Patent- und Markenrecht

26 W (pat) 41/19

Aktenzeichen  26 W (pat) 41/19

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:191021B26Wpat41.19.0
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. Oktober 2021 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
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Die in der Schweiz basisregistrierte und am 1. Dezember 2014 nach dem Protokoll zum Madrider Markenabkommen unter der Nummer 1 247 962 international registrierte Wortmarke
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ORGANOSIL G5
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beansprucht – nach einem am 27. August 2015 erklärten Teilverzicht – noch Schutz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für Waren der
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Klasse 3: Préparations pour blanchir et autres substances pour lessiver; préparations pour nettoyer, polir, dégraisser et abraser; savons; parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux; dentifrices;
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Klasse 5: Produits pharmaceutiques et vétérinaires; produits hygiéniques pour la médecine; aliments et substances diététiques à usage médical ou vétérinaire, aliments pour bébés; compléments alimentaires pour êtres humains et animaux; emplâtres, matériel pour pansements; matières pour plomber les dents et pour empreintes dentaires; désinfectants; produits pour la destruction d’animaux nuisibles; fongicides, herbicides.
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Gegen die Schutzerstreckung dieser Marke für Deutschland, die am 28. Mai 2015 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus ihrer Wortmarke
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G5
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die am 3. Oktober 2007 nach dem Protokoll zum Madrider Markenabkommen unter der Nummer 945 330 international registriert worden ist und seit dem 7. März 2013 Schutz in der Europäischen Union (EU) genießt für Waren der
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Klasse 1: Organic silicon for use in industry;
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Klasse 3: Toilet preparations; cleaning preparations; cosmetic preparations; preparations for the care of the skin and hair; anti-aging creams; preparations included in this class containing organic silicon;
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Klasse 5: Pharmaceutical preparations; medicated preparations for the care of the skin and hair; medicated toilet preparations; nutritional food supplements; food supplements containing organic silicon;
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Klasse 32: Non-alcoholic drinks and preparations for making such drinks; drinks containing organic silicon and included in this class; preparations containing organic silicon for use in making beverages.
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Mit Beschlüssen vom 10. April 2017 und 5. August 2019, letzterer ergangen im Erinnerungsverfahren, hat die Markenstelle für Klasse 3 – Internationale Markenregistrierung – des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichswaren seien teilweise identisch, im Übrigen hochgradig ähnlich und richteten sich sowohl an Fachkreise als auch an Endabnehmer. Zwar werde die Verbindung des Großbuchstabens „G“ mit einer Zahl bei medizinischen und technischen Geräten, Guidelines und Versichertenkarten als Bezeichnung einer Geräte- oder Produktgeneration verwendet, aber dies bedürfe keiner Erörterung, weil die jüngere Marke auch bei unterstellter Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke einen ausreichenden Abstand einhalte. In ihrer Gesamtheit unterschieden sich die Marken in jeder Hinsicht deutlich voneinander. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke werde nicht durch den Bestandteil „G5“ geprägt, dessen Kennzeichnungskraft zweifelhaft sei. Das Element „ORGANOSIL“ trete zudem nicht zurück, weil es keine glatt beschreibende Angabe sei. Zwar weise es beschreibende Anklänge an „organisches Silizium“ auf, aber im hier maßgeblichen Warenbereich sei der Verkehr an „sprechende“ Marken gewöhnt, die auf den Anwendungsbereich oder die Wirkungsweise der Präparate hindeuteten. Vor diesem Hintergrund verleihe das Binnen-„O“ diesem Element hinreichende Eigenart, weshalb es als Herstellerkennzeichen wahrgenommen werde. Es lägen auch keine besonderen Umstände für eine selbständig kennzeichnende Stellung des Bestandteils „G5“ vor. Weder sei „ORGANOSIL“ das Unternehmenskennzeichen der Inhaber der angegriffenen Marke, noch sei es Stammbestandteil eines Serienzeichens. Auch die äußere Gestaltung der jüngeren Marke lege eine selbständig kennzeichnende Stellung des Elements „G5“ nicht nahe.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, aufgrund teilweiser Warenidentität und teilweiser hochgradiger Warenähnlichkeit sowie sehr hoher Markenähnlichkeit bei zumindest durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bestehe die Gefahr von Verwechslungen. Als Produkte des täglichen Bedarfs würden die Vergleichswaren ohne besondere Aufmerksamkeit der Verbraucher erworben. Die Widersprechende trägt unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers vom 16. Dezember 2020 nebst 14 Anlagen vor, dass die Kennzeichnungskraft ihrer Marke, unter der seit 1999 in Irland, Frankreich und anderen EU-Mitgliedstaaten Waren mit organischem Silizium vertrieben würden, aufgrund intensiver Nutzung gesteigert sei. Die Nahrungsergänzungsmittel seien die einzigen Siliziumprodukte, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen worden seien. Daher betrage der Anteil der Widersprechenden am EU-Markt für Nahrungsergänzungsmittel mit organischem Silizium 100 %, mit denen jährliche Umsätze in der EU von über 2 Mio. € erzielt worden seien. 