Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Wohnungseigentumssache: Keine Wahrung der Anfechtungsbegründungsfrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG durch Telefax ohne Unterschrift

Aktenzeichen  11 S 20/16 WEG

Datum:
25.10.2016
Fundstelle:
ZMR – 2017, 81
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 46 Abs. 1 S. 2
ZPO ZPO § 85 Abs. 2, § 233, § 253 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG ist durch die fristgemäße Übersendung eines unvollständigen Telefaxes ohne Unterschrift des Prozessbevollmächtigten nicht gewahrt. (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klagebegründung nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG stellt einen bestimmenden Schriftsatz dar, der der Unterschrift bedarf. Die Unterschrift beurkundet, dass es sich nicht um einen Entwurf, sondern um eine verbindliche prozessuale Erklärung handelt, die vom Unterzeichner herrührt und für deren Inhalt er die Verantwortung übernimmt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

30 C 820/15 WEG 2016-04-12 Endurteil AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 12.04.2016, Az.: 30 C 820/15 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert erster Instanz wird unter Abänderung der amtsgerichtlichen Festsetzung auf 11.787,28 € festgesetzt, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.099,80 € festgesetzt.

Gründe

Gründe:
I.
Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft Der Kläger wendet sich im Wege der Beschlussmängelklage gegen die Gültigkeit von in der Wohnungseigentümerversammlung vom 05.03.2015 gefassten Beschlüssen.
Die Klageschrift ist am 07.04.2015 per Telefax bei Gericht eingegangen, unterzeichnet vom Kläger persönlich (Bl. 1 d. A.). Die Klageschrift enthält bestimmte Anträge, jedoch keine Begründung. Die – nunmehr anwaltlich verfasste – Klagebegründung ist am 05.05.2015 per Telefax bei Gericht eingegangen (Bl. 15 ff. d. A.). Das Telefax war unvollständig; es fehlten die Seiten 3 und 9 des Schriftsatzes. Den gefaxten Blättern ist oben rechts zu entnehmen, dass insgesamt nur sieben Seiten gefaxt wurden. Das vollständige Original der Klagebegründung ist am 07.05.2015 bei Gericht eingegangen (Bl. 22 ff. d. A.). Seite 3 enthält rechtliche Ausführungen, Seite 9 die Unterschrift des Rechtsanwalts.
Der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu an Eides statt versichert, die Faxübersendung persönlich vorgenommen zu haben. Das Faxgerät habe eine nicht erkennbare Fehlfunktion (Doppeleinzug) aufgewiesen. Im Sendebericht sei „OK“ angezeigt worden (Bl. 123 f., 191 d. A.).
Der Kläger hat in erster Instanz die Ungültigerklärung diverser Beschlüsse beantragt. Das Amtsgericht hat die Klage größtenteils abgewiesen.
Dabei hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, die materielle Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG sei gewahrt gewesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der Erwägungen des Amtsgerichts wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 315 ff. d. A.) Bezug genommen.
In der Rechtsmittelinstanz verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter.
Er beantragt im Berufungsverfahren zuletzt:
Das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 12.04.2016, AZ: 30 C 820/15 WEG, wird teilweise abgeändert und in der Hauptsache wie folgt neu gefasst:
1. Der in der Wohnungseigentümerversammlung vom 05.03.2015 unter Tagesordnungspunkt 1 gefasste Beschluss 1/15 wird für ungültig erklärt,
a) hinsichtlich der Einzelabrechnungen insoweit, als ein Betrag von 967,63 EUR für die Instandhaltungskosten Materialanteil und ein Betrag von 1.391,15 EUR für Instandhaltungskosten Lohnanteil auf sämtliche Wohnungseigentümer umgelegt worden ist und b) soweit der Verwaltung und dem Verwaltungsbeirat Entlastung erteilt worden ist.
2. Der in der Wohnungseigentümerversammlung vom 05.03.2015 unter Tagesordnungspunkt 3 gefasste Beschluss 3/15 (Verwalterbestelltung ab 01.06.2015) wird für ungültig erklärt.
Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Berufung.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere die Berufungsbegründung vom 13.07.2016 (Bl. 347 ff. d. A.), und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2016 (Bl. 384 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 511 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist bereits deswegen unbegründet, weil die Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG nicht gewahrt ist. Fristablauf war der 05.05.2015, 24:00 Uhr. Die Übersendung eines unvollständigen Faxes ohne Unterschrift genügt nicht zur Wahrung der Frist.
1. Die Begründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG ist Ausdruck des gesetzgeberischen Anliegens, über die Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die ordnungsgemäße Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zu gewährleisten. Sie führt dazu, dass für die Wohnungseigentümer und für den zur Ausführung von Beschlüssen berufenen Verwalter zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber besteht, ob, in welchem Umfang und auf welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden (vgl. BGH NJW 2009, 999 Rn. 20). Mit der Klagebegründung wird folglich eine für das Verfahren wesentliche Prozesshandlung vollzogen, so dass es sich um einen bestimmenden Schriftsatz handelt. Nach fest eingebürgerter Terminologie sind dies Schriftsätze, die nicht bloß das künftige Vorbringen ankündigen, sondern bereits selbst die prozessuale Erklärung der Partei darstellen. Mit der Einreichung des Schriftsatzes bei Gericht oder – z. B. nach § 253 Abs. 1 ZPO – mit der Zustellung an den Gegner tritt die prozessuale Wirkung ein. Bestimmende Schriftsätze, die einen Prozess oder einen Abschnitt einleiten, sind u. a. Klage, Klageerweiterungs-, Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsschrift (vgl. Fritsche in MünchKomm ZPO, 5. Auflage 2016, § 129 Rn. 9). Die ordnungsgemäße Erhebung einer Klage erfordert die Mitteilung von Klageziel und Klagebegründung, die Regelung des § 46 WEG erlaubt die Aufteilung in zwei zu verschiedenen Zeitpunkten einzureichende Schriftsätze, die aber nur zusammen eine ordnungsgemäße Klageschrift i. S. d. § 253 ZPO darstellen (ebenso Jennißen/Suilmann WEG, 4. Auflage 2015, § 46 Rn. 103). Da die Funktion der Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG zudem jedenfalls insoweit derjenigen der Rechtsmittelbegründungsfrist (etwa der Berufungsbegründung, § 520 ZPO) entspricht, als eine Information über den Umfang und die Gründe der Anfechtung – hier des Beschlusses, dort der gerichtlichen Entscheidung – stattfinden soll, ist die Klagebegründung als bestimmender Schriftsatz zu qualifizieren.
2. Wichtigste Förmlichkeit bei bestimmenden Schriftsätzen ist nach ständiger Rechtsprechung -der sich die Kammer anschließt – die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet (vgl. von Selle in BeckOK ZPO, Stand: 01.07.2016, § 129 Rn. 6; Fritsche in MünchKomm ZPO, 5. Auflage 2016, § 129 Rn. 13 ff.). Der Sinn und Zweck der Unterzeichnung liegt in der äußeren Dokumentation der eigenverantwortlichen Prüfung des bestimmenden Schriftsatzes: Die Unterschrift beurkundet, dass es sich bei dem Schriftsatz nicht um einen Entwurf, sondern um eine verbindliche prozessuale Erklärung handelt, die vom Unterzeichner herrührt und für deren Inhalt er die Verantwortung übernimmt (vgl. bereits RGZ 151, 82, 84; von Selle in BeckOK ZPO, Stand: 01.07.2016, § 130 Rn. 2.1; Fritsche in MünchKomm ZPO, 5. Auflage 2016, § 129 Rn. 13 ff.). Dieses Erfordernis entspricht der Wichtigkeit bestimmender Schriftsätze. Dadurch soll verhindert werden, dass sich der Unterzeichner später von einer wirkenden Prozesshandlung distanziert oder das Gericht über ein bloßes Vorbringen im Entwurf entscheidet.
3. Infolgedessen kann die Klagebegründung nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG fristwahrend nur durch einen ordnungsgemäß unterzeichneten Schriftsatz eingereicht werden (ebenso Jennißen/Suilmann WEG, 4. Auflage 2015, § 46 Rn. 103; Bärmann/Roth WEG, 13. Auflage 2015, § 46 Rn. 96; AG Bonn, Urteil vom 14.02.2014, Az.: 27 C 136/13, juris Rn. 40), auch wenn es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist und nicht um eine prozessuale Frist handelt. Die Rechtsprechung von BVerfG (NJW 2005, 814) und BGH (NJW 2006, 2482) zu § 12 Abs. 3 VVG a. F. ist auf die Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG nicht übertragbar. Zweck der versicherungsrechtlichen Norm war es, möglichst schnell eine zuverlässige Feststellung der für den Versicherungsfall