Miet- und Wohnungseigentumsrecht

14 S 9922/21

Aktenzeichen  14 S 9922/21

Datum:
17.11.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47912
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

412 C 1319/21 2021-07-01 Urt AGMUENCHEN AG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 01.07.2021, Az. 412 C 1319/21, in Bezug auf Ziffer 2 abgeändert und insoweit neu gefasst wie folgt:
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die Wohnung …, bestehend aus 3 Zimmern, 1 Küche, 1 Flur, 1 Bad/WC, sowie das Kellerabteil Nr. 3 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
IV. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 30.04.2022 gewährt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 11.040,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Zur Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Zusammenfassend und ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um die Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten innegehaltenen Wohnung im Anwesen …
Mit schriftlichem Wohnraummietvertrag vom 09.08.2005 (Anlage K 1) mietete die Beklagten von der Klägerin zum 01.11.2005 die verfahrensgegenständliche Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, 1 Küche, 1 Flur, 1 Bad/WC nebst Kellerabteil Nr. 3 an. Die zum 3. Werktag eines jeden Monats fällige Miete belief sich zuletzt auf 920,00 € zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 150,00 €, insgesamt also auf 1.070,00 €
Im Jahr 2020 geriet die Beklagte in Bezug auf dieses Wohnraummietverhältnis zunächst mit den (vollen) Monatsmieten Januar und Februar in Rückstand.
Mit E-Mail vom 12.02.2020 (Anlage K 8, Bl. 22 d. A) wies die Klägerin die Beklagte daher u.a. darauf hin, dass sie „seit 2020 im Mietrückstand“ sei und forderte sie auf, den Rückstand von insgesamt 2.140,00 € auszugleichen. Die E-Mail endete mit folgenden Sätzen: „Wir bitten Sie höflichst die Mietrückstände bis Montag, 17.02.2020 zu begleichen. Andernfalls sehen wir uns leider gezwungen Sie fristlos zu kündigen.“
Hierauf wurden die Mietrückstände durch Überweisung des offenen Gesamtbetrags ausgeglichen.
Mit Schreiben vom 14.07.2020 (Anlage K 9, Bl. 23 d.A.) wies die Klägerin die Beklagte wegen erneut verspäteter Mietzahlung darauf hin, dass sie „nach wie vor“ ihrer „monatlichen Zahlungsverpflichtung verspätet nachkomme[…]“.
In den Monaten Oktober und November 2020 erbrachte die Beklagte zunächst abermals keine Mietzahlungen. Mit Schreiben vom 06.11.2020 (Anlage K 2, Bl. 39 f. d.A.) kündigte die Klägerin das Mietverhältnis daher außerordentlich, hilfsweise ordentlich wegen Zahlungsverzugs. Sie führte dabei neben den zwei offenen Mieten (jeweils in voller Höhe von 1.070,00 €) auch eine beklagtenseits nicht beglichene Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2019 in Höhe von 116,53 € an.
Mit Eingang auf dem Konto der Klägerin am 11.11.2020 glich die Beklagte die vorgenannten kündigungsgegenständlichen Gesamtrückstand vollumfänglich aus.
Die Beklagte hatte Vertragsbeginn vom 01.09.2018 von der Klägerin zudem den Kfz-Stellplatz Nr. 2 im Anwesen … – – zu einer monatlichen Miete von 90,00 € angemietet. Mit Schreiben vom 06.11.2020 (Bl. 7 d.A.) kündigte die Klägerin auch insoweit wegen Zahlungsverzugs hinsichtlich der Monatsmieten Oktober und November 2020 (jeweils in voller Höhe von 90,00 €) fristlos. Mit Zahlungseingang am 21.12.2020 glich die Beklagte diese offenen Stellplatzmieten aus.
Das Amtsgericht München hat der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie des – gesondert angemieteten – Stellplatzes gerichteten Klage hinsichtlich des Stellplatzes stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das Erstgericht in Bezug auf die Teilklageabweisung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Durchsetzung des aus der (ordentlichen) Kündigung folgenden Räumungsanspruchs als rechtsmissbräuchlich darstelle, § 242 BGB. Der bereits am 11.11.2020 erfolgte Ausgleich der Mietrückstände hinsichtlich des bereits seit ca. 16 Jahren bestehenden Wohnraummietverhältnisses sei zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen und lasse deren Fehlverhalten – mit Blick auf das Urteil des BGH vom 16.02.2005 – VIII ZR 6/04, NZM 2005, 334 – „in einem milderen Licht erscheinen“. Vorliegend bestehe überdies die Besonderheit, dass die Mietzahlungen vor der Kündigung durch den ehemaligen Partner der Beklagten erbracht worden seien, mit dem die Beklagte eine Vereinbarung habe, wonach dieser die Miete zu zahlen habe. Aufgrund der Anhörung der Beklagten bestünden aus Sicht des Erstgerichts zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Zukunft zu weiteren Problemen mit der Zahlung der Miete kommen werde.
