Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Rechtmäßige Betretensanordnung – Nutzung für Dauerwohnzwecke

Aktenzeichen  M 9 K 17.6072

Datum:
13.3.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21159
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4, Art. 55 Abs. 1 Var. 2, 3, Art. 57 Abs. 2 Nr. 2
GG Art 13 Abs. 7
BayVerf Art. 106

 

Leitsatz

1 Nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BV) wird insoweit eingeschränkt. Darüber hinausgehende Voraussetzungen bestehen danach nicht. (red. LS Alexander Tauchert)
2 Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG – die Anordnung berechtigt nur zum Betreten, nicht zur Durchsuchung der Räumlichkeiten, somit ist Art. 13 Abs. 2 GG nicht einschlägig – aber ist beim Betreten von Wohnraum weiter zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. (Rn. 18) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Die Besichtigung ist geeignet, um festzustellen, ob bzw. welche Bereiche des Gebäudes wie umgenutzt bzw. außerhalb der bestehenden Baugenehmigung genutzt wurden bzw. werden. Die Anordnung war darüber hinaus auch erforderlich, da mehrfache Terminfestsetzungen fruchtlos geblieben sind. Eine Besichtigung des Gebäudes von außen lässt keine gleichwertige Beurteilung des Nutzungsumfanges zu. (Rn. 23) (red. LS Alexander Tauchert)
4 Richtiger Adressat einer Betretensanordnung nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt und damit des Hausrechts an dem Objekt. (Rn. 24) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamtes vom 16. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Anordnung in Ziff. 1 des Bescheids beruht in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO.
Nach dieser Vorschrift sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BV) wird insoweit eingeschränkt. Darüber hinausgehende Voraussetzungen bestehen danach nicht.
Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG – die Anordnung berechtigt nur zum Betreten, nicht zur Durchsuchung der Räumlichkeiten, somit ist Art. 13 Abs. 2 GG nicht einschlägig – aber ist beim Betreten von Wohnraum weiter zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. Eine solche Gefahr liegt regelmäßig vor, wenn ohne Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut geschädigt wird. In aller Regel stellt die Einhaltung der formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts ein derartiges Rechtsgut dar; damit berechtigen bspw. konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Baugenehmigungspflicht, Art. 55ff. BayBO, bei der Nutzung einer Wohnung zum Betreten (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris; B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris).
Im vorliegenden Fall bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der tatsächliche Nutzungsumfang des streitgegenständlichen Gebäudes deutlich von den Baugenehmigungen vom 3. Februar 1981 und vom 29. Januar 1999 abweicht. Jedenfalls die formellen Anforderungen des Baurechts sind somit nicht gewahrt.
Aufgrund der im Verwaltungsvorgang befindlichen Melderegisterauskünfte (Bl. 121, 131 d. BA) wurde dem Landratsamt bekannt, dass zwischenzeitlich (Juli 2014) bis zu vier Personen – ausländische Namen ohne erkennbare Verbindung wie gleiche Nachnamen o. Ä. – im Objekt gemeldet waren. Im März 2016 wurde ein weiterer Mieter gemeldet (Bl. 131ff. d. BA), der das Objekt als „alleinige Wohnung im Bundesgebiet“ angab und sich jedenfalls bis Anfang Juli und damit ca. vier Monate im Anwesen befand (vgl. Bl. 142 d. BA). Damit liegen ohne weiteres konkrete Anhaltspunkte dafür vor, den Baubestand auf eine etwaige baugenehmigungspflichtige (Nutzungs-) Änderung hin zu überprüfen, Art. 55 Abs. 1 Var. 2, 3 BayBO. Es bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das KG zu Wohnzwecken umgenutzt und eine zweite Wohneinheit im Objekt errichtet wurde, da die Räumlichkeiten im genehmigten Ausbau- und Nutzungszustand weder für vier Personen ausgelegt sind noch zum Dauerwohnen genehmigt wurden. Weiter besteht auch ein durch Tatsachen belegter Verdacht, dass das Objekt an einen wechselnden Personenkreis vermietet wird, was für ein Wochenendhaus ebenfalls unzulässig ist (vgl. BeckOK BauNVO, Stand: 16. Ed. 15.12.2018, § 10 Rn. 53). Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 BayBO greift nicht ein, da danach von vorn herein keine Nutzungsänderungen privilegiert sind (BeckOK BauordnungsR Bayern, Stand: 9. Ed. 30.11.2018, BayBO Art. 57 Rn. 234). Die berechtigterweise vermutete Nutzungsänderung wäre auch genehmigungsbedürftig, da für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 BayBO in Betracht kommen, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO; so wird u. a. eine höhere Stellplatzzahl erforderlich, Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, und es ergeben sich bspw. andere Brandschutzanforderungen, da jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum zwei voneinander unabhängige Rettungswege benötigt, Art. 31 Abs. 1 BayBO. Mit dieser Nutzungsänderung gingen eventuell auch genehmigungsbedürftige bauliche Änderungen einher.
Dass die Bevollmächtigte die Nutzungsuntersagung für Dauerwohnzwecke mit Nichtwissen bestreitet, ändert nichts an ihrer Existenz. Weiter liegt eindeutig nur eine Baugenehmigung für eine Wochenendhausnutzung vor.