2018 habe die Widersprechende für ihre Produkte unter der Marke „G5“, die sie auf Facebook, im Internet, auf Ausstellungen und über sonstiges Werbematerial bewerbe, den „IRISH ENTERPRISE AWARD“ als „Health Product Manufacturer oft the YEAR 2018 & Best Skin Product“ erhalten. Ihre Produkte seien auch in ganz Deutschland sehr präsent, weil sie von diversen Einzelhändlern und Wiederverkäufern angeboten würden. Die Vergleichsmarken stimmten in dem allein prägenden und kennzeichnungskräftigen Bestandteil „G5“ identisch überein. Das Element „ORGANOSIL“ trete als eine rein beschreibende, den Verbrauchern geläufige Abkürzung für „organisches Silizium“, das den Hauptinhaltsstoff der angegriffenen Produkte darstelle, zurück. Der Vokal „O“ diene lediglich der besseren Aussprechbarkeit. Die Fundstellen der Inhaber der angegriffenen Marke genügten nicht, um zu belegen, dass der Bestandteil „G5“ in der Industrie, etwa in der Halbleiter- und High-End-Induktionstechnologie, beim Flugzeugbau oder der Brennzellenherstellung, die übliche Abkürzung für ein Produkt der fünften Generation sei. Hinzu komme, dass es bei den hier relevanten Nahrungsergänzungsmitteln erst recht unüblich sei, laufend neue Produkte zu entwickeln und als „Generationen“ zu bezeichnen. Aus den beiden Fundstellen der Beschwerdegegner, in denen der Begriff „fünfte Generation“ irgendwie erwähnt werde, könne nicht auf eine allgemein übliche Angabe geschlossen werden. „G5“ sei auch nicht deshalb kennzeichnungsschwach, weil Buchstaben-Zahlen-Kombinationen bei Nahrungsergänzungsmitteln häufig auf Inhaltsstoffe hinwiesen. Zwar gebe es beschreibende Verwendungen, wie „A“, „B“, „C“ oder „D“ für Vitamine oder „M“ oder „K“ für Mineralien wie Magnesium oder Kalium. „G5“ sei aber kein Vitamin oder Mineral, weshalb der Verbraucher keine entsprechende Verwendung erwarte. Der Verbraucher werde sich daher allein an dem räumlich getrennten Bestandteil „G5“ orientieren, der keine Bedeutung habe und daher kennzeichnungskräftig sei. Das BPatG habe eine hinreichende Ähnlichkeit auch zwischen „RIAS“ und „RIAS KAMMERCHOR“ (27 W (pat) 18/15) festgestellt. Das EUIPO habe die Unionsmarke und die hiesige Widerspruchsmarke „G5“ ebenfalls als ähnlich angesehen (Entscheidung der Löschungsabteilung v. 26. November 2019 – 9743 C). Durch die Übernahme der Widerspruchsmarke in die jüngere Marke unter Hinzufügung der beschreibenden Bezeichnung „ORGANOSIL“ werde beim Verbraucher der Eindruck erweckt, es handele sich um eine Variante der „G5“-Produkte der Widersprechenden oder eines wirtschaftlich mit ihr verbundenen Unternehmens. Die Beschwerdegegner hätten als relativ neue Schweizer Anbieter ihr Produkt unter der jüngeren Marke ersichtlich nur in der Absicht auf den Markt gebracht, den guten Ruf der Widerspruchsmarke „G5“ auszunutzen.
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Die Widersprechende beantragt,
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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 – Internationale Markenregistrierung – des DPMA vom 10. April 2017 und 5. August 2019 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus dem EU-Schutzrechtsanteil der international registrierten Marke 945 330 den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern.
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Die Inhaber der angegriffenen Marke beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie haben sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert, sondern auf die Ausführungen des DPMA im angefochtenen Erinnerungsbeschluss verwiesen, die sie für zutreffend halten. Im Amtsverfahren haben sie die Ansicht vertreten, die Widerspruchsmarke verfüge nur über äußerst geringe Kennzeichnungskraft, weil sie im Bereich technologischer Entwicklungen, physikalischer Verfahren, bei Maschinen und in der Chemie und damit auch im einschlägigen Warenbereich die gebräuchliche Abkürzung für „5. Generation“ sei. Die Vergleichsmarken unterschieden sich in visueller, klanglicher und begrifflicher Hinsicht deutlich voneinander. Die jüngere Marke werde vom unterscheidungskräftigen Bestandteil „ORGANOSIL“ geprägt, der als Fantasiebegriff und nicht als Abkürzung für „organisches Silizium“ verstanden werde, weil Silizium ein anorganischer Stoff sei, der nur in Verbindung mit Kohlenstoff zu einem organischen Stoff wie Silikon oder Polysilan werden könne.
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Die Verfahrensbeteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 10. März 2021 unter Beifügung von Recherchebelegen (Bl. 42 – 53 GA) darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
23
Zwischen der angegriffenen IR-Marke „ORGANOSIL G5“ und dem EU-Schutzrechtsanteil der älteren IR-Marke „G5“ besteht weder eine Verwechslungsgefahr, noch kommt eine Schutzverweigerung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt des Sonderschutzes der bekannten Marke in Betracht (§§ 107, 119 Abs. 1, 124, 114, 112 Abs. 1, 125b Nr. 1, 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG i. V. m. Art. 5 Abs. 1 PMMA, Art. 6quinquies B Nr. 1 PVÜ). Die Markenstelle hat den Widerspruch daher zu Recht zurückgewiesen.