Die Klagepartei wendet sich im Wege der Berufung gegen das vorgenannte Urteil, soweit die Klage darin in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Wohnung abgewiesen worden ist. Die Klagepartei ist der Auffassung, dass die von der Heilungswirkung durch Nachzahlung ausgenommene ordentliche Kündigung das Wohnraummietverhältnis beendet habe. Den Ausführungen des Erstgerichts zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Durchsetzung des aus der ordentlichen Zahlungsverzugskündigung folgenden Räumungs- und Herausgabeanspruchs könne nicht gefolgt werden.
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren zuletzt zu erkennen:
Das Endurteil des Amtsgerichts München vom 01.07.2021, Az. 412 C 1319/21, wird abgeändert, soweit die Klage abgewiesen wurde. Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung … bestehend aus drei Zimmern, einer Küche, einem Flur, einem Bad/WC, sowie das Kellerabteil Nr. 3 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Vorsorglich beantragt sie zudem insbesondere
die Gewährung einer Räumungsfrist.
Die Kammer hat den Geschäftsführer der Klägerin sowie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2021 formlos als Parteien angehört. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2021.
II.
Die zulässige Berufung der Klagepartei hat in der Sache Erfolg.
1. Klarzustellen ist zunächst, dass die antragsgemäße Verurteilung der Beklagten zur Räumung und Herausgabe des mit gesondertem Mietvertrag angemieteten Stellplatzes nicht zur Überprüfung durch die Kammer gestellt ist. Insoweit bedurfte es daher keinerlei Änderung des erstgerichtlich unter Ziffer 1 tenorierten Räumungs- und Herausgabeanspruchs.
2. Soweit das Amtsgericht die Klage hinsichtlich des die Wohnung betreffenden Räumungs- und Herausgabeanspruchs abgewiesen hat, kann dem nicht gefolgt werden. Es bedurfte daher einer diesbezüglichen Abänderung des erstgerichtlichen Urteils (dortige Ziffer 2).
Die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 06.11.2020 wegen Zahlungsverzugs ist nach voller Überzeugung der Kammer als formell und materiell wirksam zu erachten. Die Durchsetzung des hierauf beruhenden Räumungs- und Herausgabeanspruchs stellt sich in der vorliegenden Konstellation zudem mitnichten als rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 242 BGB dar. Damit besteht klägerseits ein – durchsetzbarer – Anspruch auf Räumung und Herausgabe der beklagtenseits innegehaltenen Wohnung nach § 546 Abs. 1 BGB.
a) In Bezug auf die formelle Wirksamkeit der schriftlich i.S.v. § 568 Abs. 1 BGB erklärten ordentlichen Zahlungsverzugskündigung ist ohne Zweifel von einer hinreichenden Begründung nach § 573 Abs. 3 BGB auszugehen.
Zwar heißt es in der Kündigungserklärung vom 06.11.2020 lediglich, dass die Beklagte „zum wiederholten Male mit mehr als zwei Monatsmieten im Rückstand“ sei, ohne dass die beiden Monate – Oktober und November – konkret benannt werden. Der mit 2.256,53 € bezifferte Rückstand entspricht überdies nicht der Höhe zweier Monatsmieten (2 × 1.070,00 € = 2.140,00 €). Die Kündigung verweist jedoch explizit auf die der Kündigungserklärung beigefügte Anlage, in der zum einen die „Betriebskostenabrechnung 2019“ mit 116,53 € sowie die beiden „Sollmiete[n] 2020.10“ bzw. „[… 2020.11]“ in Höhe von jeweils 1.070,00 € angeführt sind.
Hierdurch waren die kündigungsgegenständlichen Mietrückstände präzise und gut nachvollziehbar dargelegt. Die Kündigung erfüllt daher auch die formellen Erfordernisse des § 573 Abs. 3 BGB.
b) Auch die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Zahlungsverzugskündigung vom 06.11.2020 ist vorliegend zu bejahen, § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Ein berechtigtes Interesse in Form schuldhafter nicht unerheblicher Pflichtverletzungen ist ersichtlich gegeben.
