BSG im Urteil vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 5/04 R, Rz. 12 in juris). Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns im Vordergrund, maßgeblich ist damit die sog. „objektive Handlungstendenz“ des Versicherten, das was er nach den objektiv sichtbaren Umständen vorhatte (a.a.O., Rz. 12 in juris).
Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme und Aktenlage geht das Gericht davon aus, dass der Kläger nach den beweiskräftigeren unfallnächsten Angaben laut Durchgangsarzt-Bericht und der Unfallanzeige vom 01.06.2018 mit seinem eigenen Pkw auf der Gemeinde straße zwischen H. und P. eine Kollision mit einem Dachs verursachte. Weil er sich nicht sicher war, ob der Dachs noch lebt, wartete er zunächst nach seinen eigenen Angaben rd. 25 Minuten. Wie er in der mündlichen Verhandlung vom 05.02.2020 vorgetragen hat, packte er den Dachs anschließend an den Hinterläufen und wollte diesen von der Straße ziehen. Hierbei wandte sich der Dachs nach hinten und biss ihn in den rechten Daumen. Im Rahmen der „objektiven Handlungstendenz“ ist dabei zu berücksichtigen, dass sein primäres Handlungsmotiv in dem Moment war, den Dachs von der Straße zu ziehen, um Gefahren für weitere Verkehrsteilnehmer zu beseitigen. Es handelte sich hier eindeutig nicht um Jagdausübung im Sinne von § 1 Abs. 4 Bundesjagd-Gesetz (BJagdG), also das gezielte Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild. Vordergründig ist er damit seiner „allgemeinen Verkehrssicherungspflicht“ nachgekommen. Nach der juristischen Lehre würde jemand gegen die sog. „allgemeine Verkehrssicherungspflicht“ verstoßen, wenn er eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält und nicht die zumutbaren Vorkehrungen trifft, um die daraus resultierende abstrakte Gefahr für Dritte zu beseitigen (vgl. Wellner in „Geigel, „Haftpflichtprozess“, 28. Auflage, Rdnr. 28). Wer gegen die „allgemeine Verkehrssicherungspflicht“ verstößt, wird schadensersatzpflichtig nach dem Recht der unerlaubten Handlung des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 823 ff. BGB). Anders als der Kläger ist das Gericht wegen der vorliegenden Verkehrssicherungspflicht der Auffassung, dass er im Unfallzeitpunkt nicht primär in fremdem, sondern im eigenen Interesse, und zwar zur Erfüllung seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, tätig geworden ist. Diese Pflicht träfe jeden Verkehrsteilnehmer, der einen Wildunfall erlitten hat, gleich ob Jagdscheininhaber oder nicht. Die besondere Pflicht eines Jagdschein-Inhabers, ein verletztes Wild von seinen Schmerzen oder Leiden zu erlösen (gemäß § 22a BJagdG) tritt demgegenüber in den Hintergrund. Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass dies ein nennenswertes Handlungsmotiv des Klägers im Unfallzeitpunkt gewesen ist – immerhin hat er dieses vor dem Wegziehen von der Straße 25 Minuten im Todeskampf liegen lassen, um zu sehen, ob es nicht doch noch von selbst stirbt.
Vorliegend ging es dem Kläger im Unfallzeitpunkt auch nicht um die Beseitigung konkreter und akuter Gefahren, da sich zu der Zeit kein anderer Verkehrsteilnehmer auf der Straße befand. Eine akute oder konkrete Gefahr für andere Menschen hat hier nicht vorgelegen, weshalb die Beigeladene zu Recht die Annahme eines Falles nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII abgelehnt hat. Die Beigeladene ist damit nicht eintrittspflichtig. Vielmehr lag wegen des auf der Straße liegenden Dachses eine abstrakte Gefahr für Dritte vor. Ausgewachsene Dachse erreichen eine Körperlänge von 64 bis 88 Zentimetern und wiegen durchschnittlich 7 bis 14 Kilogramm (https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer Dachs). Durch ein Tier dieser Größe könnte es also durchaus zu Verkehrsunfällen kommen.
