Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Befangenheit wegen Verdacht der Abnötigung eines Prozessvergleichs

Aktenzeichen  11 O 234/17 Rae

Datum:
1.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45551
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 41 Nr. 6

 

Leitsatz

Es entspricht es der üblichen und auch gesetzeskonformen Praxis eines jeden ordentlich arbeitenden Zivilgerichts, die Parteien auf die Möglichkeiten und Risiken des geführten Rechtsstreits hinzuweisen und insbesondere stets auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. In diesem Rahmen ist es schon dem Gebot einer transparenten Verfahrensführung und der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen geschuldet, dass das Gericht auf den seiner Meinung nach einzuschlagenden Verfahrensgang und die seiner Auffassung nach erforderliche Beweisaufnahme zu sprechen kommt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Ablehnungsgesuche des Beklagtenvertreters vom 12.11.2017 und vom 12.01.2018 betreffend Frau PräsLG … wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.
1. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Steuerberatervergütung in Höhe von 1.285,80 € nebst Zinsen und Nebenforderungen in Anspruch. Widerklagend verlangen die Beklagten von der Klägerin Zahlung in Höhe von 5.495,11 € nebst Zinsen als Ersatz für einen Schaden, der ihnen aufgrund fehlerhafter Beratung durch die Klägerin entstanden sei.
Im Termin vor der 1. Zivilkammer des Landgericht Ingolstadt vom 19.05.2017, den Frau PräsLG Dworazik als Kammervorsitzende geleitet hat, haben die Parteien einen Vergleich zur Erledigung des gesamten Rechtsstreits abgeschlossen (Bl. 67 d.A.), aus dem sich ein Obsiegen der vom Petenten vertretenen Partei von 70/100 nebst entsprechender Kostenquote ergibt. Der Vergleich ist von Seiten der Beklagten unwiderruflich abgeschlossen worden, während sich die Klagepartei die Möglichkeit des Widerrufs vorbehalten, davon dann aber keinen Gebrauch gemacht hat.
Durch eine Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Ingolstadt mit Wirkung zum 01.07.2017 wegen der Beförderung des Kammermitglieds RiLG Kugler zum Vorsitzenden Richter am Landgericht ist Frau RiLG Meyer für den Kollegen Kugler in die Kammer nachgerückt. Der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan weist Frau RiLG Linz-Höhne hinsichtlich der Zuständigkeit für Anwaltshaftungssachen nur Vertretungsaufgaben zu.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2017 (Bl. 81 d.A.) hat der Beklagtenvertreter den Vergleich vom 19.05.2017 mit der Begründung widerrufen, dass dieser nur durch widerrechtliche Drohungen seitens der Vorsitzenden PräsLG Dworazik mit hohen Sachverständigenkosten im Falle streitiger Erledigung des Rechtsstreits zu Stande gekommen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten zu diesem Vorbringen verweist die Kammer auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 19.09.2017.
Die Kammer hat daraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12.12.2017 bestimmt und die Parteien dazu geladen. Den Vorsitz sollte entsprechend der Geschäftsverteilung Frau PräsLG Dworazik führen. Als Beisitzer waren nach einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung der Geschäftsverteilung des Landgerichts Ingolstadt RiLG Meyer und RiLG Sokoll vorgesehen. Unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter ein vom 12.11.2017 datierendes Ablehnungsgesuch betreffend Frau PräsLG Dworazik angebracht (Bl. 99 d.A.). Darin macht der Beklagtenvertreter geltend, dass Frau PräsLG Dworazik bereits von Gesetzes wegen in analoger Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO ausgeschlossen sei, hilfsweise aber wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werde, da eine Entscheidung über den Fortbestand des Vergleichs gleichzeitig eine Beurteilung des eigenen Verhaltens der angelehnten Richterin beinhalte. Sein Vorbringen hinsichtlich der geltend gemachten widerrechtlichen Drohung durch Frau PräsLG Dworazik hat der Beklagtenvertreter unter dem 04.01.2017 (Bl. 106 d.A.) anwaltlich versichert.