(1) Zunächst sind vorliegend nicht unerhebliche Pflichtverletzungen in Form eines Zahlungsverzugs zu bejahen.
Dabei braucht die Frage eines Verzugs mit der Nebenkostennachzahlung (hier betreffend das Abrechnungsjahr 2019 i.H.v. 116,53 €) nicht in den Blick genommen zu werden.
Denn die Rückstände hinsichtlich der beiden – vollen – Mieten Oktober und November 2020 rechtfertigen ohne Weiteres die Annahme von Pflichtverletzungen, die die Erheblichkeitsschwelle überschreiten und damit die ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 06.11.2020 tragen.
Hinsichtlich einer ordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs werden im Wesentlichen zwei Ansichten vertreten:
Nach einer Meinung sei das Tatbestandsmerkmal „nicht unerheblich“ unter Rückgriff auf die für die fristlose Kündigung geltende Vorschrift des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB auszulegen (MüKoBGB/Häublein § 573 Rn. 59). Nach der Gegenmeinung, die auch vom BGH vertreten wird, ist eine ordentliche Kündigung auch wegen geringerer Rückstände möglich, wobei meist ein Rückstand von mehr als einer Monatsmiete und eine Verzugsdauer von mindestens einem Monat gefordert wird (Staudinger/Rolfs BGB § 573 Rn. 47; Erman/Lützenkirchen BGB § 573 Rn. 24; BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159).
Nach beiden Auffassungen war die ordentliche Kündigung vorliegend wirksam. Die Nichtzahlung der jeweils vollen Miete in zwei aufeinanderfolgenden Monaten stellte ohne Weiteres eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar.
(2) An einem diesbezüglichen Verschulden der Beklagten besteht ebenfalls kein Zweifel. So vermochte die insoweit darlegungs- und beweisbelastete beklagte Partei keinerlei Umstände vorzubringen, die zur Annahme eines fehlenden Verschuldens führen könnten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.
Soweit die Beklagte meint, dass von einem Verschulden nicht ausgegangen werden könne, weil sie vom Zahlungsrückstand „keine Kenntnis“ gehabt habe, verfängt dies freilich nicht. Unbehelflich ist auch die Behauptung, dass die Rückstände in den Monaten Oktober und November 2020 dadurch zustande gekommen seien, dass der Zeuge … die Mietzahlungen vorübergehend nicht (mehr) habe erbringen können. Der frühere Partner der Beklagten und Vater der gemeinsamen Tochter sei nämlich, so die Beklagte in der Klageerwiderung, aufgrund coronabedingter Einkommenseinbußen und unvorhersehbarer hoher Kosten im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung des in Armenien lebenden Vaters des Zeugen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.
So kann es in den Augen der Kammer vorliegend nicht allein auf – angeblich unvorhersehbare – finanzielle Probleme des Zeugen ankommen. Die Beklagte blendet bei ihrer Argumentation augenscheinlich aus, dass sie selbst die alleinige Vertragspartnerin der Klägerin ist und es daher primär auf ihr eigenes Leistungsvermögen ankommt. Dass die Beklagte selbst im kündigungsgegenständlichen Zeitraum – zumal unvorhersehbare – wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt habe und daher ihre Miete nicht (mehr) habe begleichen können, trägt die Beklagte indes nicht vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte durchaus zu einer pünktlichen und vollumfänglichen Mietzahlung in der Lage gewesen wäre. Hierfür streitet auch, dass sie die Mietrückstände zeitnah auszugleichen vermochte und seither ihren Zahlungspflichten (nach § 546a BGB) nachkommt.
Die Beklagte übersieht aber auch, dass sie gerade in Ansehung der bereits im Januar und Februar 2020 aufgelaufenen Zahlungsrückstände in Höhe zweier voller Monatsmieten keineswegs mehr auf eine zuverlässige Mietzahlung seitens des Zeugen … hätte vertrauen dürfen. Unerheblich ist dabei im Ergebnis, ob die Zahlungen des Zeugen auf einer unverbindlichen Absprache oder auf einer verbindlichen Einigung beruhten. Denn die vorangegangene – und in durchaus engerem zeitlichen Zusammenhang mit den kündigungsgegenständlichen Rückständen (Oktober und November 2020) stehende – Unzuverlässigkeit des Zeugen im Januar und Februar 2020 hätte die Beklagte zwingend dazu veranlassen müssen, eigene Vorkehrungen für eine vertragsgemäße Mietzahlung zu treffen. Dies unterließ sie jedoch in pflichtwidriger Weise. Durch die Abkürzung des Zahlungswegs in Bezug auf die Unterhaltspflichten des Zeugen – unmittelbar an die Vermieterin und nicht an die Beklagte selbst – hat sich die Beklagte überdies der Möglichkeit einer regelmäßigen, zuverlässigen Überprüfbarkeit der Leistungen dieses Dritten begeben. Hätte die Beklagte ihren ehemaligen Partner dazu angehalten, die monatlichen Zahlungen unmittelbar an sie zu erbringen, hätte sie deren Eingang prüfen und (sodann) jeweils selbst die laufenden Zahlungen an die Klägerin leisten können.
