Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zulässigkeit des abändernden Zweitbeschlusses, der keine schutzwürdigen Belange aus Erstbeschluss beeinträchtigt

Aktenzeichen  36 S 6557/16 WEG

Datum:
24.10.2016
Fundstelle:
ZMR – 2017, 187
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 21 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

Ein bestandskräftiger Beschluss, der einer gerichtlichen Nachprüfung stand hielt, steht einem späteren abweichenden Beschluss der Gemeinschaft nicht entgegen. Unerheblich ist, aus welchen Gründen die Gemeinschaft eine erneute Beschlussfassung für angebracht hält. Der Zweitbeschluss widerspricht aber ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn er schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses nicht berücksichtigt (Anschluss an BGH BeckRS 9998, 165691). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

484 C 5156/15 WEG 2016-03-10 Endurteil AGMUENCHEN AG München

Tenor

I.
Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.03.2016, Gz. 484 C 5156/15 WEG, wird zurückgewiesen.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Dieser Beschluss sowie das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.03.2016, Az.: 484 5156/15 WEG, sind vorläufig vollstreckbar.
IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 2.975 festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Endurteils des Amtsgerichts München vom 10.03.2016, Gz.: 484 C 5156/15 WEG, Bezug genommen. Die Klagepartei hat gegen dieses ihr am 21.03.2016 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz vom 14.04.2016, bei Gericht eingegangen am 20.04.2016, Berufung eingelegt.
Die Berufung wurde von den Klägern nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 23.06.2016, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründet und beantragt,
I.
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.03.2016, Aktenzeichen 484 C 5156/15 wird aufgehoben.
II.
Der in der Eigentümerversammlung vom 02.02.2015 von der WEG in München gefasste Beschluss zu TOP 2, im Protokoll der ordentlichen Versammlung mit Beschlussantrag 4.1 und Verkündung 4.1 bezeichnet, wird für ungültig erklärt: „Die Wohnungseigentümer beauftragen und bevollmächtigen den Verwalter, namens und auf Kosten der Wohnungseigentümergemeinschaft, den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen L…; mit der Neuplanung der Loggia7Terrasse vor der Einheit 13, hierzu insbesondere der Bestandsaufnahme der Ist-Beschaffenheit, der zeichnerischen Darstellung von Details, Erstellung von Leistungsverzeichnissen, der Einholung und Auswertung von Angeboten, sowie Erstellen einer Vergabeempfehlung zu beauftragen. Die Leistung bietet Herr L… zu einem Pauschalpreis von 9.500 € an. Die Finanzierung dieser Maßnahme erfolgt über die vorhandene Instandhaltungsrücklage.“
Die Beklagten und Berufungsbeklagten beantragen:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Berufung stützt sich auf folgende Gesichtspunkte: Das Amtsgericht habe verkannt, dass das Berufen der Miteigentümerin K… auf § 14 Nr. 1 WEG rechtsmissbräuchlich sei, da sie bzw. ihr Rechtsvorgänger die streitgegenständliche Schiebetüre nicht fachgerecht eingebaut und somit einen rechtswidrigen Zustand geschaffen habe. Das Gericht sei offenkundig falsch auf S. 10 seines Urteils von einem bisherigen Zustand von 2,00 bis 2,20 m lichter Durchgangshöhe ausgegangen. Eine Differenz von 6 cm sei unerheblich. Der Zweitbeschluss entziehe der Klägerin ihr Recht auf Kostentragung durch, den Eigentümer der Einheit Nr. 13. Bereits im Grundlagenbeschluss aus dem Jahr 1999 sowie dem rechtskräftigen Beschluss vom 24.5.2011 sei niedergelegt, dass die Kosten durch den Einbau der Schiebetüre nebst Folgekosten von den Eigentümern der Einheit Nr. 13 zu tragen seien.
Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 23.6.2016 (Bl. 110/113 d. A.) Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 22.7.2016 (Bl. 1167121 d. A.)
Das Landgericht München I hat am 09.08.2016 einen Hinweisbeschluss erlassen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Hinweisbeschluss vom 09.08.2016 Bezug genommen.
