Patent- und Markenrecht

29 W (pat) 517/19

Aktenzeichen  29 W (pat) 517/19

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:201021B29Wpat517.19.0
Spruchkörper:
29. Senat

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 11 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Januar 2019 aufgehoben.
Auf den Widerspruch aus der Marke 30 2012 011 874 wird die Löschung der angegriffenen Marke 30 2012 018 935 angeordnet.

Gründe

I.
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Die Wortmarke
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HotSpot
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ist am 8. März 2012 angemeldet und am 23. Mai 2012 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register unter der Nummer 30 2012 018 935 für die Waren und Dienstleistungen der
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Klasse 11:
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Badeanlagen, Druckwasserspeicher, Heißwassergeräte, Heizkessel, Regelungs- und Sicherheitszubehör für Wassergeräte und Wasserleitungen, Rohre für Heizkessel, sanitäre Apparate und Anlagen, Speisevorrichtungen für Heizkessel, Trinkwasserfilter, Wärmepumpen, Wärmerückgewinner, Wärmespeicher, Wärmetauscher, Warmwasserbereiter (Apparate), Warmwassergeräte, Warmwasserheizungsanlagen, Wasserkühlanlagen, Wasserleitungsanlagen, Wasserfilter, als Teile von Wasserfiltriergeräten, Wasserfiltriergeräte, Wasserreinigungsanlagen, Wasserreinigungsgeräte und -maschinen, Wasserversorgungsanlagen, Wasserverteilungsanlagen; Teile, Bestandteile und Zubehör für alle vorstehend genannten Waren (soweit in Klasse 11 enthalten);
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Klasse 37:
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Bauwesen; Installationsarbeiten, insbesondere zur Inbetriebnahme von, Installation von, Instandsetzung von, Reinigung von, Wartung von Badeanlagen, Druckwasserspeichern, Filtergeräten für Wasser, Heißwassergeräten, Heizkesseln, Regelungs- und Sicherheitszubehör für Wassergeräte und Wasserleitungen, Rohren für Heizkessel, sanitären Apparaten und Anlagen, Speisevorrichtungen für Heizkessel, Trinkwasserfiltern, Wärmepumpen, Wärmerückgewinnern, Wärmespeichern, Wärmetauschern, Warmwasserbereitern, Warmwassergeräten, Warmwasserheizungsanlagen, Wasserkühlanlagen, Wasserleitungen, Wasserleitungsanlagen, Wasserfiltern, Wasserfiltriergeräten, Wasserreinigungsanlagen, Wasserreinigungsgeräten und -maschinen, Wasserversorgungsanlagen, Wasserverteilungsanlagen sowie Teilen, Bestandteilen und Zubehör für alle vorstehend genannten Waren (soweit in Klasse 11 enthalten); Reparaturarbeiten, nämlich Kesselflicken und Klempnerarbeiten;
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eingetragen worden.
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 22. Juni 2012 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus der Wortmarke 30 2012 011 874
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HOTSPUR
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Die Widerspruchsmarke wurde am 31. Januar 2012 angemeldet und am 9. März 2012 eingetragen und genießt Schutz für die Waren der
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Klasse 11: Mischventile [Wasserhähne].
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Mit Beschluss vom 31. Januar 2019 hat die Markenstelle für Klasse 11 des DPMA eine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG verneint und den Widerspruch zurückgewiesen.
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Die für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren der Klasse 11 „Mischventile [Wasserhähne]“ seien zwar hochgradig ähnlich zu den für die angegriffene Marke eingetragenen Waren „sanitäre Apparate und Anlagen, Bestandteile und Zubehör (soweit in Klasse 11 enthalten); Badeanlagen, Regelungs- und Sicherheitszubehör für Wassergeräte und Wasserleitungen, Warmwasserbereiter (Apparate), Warmwassergeräte, Wasserleitungsanlagen, Wasserversorgungsanlagen, Wasserverteilungsanlagen“. Zu den übrigen für die jüngere Marke eingetragenen Waren und Dienstleistungen bestehe keine Ähnlichkeit. Es sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen. Den bei dieser Ausgangslage erforderlichen Abstand der Zeichen halte die angegriffene Marke noch ein. In ihrer Gesamtheit würden