Dabei kann dahinstehen, ob sich die Beklagte – unterstellt, ihr Sachvortrag in Bezug auf ein temporäres, nicht vorhersehbares Leistungsunvermögen des Zeugen … sei zutreffend – überhaupt dadurch erfolgreich exkulpieren könnte, dass sie bezüglich der monatlichen Zahlungen auf eine verbindliche Absprache mit einem Dritten verweist. Denn wenn dies – wie hier – im vorangegangenen Zeitraum nicht durchgehend zu einer zuverlässigen Begleichung ihrer laufenden Zahlungsverpflichtungen führte, ist der Beklagten zumindest eigene Fahrlässigkeit vorzuwerfen, § 276 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Ein Verschulden des Zeugen oder eines sonstigen Dritten, dessen sich die Beklagte bei der Erfüllung ihrer Zahlungspflichten nach § 535 Abs. 2 BGB bedient, wäre ihr jedenfalls nach § 278 BGB zuzurechnen.
Soweit die Beklagte meint, die Klägerin hätte sie vor Ausspruch der Kündigung abmahnen, sie zumindest aber auf die ausgebliebenen Zahlungen hinweisen müssen, kann dem ebenfalls nicht zugestimmt werden. Augenscheinlich verkennt die beklagte Partei dabei, dass es vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung grundsätzlich keiner Abmahnung bedarf. Auch einer Zahlungserinnerung – etwa nach Ausbleiben der Oktobermiete – hätte es hier keineswegs bedurft. Eine derartige vermieterseitige Fürsorgepflicht ist grundsätzlich weder dem Gesetz noch dem verfahrensgegenständlichen Mietvertrag zu entnehmen.
Im Übrigen ist explizit darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit E-Mail vom 12.02.2020 (Anlage K 8, Bl. 22 d. A) – seinerzeit mit Blick auf die offenen Mieten Januar und Februar 2020 – deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie sich vorbehalte, auf einen (fortbestehenden) Zahlungsverzug im Wege einer fristlosen Kündigung zu reagieren. Die vorgenannte E-Mail könnte in diesem Lichte auch als – qualifizierte – Abmahnung ausgelegt werden.
Mit Schreiben vom 14.07.2020 (Anlage K 9, Bl. 23 d.A.) hatte die Klägerin die Beklagte zudem – in Ansehung weiterer verspäteter Mietzahlungen bereits ab April 2020 – darauf hingewiesen, dass sie „nach wie vor“ ihrer „monatlichen Zahlungsverpflichtung verspätet nachkomme […]“ und damit ebenfalls klargestellt, dass sie von der Beklagten die – pünktliche – Erfüllung ihrer Hauptpflichten nach § 535 Abs. 2 BGB erwarte.
Die vorgenannten Schreiben führten jedoch insbesondere nicht dazu, dass die Beklagte in der Folgezeit die pünktliche und vollständige Zahlung der Mieten – namentlich durch eigene Zahlungen an die Klagepartei – dauerhaft sichergestellt hätte.
Soweit die Beklagte sich zeitweise dahingehend einließ, dass die Miete für den Januar 2020 zu spät überwiesen worden sei, weil zuvor die Kontonummer des Vermieterkontos geändert worden sei, geht dies gänzlich ins Leere. Denn zum einen war die Kontoänderung bereits mehrere Monate zuvor erfolgt (April 2019) und zudem vorab mitgeteilt worden. Zum anderen vermag diese Einlassung nicht ansatzweise die erneuten – kündigungsgegenständlichen – Rückstände im Oktober und November 2020 zu erklären. Ergänzend ist insoweit auf die Anlage 11 (Bl. 45 d.A.) zu verweisen; mit E-Mail vom 18.02.2020 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Kontoumstellung bereits im April 2019 vorgenommen worden sei, was drei Wochen vorher mitgeteilt worden sei, und die Mieten in der Folgezeit auch auf das neue Konto überwiesen worden seien.