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Da die internationale Registrierung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 erfolgt ist, ist für den dagegen erhobenen Widerspruch die Bestimmung des § 42 Abs. 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG).
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1. Eine Verwechslungsgefahr zwischen den Schutzrechtsanteilen der beiden international registrierten Marken ist zu verneinen.
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Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. nur EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 24 – RETROLYMPICS; GRUR 2021, 724 Rdnr. 31 – PEARL/PURE PEARL m. w. N.).
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a) Ausgehend von der Registerlage können sich die Vergleichsmarken teilweise auf identischen, teilweise auf weit überdurchschnittlich ähnlichen und teilweise auf normal ähnlichen Waren begegnen, teilweise liegt Warenunähnlichkeit vor.
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aa) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Art und Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH a. a. O. Rdnr. 36 – PEARL/PURE PEARL; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – PEARL/PURE PEARL; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM). Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird.
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bb) Bei den Vergleichswaren in Klasse 3 liegt Warenidentität vor. Die angegriffenen Waren „cosmétiques” (Kosmetika) sind im Verzeichnis der älteren Marke identisch enthalten („cosmetic preparations”). Unter den Begriff der Kosmetika fallen auch die für die angegriffene Marke eingetragenen Waren „parfumerie” (Parfümeriewaren). Die von der jüngeren Marke beanspruchten Produkte „Préparations pour blanchir et autres substances pour lessiver; préparations pour nettoyer, polir, dégraisser et abraser (Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel) werden von dem für die Widerspruchsmarke geschützten Oberbegriff „cleaning preparations” (Reinigungsmittel) umfasst. Die angegriffenen Produkte „savons; dentifrices” (Seifen, Zahnputzmittel) fallen unter den Widerspruchswarenoberbegriff „toilet preparations” (Körperpflegemittel). Die Produkte „huiles essentielles, lotions pour les cheveux” (ätherische Öle, Haarlotionen) können unter den für die ältere Marke registrierten Oberbegriff „preparations for the care of the skin and hair” (Haut- und Haarpflegemittel) subsumiert werden.
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cc) Die angegriffenen Waren in Klasse 5 „produits pharmaceutiques” (pharmazeutische Erzeugnisse) sind im Verzeichnis der Widerspruchsmarke mit der Bezeichnung „pharmaceutical preparations” (pharmazeutische Präparate) identisch enthalten. Auch die für die jüngere Marke geschützten Produkte „compléments alimentaires pour êtres humains et animaux“ (Nahrungsergänzungsmittel für Menschen und Tiere) werden von den Widerspruchswaren „nutritional food supplements” (Nahrungsergänzungsmittel) vollständig umfasst.
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dd) Zwischen den für die angegriffene Marke in Klasse 5 eingetragenen „produits vétérinaires” (veterinärmedizinische Erzeugnisse) und den Widerspruchswaren „pharmaceutical preparations” (pharmazeutische Erzeugnissen) besteht weit überdurchschnittliche Ähnlichkeit, weil es sich um weite Warenoberbegriffe handelt, unter die jeweils Produkte mit gleichen Wirkstoffen und Indikationen fallen können, sowie aufgrund des Umstandes, dass für den Menschen bestimmte pharmazeutische Produkte vielfach auch im veterinärmedizinischen Bereich eingesetzt werden (vgl. BPatG 24 W (pat) 7/06 – Bio-Cefit/CEKIT; BPatGE 43, 8, 15 ff. – Rhoda-Hexan/Sota-Hexal).
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Eine sehr hohe Ähnlichkeit besteht auch für die von der jüngeren Marke beanspruchten Waren „produits hygiéniques pour la médecine” (Hygienepräparate für medizinische Zwecke) und den pharmazeutischen Präparaten, für die die ältere Marke Schutz genießt, weil sie sich bei der Behandlung von Wunden ergänzen und im Hinblick auf bakterizide Eigenschaften jedenfalls teilweise sogar dieselbe Funktion erfüllen können. Der Verkehr wird daher bei unterstellter identischer Kennzeichnung naheliegend annehmen, dass die Produkte aus dem gleichen Betrieb stammen (vgl. BPatG 30 W (pat) 517/14 – Malteser Apotheke KUCHLER/Malteser/MALTESER, Malteser KUCHLER Apotheke Alles Gute zur Gesundheit./Malteserkreuz im Wappen/Malteser/MALTESER).
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Die pharmazeutischen Präparate der Widerspruchsmarke und die angegriffenen Waren „aliments et substances diététiques à usage médical ou vétérinaire” (diätetische Lebensmittel und Erzeugnisse für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke) sind aufgrund ihrer medizinischen Zweckbestimmung und des komplementären Anwendungsbereiches ebenfalls weit überdurchschnittlich ähnlich. Wenngleich letztere auch der Ernährung dienen, können sie zusammen mit pharmazeutischen Präparaten bei der Behandlung oder Vorbeugung von Krankheiten zum Einsatz kommen und dienen häufig dem gleichen Zweck, nämlich der Wiederherstellung oder Erhaltung der Gesundheit, können von den gleichen Herstellern stammen und werden gleichermaßen über Apotheken oder Drogerien vertrieben. Deutliche Überschneidungen können auch bei den Abgabeformen und Aufmachungen der Produkte sowie der stofflichen Beschaffenheit bestehen (vgl. BPatG 30 W (pat) 43/12 – Sinuvex/CinnoVex/Sinupret; 30 W (pat) 106/03– Zinkotec).