sich die Vergleichsmarken sowohl klanglich, als auch schriftbildlich deutlich unterscheiden. Zwischen den Zeichen sei zwar eine Reihe von klanglichen und schriftbildlichen Übereinstimmungen in den ersten fünf ihrer jeweils sieben Buchstaben bzw. Laute feststellbar. Da die Marken aber klanglich jeweils nur aus zwei Silben bestünden, sei der verbleibende Unterschied in den letzten beiden Buchstaben „ot“ bzw. „UR“ sowohl bei mündlicher als auch bei schriftbildlicher Wiedergabe so auffällig, dass mit einem Verlesen oder Verhören nicht gerechnet werden müsse. Zudem würden die vorhandenen Übereinstimmungen durch den abweichenden Begriffsgehalt der jeweiligen Zeichen so reduziert, dass die verbleibenden Unterschiede schneller und besser erfasst würden und eine Verwechslungsgefahr schon aus diesem Grund ausgeschlossen sei. Dem inländischen Verkehr sei der Begriff „Hotspot“ allgemein bekannt. Die Widerspruchsmarke „HOTSPUR“ (Englisch für „Heißsporn, Hitzkopf“) weise hingegen einen völlig anderen Bedeutungsgehalt auf und erinnere viele an den Fußballverein der englischen Premier League „Tottenham Hotspur“.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden.
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Sie ist der Auffassung, zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke bestehe Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Die Widerspruchsmarke verfüge über zumindest durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Es stünden sich teils identische, teils hochgradig ähnliche, bzw. ähnliche Waren und Dienstleistungen gegenüber. Zwischen den Waren „sanitäre Wasserarmaturen“ der Widerspruchsmarke und den von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren „sanitäre Apparate und Anlagen, Bestandteile und Zubehör (soweit in Klasse 11 enthalten)“ bestehe Identität, da es sich bei den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Waren um nichts anderes als um sanitäre Apparate und Anlagen, Bestandteile und Zubehör handele. Zu den Waren „Druckwasserspeicher, Heißwassergeräte, Heizkessel, Rohre für Heizkessel, Speisevorrichtungen für Heizkessel, Trinkwasserfilter, Wärmepumpen, Wärmerückgewinner, Wärmespeicher, Wärmetauscher, Warmwasserheizungsanlagen, Wasserkühlanlagen, Wasserfilter, als Teile von Wasserfiltriergeräten, Wasserfiltriergeräte, Wasserreinigungsanlagen, Wasserreinigungsgeräte und -maschinen“ der jüngeren Marke bestehe Ähnlichkeit. Denn auch diese würden von denselben Herstellern produziert, über dieselben Vertriebswege vertrieben und stünden in funktionalem Zusammenhang zu den von der Widerspruchsmarke beanspruchten Waren.
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Gleiches gelte im Hinblick auf die von der angegriffenen Marke beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 37. Installationsarbeiten im Hinblick auf Badeanlagen und sonstige Wasseranlagen könnten nur dann durchgeführt werden, wenn Mischventile (Wasserhähne) verwendet, eingebaut bzw. ersetzt würden. Die Markenstelle habe übersehen, dass die von der Widerspruchsmarke geschützten Waren Bestandteil der Dienstleistungen der angegriffenen Marke seien. Denn in der Regel würden die betroffenen Waren beim Erbringen der Dienstleistungen verwendet, also z. B. eingebaut oder ausgetauscht. Es bestehe insoweit ein ergänzender Aspekt bzw. funktionaler Zusammenhang, der zu einer Ähnlichkeit führe.
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Die angegriffene Marke halte den angesichts dieser Ausgangslage erforderlichen Zeichenabstand nicht ein. Die Zeichen stimmten im Hinblick auf Buchstabenzahl, Wortklang und Wortrhythmus sowie der Silbenanzahl weitgehend identisch überein. Lediglich im Hinblick auf das weniger beachtete Wortende bestünden Unterschiede zwischen „UR“ und „OT“. Hierbei sei jedoch zu beachten, dass die Vergleichszeichen auch an dieser Stelle jeweils durch einen Vokal und einen Konsonanten gebildet würden. Daher bestünden sowohl in klanglicher als auch schriftbildlicher Hinsicht erhebliche Übereinstimmungen. Die Zeichen seien von der Buchstaben- sowie Silbenzahl, vom Klangrhythmus und den Ober- und Unterlängen der verwendeten Buchstaben identisch und somit insgesamt klanglich und schriftbildlich überdurchschnittlich ähnlich. Da die sich gegenüberstehenden Zeichen über jeweils zwei Silben und sieben Buchstaben verfügten, handele es sich
