Patent- und Markenrecht

28 W (pat) 548/21

Aktenzeichen  28 W (pat) 548/21

Datum:
2.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
28. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2019 107 482
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 2. März 2022 unter Mitwirkung des Richters Schödel, der Richterin Uhlmann und der Richterin kraft Auftrags Berner beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 18. Mai 2021 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.
1
Die Wort-/Bildmarke
2
ist am 6. Juni 2019 angemeldet und am 3. Juli 2019 unter der Nummer 30 2019 107 482 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Dienstleistungen der
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Klasse 35: Vermittlung von Verträgen für Dritte; Vermittlung von Verträgen für Dritte über die Erbringung von Dienstleistungen; Vermittlung von Verträgen in Bezug auf Energieversorgung; Abrechnungsdienste für Energielieferanten; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen.
4
Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 2. August 2019 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdegegnerin Widerspruch erhoben aus der Wortmarke
5
energis
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die am 25. Juli 2011 angemeldet wurde und am 28. November 2011 in das Register unter der Nummer 30 2011 040 483 eingetragen worden ist neben Waren und Dienstleistungen der Klassen 4, 7, 9, 11, 12, 36, 37, 39, 40 ,41, 42, 43, 44 und 45 für Dienstleistungen der
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Klasse 35: Werbung; Marketing (Absatzforschung); betriebswirtschaftliche und/oder organisatorische Beratung auf dem Gebiet der Werbung und des Marketings; Herausgabe von Werbetexten; Erteilung von Auskünften (Information) und Beratung für Verbraucher in Handels- und Geschäftsangelegenheiten [Verbraucherberatung]; Verfassen von Werbetexten; Geschäftsführung; Organisation und Durchführung von Messen und Ausstellungen für wirtschaftliche und Werbezwecke; Organisation und Durchführung von Werbeveranstaltungen; Waren- und Dienstleistungspräsentationen; Vorführen von Waren für Werbezwecke; Anzeigenwerbung in Illustrierten und Fachzeitschriften sowie Tageszeitungen; Rundfunk-, Internet-, Telefon- und Fernsehwerbung; Bandenwerbung in Stadien; Außenwerbung; Telefonantwortdienst für abwesende Teilnehmer; Büroarbeiten; Organisation von Messen und Ausstellungen für wirtschaftliche Zwecke im Bereich Unternehmensverwaltung; Unternehmens- und Organisationsberatung in Geschäftsangelegenheiten im Bereich Kommunikationstechnik und im Energiebereich; Dienstleistungen eines Bauträgers, nämlich organisatorische Vorbereitung von Bauvorhaben; betriebswirtschaftliche Dienstleistungen für Dritte zur Beschaffung von Energie und Brennstoffen mittels Leitungsnetzen, mittels Rohrleitungen, auch mittels Dienstleistungsverträgen für andere Unternehmen; betriebswirtschaftliche Beratung Dritter auf dem Gebiet der Erzeugung, Beschaffung, des Transportes und der Nutzung von Energie und Wasser; betriebswirtschaftliche Beratung zur Optimierung von Wärmeerzeugungsanlagen; Marketingdienstleistungen, insbesondere Vermarktung für die durch Abfallbeseitigung, Abwasserbehandlung, Altlastensicherung und -sanierung, insbesondere durch Verwertung und Beseitigung von Abfällen gewonnenen Stoffe; kaufmännische Geschäfts- und Betriebsführung für Dritte, insbesondere in den Bereichen Energie, Gas, Wasser und Abwasser; kaufmännische Geschäfts- und Betriebsführung für Dritte, insbesondere von Wärmeerzeugungsanlagen; Heizkostenabrechnung (Verbrauchsabrechnung) für Dritte; Lohn- und Gehaltsabrechnung; unternehmensverwalterische Dienstleistungen sowie betriebswirtschaftliche Dienstleistungen zur Organisation des Zugriffs auf Rohrleitungsnetze Dritter (verwaltungstechnische Dienstleistung); Durchführung von kaufmännischen Dienstleistungen, insbesondere Abrechnung von Energielieferungen für Dritte; Annahme, Bearbeitung und Abwicklung von Bestellungen auf dem Gebiet der Energieversorgung; Aufstellung von Kosten-Preis-Analysen auf dem Gebiet der Energiebeschaffung und Energieversorgung; Erstellen von Statistiken auf dem Gebiet der Energiebeschaffung und Energieversorgung; Beschaffungsdienstleistungen für Dritte (Erwerb von Waren und Dienstleistungen für andere Unternehmen) auf dem Gebiet der Energiebeschaffung und Energieversorgung; Vermittlung von Handelsgeschäften und Verträgen für Dritte auf dem Gebiet der Energiebeschaffung und Versorgung, insbesondere Vermittlung und Abschluss von Verträgen über Transportkapazitäten, Transportdienstleistungen mittels Leitungsnetzen, Speicherkapazitäten und Gasstrukturierungsdienstleistungen, auch im Rahmen von E-Commerce für Dritte; Geschäftsführung für Dritte von Anlagen, die der Erzeugung, Fortleitung oder Abgabe von elektrischer und/oder thermischer Energie, Gas oder Wasser dienen; Vermittlung von Verträgen über die Bereitstellung oder Inanspruchnahme von Transportrechten in Rohrleitungsnetzen.