maßgeblichen Tatsachen zu sichern und auf diese Weise die Klärung zu ermöglichen, ob die Deckungsablehnung des Versicherers rechtens ist. Zur Disposition stand lediglich das Interesse des Versicherers und der Versichertengemeinschaft daran, den Versicherungsnehmer bei Strafe des Anspruchsverlusts zu zwingen, seine Forderung mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen (BVerfG NJW 2005, 814, 815). Hier liegt der Fall anders: Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung entfalten Regelungs- und Bindungswirkung unmittelbar mit ihrem Zustandekommen, und zwar auch gegenüber Sondernachfolgern (§ 10 Abs. 4 WEG). Sie sind zudem Grundlage des Verwalterhandelns und betreffen insgesamt eine Vielzahl von Personen. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind deshalb Unsicherheiten über Umfang und Grund einer Anfechtung so weit wie möglich zu minimieren. Dem liefe ein Verzicht auf das Unterschriftserfordernis zuwider.
4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 46 Abs. 1 Satz 3 WEG, 233 ZPO) kommt nicht in Betracht. Den damaligen klägerischen Prozessbevollmächtigten trifft ein Verschulden an der Fristversäumnis, das sich der Kläger zurechnen lassen muss, § 85 Abs. 2 ZPO. Nach Abschluss einer Telefaxübermittlung ist zu prüfen, ob die Anzahl der zu übermittelnden Seiten der Anzahl der laut Sendeprotokoll versandten Seiten entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 31.10.2012, Az.: III ZB 51/12, juris Rn. 6 m. w. N.). Eine solche Kontrolle ist nicht vorgetragen. Hätte der Anwalt sie vorgenommen, hätte ihm auffallen müssen, dass von dem neunseitigen Schriftsatz nur sieben Seiten übermittelt worden sind. Der frühere klägerische Prozessbevollmächtigte hat hierzu in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 16.09.2015 selbst dargelegt, das Faxgerät sei von sieben Seiten ausgegangen und habe deshalb im Sendebericht „OK“ angezeigt. Dementsprechend können im Sendebericht auch nur sieben Seiten genannt gewesen sein.
5. Nichtigkeitsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10 ZPO.
IV.
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil die Frage des Unterschriftserfordernisses für die Klagebegründung nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.
V.
Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung folgt die Kammer grundsätzlich dem Amtsgericht, hält aber bezüglich des Beschlusses zur Entlastung von Verwaltung und Beirat einen höheren Ansatz für gerechtfertigt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass das vom Amtsgericht herangezogene Gesamtinteresse von 56,23 € dem Betrag entspricht, der insgesamt auf die Rollladenreparatur entfällt und nach Ansicht des Klägers falsch verteilt worden ist. Darüber hinaus stehen aber noch Ersatzansprüche gegen die Verwaltung in Höhe von 131,25 € im Zusammenhang mit der versäumten Absage des Ortstermins mit dem Sachverständigen im Verfahren AG Würzburg 30 C 3202/11 WEG im Raum. Insgesamt beläuft sich das finanzielle Interesse an der Versagung der Entlastung damit auf 187,48 €.
Hinzu kommt als ideelles Interesse der Wert der künftigen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Verwalterin. Die Beträge sind zu addieren (vgl. BGH NJW-RR 2016, 649). Das ideelle Interesse ist regelmäßig mit 1.000,00 € zu beziffern, wenn besondere Anhaltspunkte für einen höheren Wert fehlen (vgl. BGH NJW-RR 2016, 649). Solche Anhaltspunkte könnten hier darin zu sehen sein, dass der Kläger geltend gemacht hat, von einem Mitarbeiter der Hausverwaltung beleidigt worden zu sein. Andererseits ist die Komponente des gestörten Vertrauensverhältnisses auch bereits im Streitwert zu TOP 3 (Verwalterbestellung ab 01.06.2015) enthalten, so dass eine doppelte Berücksichtigung droht. Im Ergebnis belässt es die Kammer daher bei einer Bezifferung mit 1.000,00 €.
Die Anfechtung der Entlastung des Verwaltungsbeirats schlägt zusätzlich mit 500,00 € zu Buche.
Nach alledem errechnet sich für den Entlastungsbeschluss ein Streitwert von 1.687,48 €. Somit war der Gesamtstreitwert für die erste Instanz auf 11.787,28 € festzusetzen. Nachdem die Entlastung in der Berufungsinstanz nicht mehr streitgegenständlich war, beträgt der Streitwert hier noch 10.099,80 €.


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