Die Kläger haben zu diesem Beschluss insbesondere dahingehend Stellung genommen, sind sie der Auffassung, dass der Zweitbeschluss schutzwürdige Belange der Kläger aus Inhalt und Wirkungen der Erstbeschlüsse aus 2011 und 2012 missachtet, aufgrund derer bereits mit den Umbauarbeiten begonnen wurde, Insbesondere seien Terrassenabdichtung und Estrich bereits verlegt worden. Die zu geringe Höhe der Durchgangstüre sei bereits 2011 bekannt gewesen, weshalb 2012 auch der Rückbau des Dachvorsprungs beschlossen worden sei. Den Erstbeschlüssen sei damit immanent, dass gerade nicht das halbe Dach umgebaut werden solle.
II.
Die Berufung gegen das Endurteil des Amtsgerichts München vom 10.03.2016, Gz. 484 C 5156/15 WEG, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil die Kammer einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung.
1. Der Zweitbeschluss verstößt nicht gegen schutzwürdige Belange der Kläger.
Die WEG hatte zwar zu früheren Zeitpunkten bereits Beschlüsse über die Durchführung von Bauarbeiten an der Terrasse gefasst: Am 24.05.2011 wurde von den Wohnungseigentümern ein Grundsatzbeschluss über die Sanierung der Terrasse getroffen, mit der Maßgabe dass der Eigentümer der Einheit Nummer 13 gegebenenfalls die Kosten für Umbaumaßnahme an der Terrassentüre tragen solle, was im anschließenden Anfechtungsverfahren (484 C 18936/12 WEG AG München und 36 S 19006/13 WEG LG München I) inzident als zulässige Kostenregelung im Sinne des § 16 Abs. 4 WEG bestätigt wurde. Im Zuge der Sanierungsarbeiten wurde anschließend festgestellt, dass bei Einbau der Schiebetür die erforderliche Anschlusshöhe nicht eingehalten worden war und – so die Zeugenaussage B… – eine Dämmung fehlte. Auf der Eigentümerversammlung vom 25.06.2012 wurden daraufhin weitere Beschlüsse gefasst, betreffend die Bauleitung zur Terrassensanierung, die Fertigstellung der Terrasse mit Fliesenarbeiten, Anbringung einer Absturzsicherung, Verkürzung des Dachvorstands auf der Terrasse, umlaufenden Einputzarbeiten, restlichen Spenglerarbeiten sowie Putz- und Malerarbeiten, Zahlung von Schadensersatz wegen Schäden und Rissen die durch die Sanierung des Daches entstanden sind und einen Ausgleich dafür, dass die Arbeiten ohne Gerüstarbeiten durch Zugang über die Wohneinheit K… durchgeführt werden können an die Eigentümerin K… und die Finanzierung dieser Maßnahmen.
Diese bestandskräftigen Beschlüsse stehen dem hier gefassten Beschluss nicht entgegen. Es entspricht der „autonomen Beschlusszuständigkeit der Gemeinschaft“ (BGHZ 113, 197) dass ein bestandskräftiger Beschluss, selbst wenn er in einem gerichtlichen Verfahren überprüft würde, einer späteren, abweichenden Entscheidung der Gemeinschaft nicht entgegensteht, denn die materielle Rechtskraft der Entscheidung erstreckt sich nur auf den konkret angegriffenen Beschluss (Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, § 23 Rdnr. 82; LG Hamburg, Urteil vom 11.02.2011, 318 S 121/10 – zitiert nach juris). Eigentümer können mithin die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen durch inhaltsgleiche Zweitbeschlüsse unterlaufen, sofern diese Zweitbeschlüsse ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen.
Nach der Rechtsprechung des BGH spielt es keine Rolle, aus welchen Gründen die Gemeinschaft eine erneute Beschlussfassung für angebracht hält. Von Bedeutung ist nur, ob der neue Beschluss „aus sich heraus einwandfrei“ ist (BGHZ 113, 197). Jedoch hat der BGH ausgeführt, dass jeder Wohnungseigentümer gem. § 21 Abs. 3 und 4 WEG verlangen könne, dass der Zweitbeschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtige (BGH a. a. O.).
Der vorliegende Vorbereitungsbeschluss verstößt jedoch, nicht gegen schutzwürdige Belange der Kläger.
Auf jeden Fall muss für die Terrasse eine ordnungsgemäße Entwässerung und eine den baurechtlichen Vorschriften entsprechende Brüstung erstellt werden. Im Hinblick auf die vom Spenglermeister B… noch nicht abgeschlossenen Maßnahmen und die Diskussion, ob diese Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden, stellt sich auch die Frage, in welchem Zustand sich die Terrasse derzeit befindet. Für die WEG stellt sich die Aufgabe, eine Lösung für die Türproblematik und den Terrassenaufbau einschließlich Brüstung zu finden, die der komplexen Gesamtsituation gerecht wird. Vor diesem Hintergrund entspricht es ordnungsgemäßer Verwaltung einen Vorbereitungsbeschluss wie den vorliegenden zu treffen, der den Sachverständigen mit der Neuplanung der Terrasse vor der Einheit 13, insbesondere der Istbeschaffenheit, der zeichnerischen Darstellung von Details, der Erstellung eines Leistungsverzeichnisses, der Einholung und Auswertung von Angeboten, sowie Vergabeempfehlungen beauftragt.