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Die Widersprechende hat bei Erhebung des Widerspruchs am 15. Oktober 2019 auf dem amtlichen Formblatt W7202.1 ausdrücklich angegeben, dass der Widerspruch nur auf die Dienstleistungen der Klasse 35 gestützt werde, und als weitere Anlage ein Verzeichnis der für diese Klasse eingetragenen Dienstleistungen beigefügt. In der Widerspruchsbegründung vom 6. Januar 2020, die beim DPMA per Telefax am selben Tag eingegangen ist, hat sie den Widerspruch hingegen auf alle Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke gestützt. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2020 die Einrede der Nichtbenutzung erhoben.
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Mit Beschluss vom 18. Mai 2021 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA die angegriffene Marke gelöscht und den Antrag der Widersprechenden, der Inhaberin der angegriffenen Marke die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, zurückgewiesen.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Widersprechende habe Kopien von Produkt- und Preislisten, Werbeflyer, Screenshots von Internetseiten sowie eine eidesstattliche Versicherung des Leiters Privat- und Gewerbekunden im Unternehmen der Widersprechenden mit Umsatzzahlen vorgelegt, aus denen sich die regelmäßige Verwendung der Widerspruchsmarke für die Lieferung von Strom in den Jahren 2015 bis 2019 ergebe. Damit sei der Widersprechenden gelungen, die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für den maßgeblichen Zeitraum 6. Juni 2014 bis 6. Juni 2019 für die Dienstleistungen der Klasse 39 „Dienstleistungen jeglicher Art im Bereich der Logistik (Transportsektor); Logistikdienstleistungen jeglicher Art auf dem Transportsektor durch ein Versorgungsunternehmen oder ein Stadtwerk, insbesondere Versorgung durch Anlieferung von elektrischer Energie an Kommunen, private Haushalte, Gewerbe und Industrie; Transport, Verteilung und Lieferung von Energie mittels Leitungsnetzen auch mittels Dienstleistungsverträgen mit Dritten; Transport, Verteilung und Lieferung von Energie mittels Rohrleitungen, auch aufgrund von Dienstleistungsverträgen mit Dritten; Transport und Verteilung von Strom“ nachzuweisen. Diese seien zu den Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke durchschnittlich ähnlich, da der Verkehr daran gewöhnt sei, von Energieversorgern umfassende Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Energielieferungen zu erhalten. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durchschnittlich. Zu dieser halte die angegriffene Marke den gebotenen deutlichen Abstand nicht mehr ein. In klanglicher Hinsicht bestehe eine erhebliche Ähnlichkeit, da die Markenwörter „ENERGIM“ und „energis“ in der Wortlänge, der Vokalfolge, der Silbenzahl, im Sprechrhythmus, in der Betonung sowie in sechs der jeweils sieben Buchstaben übereinstimmten. Für ein Abweichen von dem gesetzlichen Regelfall, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trage, sei nichts erkennbar.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke. Sie ist der Ansicht, die beiderseitigen Marken richteten sich an unterschiedliche Verkehrskreise. Sie sei im Wesentlichen im Abrechnungsgeschäft für verschiedene Energieanbieter tätig, die Widersprechende trete dagegen als Energielieferant gegenüber Verbrauchern auf. Die Widerspruchsmarke „energis“ erschöpfe sich in dem schwedischen Wort für „Energie“ und werde auch im Deutschen verballhornend als Pluralform dieses Begriffs wahrgenommen. Sie sei so kennzeichnungsschwach, dass sich ihr Schutzbereich auf identische Zeichen beschränke. Beide Marken seien Abwandlungen des beschreibenden Begriffs „Energie“.
12
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des DPMA vom 18. Mai 2021 aufzuheben und den Widerspruch aus der Marke 30 2011 040 483 zurückzuweisen.
