Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Auswirkungen einer Kaufpreismanipulation durch den Verkäufer bei einer eBay-Auktion durch sog. „shill bidding“

Aktenzeichen  14 O 3411/19

Datum:
23.7.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18651
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 255 Abs. 1, § 259, § 287, § 756 Abs. 1
BGB § 138, § 145, § 156, § 242, § 275 Abs. 1, Abs. 2, § 280, § 281 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 4, § 433 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Gebote, die ein Verkäufer bei einer eBay-Auktion über ein Zweitkonto für von ihm selbst angebotene Ware abgibt (sog. shill bidding), sind unwirksam und für die Bestimmung des Kaufpreises unbeachtlich; das sonst höchste Gebot wird um den gültigen Bietschritt erhöht (vgl. BGH BeckRS 2016, 20899). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem Verkäufer, der auf diese Weise den Kaufpreis zu manipulieren versucht, kann eine Berufung auf treuwidriges Verhalten von Bietern verwehrt sein. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Erfüllung der Verpflichtungen des Verkäufers aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB wird nicht ohne weiteres dadurch unmöglich, dass er Besitz und Eigentum an der Kaufsache vertragswidrig auf einen Dritten übertragen hat. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das Fahrzeug Audi S 4 B 5 (Erstzulassung: 01.12.1998, Farbe: Imola-Gelb, Fahrzeugtyp: Kombi, Kraftstoff: Benzin, Kilometerstand: 194600, AU: 09.2018, HU: 09.2018, Leistung: 423 PS, manuelle Schaltung, elektrische Fensterheber, höhenverstellbares Lenkrad, Klimaautomatik, Ledersitze, Servolenkung, Sitzheizung, Zentralverriegelung, scheckheftgepflegt, Leichtmetallfelgen, Top-Soundsystem, LLK RS4, original RS4 K04 Lader, verstärkte Benzinpumpe, RS4 Düsen, sehr gut erhaltene Recaro-Ausstattung (manuell verschiebbar, elektrisch verstellbar) mit Sitzheizung, schwarzer Himmel, Zentralverriegelung, Xenon, Blaufaden-Carbon-Zierleisten) Zug um Zug gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 2.323,00 € zu übergeben und zu übereignen.
2. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Kaufpreiszahlung in Höhe von 2.323,00 € in Annahmeverzug befindet.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 729,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.10.2019 zu bezahlen.
4. Dem Beklagten wird zur Herausgabe des unter Ziff. 1. genannten Fahrzeuges eine Frist von 2 Wochen nach Rechtskraft des Urteils gesetzt.
5. Der Beklagte wird für den Fall, dass die unter Ziff. 4. gesetzte Frist fruchtlos abläuft und die Klägerin Schadensersatz verlangt, verurteilt, an die Klägerin 4.792,25 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.10.2019 zu bezahlen.
6. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.115,25 € festgesetzt.