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ee) Von einer normalen Ähnlichkeit zu den pharmazeutischen Präparaten der älteren Marke ist bei den von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren „emplâtres, matériel pour pansements“ (Pflaster, Verbandmaterial) auszugehen, weil sich im Bereich der Hautpflege Überschneidungen bei der Produktanwendung ergeben können, z. B. bei Präparaten mit dermatologischem Einschlag. „Pflaster“ und „Verbandstoffe“ können dazu dienen, auf die Haut aufgebrachte oder über die Haut abzugebende Wirkstoffe abzudecken bzw. zu fixieren, um den Heilungsprozess zu fördern, so dass sich die Waren ergänzen können. Außerdem besteht eine Entwicklung zu Pflastern und Verbandmaterial mit darauf bzw. darin angebrachten Wirkstoffen, so dass sich die beiden Produktgruppen immer mehr verzahnen. Daher kann der Verkehr bei (vermeintlich) identischer Kennzeichnung leicht annehmen, dass die Produkte aus dem gleichen Betrieb stammen (BPatG 25 W (pat) 37/07 – Omnifit/Omnifix).
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Eine mittlere Ähnlichkeit der angefochtenen „désinfectants“ (Desinfektionsmittel) besteht zu den pharmazeutischen Präparaten der älteren Marke. Desinfektionsmittel dienen der Beseitigung von Mikroorganismen, die potentiell für den Menschen gefährlich sind (BPatG 30 W (pat) 173/99 – Free). Dabei werden sie nicht nur zur Desinfektion von Flächen eingesetzt, sondern können auch zur Wundversorgung und damit für medizinische Zwecke verwendet werden. Pharmazeutische Präparate können ebenfalls eine desinfizierende Wirkung haben, wie z. B. Arzneimittel aus der Gruppe der dermatologischen Erzeugnisse. Beide Waren werden von Ärzten administriert, über Apotheken angeboten und zur Linderung von Schmerzen und Behandlung von Verletzungen eingesetzt (vgl. BPatG 25 W (pat) 12/16 – SERTEX/RESTEX/VERTEX).
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Eine noch durchschnittliche Ähnlichkeit ist zwischen den angegriffenen Waren „aliments pour bébés“ (Babynahrungsmittel) und den pharmazeutischen Präparaten der Widerspruchsmarke anzunehmen. Denn diese Vergleichsprodukte können auch unter medizinischen Gesichtspunkten zum Einsatz kommen und insoweit die pharmazeutischen Präparate in einer Behandlung ergänzen. Sie können daher demselben Verwendungszweck dienen und werden beide in Apotheken verkauft (vgl. BPatG 25 W (pat) 12/16 – SERTEX/RESTEX/VERTEX).
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Dies gilt auch für „matières pour plomber les dents et pour empreintes dentaires“ (Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke), da der für die Widerspruchsmarke eingetragene Begriff der pharmazeutischen Präparate über reine Arzneimittel hinausgeht und beide Kollisionswaren bei einer medizinischen Behandlung eingesetzt werden (BPatG 25 W (pat) 305/02– Pharmatique/Pharmathek).
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ff) Keine Ähnlichkeit ist bei den angegriffenen Produkten „produits pour la destruction d’animaux nuisibles; fongicides, herbicides“ (Schädlingsbekämpfungsmittel; Fungizide, Herbizide) gegeben, weil diese nach ihrem Einsatzzweck und wegen ihrer toxischen Wirkung keine Entsprechungen zu den pharmazeutischen und medizinischen Waren, den Reinigungs- und Pflegemitteln sowie den Nahrungsergänzungsmitteln der Widerspruchsmarke aufweisen.
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b) Von den im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Produkten werden sowohl Apotheken und der Drogeriefachhandel als auch breite Endverbraucherkreise angesprochen, wobei insoweit auf den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]). Der Verkehr bringt Marken, die einen Bezug zu Gesundheit und Hygiene haben, regelmäßig erhöhte Aufmerksamkeit entgegen.
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c) Die Widerspruchsmarke „G5“ verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft.
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aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – c).
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aaa) Die ältere Marke setzt sich aus dem Großbuchstaben „G“ und der Ziffer „5“ zusammen.
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(1) Einem einzelnen Buchstaben kommt in der Sprache die Funktion zu, einen oder mehrere Laute zu bezeichnen; hingegen besitzt er keinen eigenen, ihm als solchem zukommenden inhaltlichen Bedeutungsgehalt. Dementsprechend verfügt ein Einzelbuchstabe im Regelfall von Haus aus über durchschnittliche Kennzeichnungskraft, es sei denn, es gebe Anzeichen für eine abweichende Beurteilung auf dem jeweiligen Waren- und Dienstleistungsgebiet, z. B. weil der Buchstabe eine sachbezogene Abkürzung darstellt oder branchenbedingt nur als Typen-, Serien- oder technische Standardbezeichnung verstanden wird (BGH GRUR 2012, 930 Rdnr. 27 – Bogner B/Barbie B; BPatG 28 W (pat) 249/97 – S; 28 W (pat) 189/96– K; 28 W (pat) 189/97 – T; BPatGE 38, 116, 119 – L; BPatGE 39, 140, 142 – M).
