Medizinrecht

Wirkung eines Antrags auf ALG II bei Zuständigkeitswechsel

Aktenzeichen  L 11 AS 460/17 NZB

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 118439
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 36, II § 37
SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 145 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf Alg II wirkt auf den Ersten des Antragsmonats zurück und hat bei einem in diesem Monat eingetretenen, vorangegangenen Zuständigkeitswechsel auch die Wirkung eines an den vorher zuständigen Leistungsträger gestellten Antrages. (Rn. 12)
2. Wird ein Beigeladener zur Erbringung von Sozilleistungen verurteilt, kommt es nicht darauf an, ob dieser bereits einmal in die Lage versetzt war, den bei einem anderen Träger gestellten Antrag außerhalb des Prozesses vor dem SG inhaltlich zu prüfen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 18 AS 565/16 2017-04-28 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.04.2017 – S 18 AS 565/16 – wird zurückgewiesen.
II.
Die Beschwerdeführerin hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe

I.
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 10.05.2016 bis 22.05.2016 durch die Beschwerdeführerin.
Der Kläger kam am 10.05.2016 aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland zurück und wohnte, nachdem er die erste Nacht auf dem Bahnhof S-Stadt verbracht hatte, vom 11.05.2016 bis 22.05.2016 in verschiedenen Einrichtungen in der Stadt S. (Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführerin). Am 23.05.2016 zog er in eine Wohnung im Landkreis S. (Zuständigkeitsbereich des Beklagten) und beantragte dort am 30.05.2016 Alg II. Auf dem am 08.06.2016 abgegebenen Antrag war u.a. von einem Mitarbeiter des Beklagten vermerkt, der Kläger habe vom 10.05.2016 bis 22.05.2016 in S. u.a. im Jugendgästehaus gewohnt (Unterkunftskosten insgesamt ca. 313,00 €).
Mit Bescheid vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.11.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger Alg II ab 23.05.2016 (anteilig für Mai 2016) bis 30.11.2016.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Er begehre auch Leistungen für die Zeit vom 10.05.2016 bis 22.05.2016. Das SG hat mit Beschluss vom 10.01.2017 die Beschwerdeführerin notwendig beigeladen. Dieser hat ausgeführt, der Kläger habe bei ihr keinen Antrag gestellt und lediglich Leistungen vom Beklagten begehrt.
Mit Urteil vom 28.04.2017 hat das SG die Beschwerdeführerin verurteilt, Alg II für die Zeit vom 10.05.2016 bis 22.05.2016 dem Grunde nach zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Kläger habe ab 10.05.2016 einen Anspruch auf Alg II. Für die Zeit vom 10.05.2016 bis 22.05.2016 sei die Beschwerdeführerin zuständiger Leistungsträger im Sinne des § 36 SGB II, der Kläger habe sich in dieser Zeit tatsächlich im Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführerin aufgehalten. Der Antrag vom 30.05.2016 wirke gemäß § 37 SGB II auf den Ersten des Monats zurück. Ein solcher Antrag könne formlos gestellt werden und sei nach dem Meistbegünstigungsprinzip ab 10.05.2016 als gestellt anzusehen. Für eine Beschränkung des Antrags auf Leistungen allein vom Beklagten fänden sich keine Anhaltspunkte. Der Antrag könne gemäß § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch beim unzuständigen Leistungsträger wirksam gestellt werden. Auf eine tatsächliche Weiterleitung durch den unzuständigen Leistungsträger komme es hierbei nicht an. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat die Beschwerdeführerin Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung. Ein Originalantrag liege ihr bis heute nicht vor. Der Kläger habe nur beim Beklagten Leistungen beantragt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und der Beschwerdeführerin sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12.Aufl, § 144 RdNr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4).
Hinweise auf eine Abweichung des SG von der obergerichtlichen Rechtsprechung oder einen Verfahrensfehler des SG, auf dem das Urteil des SG beruhen kann, sind nicht erkennbar und werden von der Beschwerdeführerin auch nicht vorbracht.
Diese macht vorliegend allein eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, wobei sie keinerlei Ausführungen dazu macht, worin die grundsätzliche Bedeutung zu sehen sei. Sie äußert vielmehr lediglich eine andere Rechtsansicht als der Beklagte und das SG, begründet ihre Rechtsauffassung jedoch nicht. Für den Senat ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erkennbar. Ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Rechtsfrage ist nicht ersichtlich (vgl. Leitherer aaO § 160a Rn. 14b). Zudem ist die zu entscheidende Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, denn die Antwort auf sie steht praktisch außer Zweifel bzw. die Beantwortung der Rechtsfrage ist so gut wie unbestritten. Hierzu nimmt der Senat entsprechend § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Ausführungen im Urteil des SG. Der Antrag auf Alg II kann gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I auch bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden, wirkt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II auf den Ersten des Antragsmonats (hier: 10.05.2016) zurück und ist vorliegend bereits unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nicht auf ein Begehren gegenüber dem Beklagten beschränkt (vgl. dazu auch Link in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 37 Rn. 19 ff, Schoch in LPK-SGB II, 6. Auflage, § 37 Rn. 4 ff). Ob und wo der Originalfragebogen vorliegt, spielt hierbei keinerlei Rolle, zumal dieser Fragebogen nicht mit der bereits zuvor – ggf. mündlich – beim Beklagten erfolgten Antragstellung verwechselt werden darf.
Nach alledem war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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