Nach alledem kann auch am Verschulden der Beklagten kein Zweifel bestehen.
Es kann dabei auch dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt wahrheitsgemäß i.S.v. § 138 Abs. 1 ZPO vorgetragen hat, soweit sie mehrfach – insbesondere auch im Rahmen ihrer Parteianhörung – behauptet hat, dass der Zeuge … die Mietzahlungen „seit Jahren entrichtet […]“ habe (Bl. 17 R d.A.). Hieran bestehen in Anbetracht der detaillierten Auflistung der Klägerin im Schriftsatz vom 21.04.2021 (Bl. 20 f. d.A.) erhebliche Zweifel. Denn aus dieser geht hervor, dass die Überweisungen in den Jahren 2017, 2018 und 2019 eben nur teilweise über das Konto des Zeugen … vorgenommen wurden; im absoluten Schwerpunkt ist dort vielmehr als Kontoinhaber ein … bzw. sogar die Beklagte selbst („Eva Simonis“) angeführt.
3. Die Durchsetzung des auf der wirksamen ordentlichen Kündigung vom 06.11.2020 beruhenden Räumungs- und Herausgabeanspruchs stellt sich in der vorliegenden Konstellation nicht als rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 242 BGB dar.
In diesem Punkt widerspricht die erstgerichtliche Entscheidung der Rechtsauffassung der Kammer. Das angefochtene Urteil ist daher entsprechend abzuändern.
Nach Überzeugung der Kammer ist die Anwendung von § 242 BGB in diesem Zusammenhang auf Ausnahmefälle zu beschränken, da es ansonsten letztlich faktisch zu einer – mangels planwidriger Regelungslücke aus- und nachdrücklich abzulehnenden – analoge Anwendung des § 569 Abs. 3 BGB auf die ordentliche Zahlungsverzugskündigung kommen würde (zur Verneinung der Analogie siehe namentlich BGH NZM 2005, 334; NJW 2007, 428; NJW 2008, 508; WuM 2016, 682).
Zwar mag für die Beklagte sprechen, dass sie sich – erfolgreich – um den zeitnahen Ausgleich sämtlicher Mietrückstände bemüht hat. Auch kann ggf. die durchaus längere Dauer des Mietverhältnisses zu ihren Gunsten berücksichtigt werden.
Andererseits spricht maßgeblich gegen die Anwendung des § 242 BGB im konkreten Einzelfall, dass die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt mit insgesamt zwei vollen Monatsmieten im Rückstand war und somit sogar die Erheblichkeitsschwelle einer fristlosen Zahlungsverzugskündigung nach §§ 543 Abs. 2 Nr. 3 lit. a, 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB überschritten war. Ferner war die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt mit einem Betriebskostensaldo im Rückstand.
Von besonderem Gewicht ist hier zudem der zeitliche Zusammenhang mit weiteren erheblichen mietrechtlichen Pflichtverletzungen der Beklagten. So war es erst Anfang 2020 zu signifikanten Zahlungsverzögerungen gekommen, die ihrerseits eine fristlose Kündigung nach §§ 543 Abs. 2 Nr. 3 lit. a, 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB gerechtfertigt hätten. Selbst im Anschluss daran kam es noch zu weiteren Zahlungsverzögerungen (bereits ab April 2020).
