Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Berufung, Revision, Wohnhaus, Zustellung, Einspruch, Einspruchsfrist, Herausgabe, Frist, Wohnung, Vollmacht, Berufungsverfahren, Hauptsache, Klage, Entscheidungsdatum, Kosten des Berufungsverfahrens, Recht zum Besitz, Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  12 S 4160/18

Datum:
1.9.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49928
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

7 C 409/17 2018-08-28 AGGARMISCHPARTENKIRCHEN AG Garmisch-Partenkirchen

Tenor

1. Das Versäumnisurteil der Kammer vom 18.02.2020 bleibt aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

1.
Einspruch gegen das Versäumnisurteil der Kammer vom 18.02.2020:
Der Einspruch der Beklagten vom 28.02.2020 ist zulässig. Er erfolgte form- und fristgerecht. Er hat die Wirkung des § 342 ZPO.
Dass die Einspruchseinlegung durch die Nebenintervenientin vom 21.02.2020 mangels Postulationsfähigkeit ihres Geschäftsführers nach § 78 Abs. 1 ZPO als Prozesshandlung unwirksam ist, ist deswegen unerheblich.
2.
Zulässigkeit der Berufung der Beklagten:
Die Berufungsfrist des § 517 ZPO von einem Monat ist gewahrt. Die Frist beginnt mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Eine wirksame Zustellung des Urteils hat erst am 27.12.2018 an die Beklagte stattgefunden. Die Zustellung durch Hauptgerichtsvollzieher Lohr am 13.12.2018 war unwirksam. Die Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung an Ch. H. als Vertreter der Beklagten am 27.12.2018 nach § 173 ZPO i.V.m. § 171 S. 2 ZPO liegen vor. Insbesondere hat Ch. H. eine schriftliche Vollmacht der Beklagten, die ihn zum Empfang von Zustellungen ermächtigt, vorgelegt. Dies ist vom zuständigen Justizwachtmeister auch auf der Zustellungsurkunde festgehalten worden. Auch die Berufungsbegründungsfrist ist durch den Schriftsatz vom 28.01.2019 zweifellos eingehalten.
3.
Begründetheit der Berufung der Beklagten:
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Versäumnisurteil der Kammer war nach § 343 S. 1 ZPO aufrechtzuerhalten, da die Entscheidung aufgrund der neuen Verhandlung mit der des Versäumnisurteils der Kammer übereinstimmt.
Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1 i.V.m. § 546 ZPO) oder die Tatsachenfeststellung unrichtig ist (§ 513 Abs. 1 Fall 2 i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder neue berücksichtigungsfähige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 Abs. 1 Fall 2 i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO).
Dabei hat eine Berufung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine Abänderung des Ersturteils zugunsten des Berufungsführers zu erwarten ist, was nur bei einem durchgreifenden Fehler des Ersturteils zu bejahen ist. Entsprechende Rechtsfehler, auf denen das Urteil beruht, kann die Berufung nicht aufzeigen.
3.1.
Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen vom 27.03.2018 war statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Einspruchsfrist ist in jedem Fall eingehalten, unabhängig von der Frage, ob die Zustellung an die Beklagte am 05.04.2018 wirksam war. Denn der Einspruch der Beklagten ging am 18.04.2018 und damit jedenfalls innerhalb der Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO beim Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen ein. Der Einspruch hatte die Wirkung des § 342 ZPO.
3.2.
Die Klage der Kläger ist zulässig.
Insbesondere fehlt der Klage nicht deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie in Bezug auf die Beklagte eine Titelumschreibung nach § 727 ZPO erreichen könnten. Dies ist nämlich nicht der Fall. Die Voraussetzungen des § 727 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Die Beklagte ist nicht Rechtsnachfolgerin nach dem ehemaligen Eigentümer Ch. H.. Hierfür fehlen Anhaltspunkte. Insoweit hat die Beklagte auch nichts vorgebracht. Sie ist auch keine Besitzerin der in Streit befangenen Sache, gegen die das Urteil nach § 325 ZPO wirksam ist. Die Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Die Beklagte ist nach Eintritt der Rechtshängigkeit nicht Rechtsnachfolgerin nach Ch. H. geworden. Sie ist auch nicht Besitzerin in einer Art und Weise, dass Ch. H. mittelbarer Besitzer geworden wäre. Hierfür fehlen Anhaltspunkte. Insbesondere fehlt ein unmittelbares Besitzmittlungsverhältnis zwischen der Beklagten und Ch. H..
Auch eine von der Beklagten behauptete Möglichkeit der „Klauselerweiterung“ nach § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG kommt nicht in Betracht. Denn nach § 93 Abs. 1 S. 2 ZVG soll die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss gegen den Besitzer dann nicht erfolgen, wenn dieser aufgrund eines Rechts besitzt, das durch den Zuschlag nicht erloschen ist. Gerade darauf beruft sich aber die Beklagte. In einem derartigen Fall steht dem Ersteher nur die Möglichkeit der Kündigung nach §§ 57 a S. 1 und S. 2, 57 ZVG zur Verfügung, von der vorliegend nicht Gebrauch gemacht wurde. Deswegen muss der Ersteher Klage gegen den Besitzer erheben.
Die Klage ist auch nicht deswegen unzulässig, weil, wie die Beklagte meint, sie „nicht Partei“ sei. Wer Partei ist, bestimmt der Kläger. Die Beklagte ist die Person, die die Kläger als Beklagte bezeichnet haben. Die Beklagte ist daher Partei und gerade keine „Nichtpartei“.
3.3.
Die Klage ist begründet.
Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe aufgrund ihres Eigentums an dem Grundstück nach §§ 985, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Materiellrechtliche Fehler des Ersturteils liegen im Ergebnis nicht vor.