Gründe

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 10.01.2020 und vom 15.01.2020 geben keinen Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.
Die zulässige Klage ist begründet.
Insbesondere ist der Antrag zu 5. unter der doppelten Bedingung des künftigen fruchtlosen Fristablaufs und des künftigen Schadensersatzverlangens mit der Verlagerung der Klärung des jeweiligen Bedingungseintritts in das Vollstreckungsverfahren zulässig, §§ 255 I, 259 ZPO, § 281 I 1, IV BGB (vgl. insgesamt hierzu BGH vom 09.11.2017, BGH IX ZR 305/16).
Der Klägerin steht der Anspruch auf Übergabe und Übereignung – Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung – aus Kaufvertrag zu, § 433 I 1 BGB.
Dabei richtet sich der Vertragsschluß nach den §§ 145 ff. BGB, nach den vereinbarten Regeln der eBay-AGB, nicht nach § 156 BGB.
Der Bundesgerichtshof hat sich in verschiedenen Entscheidungen sowohl mit dem Phänomen des „shill bidding“ als auch der „Abbruch-/Schnäppchenjägerei“ befasst, die Bezüge zu dem vorliegenden Fall haben.
Zum shill bidding, also Eigengeboten des Verkäufers über ein zweites Konto, hat der BGH mit Urteil vom 24.08.2016, Az. III ZR 100/15, entschieden, dass Vertragsangebote nur gegenüber einem, nicht gegenüber sich selbst erfolgen können. Dem höchsten Angebot des Käufers läßt sich nur der Inhalt entnehmen, dass dieser das sonst höchste – zulässige – Gebot überbieten wolle. Die Eigengebote des Verkäufers bleiben als unwirksam unbeachtet; das sonst höchste Gebot wird um den gültigen Bietschritt erhöht. Dabei liegt auch bei sehr niedrigem Preis keine Sittenwidrigkeit vor, da die Möglichkeit von „Schnäppchen“ gerade den Reiz der eBay-Auktionen darstellt.
Zur Abbruch-/Schnäppchenjägerei, also dem gezielten Suchen nach Angeboten ohne Mindestpreis, die von dem Anbieter vertragswidrig abgebrochen werden, und woraus der Bieter dann Schadensersatz begehrt, hat der BGH mit Urteil vom 22.05.2019, Az.: VIII ZR 182/17, unter Modifizierung früherer Rechtsprechung entschieden:
Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BGH, Urteil vom 12.11.2014 – VIII ZR 42/14; BGH, Urteil vom 27.04.1977 – IV ZR 143/76).
Für sich genommen ist es nicht zu beanstanden, dass ein Bieter sich als sogenannter Schnäppchenjäger betätigt, der bei Internetauktionen gezielt auf Waren bietet, die zu einem weit unter Marktwert liegenden Mindestgebot angeboten werden. Ebensowenig ist es missbilligenswert, wenn ein solcher Bieter sein Höchstgebot auf einen deutlich unter dem Marktwert der Ware liegenden Betrag begrenzt. Denn es macht gerade den Reiz einer solchen Internetauktion aus, dass der Bieter die Chance hat, den Auktionsgegenstand zu einem Schnäppchenpreis zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, durch den Mechanismus des Überbietens einen für ihn vorteilhaften Preis zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 28.03.2012 – VIII ZR 244/10 BGH, Urteil vom 12.11.2014 – VIII ZR 42/14). Im Übrigen ist es der Verkäufer, der in solchen Fällen von sich aus durch die Wahl eines niedrigen Startpreises unterhalb des Marktwerts ohne Einrichtung eines Mindestpreises das Risiko eines für ihn ungünstigen Auktionsverlaufs eingegangen ist (BGH, Urteil vom 12.11.2014 – VIII ZR 42/14). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn ein Bieter sich in einer Vielzahl von Fällen solche für den Verkäufer riskanten Auktionsangebote zunutze macht, um ein für ihn günstiges „Schnäppchen“ zu erzielen, weil allein die Quantität eines von der Rechtsordnung im Einzelfall gebilligten Vorgehens in der Regel nicht zu dessen Missbilligung führt.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Bieters bei Internetauktionen kommt dagegen dann in Betracht, wenn seine Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrages, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, er also den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben will, sondern auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (sogenannter Abbruchjäger).