Nachdem der Beklagtenvertreter erkannt hatte, dass der Termin vom 12.12.2017 mit anderen Beisitzern als am 19.05.2017 hätte stattfinden sollen, hat er unter dem 12.01.2018 (eingegangen am 15.01.2018) ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen Frau PräsLG Dworazik angebracht (Bl. 108 d.A.), worin er den Vorwurf erhebt, die Mitglieder der 1. Zivilkammer seien von der abgelehnten Richterin willkürlich ausgetauscht worden, die damit die Entscheidung über die Wirksamkeit des Vergleichs vom 19.05.2017 in ihrem Sinne habe beeinflussen wollen. Auch hierzu hat der Beklagtenvertreter eine anwaltliche Versicherung hereingereicht (Bl. 111a d.A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten zu den geltend gemachten Ablehnungsgründen verweist die Kammer auf die Ablehnungsgesuche vom 12.11.2017 und vom 12.01.2018.
Die Kammer hat der Klagepartei Gelegenheit zur Stellungnahme zum Vorbringen des Beklagtenvertreters gegeben und dienstliche Stellungnahmen von Frau PräsLG Dworazik (Bl. 102 und Bl. 112 d.A.), von Frau RiLG Linz-Höhne (Bl. 104 d.A.) und von Herrn VRiLG Kugler (Bl. 115 d.A.), die am Termin vom 19.05.2017 als Beisitzer teilgenommen hatten, sowie von den aktuellen Beisitzern Ri’inLG Meyer (Bl. 113 d.A.) und RiLG Sokoll (Bl. 114) eingeholt und an die Parteien mit der Gelegenheit zur Stellungnahme hinausgegeben. Darüber hinaus hat die Kammer die einschlägigen Geschäftsverteilungspläne an die Parteien übersandt und auf das darüber hinaus bestehende Einsichtsrecht hingewiesen (Bl. 117 d.A.).
In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 14.12.2017 (Bl. 102 d.A.) verweist Frau PräsLG Dworazik darauf, dass im Termin vom 19.05.2017 eine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden habe, wozu auch Hinweise der Kammer erfolgt seien. Daraufhin hätten die Parteien den Vergleich geschlossen. Im Übrigen sei die Kammer stets entsprechend dem jeweils gültigen Geschäftsverteilungsplan besetzt gewesen (Bl. 112 d.A.).
Die damaligen Beisitzer Ri’inLG Linz-Höhne und VRiLG Kugler haben sich jeweils dahingehend geäußert, dass im Termin vom 19.05.2017 ausführliche Erörterungen dem Vergleichsschluss vorangegangen seien, bei denen auch der nach Ansicht der Kammer abzusehende weitere Verfahrensgang, hier die Erholung eines Sachverständigengutachtens mit entsprechenden Kosten, thematisiert worden sei. Es sei jedoch von keinem Kammermitglied durch Drohungen oder dergleichen Druck auf die Parteien ausgeübt worden. Entsprechend hatte sich auch bereits die Klägervertreterin im Schriftsatz vom 28.09.2017 (Bl. 90 d.A.) geäußert.
2. In einem weiteren vor dem Landgericht Ingolstadt in zweiter Instanz anhängigen Verfahren (11 S 711/17) vertritt sich der Petent als Beklagter selbst. Im Nachgang zum Verhandlungstermin vom 13.10.2017 lehnte der Petent Frau PräsLG Dworazik, die den Termin als Einzelrichterin geleitet hatte, wegen der Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies damit, dass sich Frau PräsLG Dworazik offen geweigert habe, den dortigen Fall der geboten rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Darüber hinaus warf er ihr die Manipulation des Sitzungsprotokolls mit dem Zweck vor, sein Ablehnungsgesuch als unzulässig erscheinen zu lassen. Die genannten Ablehnungsgesuche wurden mit Beschluss von heutigen Tage ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen.
II.
Die Ablehnungsgesuche vom 12.11.2017 und vom 12.01.2018 sind zulässig aber unbegründet:
1. Ein Fall des § 41 Nr. 6 ZPO liegt nicht vor, da es nicht um die Mitwirkung von Frau PräsLG Dworazik an einer Entscheidung in einem früheren Rechtszug geht. Für eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO ist angesichts des Verfassungsranges des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kein Raum. 2.
Soweit der Beklagtenvertreter sich darauf beruft, dass Frau PräsLG Dworazik, würde sie an der Entscheidung über die wirksame Prozessbeendigung durch den Vergleich vom 19.05.2017 mitwirken, gleichsam in eigener Sache entscheiden würde, ist dem zunächst zuzugeben, dass sich aus der Vorbefassung eines Richters in bestimmten Konstellationen durchaus ein Ablehnungsgrund gemäß § 42 ZPO ergeben kann, vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 42 ZPO, Rn 17.
Insoweit ist vorliegend zu unterscheiden zwischen der Frage, ob ein Richter, der den Prozessparteien tatsächlich mit unlauteren Mitteln einen Prozessvergleich abgenötigt hat, Anlass dazu gibt, an seiner Unbefangenheit bei der Fortsetzung des Verfahrens zu zweifeln, und der Frage, ob bereits der Vorwurf solchen Verhaltens eine Ablehnung rechtfertigt.
