Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Beendigung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken

Aktenzeichen  M 9 K 19.2198

Datum:
12.2.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5094
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 3 Abs. 1 S. 2
BayVwZVG Art. 21a S. 1
BayVwVfG Art. 26 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
1. Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 1 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) wurde fortgesetzt verwirklicht. Dies ist ausreichend belegt und durch die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen der Klägerin auch bestätigt worden. Das entsprechende Vorgehen der Beklagten, den Nachweis des Tatbestands der Fremdenbeherbergung durch Ortseinsichten mit dokumentierten Beobachtungen und Ermittlungen zu führen ist nach ständiger Rechtsprechung nicht zu beanstanden (statt aller: VG München U. v. 13.3.2019 – M 9 K 18.4612). Die Mitarbeiter der Beklagten haben insoweit ein Betretungsrecht gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 ZwEWG, § 12 Abs. 1 Satz 1 ZEG. Ausweislich der Ortseinsicht vom 8. März 2019, die zeitnah vor der Fälligkeitsmitteilung erfolgte und bestätigt durch die Ortseinsicht vom 17. Januar 2020 und die Angaben der Klägerin zum Mieter Chedili … wurde die hier verfahrensgegenständliche Wohnung zu einem Pauschalpreis an Personen vermietet, die sich alle nur vorübergehend dort aufgehalten haben.
a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Fälligkeit des angedrohten Zwangsgelds ist der Zeitpunkt des Ablaufs der im Bescheid vom 9. Oktober 2018 gesetzten Frist von vier Wochen. Unerheblich sind die von der Klägerseite nachträglich gemachten Angaben und nach Bescheiderlass im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen (BayVGH, B.v. 2.12.2019 – 9 ZB 19.999). Da die Klägerin ihrer verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht nach Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG über den Nachweis der Beendigung der kurzfristigen Vermietung zu Fremdenverkehrszwecken nicht innerhalb der Vierwochenfrist nachgekommen ist kommt es nicht darauf an, ob die Klägerseite, wie im Klageverfahren geschehen, nachträglich Angaben gemacht hat, aus denen sich durch die Vermietung an eine Familie unter Umständen eine Beendigung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken ergeben könnte.
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit, überprüft durch die Ortsansicht vom 8. März 2019, hat die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mieterin weiter das Nutzungskonzept eines Boardinghauses verfolgt. Die verfahrensgegenständliche Wohnung wurde nicht zu Wohnzwecken sondern nur vorübergehend als flexible, unkomplizierte Unterkunft als Ersatz für ein Hotel o.ä. genutzt. Die Beklagte hat den nachträglich vorgelegten unbefristeten Mietverträgen und Mietaufhebungsvereinbarungen angesichts dessen, dass die Nutzer der Wohnung sich nur vorübergehend für eine bestimmte Zeitdauer in München aufhielten, zurecht keine Bedeutung beigemessen und unwiderlegt die Vermutung geäußert, dass es sich um Scheinmietverträge gehandelt hat. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es für den Betrieb eines Boardinghauses als Beherbergungsbetrieb unerheblich ist, ob sich dort Medizintouristen mit Kurzzeitvisa oder andere Personen kurzzeitig aufhalten.
b) Der Begriff des Boardinghauses im Zweckentfremdungsrecht ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt und muss sowohl von einer Nutzung als Wohnheim als auch im vorliegenden Fall von einer Wohnnutzung auf Zeit im Gegensatz zu einem Beherbergungsbetrieb abgegrenzt werden. In allen Fällen ist typisch, dass die Wohnnutzung durch den Benutzerkreis im Ergebnis zeitlich begrenzt ist.
Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes vorliegt. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines bestimmten Zwecks, aber nur einem vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 12 CS 16.969; VG München, U.v. 15.11.2017 – M 9 K 17.557). Maßgeblich ist im Falle einer Fremdenbeherbergung grundsätzlich der vorübergehende Aufenthalt und der Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einen begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben.