14
Die Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, das schwedische Wort für „Energie“ laute „energi“, das den inländischen Durchschnittsverbrauchern nicht geläufig sei. Das Wort „energis“ werde im Deutschen nicht verballhornend verwendet. Der Widerspruchsmarke komme daher eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu. Die Dienstleistung „Vermittlung von Energielieferverträgen“, für die die angegriffene Marke eingetragen sei, richte sich auch an Verbraucher, so dass eine Ähnlichkeit zu den Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 39 anzunehmen sei.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
18
Die nach § 66 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und führt gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
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1. Das Verfahren vor dem DPMA leidet an einem wesentlichen Mangel, weil der Entscheidung Widerspruchsdienstleistungen zugrundegelegt worden sind, auf die der Widerspruch nicht gestützt worden ist.
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a) Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patent- und Markenamt an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG ist auszugehen, wenn es nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für die darauf beruhende Entscheidung des DPMA anzusehen ist (BGH GRUR 1962, 86, 87 – Fischereifahrzeug).
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b) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat in zulässiger Weise die Einrede der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke erhoben. Die Markenstelle ist nach Würdigung der von der Widersprechenden eingereichten Unterlagen davon ausgegangen, dass die Widerspruchsmarke für die Dienstleistungen der Klasse 39 „Dienstleistungen jeglicher Art im Bereich der Logistik (Transportsektor); Logistikdienstleistungen jeglicher Art auf dem Transportsektor durch ein Versorgungsunternehmen oder ein Stadtwerk, insbesondere Versorgung durch Anlieferung von elektrischer Energie an Kommunen, private Haushalte, Gewerbe und Industrie; Transport, Verteilung und Lieferung von Energie mittels Leitungsnetzen auch mittels Dienstleistungsverträgen mit Dritten; Transport, Verteilung und Lieferung von Energie mittels Rohrleitungen, auch aufgrund von Dienstleistungsverträgen mit Dritten; Transport und Verteilung von Strom“ rechtserhaltend benutzt worden ist.
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c) Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Widersprechende hat innerhalb der Widerspruchsfrist ihren Widerspruch ausdrücklich nur auf die Dienstleistungen der Klasse 35 gestützt, für die die Widerspruchsmarke eingetragen ist. Erst mit Schreiben vom 6. Januar 2020 hat die Widersprechende ihren Widerspruch auf alle für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren und Dienstleistungen gestützt. Diese Erweiterung ist unzulässig und unbeachtlich, da sie nach Ablauf der Widerspruchsfrist am 2. November 2019 erfolgt ist (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl., § 42 Rdnr. 58). Indem die Markenstelle ihrer Entscheidung Dienstleistungen der Klasse 39 der Widerspruchsmarke zugrundegelegt hat, ist sie ersichtlich von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen. Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Entscheidung der Markenstelle.
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2. Der Senat sieht deshalb nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung ab und verweist die Sache an das DPMA zurück. Ungeachtet der Bedeutung, die dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie im Rahmen der gebotenen Ermessensausübung zukommt, kann es nicht zu den Aufgaben des Patentgerichts gehören, in der Sache die dem DPMA obliegende differenzierte Erstprüfung eingereichter Benutzungsunterlagen zu übernehmen, zumal sowohl diese als auch die Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 35 umfangreich sind (vgl. BPatG 24 W (pat) 524/15 – kerzenzauber; 26 W (pat) 540/16 – Viva Home). Dabei sind ferner sowohl der sonst eintretende Verlust einer Entscheidungsinstanz als auch die Belastung des Senats mit einem hohen Stand an vorrangigen Altverfahren bei gleichzeitiger personeller Unterbesetzung zu berücksichtigen, der eine zeitnahe Behandlung des vorliegenden, erst im Jahr 2021 anhängig gewordenen Verfahrens nicht zulässt. Durch die Zurückverweisung ist keine Verzögerung des Verfahrens zu befürchten.
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Die Markenstelle wird daher erneut in die Prüfung einzutreten haben, ob und gegebenenfalls für welche konkreten Dienstleistungen der Klasse 35 die Widerspruchsmarke benutzt wird und ob insoweit eine Verwechslungsgefahr mit der angegriffenen Marke besteht. Sollte sie eine rechtserhaltende Benutzung im Ergebnis verneinen, wird dies auch bei der Entscheidung über den Kostenantrag der Inhaberin der angegriffenen Marke zu berücksichtigen sein.
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3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nach § 71 Abs. 3 MarkenG anzuordnen. Dies entspricht der Billigkeit, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerde bei korrekter Sachbehandlung vermieden worden wäre.
III.
26
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.


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