Selbst die eine Kündigungsandrohung enthaltende E-Mail vom 12.02.2020 sowie das Schreiben vom 14.07.2020, mit welchem die Klägerin ausdrücklich die pünktliche künftige Mietzahlung angemahnt hatte, führten nicht dazu, dass die Beklagte in Bezug auf ihre Hauptleistungspflicht nach § 535 Abs. 2 BGB zu dauerhafter Vertragstreue (zurück)fand.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs scheidet zunächst – wie aufgezeigt – eine analoge Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf die ordentliche Zahlungsverzugskündigung aus. In seiner Rechtsprechung versuchte der BGH daher zeitweise, im Einzelfall bestehende Härten damit auszugleichen, dass er im Rahmen des Verschuldens eine nachträgliche Zahlung des Mieters zu dessen Gunsten berücksichtigte, weil diese ein etwaiges Fehlverhalten in einem „milderen Licht“ erscheinen ließe. Diese Rechtsprechung wurde indes – mit Recht – angegriffen, weil durch sie letztlich ein nachträgliches Ereignis zur Beurteilung der Wirksamkeit der bereits ausgesprochenen Kündigung herangezogen würde. In einer weiteren Entscheidung vom 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 vertrat der BGH sodann die Auffassung, eine nachträgliche Zahlung könne eher im Rahmen des § 242 BGB wegen Rechtsmissbrauchs berücksichtigt werden und begründete dies mit der Vergleichbarkeit der Interessenlage bei der Anbietpflicht. Auch diese Lösung – der sich das Erstgericht offenbar angeschlossen hat – überzeugt indes nicht, nachdem das Recht zur Kündigung aufgrund des bestehenden Zahlungsverzugs zweifellos ursprünglich nicht missbräuchlich ausgeübt wurde. Die Gesetzeslage ist insoweit unzweideutig. Der Gesetzgeber entschied sich, im Falle der Schonfristzahlung die Wirkung der außerordentlichen Kündigung entfallen zu lassen und dem Mieter immerhin die Schutzwirkung der gesetzlichen Räumungsfrist nach § 573c BGB zukommen zu lassen. Dies bedeutet freilich nicht, dass dem Vermieter auch das Recht zur ordentlichen Kündigung bzw. die Durchsetzung eines hierauf beruhenden Räumungs- und Herausgabeanspruchs genommen werden müsse. Immerhin ist hier, wie bei der verspäteten Mietzahlung, das Vertrauen des Vermieters in die Zahlungsfähigkeit und/oder Zahlungswilligkeit seines Mieters in nachvollziehbarer Weise erschüttert. Jedenfalls ist die genannte Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der rechtsmissbräuchlichen Ausübung auf Einzelfälle beschränkt (siehe hierzu bereits Urteil der Kammer vom 28.05.2014 – 14 S 28353/13).
Ein solcher Einzelfall liegt hier jedoch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls – wie aufgezeigt – ersichtlich nicht vor.
III.
Die Kostenfolge beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Ansehung des Jahresbetrags der Nettomiete für die – hier allein noch maßgebliche – Wohnung.
IV.
Der Beklagten ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Abwägung des vermieterseitigen Erlangungs- und des mieterseitigen Bestandsinteresses eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren, § 721 Abs. 1 ZPO.
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Mietrückstände derzeit ausgeglichen sind und die Beklagte bereits seit mehr als 16 Jahren in der verfahrensgegenständlichen Wohnung lebt. Mit ihr wohnt dort auch die 18-jährige Tochter der Beklagten.
Was die Beschaffung von Ersatzwohnraum angeht, ist zugunsten der Beklagten berücksichtigungsfähig, dass die Klage in erster Instanz abgewiesen worden ist und somit für die Beklagte bislang allenfalls eingeschränkt Veranlassung bestand, Bemühungen hinsichtlich der Suche nach Ersatzwohnraum an den Tag zu legen. Hinzu kommt der gerichtsbekannt überaus angespannte Mietmarkt in der Landeshauptstadt München und deren Umgebung.
Andererseits spricht in erheblichem Maße für das Erlangungsinteresse der Klägerin, dass die Beklagte im Jahr 2020 in erheblichem Maße pflichtwidriges Zahlungsverhalten an den Tag legte, das nicht nur Anlass für eine fristlose Kündigung im November 2020 gab, sondern darüber hinaus bereits im Februar 2020 eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs gerechtfertigt hätte. Die Erwartung des Erstgerichts, dass – zumal dauerhaft – keine weiteren Zahlungsunregelmäßigkeiten zu befürchten stünden, wird in Ansehung dieser Umstände seitens der Kammer nicht geteilt. Ein derart weitreichendes Vertrauen in die künftige Vertragstreue der Beklagten kann der Klägerin nicht abverlangt werden.
V.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Es liegt weder ein Abweichen von obergerichtlicher Rechtsprechung noch eine grundsätzliche Bedeutung der Sache vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.
VI.
Die Gewährung einer Schriftsatzfrist zugunsten der Beklagten ist vorliegend nicht veranlasst, zumal die Kammer die Entscheidung nicht auf neuen Sachvortrag der Klagepartei stützt. Entgegen der Meinung der Beklagten ist in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2021 keinerlei neues Tatsachenvorbringen der Klägerin erfolgt, zumal die Problematik der Änderung des Vermieterkontos bereits Gegenstand klägerseitigen Vorbringens war; auf „Anlage 11“ (Bl. 45 d.A.) wird insoweit hingewiesen.


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