Schwierig ist die Abgrenzung, wenn wie hier keine fremdenverkehrstypischen Serviceleistungen angeboten werden und die vollständig eingerichtete Unterkunft länger genutzt wird, ohne dass der Lebensmittelpunkt des Bewohners dorthin verlagert wird.
Ausschlaggebend ist deshalb für die Abgrenzung einer Wohnnutzung von einem Boardinghouse als gewerblicher Fremdenverkehrsbetrieb nicht die (theoretische) Möglichkeit einer uneingeschränkten eigenen Haushaltsführung in Abgrenzung zu einer Unterkunft mit fremdenverkehrstypischen Dienstleistungen, wie sie in Hotels oder Pensionen angeboten werden. Die dazu vorliegende baurechtliche Rechtsprechung zur Einstufung eines Boardinghauses je nach Schwerpunkt der Nutzung und Einrichtung als Wohnen oder als Beherbergungsbetrieb/Ferienhaus (z.B. VGH Mannheim, B.v. 17.1.2017 – 8 F 16.41/16) kann für das Zweckentfremdungsrecht nicht übernommen werden (VG München, U.v. 15.11.2017 – M 9 K 17.557). Wenn wie hier eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Kochecke etc. objektiv dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten könnten, kommt es deshalb maßgeblich auf das zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters und sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt.
c) Die Länge des Aufenthalts kann dafür als Indiz berücksichtigt werden (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 12). Dabei muss aber nach Ansicht der Kammer bereits das Nutzungskonzept erkennbar und nachprüfbar auf eine längere Aufenthaltsdauer ausgelegt sein und diese auch sicherstellen. Vorliegend ist schon aufgrund des Gewerbemietvertrages zwischen der Klägerin und der A. GmbH ein starkes Indiz dafür vorhanden, dass immer nur eine kurzfristige Fremdenbeherbergung beabsichtigt ist. Denn nach dem Vertrag verpflichtet sich die A. GmbH, den Mietgegenstand zu 95% zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zu verwenden. Langfristige Vermietungen zu Wohnzwecken sind allerdings umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst a) UStG. Nicht befreit ist nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Die zeitliche Grenze zwischen kurzfristiger und langfristiger Vermietung wird nach der steuerrechtlichen Rechtsprechung bei sechs Monaten gezogen (BFH, U.v. 27.10.1993 – XI R 69/90 – juris Rn. 13). Dabei ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung entscheidend, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters (BFH, B.v. 23.9 2014 – V B 37/14 – juris Rn. 7). Nach dem Gewerbemietvertrag zwischen der Klägerin und der A. GmbH liegt es damit nahe, dass auch bezüglich der verfahrensgegenständlichen Wohnung nur Mietverhältnisse unter sechs Monaten angestrebt wurden. Bei einer derartigen vertraglichen Gestaltung und bei Übernahme der zeitlichen Grenze von sechs Monaten für die Zweckentfremdung (VG München; U.v. 29.7.2015 – M 9 K 14.5596 – juris), kann ein Boardinghouse keine Wohnnutzung darstellen.
Im vorliegenden Fall ist daher weiterhin von einem Boardinghouse und nicht von einer u.U. zeitlich befristeten Wohnnutzung auszugehen. Die Klägerin bietet nach ihrer eigenen Einlassung, nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der Ortseinsichten durch die Beklagte, eine flexible, vorübergehende Unterkunft zum vorübergehenden Aufenthalt an und keine Wohnung im Sinne einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit als Lebensmittelpunkt. Die Vermietung durch die A. GmbH erfolgte ausweislich des Mietvertrags mit der Klägerin als Gewerbemiete mit dem Nutzungszweck, die Einheiten als möblierten Wohnraum unter Einhaltung der gerichtlichen Vereinbarung unter zu vermieten. Die Untervermietung selbst erfolgte an Personen, die sich befristet und zu einem bestimmten Zweck vorübergehend im Bundesgebiet bzw. in M. aufhielten und die ihre Unterkunft dementsprechend für einen begrenzten Zeitraum flexibel nutzten. Zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Zwangsgelds erfolgte die Vermietung der Wohneinheit insgesamt so, dass keine auf Dauer angelegte Häuslichkeit im Sinne einer Heimstatt im Alltag erkennbar war.
Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt hatte die Beklagte keine anderen Erkenntnisse. Ungeachtet dessen, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ihr Nutzungskonzept eines Boardinghauses nicht aufgegeben hat und in Zukunft ein solches weiter betreiben will, hat sie der Beklagten trotz ihrer Mitwirkungspflichten nach Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG auch keine Nachweise für eine Änderung des Nutzungskonzepts vorgelegt; die Familie … wohnt ausweislich des Mietvertrags seit 1. August 2019 in der Wohnung und will diese nach ihren glaubwürdigen Angaben am 17. Januar 2020 aus Kostengründen nicht auf Dauer behalten; Herr … hat erst seit dem 12. September 2019 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug.
2. Die Anfechtungsklage gegen die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 Euro durch Bescheid vom 1.April 2019, Ziff. II, ist unbegründet.
Der Bescheid über die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 Euro war rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor, Art. 18 ff. Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Der Bescheid über die Untersagung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken vom 9. Oktober 2018 ist in Ziff. I auf ein Unterlassen gerichtet, Art. 18 Abs. 1 VwZVG. Die sofortige Vollziehbarkeit ergibt sich als Art. 3 Abs. 3 Zweckentfremdungsgesetz (ZwEWG); die aufschiebende Wirkung der Klage dagegen wurde nicht angeordnet und die Klage abgewiesen.
Die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor, Art. 31, 36 VwZVG. Das Zwangsgeld wurde in bestimmter Höhe angedroht, Art. 36 Abs. 5 VwZVG und der Betrag von 20.000,00 Euro hält den Rahmen des Art. 31 Abs. 2 S. 1 VwZVG ein, da es angemessen ist, bei einer erneuten Zwangsgeldandrohung den Betrag zu erhöhen. Mit der erneuten Androhung wurde zugewartet, bis feststand, dass die vorausgegangene Androhung erfolglos geblieben war, Art. 36 Abs. 6 S.2 VwZVG. Dabei bedeutet erfolglos in diesem Zusammenhang nur, dass die Behörde abzuwarten hat, bis das zunächst angedrohte Zwangsgeld fällig geworden und die frühere Androhung ohne Erfolg geblieben ist (VG München, B.v. 9.5.2019 – M 9 S 18.5843 mit weiteren Nachweisen). Das ist immer dann der Fall, wenn der Grundverfügung – hier der Nutzungsuntersagung – nicht fristgerecht nachgekommen wurde. Keinesfalls ist erforderlich, dass das zunächst angedrohte Zwangsgeld auch beigetrieben wurde.
Soweit die Bevollmächtigten der Klägerin vortragen, diese habe ihre Verpflichtung aus dem Bescheid vom 9. Oktober 2018 befolgt, trifft dies nicht zu. Die vorübergehende Unterbringung von Personen zu einem zweckgebundenen, kurzfristigen Aufenthalt ist keine Aufgabe des Nutzungskonzepts eines Boardinghauses. Weder soll der Boardinghausbetrieb beendet werden, noch findet in der verfahrensgegenständlichen Wohneinheit eine dauerhafte Wohnnutzung statt, wenn wie hier die Vermietung im Rahmen eines Gewerbemietvertrags über eine Boardinghausnutzung nur im Hinblick auf den offenen Rechtsstreit und die Zwangsgeldforderungen erfolgt. Die Familie … ist außerdem erst einige Monate nach Bescheiderlass eingezogen.
Nach alledem ist die Klägerin nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und dem Vortrag der Beteiligten sowie nach Aktenlage ihrer Verpflichtung zur Beendigung der Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken nicht nachgekommen. Damit blieb die Androhung im Grundbescheid erfolglos und ein erneutes Zwangsgeld durfte angedroht werden. Die Höhe des Zwangsgelds entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin, Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m §§ 708 f. ZPO.


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