Bei der Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internet-Plattform eBay, der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, können abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als „Abbruchjäger“ zulassen, nicht aufgestellt werden. Es hängt vielmehr von einer dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien einen solchen Schluss tragen
Im vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:
Der Beklagte hat unstreitig unter Verstoß gegen § 3 Nr. 3 eBay-AGB zur Preismanipulation Eigengebote unter seinem Zweitkonto abgegeben, mithin shill bidding betrieben.
Vorliegend hat die Klägerin nach der bestrittenen Behauptung des Beklagten gezielt shill-bidding-Angebote heraus gesucht, um hieraus Schadensersatzansprüche zu generieren.
Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin erkannt haben sollte, dass der Beklagte shill bidding betreibt und sie das zweite Konto diesem zugeordnet hat, was trotz der Namensähnlichkeit der Kontonamen angesichts der Vielzahl von eBay-Mitgliedsnamen nicht zwingend erscheint, oder ob sie nur ein günstiges Angebot nutzen wollte.
Die Klägerin hat aber gerade nicht nur Schadensersatz geltend gemacht, sondern gerade schon zeitnah nach der Auktion Erfüllung verlangt. Aus der Tatsache, dass die gerichtliche Geltendmachung erst deutlich später erfolgte lässt sich nicht entnehmen, dass etwa die Klägerin an einem Austausch Ware gegen Geld von vornherein kein Interesse gehabt hätte. Es wäre an dem Kläger gewesen, Gegenteiliges etwa durch sein Angebot der Leistung und eine etwaige Verweigerung des Leistungsaustausches durch die Klägerin zu ergründen.
Dem Kläger, der selbst vertragswidrig den Preis (erheblich) manipulierte, ist es verwehrt, sich auf ein treuwidriges Verhalten der Klägerin zu berufen, da letzteres hinter seinem eigenen Verstoß jedenfalls zurücktritt.
Es ist anzumerken, dass es dem Beklagten, sollte er tatsächlich vergessen haben, einen Mindestpreis anzugeben, freistand, fristgerecht sein Angebot anzufechten. Dies hat er gerade nicht getan, sondern bewusst den Weg in die Vertragswidrigkeit und die Übervorteilung aller Bietenden gewählt. Sollte dies die Klägerin erkannt und ausgenutzt haben, so ist der Beklagte jedenfalls nicht schutzwürdig.
Nach diesen Grundsätzen zustande gekommen ist der Kaufvertrag mit der Klägerin, da diese das nächstniedrigere korrekte, nämlich dritthöchste Gebot überboten hat, jedoch zu dem Preis des dritthöchsten Gebots von 2.313 € zuzüglich des eBay-Bietschrittes von 10 €, also 2.323 €.
Die Leistungspflicht zu 1. ist auch nicht ausgeschlossen: Übergabe und Übereignung sind dem Beklagten nicht unmöalich i.S.d. § 275 BGB. Das verkaufte Fahrzeug existiert noch, wurde jedoch bereits an verkauft und übereignet. Von dieser Übereignung hat sich das Gericht bereits aurgruna der glaubhaften und spontanen Angaben des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung überzeugt sie wird durch den von dem Beklagten mit Schriftsatz 07.01.2020 vorgelegten Kaufvertrag bestätigt. Der Beklagte hat trotz diesbezüglicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung nichts dafür vorgetragen, dass ihm ein Rückkauf des Fahrzeugs, auch zu einem höheren Preis, nicht möglich sei oder sonst Unvermögen vorliegt, § 275 I BGB. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung geäußert, dass er keinerlei Bemühungen zum Rückkauf unternommen habe. Auch unverhältnismäßige Aufwendungen zur Wiederbeschaffung i.S.d. § 275 II BGB sind nicht vorgetragen. (zu allem: Palandt/Grüneberg, BGB, 76 Aufl., § 275 Rz. 23 m.Nw.).
Der Annahmeverzug des Beklagten gemäß § 298 BGB ist festzustellen, § 756 Abs. 1 ZPO.
Der Schadensersatzanspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280, 286 BGB.
Die Fristsetzung zu 4. ergibt sich aus § 255 ZPO, §§ 280, 281 BGB.
Die – bedingte – Verurteilung zum Schadensersatz zu 5. folgt aus § 281 I 3, IV BGB, §§ 259, 287 ZPO. Die Höhe des Schadensersatzes hat das Gericht aufgrund der Zustandsbeschreibung des Fahrzeugs bei der Auktion und der üblichen Marktpreise geschätzt, ohne dass auf es vom Beklagten behauptete spätere wertsteigernde Maßnahmen vor dem Weiterverkauf ankommt.
Kosten: § 91 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.


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