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(2) Der Großbuchstabe „G“ hat eine Vielzahl lexikalisch nachweisbarer Bedeutungen, nämlich „Gas“, „Gauß“ in der Physik, „gegossen“ in der Technik, „geheim“, „Geheimsache“, „Geld“ an der Börse, „Gemeinde“, „General[in]“, „Gerät“, „Gericht“, „Germany“ als englische Abkürzung, „Gesandter“, „Geschwindigkeit“, „Gesetz“, „Gewehr“, „Gewicht“, „Gewinn“, „Giga“, „Gitter“ in der Technik, „Gleichstrom“, „Golf“, „Grenzschutz“, „Größe“ in der Mathematik, „Grundfläche“ in der Geometrie, „Grundgehalt“, „Grundlinie“, „Gruppe“, „Gulden“, „Gummi“, „Guss“, „Gewichtskraft“ oder die Kraftfahrzeugkennzeichen für „Gera“ und „Graz“ (DUDEN – Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl. 2011, S. 175 f.). Keine dieser Bedeutungen hat einen beschreibenden Bezug zu den im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden pharmazeutischen und medizinischen Waren, den Reinigungs- und Pflegemitteln sowie den Nahrungsergänzungsmitteln der Widerspruchsmarke.
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(3) Der Primzahl „5“ kann für die vorgenannten Produkte ebenfalls keine Sachangabe entnommen werden.
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bb) Auch die Buchstaben-Zahlen-Kombination „G5“ enthält keine unmittelbar beschreibende Sachaussage über die in Rede stehenden Waren. Weder stellt sie eine geläufige Fachabkürzung für bestimmte Inhaltsstoffe oder andere sachliche Merkmale dar, noch wird sie als Hinweis auf die „Generation“ der Waren oder ihrer Inhaltsstoffe aufgefasst. Die Abkürzung für den Begriff „Generation“ lautet „Gen.“ (https://abkuerzungen.woxikon.de/abkuerzung/generation.php). Soweit im Technik-, EDV- und Telekommunikationsbereich Geräte einer derart schnellen Weiterentwicklung unterliegen, dass dort von „Generationen“ gesprochen wird, die mit dem Großbuchstaben „G“ und einer konkretisierenden Ziffer abgekürzt werden, lässt sich dies nicht auf die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden pharmazeutischen und medizinischen Waren, die Reinigungs- und Pflegemittel sowie die Nahrungsergänzungsmittel der älteren Marke übertragen. Die Inhaber der angegriffenen Marke haben außerhalb des vorgenannten Bereichs lediglich zwei Beispiele vorgelegt, die sich auf Nahrungsergänzungsmittel aus „organischem Silizium“ beziehen, bei denen von der „fünften/5. Generation“ gesprochen und daher suggestiv mit der Fortschrittlichkeit des Produkts bzw. seines Inhalts geworben wird (Anlage PP 3 zum Schriftsatz der Beschwerdegegner vom 14. Januar 2016), wobei sogar eines der Produkte auf die Widersprechende zurückgehen dürfte. Es fehlt daher auch im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Buchstaben-Zahlenkombination „G5“ auf diesem Warengebiet vom Verkehr ohne weiteres, insbesondere ohne begleitende Erläuterung als 5. Generation verstanden wird, zumal es dort um grundsätzlich bekannte Inhaltsstoffe geht. Da sich der menschliche Körper über die Jahrhunderte biologisch kaum verändert hat, erwartet der Verbraucher auch von Nahrungsergänzungsmitteln keine Vitamine oder Mineralien, die ständig in neu entwickelten „Generationen“ verfügbar sind.
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cc) Von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft infolge intensiver Benutzung kann nicht ausgegangen werden.
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aaa) Für die Annahme einer erhöhten Kennzeichnungskraft durch eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit bedarf es hinreichend konkreter Angaben zum Marktanteil, zu Intensität, geografischer Verbreitung und Dauer der Benutzung der Marke, zum Werbeaufwand des Unternehmens inklusive Investitionsumfangs zur Förderung der Marke sowie ggf. zu demoskopischen Befragungen zwecks Ermittlung des Anteils der beteiligten Verkehrskreise, die die Waren oder Dienstleistungen auf Grund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (st. Rspr.: EuGH GRUR 2005, 763 Rdnr. 31 – Nestlé/Mars; GRUR 2017, 75 Rdnr. 29 – Wunderbaum II; BGH GRUR 2008, 903 Rdnr. 13 – SIERRA ANTIGUO). Die erhöhte Kennzeichnungskraft muss bereits im Zeitpunkt der Anmeldung bzw. hier im Zeitpunkt der internationalen Registrierung der angegriffenen Marke (vgl. BGH GRUR 2017, 1262 Rdnr. 14 – Schokoladenstäbchen III) bestanden haben (BGH GRUR a. a. O. Rdnr. 13 f. – SIERRA ANTIGUO, GRUR 2020, 870 Rdnr. 22 – INJEKT/INJEX) und im Entscheidungszeitpunkt noch fortbestehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX; GRUR 2019, 1058 Rdnr. 14 – KNEIPP). (vgl. BGH GRUR 2017, 1262 Rdnr. 14 – Schokoladenstäbchen III). Eine Steigerung der Kennzeichnungskraft durch intensive Benutzung ist von der Widersprechenden darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit die Benutzungslage nicht im Einzelfall amts- oder gerichtsbekannt ist (BGH GRUR 2006, 859 Rdnr. 33 – Malteserkreuz; BPatG 25 W (pat) 506/16 – Fireslim/Fire; GRUR-RR 2015, 468, 469 – Senkrechte Balken). Auch bei einer Unionsmarke, der eine internationale Registrierung, in der die Europäische Union benannt ist, gleichzustellen ist, kommt es auf das Verkehrsverständnis im Kollisionsgebiet an, hier also auf das Verkehrsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 24 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2013, 1239 Rdnr. 67 – VOLKSWAGEN/Volks.Inspektion).