Nach alledem war die Überprüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde einschließlich des Betretungsrechts ohne weiteres eröffnet. Dass die Registerauskünfte aus 2014 bzw. 2016 stammen und gegenwärtig „offiziell“ niemand mehr gemeldet ist, ändert daran nichts: Die Klägerseite verweigert beharrlich jegliche Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts. Eine Nachschau ist damit zulässig, zumal das Anwesen von außen trotz „offiziellen“ Auszugs der Mieter weiterhin bewohnt wirkt, vgl. die im August 2016 bzw. Januar 2018 aufgenommenen Fotos auf Bl. 145 bzw. 178 d. BA (Basketballkorb, Stuhl vor der Haustür). Letzteres könnte natürlich auch von einer (theoretisch) legalen Wochenendhausnutzung durch die Klägerin herrühren. Diese nutzt aber laut eigenem Vortrag in unmittelbarer Nähe noch ein weiteres Objekt selbst (FlNr. 360/49, Gemarkung G., streitgegenständlich im Verfahren M 9 K 17.6074), weswegen auch insofern hinreichende Anhaltspunkte für eine Nutzung durch (wechselnde) Dritte gegeben sind, da es lebensfremd ist, von zwei parallel (selbst-) genutzten Anwesen auszugehen. Das Landratsamt hat alle gegebenen Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung ausgeschöpft und befände sich, wollte man das Betretensrecht in Abrede stellen, in der Beweisnot. Dies allein deshalb, weil es hinreichend wahrscheinlich ist, dass sich etwaige Mieter (Arbeiter) – wie vermutet – schlicht nicht mehr offiziell anmelden. Nicht nur aufgrund der zahlreichen Verfahren, die die Klägerin und/ oder ihr Ehemann in ähnlich gelagerten Fällen bereits vor Gericht geführt hat/ haben, zeigt sich, dass eine Verschleppungs- bzw. Verschleierungstaktik betrieben wird. So wurde schriftsätzlich auch dem Gericht gegenüber im Mai 2018 behauptet, es gebe „Bewohner“ bzw. „Mieter“, die mit der Betretung nicht einverstanden seien. Diese wurden aber nicht einmal namentlich benannt („Beweis: Mieter, N. N., als Zeugen“). Unabhängig davon zeigt allein dieses Vorbringen, dass der Verdacht des Landratsamts mehr als berechtigt ist, das gerade von einer (Dauer-) Nutzung durch Dritte ausgeht.
Die angeordnete Zulassung der Wohnungsbesichtigung durch die Bediensteten des Landratsamtes war darüber hinaus auch geeignet, notwendig und verhältnismäßig, um die erforderlichen bauaufsichtlichen Maßnahmen vorzubereiten. Die Besichtigung ist geeignet, um festzustellen, ob bzw. welche Bereiche des Gebäudes wie umgenutzt bzw. außerhalb der bestehenden Baugenehmigung genutzt wurden bzw. werden. Die Anordnung war darüber hinaus auch erforderlich, da mehrfache Terminfestsetzungen fruchtlos geblieben sind. Eine Besichtigung des Gebäudes von außen lässt keine gleichwertige Beurteilung des Nutzungsumfanges zu. Es handelt sich auch um das mildeste Mittel, das im vorliegenden Fall angewandt werden konnte, um die Baurechtsverstöße zu klären. Auf eine Einsicht durch die Fenster muss sich die Behörde regelmäßig nicht verweisen lassen (BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris; B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris).
2. Die Anordnung, Ziff. 1, richtet sich auch gegen die richtige Adressatin. Richtiger Adressat einer Betretensanordnung nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt und damit des Hausrechts an dem Objekt. Die Klägerin ist Eigentümerin des Gebäudes. Eine etwaige Vermietung des Objekts wurde auf wiederholte Nachfrage vonseiten des Landratsamts nicht belegt; auch auf entsprechende Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung wurden keine Unterlagen vorgelegt. Die Klägerin hätte Mietverträge vorlegen und deren Inhalte bspw. durch Vorlage von Nachweisen über geleistete Mietzahlungen glaubhaft machen und somit selbst darlegen müssen, dass sie trotz ihrer Eigentümerstellung nicht mehr Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist (BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris). Dies umso mehr, als sich der Eigentümer durch eine Vermietung nicht jeglicher tatsächlicher Gewalt begibt – er wird dadurch zum mittelbaren Besitzer und behält in der Regel Schlüssel für das Objekt – und als es weder substantiiert noch belegt wurde, dass die etwaigen Mieter einer Betretung widersprochen hätten. Wenn die Betroffenen aber einverstanden sind, sind keinerlei weitere Voraussetzungen für das Betreten zu erfüllen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 131. EL Oktober 2018, Art. 54 Rn. 141). Die Klägerin konnte oder wollte aber noch nicht einmal die Namen etwaiger Mieter nennen. Weiter wurde nicht dargetan, dass die angeblichen Mieter ihr Besitzrecht vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung an die Eigentümer erworben hätten. Da die Kammer bereits entschieden hat, dass eine (Duldungs-) Anordnung an einen sich gegenüber der Besichtigung zur Wehr setzenden Mieter bereits dann nicht mehr notwendig ist, wenn dieser sein Recht zum Besitz erst nach Erlass der Anordnung gegenüber dem Eigentümer erlangt hat (VG München, U.v. 8.3.2017 – M 9 K 16.2327 – juris m. w. N.), hätte es auch insofern entsprechender substantiierter Ausführungen bedurft.
3. Die Zwangsgeldandrohung (Ziff. 2) beruht auf Art. 36 i.V.m. Art. 29 ff. VwZVG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708ff. ZPO.


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