3.3.1.
Die Kläger sind aktivlegitimiert, da sie Eigentümer des Grundstücks sind. Die Einwendungen der Beklagten gegen die Identität derjenigen Personen, die Ersteher aufgrund des Zuschlagsbeschlusses geworden sind und den hiesigen Klägern sind nicht nachvollziehbar. Es existieren keine tatsächlichen, nachprüfbaren Anhaltspunkte dahingehend, dass die im Zuschlagsbeschluss genannten Ersteher nicht die Kläger sind.
Die Kläger sind unstreitig als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Sie haben insoweit auch mit Schriftsatz vom 01.09.2017 (Band I, nach Bl. 27 d. A.) einen Grundbuchauszug vorlegen lassen, der ihre Eintragung belegt. Deswegen streitet für sie die gesetzliche Vermutung des § 891 Abs. 1 BGB, die durch die Beklagte schon in tatsächlicher Hinsicht nicht erschüttert worden ist.
3.3.2.
Die Beklagte ist unstreitig unmittelbare Besitzerin. Sie wohnt auf dem Grundstück.
3.3.3.
Der Beklagten steht kein Recht zum Besitz nach § 986 Abs. 1 S. 1 BGB zu.
Auf die Vereinbarung vom 31.12.2003 (Anlage 4 nach Bl. 12, Band I) kann sich die Beklagte schon deswegen nicht berufen, weil diese zwischen Ch. H. einerseits und der „H. Land- und F. GmbH“ andererseits geschlossen worden ist und nicht mit der Beklagten. Eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB dahingehend, dass anstelle der H. Land- und F. GmbH der Beklagten der „Gewahrsam/Besitz“ eingeräumt werden sollte, ist nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgebracht worden.
Auf die Vereinbarung vom 15.07.2004 (Anlage 5 nach Bl. 12, Band I) kann sich die Beklagte gleichfalls nicht berufen, da die dortigen Voraussetzungen nicht vorliegen. Das Schriftstück ist von Ch. H., H. G. H. (persönlich und als Geschäftsführer der H. Land- und F. GmbH) sowie der Beklagten unterzeichnet. Entsprechend dem Wortlaut der Vereinbarung (“Für den Fall, dass …“) haben die Unterzeichner eine bedingte Vereinbarung geschlossen, da sie vom Eintritt künftiger ungewisser Ereignisse im Sinne vom § 158 BGB in ihrem Entstehen abhängig gemacht worden ist. Für den Fall des Eintritts der Bedingung sollten anstelle der H. Land- und F. GmbH deren Gesellschafter, die Beklagte und H. G. H. persönlich, treten. Bei Ausfall von einem von beiden sollte der andere Teil alleinigen Besitz/Gewahrsam bis 01.01.2034 erhalten. Allerdings konnte die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Bedingung und damit das Wirksamwerden der Vereinbarung nicht vortragen. Soweit vom tatsächlichen Vortrag der Beklagten ausgegangen wird, besteht die H. Land- und F. GmbH nach wie vor fort. Für diesen Fall ist die Bedingung ganz offensichtlich nicht eingetreten. Die H. Land- und F. GmbH könnte dann noch entsprechend der Vereinbarung vom 31.12.2003 den Besitz an dem Grundstück ausüben. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass die H. Land- und F. GmbH seit der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH durch Beschluss des Amtsgerichts Weilheim i.OB vom 17.11.2010 (im Verfahren IN 335/09) rechtlich nicht mehr existent ist. Diese Konstellation ist in der Vereinbarung vom 15.07.2004 gerade aber nicht geregelt. Soweit der einen Variante, nämlich, dass die GmbH „rechtlich massiv angegangen wird“, überhaupt eine hinreichende Bestimmtheit zukommt, hat die Beklagte hierzu nichts vorgetragen. Auch die andere geregelte Variante, dass die GmbH „ausgeschaltet wird“, ist nicht gegeben. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Vertragsparteien damit auch den Verlust der rechtlichen Existenz der H. Land- und F. GmbH, also deren Löschung, verstanden haben wollten. Darüber hinaus haben die Parteien vereinbart, dass der Besitz nur dann auf die Beklagte und H. G. H. übergehen soll, wenn die H. Land- und F. GmbH diesen Besitz deswegen nicht mehr ausüben kann, weil Dritte außerhalb der bisherigen Gesellschafter über die GmbH bestimmen. Dies ist nicht der Fall. Die GmbH hat durch Löschung ihre rechtliche Existenz verloren. Andere, als die damaligen Gesellschafter können deswegen über die GmbH nicht (mehr) bestimmen.
Deswegen können auch naheliegende andere Unwirksamkeitsgründe der Vereinbarungen, wie solche nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 BGB, unerörtert und offen bleiben.
3.4.
Verfahrensfehler des Amtsgerichts wurden mit der Berufung nicht gerügt oder geltend gemacht.
4.
Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO:
Der Beklagten war eine Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO nicht zu gewähren. Dies schon wegen der erheblichen Verfahrensdauer. So lagen zwischen Verkündung des Endurteils des Amtsgerichts und dem Termin zur Berufungsverhandlung mehr als zwei Jahre. In Bezug auf die Erhebung der Klage, die am 28.07.2017 erfolgt ist, lagen mehr als drei Jahre. Die Beklagte hat auch keine Umstände vorgebracht, die in ihrer Person liegen würden und es rechtfertigen könnten, eine Frist zur Räumung zu gewähren.
5.
Weitere Nebenentscheidungen:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Es war nur noch eine Entscheidung über die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu treffen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) und ist auch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Es handelt sich um einen Einzelfall. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarungen vom 31.12.2003 und 15.07.2004.


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