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bbb) Die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden vom 16. Dezember 2020 enthält selbst keine Angaben über Umsätze in Deutschland oder dort unternommene Werbeaufwendungen. Allerdings ergeben sich aus der in Bezug genommenen Anlage 5 für das Inland in den Jahren 2014 bis 2019 Umsätze in Höhe zwischen 2.931,68 € bis 9.670,71 € pro Jahr, also durchschnittlich etwa 6.700 € jährlich sowie ein inländischer Marktanteil im gesamten Zeitraum von 0,31 %. Diesen Zahlen lässt sich jedoch nicht entnehmen, wie sie sich auf die einzelnen verschiedenen Waren im Verzeichnis der Widerspruchsmarke verteilen. Selbst wenn man aber – entgegen der Ausführungen des Geschäftsführers auf der zweiten Seite seiner eidesstattlichen Versicherung – unterstellt, dass diese sich nur auf Nahrungsergänzungsmittel beziehen, können diese geringen Umsatzzahlen auf einem Markt von etwa 80 Mio. Endverbrauchern nicht als nennenswerter Umsatz angesehen werden, der Rückschlüsse auf eine auch nur ansatzweise erhöhte Verkehrsbekanntheit zuließe, zumal für den Zeitraum vor dem maßgeblichen Registrierungsdatum der jüngeren Marke nur Daten für das Jahr 2014 vorhanden sind und in diesem Jahr in Deutschland ein Umsatz von nur 2.931,68 € erzielt worden ist.
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d) Die jüngere Marke hält bei teilweise identischen, teilweise weit überdurchschnittlich und teilweise normal ähnlichen Vergleichswaren sowie durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke trotz erhöhter Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise den erforderlichen deutlichen Abstand wegen weit unterdurchschnittlicher Markenähnlichkeit ein.
51
aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 48 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 28 – RETROLYMPICS), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53– Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 41 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. Rdnr. 31 – RETROLYMPICS; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH a. a. O. Rdnr. 28 – RETROLYMPICS). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH a. a. O. – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. – RETROLYMPICS).
52
bb) Die Vergleichsmarken „ORGANOSIL G5“ und „G5“ unterscheiden sich in der Gesamtheit und (schrift-)bildlich durch das abweichende Anfangswort „ORGANOSIL“, das eine Verlängerung der angegriffenen Marke um ein Mehrfaches bewirkt, deutlich voneinander.
53
cc) Dies gilt auch in klanglicher Hinsicht. Denn der phonetische Gesamteindruck der jüngeren Marke wird nicht durch den übereinstimmenden Bestandteil „G5“ geprägt.
54
aaa) Gegen eine solche Prägung spricht zunächst, dass „ORGANOSIL“ den längsten und vollständig aussprechbaren Bestandteil am Anfang der angegriffenen Marke bildet, dem ein größeres Gewicht zukommt als der nachfolgenden Buchstaben-Zahlenkombination, weil der Verkehr dem Beginn eines Wortzeichens im Allgemeinen größere Aufmerksamkeit schenkt (vgl. BGH a. a. O. Rdnr. 43 – RETROLYMPICS m. w. N.).
55
bbb) Ferner handelt es sich bei „ORGANOSIL“ um einen Fantasiebegriff, der mangels warenbeschreibender Bedeutung nicht in den Hintergrund tritt.
56
(1) Es ist schon zweifelhaft, ob dieses Markenwort überhaupt aus mehreren Teilwörtern besteht und der Verkehr dies erkennt. Wenn letzteres der Fall sein sollte, liegt die Zusammensetzung aus „ORGANO“ und „SIL“ am nächsten.
57
(2) Denn der erste Teil „ORGANO“ lehnt sich für das angesprochene Publikum erkennbar an das bekannte Substantiv „Organ“ im Sinne eines aus verschiedenen Geweben zusammengesetzten einheitlichen Teils des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Körpers mit einer bestimmten Funktion an (https://www.duden.de/rechtschreibung/Organ). Es kann ihn auch als Kurzform für „Organe“, „Organismus“ oder „organisch“ auffassen.