Das Gericht hält es auch nicht für überzeugend, dass die Handlungen im Unfallzeitpunkt dazu gedient hätten, die eigentlichen Pflichten des Jagdpächters an dessen Stelle durchzuführen. Es gehört zwar zu den Pflichten eines Jagdpächters, dass er dann, wenn er nach einem Wildunfall entweder von dem Verursacher oder der Polizei gerufen wird, das verletzte Wild erlöst und beseitigt. Der Kläger wurde aber nicht zu einem von einem Dritten verursachten Wildunfall gerufen, sondern er wollte den Dachs aufgrund der von ihm selbst herbeigeführten Gefahr von der Straße schaffen. Er handelte damit vorrangig in Ausübung seiner eigenen Verkehrssicherungspflicht. Ein entsprechender Auftrag des Jagdpächters lag im Übrigen nicht vor. Das Gericht ist darüber hinaus der Auffassung, dass der gesetzliche Unfallversicherungsschutz für Begehungsschein-Inhaber eng auszulegen ist; im Regelfall ist bei diesem die Jagdausübung per se und der Weg von und zur Jagdausübung gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unversichert (d.h. versicherungsfrei). Ausnahmen vom klar geregelten Gesetzestatbestand sind ohnehin nach der juristischen Lehre eng auszulegen, um die Gesetzesanwendung nicht aufzuweichen und Rechtssicherheit zu wahren. Nur in engen Grenzen hat die Rechtsprechung Ausnahmen von dieser Versicherungsfreiheit zugelassen, nämlich dann, wenn der Begehungsschein-Inhaber im Auftrag des Jagdpächters Arbeiten von gewisser Dauer und wirtschaftlichen Wert ausführt, die über das hinausgehen, was er diesem ohnehin als Gegenleistung für den erteilten Begehungsschein schuldet (z.B. wiederkehrende Wildfütterung vgl. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 24.07.2014, L 10 U 4760/12; oder Reparatur von mehreren Hochsitzen, vgl. Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.04.2008, L 2 U 190/07). Dann wird der Begehungsschein-Inhaber im Einzelfall als sog. „Wie-Beschäftigter“ für den Jagdpächter bzw. die Jagdgemeinschaft tätig und ist als solcher versichert. Nach § 2 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Personen versichert, die „wie Beschäftigte“ tätig werden. Ein Versicherungsschutz als „Wie-Beschäftigter“ setzt voraus, dass es sich um eine qualifizierte Tätigkeit von nicht nur unwesentlichem wirtschaftlichem Wert handelt, die dem in Betracht kommenden fremden Unternehmen dienen soll (Handlungstendenz), die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht und nicht auf einer Sonderbeziehung z.B. als Familienangehöriger oder Vereinsmitglied, beruht (vgl. BSG Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 5/04 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 4 m.w.N., und Urteil vom 31.05.2005, B 2 U 35/04 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 5 m.w.N.). Im vorliegenden Fall wurde der Kläger nach der Rechtsauffassung der Kammer im Unfallzeitpunkt nicht als „Wie – Beschäftigter“ tätig. Zweifelhaft ist schon, ob das Wegziehen des Dachses von der Straße eine Tätigkeit „von nicht nur unwesentlichem wirtschaftlichen Wert“ darstellte. Auch erforderte dies kein spezielles Wissen oder Können, so dass es sich auch nicht um eine qualifizierte Tätigkeit handelte. Zudem ist der Vater des Klägers „Mit-Jagdpächter“ im Gemeinschaftsjagdrevier H., wodurch sich vorliegend eher noch eine familiäre Gefälligkeit als eine „Wie-Beschäftigung“ begründen ließe. Aufgrund dieser Wertungen ist das Gericht der Auffassung, dass die vorliegend im Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit nicht im inneren Zusammenhang stand mit einer Tätigkeit, die bei einem Begehungsschein-Inhaber überhaupt versichert sein könnte. Gerade beim Kläger als Begehungsschein-Inhaber lag die im Unfallzeitpunkt vorgenommene Verrichtung nicht innerhalb der Grenze, bis zu welcher sein (ohnehin eng begrenzter) Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht.
Aus den genannten Gründen hat die Beklagte es im Bescheid vom 18.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2019 zu Recht abgelehnt, das streitige Ereignis als Versicherungsfall anzuerkennen. Die Klage dagegen war somit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.


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