Es handelt sich, um einen reinen Vorbereitungsbeschluss, der ergebnisoffen formuliert ist und der Bestandsaufnahme und der Ermittlung planerischer Möglichkeiten dient. Dies ist vor dem Hintergrund der technischen Probleme, die sich im Rahmen der Sanierung ergeben haben, nicht zu beanstanden. Der nunmehr vorgebrachte Einwand, dass der angefochtene Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses missachte, nachdem aufgrund der Beschlüsse 2011 und 2012 bereits mit den Sanierungsarbeiten an der Dachterrasse begonnen worden sei, greift damit in der Sache nicht durch. Er ist des Weiteren gemäß § 46 WEG verfristet. In der Anfechtungsbegründungsfrist wurde lediglich gerügt, dass der Beschluss auf fehlerhafter Entscheidungsgrundlage ergangen sei, was in der Berufungsbegründung in dieser Form nicht mehr aufgegriffen wurde. Gleiches gilt für den in der Berufungsbegründung gerügten Entzug einer günstigen Kostenregelung. Der Beschluss besagt im Übrigen nichts über die künftige Verteilung der Sanierungskosten.
Wenn die entsprechenden Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen sind, ist die Eigentümerversammlung berufen zu entscheiden, wie die Arbeiten fortgeführt werden sollen. Die vom Vorbereitungsbeschluss umfasste Feststellung der derzeitigen Istbeschaffenheit der Terrasse sowie die Vorstellung der technisch möglichen Sanierungsalternativen und die insoweit anfallenden Kosten werden es den Eigentümern ermöglichen, eine informierte Entscheidung zu treffen. Insoweit wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
In der Eigentümerversammlung vom 28.07.1983 hatten die Wohnungseigentümer unter TOP 5 einen Beschluss gefasst, der dem damaligen Eigentümer den Einbau einer Schiebetüre gestattete und dieser insoweit die Kostentragungslast zuwies. In der Folgezeit wurde die Wohnung an die jetzige Eigentümerin K… veräußert. Der Beschluss vom 28.07.1983 ist – wie bereits im Vorverfahren 484 C 18936/12 WEG AG München und 36 S 19006/13 WEG LG München I festgestellt wurde – nichtig. Die Nichtigkeit betrifft nicht nur die Kostentragungsregelung, sondern den Beschluss insgesamt. Die infolge des nichtigen Beschlusses vorgenommene bauliche Veränderung (Einbau einer Schiebetür) erfolgte daher ohne erforderlichen gültigen Beschluss nach § 22 Abs. 1 WEG.
Der Ersatz der eingebauten Schiebetüre durch eine Schiebetüre mit erheblich geringerer Durchgangshöhe als vorhanden und nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme üblich, stellt gegenüber dem derzeitigen Zustand eine beeinträchtigende bauliche Veränderung dar. Der Beschluss vom 24.05.2011 geht zwar davon aus, dass gegebenenfalls eine neue Schiebetüre einzubauen ist. Er enthält jedoch keine Regelung, dass die Schiebetür um ein bestimmtes oder nach Maßgabe des Beschlusses hinreichend bestimmbares Maß verkürzt wird. Am 25.06.2012 wurde zwar beschlossen, an der Terrasse weitere Arbeiten vorzunehmen und insbesondere der Dachvorstand zu verkürzen. Eine hinreichend bestimmte Entscheidung, dass eine auf eine bestimmte Höhe verkürzte Schiebetüre einzubauen ist, enthält auch dieser Beschluss hingegen nicht. Auch eine konkrete Entscheidung über bauliche Veränderungen, die über eine Verkürzung des Dachvorstands hinausgehen, hat die WEG bislang wohl nicht getroffen.
2. Soweit die Kläger nunmehr rügen, der Beschlusstext sei viel zu allgemein gehalten, nach der Argumentation der Kammer sei der Sachverständige zumindest detailliert dahingehend zu beauftragen, dass seine Planung vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Sanierungsarbeiten zu erfolgen hat und Terrassenabdichtung und Estrich soweit als möglich erhalten bleiben müssen, wurde die fehlende Bestimmtheit soweit ersichtlich innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist nicht gerügt. Der Beschluss ist auch nicht nichtig, da er – wie bereits ausgeführt – eine durchführbare Regelung erkennen lässt.
III.
Die Kostenentscheidung entspricht § 97 ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 10 ZPO.
V.
Die Streitwertfestsetzung folgt der zutreffenden und unbeanstandet gebliebenen Festsetzung des Amtsgerichts.


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