a) Im ersten Fall hätte die Kammer keine Bedenken, einem Ablehnungsgesuch stattzugeben, sofern das beanstandete Verhalten des abgelehnten Richters glaubhaft gemacht wird, § 44 Abs. 2 ZPO. Vorliegend kann von einer Glaubhaftmachung der behaupteten widerrechtlichen Drohung durch Frau PräsLG Dworazik als Ursache des Vergleichsschlusses aber keine Rede sein: Sowohl die Klagepartei als auch die beiden vormaligen Beisitzer haben sich einhellig dahingehend geäußert, dass im Termin vom 19.05.2017 weder seitens der Vorsitzenden noch überhaupt durch die Kammer in irgendeiner Weise Druck ausgeübt worden sei. Dies erscheint umso bemerkenswerter, als der Beklagtenvertreter offensichtlich keinerlei Vorbehalte gegen die Beisitzer aus dem Termin vom 19.05.2017 hat und sogar schriftsätzlich gefordert hat (Bl. 111 d.A.), die Richterbank wieder mit den ursprünglichen Beisitzern zu besetzen.
Im Übrigen entspricht es der üblichen und auch gesetzeskonformen Praxis eines jeden ordentlich arbeitenden Zivilgerichts, die Parteien auf die Möglichkeiten und Risiken des geführten Rechtsstreits hinzuweisen und insbesondere stets auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. In diesem Rahmen ist es schon dem Gebot einer transparenten Verfahrensführung und der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen geschuldet, dass das Gericht auf den seiner Meinung nach einzuschlagenden Verfahrensgang und die seiner Auffassung nach erforderliche Beweisaufnahme zu sprechen kommt. Umgekehrt wäre es dem Beklagtenvertreter ohne weiteres offengestanden, seine abweichende Meinung zum anstehenden Verfahrensgang nicht nur zu äußern, sondern auch auf die Aufnahme dieser geäußerten Meinung in das Sitzungsprotokoll hinzuwirken. Jedenfalls aber hätte der Beklagtenvertreter die Möglichkeit gehabt, auch für seine Seite eine Widerrufsfrist auszubedingen, wenn er sich schon nicht in der Lage gesehen hat, dem vermeintlichen Druck der Kammer unmittelbar standzuhalten – zumal im vorliegenden Fall diese Möglichkeit sogar von der Klagepartei vorexerziert worden ist. Unterstellt man den Beklagtenvertreter als einen Anwalt, der selbstverständlich in der Lage ist, die Interessen seiner Mandanten auch unter widrigen Bedingungen adäquat zu vertreten, ist bereits der Abschluss des Vergleichs (und seine immerhin vier Monate später erfolgte Anfechtung) unter den nun behaupteten Umständen nicht nachvollziehbar.
b) Dabei verbleibt es bei dem bloßen Vorwurf der widerrechtlichen Drohung. Im Hinblick auf das Grundrecht des gesetzlichen Richters, das auch für die Gegenpartei gilt, kann sich ein Ablehnungsrecht aber nicht aus einer bloßen Behauptung bedenklichen Verhaltens ergeben, da ansonsten das Prinzip des gesetzlichen Richters vollständig der Willkür der Parteien ausgeliefert wäre. Aus diesem Grunde sieht das Gesetz im Ablehnungsverfahren gemäß den §§ 41 ff. ZPO die Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes vor.
c) Nichts anderes gilt auch im vorliegenden Fall, wenn nach den mitgeteilten Erwägungen die abgelehnte Richterin an der Entscheidung über den Bestand des Vergleichs mitwirken würde, auf dessen Abschluss sie widerrechtlich hingewirkt haben soll:
Im Ablehnungsverfahren ist ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters darüber zu entscheiden, ob die tatsächliche Behauptung, aus der sich der Vorwurf gegen den Richter ergibt, glaubhaft ist oder nicht. Ist sie es nicht, steht der weiteren Mitwirkung des abgelehnten Richters nichts entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn damit im Ablehnungsverfahren incidenter auch der Verfahrensausgang vorgeprägt wird. Umgekehrt erreicht der Petent auf diese Weise nämlich auch bereits im Ablehnungsverfahren das, was er in der Sache selbst anstrebt: nämlich die unabhängige Überprüfung des von ihm erhobenen Vorwurfs ohne Beteiligung des abgelehnten Richters.
3. Der Vorwurf der Manipulation der Besetzung der Richterbank ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
Wie sich aus den einschlägigen Geschäftsverteilungsplänen eindeutig ergibt, besteht zwischen den hier gegenständlichen Vorwürfen und der Geschäftsverteilung sowohl des Landgerichts Ingolstadt als auch der hiesigen 1. Zivilkammer keinerlei Zusammenhang.
4. Der Berufungskläger hat sein Vorbringen gegen Frau PräsLG Dworazik aus dem Verfahren 11 S 711/17 nicht ausdrücklich zum Gegenstand der hier zu verbescheidenden Ablehnungsgesuche gemacht, so dass die Kammer davon absieht, ihre dort angestellten Erwägungen auch hier mitzuteilen.


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