58
(3) Der zweite Teil „SIL“ ist im Inland weder als Wort noch als Abkürzung lexikalisch nachweisbar (DUDEN – Das Wörterbuch der Abkürzungen, a. a. O., S. 367). Es wird auch nicht als Kurzform für „Silber“, „Silikon“, „Silan“ (Siliziumwasserstoff), „Silikat“ (Salz einer Kieselsäure), „Silymarin“ (ein aus den Früchten der Mariendistel gewonnener Wirkstoff) oder das Heilmittel „Silberweidenrinde“ benutzt. Die für das chemische Element „Silizium“ sowohl in der Alltags- als auch in der Fachsprache verwendete Abkürzung ist „Si“ (DUDEN – Das Wörterbuch der Abkürzungen, a. a. O., S. 366).
59
(4) Selbst wenn der Verkehr eine Kombination der Wortanfänge von „organisch“ und „Silizium“ vermutete, würde die Einfügung des nicht zu den abgekürzten Einzelbegriffen gehörenden Vokals „O“, die mit einer unnötigen Verlängerung und zugleich mit der Gefahr von Missverständnissen über den Bedeutungsgehalt verbunden ist, von einer beschreibenden Abkürzung wegführen. Die vorliegende Wortbildung entspricht eher sprechenden Kennzeichen, wie z. B. „Clearasil“, „Organosept“ oder „Dermasan“.
60
(5) Außerdem wirkt die Buchstaben-Zahlenkombination „G5“ in der jüngeren Marke als ein an das eigentliche Markenwort angehängter Zusatz zur Kurzbenennung von Wirk- und Zusatzstoffen oder zur Unterscheidung von Produktvarianten (Anlagenkonvolut zum gerichtlichen Hinweis). Die angesprochenen Verkehrskreise werden die Gesamtmarke daher nicht allein mit dem nachgestellten Bestandteil „G5“ benennen.
61
dd) Klanglich unterscheiden sich die Wortmarken in der Silbenzahl, der Vokalfolge sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus sehr deutlich. Den sieben Silben der angegriffenen Marke „ORGANOSIL G5“ mit der Vokalfolge „O-A-O-I-E-Ü“ steht die zweisilbige Widerspruchsmarke „G5“ mit der Vokalfolge „E-Ü“ gegenüber. Die jüngere Marke beginnt mit einem dunklen Vokal, während den Anfangslaut der älteren Marke ein heller Vokal bildet.
62
ee) Begrifflich sind die Vergleichsmarken ebenfalls gut auseinanderzuhalten, weil sich Fantasiebegriffe gegenüberstehen.
63
e) Aus den vorgenannten Gründen ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in jeder Hinsicht ausgeschlossen.
64
f) Auch eine Verwechslungsgefahr zwischen der jüngeren Marke „ORGANOSIL G5“ und der Widerspruchsmarke „G5“ durch gedankliche Verbindung ist zu verneinen.
65
aa) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne kann gegeben sein, wenn der Verkehr zwar die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Zeicheninhabern ausgeht. Eine solche Verwechslungsgefahr kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 50 – RETROLYMPICS; GRUR 2013, 1239 Rdnr. 45 – Volkswagen/Volks.Inspektion). Diese liegen regelmäßig vor, wenn eine Marke als Bestandteil in ein zusammengesetztes Kennzeichen übernommen wird und eine selbständig kennzeichnende Stellung beibehält, ohne dass sie das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke dominiert oder prägt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 30 – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. – RETROLYMPICS; GRUR 2014, 1101 Rdnr. 54 – Gelbe Wörterbücher).
66
bb) Zwar wird die Widerspruchsmarke „G5“ in die jüngere Marke vollständig übernommen. Die angesprochenen Verbraucher nehmen „G5“ aber in der Marke „ORGANOSIL G5“ nicht als eigenständig kennzeichnend wahr, weil beide Bestandteile Fantasiebegriffe darstellen, wobei die Buchstaben-Zahlenkombination wie ein Zusatz zum eigentlichen Markenwort wirkt. Der lange Anfangsbestandteil „ORGANOSIL“ führt von der älteren Marke derart weg, dass der Verkehr eine geschäftliche, wirtschaftliche oder organisatorische Beziehung zur Widersprechenden nicht vermutet.
67
g) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne wird auch angenommen, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 31 – THOMSON LIFE; GRUR 2010, 933 Rdnr. 34 – Barbara Becker; BGH GRUR 2010, 646 Rdnr. 15 – OFFROAD; BGH GRUR 2006, 859 – Malteserkreuz).
68
Das ist hier nicht der Fall, weil „ORGANOSIL“ kein Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen der Inhaber der jüngeren Marke ist.
69
h) Zwar kann eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der in das jüngere Gesamtzeichen übernommenen älteren Marke ebenfalls eine selbständig kennzeichnende Stellung bewirken.
70
aa) Weist ein Zeichen Ähnlichkeiten mit einer bekannten Marke auf, wird das angesprochene Publikum wegen der Annäherung an die bekannte Marke häufig annehmen, zwischen den Unternehmen, die die Zeichen nutzten, lägen wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen vor (BGH a. a. O. Rdnr. 47 – Volkswagen/Volks.Inspektion; WRP 2009, 616, 624 f. – METROBUS; GRUR 2003, 880, 881 – City Plus).
71
bb) Aber die Widerspruchsmarke verfügt für die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Waren nur über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft, so dass der Verkehr nicht auf geschäftliche, wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen dem Unternehmen der Widersprechenden und den Inhabern der angegriffenen Marke schließt.
72
i) Die von der Widersprechenden angeführten Entscheidungen sind nicht vergleichbar und rechtfertigen daher keine andere Beurteilung.
73
aa) Nach dem Beschluss des BPatG im Kollisionsverfahren „RIAS“ und „RIAS KAMMERCHOR“ (27 W (pat) 18/15) trat im Gegensatz zum vorliegenden Fall der Bestandteil „KAMMERCHOR“ als unmittelbar beschreibende Angabe hinter dem Kennzeichen des bekannten ehemaligen Rundfunksenders zurück.
74
bb) Im Verfahren vor dem EUIPO (Entscheidung der Löschungsabteilung v. 26. November 2019 – 9743 C) verfügte die Unionsmarke über das eindeutig beschreibende Wortelement „Silicium“, während „ORGANOSIL“ als Fantasiebegriff wahrgenommen wird.
75
2. Der Löschungsgrund des Sonderschutzes einer bekannten Marke liegt ebenfalls nicht vor.
76
a) Da die Schutzerstreckung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 erfolgt ist, kann der Bekanntheitsschutz nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden (§ 158 Abs. 2 und 3 MarkenG). Dies hat die Widersprechende getan, indem sie vorgetragen hat, die Inhaber der angegriffenen Marke, die relativ neue Anbieter aus der Schweiz seien, hätten die Absicht, den guten Ruf der Widerspruchsmarke „G5“ auszunutzen.
77
b) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG kann eine Marke bei unähnlichen Waren und Dienstleistungen gelöscht werden, wenn sie mit einer prioritätsälteren, im Inland bekannten Marke identisch oder ähnlich ist, und ihre Benutzung die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde. Soweit die angegriffene Marke hier Schutz für Waren beansprucht, die unter das Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke fallen, ist § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG entsprechend anwendbar (vgl. BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 37 – Wunderbaum II m. w. N.). Da eine internationale Registrierung, in der die Europäische Union benannt ist, dieselbe Wirkung hat wie die Eintragung einer Marke als Unionsmarke, tritt infolge des § 125b Nr. 1 MarkenG an die Stelle der Bekanntheit im Inland die Bekanntheit in der Union gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. c UMV (BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 23, 56 – RETROLYMPICS).
78
aa) Bei der Widerspruchsmarke „G5“ handelt es sich aber schon nicht um eine in der EU bekannte Marke im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG.
79
aaa) Eine Marke ist bekannt im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG, wenn sie einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von den durch die Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist, ohne dass bestimmte Prozentsätze des Bekanntheitsgrades zu fordern sind (EuGH GRUR 2009, 1158 Rdnr. 24 – Pago/Tirolmilch; BGH GRUR 2015, 1114 Rdnr. 10 – Springender Pudel). Erforderlich ist eine Bekanntheit als Kennzeichnungsmittel für bestimmte Waren oder Dienstleistungen (BGH a. a. O. – Springender Pudel; BGH GRUR 2004, 235, 238 – Davidoff II). Maßgeblich sind bei der Prüfung dieser Voraussetzungen alle relevanten Umstände des Falles, also insbesondere der Marktanteil der älteren Marke, die Intensität, die geographische Ausdehnung und die Dauer ihrer Benutzung sowie der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zu ihrer Förderung getätigt hat (EuGH GRUR Int. 2000, 73 Rdnr. 23 ff. – Chevy; BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 37 – WUNDERBAUM II; a. a. O. – Springender Pudel; GRUR 2015, 1214 Rdnr. 20; GRUR 2014, 378 Rdnr. 22 – OTTO Cap). Die Bekanntheit muss bereits zum Prioritätszeitpunkt der angegriffenen Marke bestanden haben (BGH GRUR a. a. O. Rdnr. 13 f. – SIERRA ANTIGUO, GRUR 2020, 870 Rdnr. 22– INJEKT/INJEX) und im Entscheidungszeitpunkt noch fortbestehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX; GRUR 2019, 1058 Rdnr. 14 – KNEIPP). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
80
bbb) Abgesehen davon, dass die weniger als ein Jahr vor der internationalen Registrierung der angegriffenen Marke aufgenommene Benutzung noch keine Bekanntheit im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG herbeigeführt haben dürfte, hat die Widersprechende weder in der eidesstattlichen Versicherung noch in den beigefügten Anlagen die genannten Umsätze, Marktanteile und Werbeaufwendungen in den Mitgliedstaaten der EU für die Jahre 2014 bis 2019 auf die verschiedenen, im Verzeichnis der Widerspruchsmarke aufgeführten Waren aufgeteilt. Entsprechende Angaben für die Gegenwart fehlen ebenfalls. Die Widersprechende hat zudem weder in der eidesstattlichen Versicherung noch in der Anlage 4 angegeben, wann die Zulassung für Nahrungsergänzungsmittel mit organischem Silizium durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erfolgt ist, aus der sie die behauptete EU-weite Marktführerschaft herleitet. Den irischen Unternehmerpreis hat die Widersprechende erst 2018, also lange nach dem ersten maßgeblichen Zeitpunkt erhalten. Außerdem dürfte diese Auszeichnung ohne EU-weite Presseberichterstattung, die nicht vorgelegt wurde, nur regionale Auswirkungen gehabt haben.
III.
81
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.

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