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entgegen der Auffassung der Markenstelle um keine Kurzmarken. Die Ähnlichkeit werde auch nicht durch einen deutlich abweichenden Sinngehalt neutralisiert. Den hier relevanten Verkehrskreisen, nämlich dem Sanitärfachhandel bzw. Sanitärhandwerker, sei weder die Bedeutung von Hotspot noch die von HOTSPUR bekannt. Die genannten Gruppen verfügten lediglich über unterdurchschnittliche bis durchschnittliche Englischkenntnisse. Sie würden in den Zeichen daher Fantasiebegriffe ohne jegliche Bedeutung erkennen. Gegebenenfalls würden sie beide als englischsprachige Begriffe ansehen und diese daher als ähnlich bewerten. Zudem könne bei hochgradig klanglichen und schriftbildlichen Übereinstimmungen ein abweichender Sinngehalt Verwechslungen in der Regel nicht ausschließen. Denn selbst Abnehmer, denen die Bedeutung der Worte geläufig seien, würden den Sinngehalt nicht erkennen können, wenn sie sich angesichts der klanglichen oder schriftbildlichen Ähnlichkeit verlesen oder verhören würden.
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Die Beschwerdeführerin beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 11 vom 31. Januar 2019 aufzuheben und auf den Widerspruch aus der Marke 30 2012 011 874 die Löschung der angegriffenen Marke 30 2012 018 935 anzuordnen.
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Der Beschwerdegegner beantragt sinngemäß,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Die Waren und Dienstleistungen der sich gegenüberstehenden Parteien wendeten sich an völlig unterschiedliche Verkehrskreise. Während die Beschwerdeführerin mit ihren Wasserhähnen die Endkunden anspreche, wende sich der Beschwerdegegner mit seinen Produkten und Dienstleistungen an Stadtwerke, seltener auch an auf Fernwärme spezialisierte Installationsfirmen und lediglich in wenigen Ausnahmefällen an Eigentümer von Mehrfamilienhäusern, die einen zentralen Wärmeübergabepunkt installieren müssten. Diese Fernwärmehausanschlussstationen würden mit den Wasserhähnen der Beschwerdeführerin in keinerlei Verbindung gebracht. Es handele sich um völlig unterschiedliche Produkte. Dies zeige sich schon daran, dass die vom Inhaber der angegriffenen Marke angebotenen Produkte im Keller stünden und in ihrer Funktion und Aufgabe vom Endkunden nicht durchschaut würden. Ferner stellten diese eine technische Vorrichtung der Stadtwerke dar, denen der Endkunde schon deshalb keinerlei Aufmerksamkeit widme. Bei Fehlern an diesen Anlagen würden Endkunden den Hauseigentümer oder die Stadtwerke informieren, während bei Problemen mit Wasserhähnen ein Installateur beauftragt werde. Zudem würden sich die Produkte in ihrem Aussehen grundlegend unterscheiden. Eine Fernwärmehausanschlussstation sei ein technisches Produkt, also eine Station oder Anlage, während ein Wasserhahn ein Designerobjekt sei. Niemand käme auf die Idee, dass beide Produkte vom gleichen Hersteller stammen könnten. Unternehmen, die Heiztechnik oder Fernwärmehausanschlussstationen anbieten würden, würden keine Wasserhähne verkaufen. Letztere würden in Serie hergestellt, während die erstgenannten Waren individuell angepasst werden müssten. Zudem seien Wasserhähne keine sanitären Anlagen und nicht Bestandteil von Fernwärmehausanschlussstationen. Sie seien für den funktionsgemäßen Betrieb dieser Waren auch nicht unentbehrlich. Im Übrigen sei die Marke der Beschwerdeführerin nicht älter als die angegriffene Marke, da sie noch gar nicht genutzt werde.
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Mit Hinweis vom 8. Oktober 2019 hat der Senat den Parteien mitgeteilt, dass er nach vorläufiger Einschätzung eine Verwechslungsgefahr jedenfalls bezüglich des überwiegenden Teils der Waren und Dienstleistungen bejahe und die Beschwerde daher für teilweise begründet halte. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2021 hat der Senat dargelegt, dass er eine Verwechslungsgefahr vollumfänglich für gegeben erachte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach §§ 66, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens haben sich die Vorschriften des Markengesetzes mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung der Rechtslage maßgebliche Änderung folgt daraus nicht (BGH WRP 2019, 1316 Rn. 11 – KNEIPP). Da die Anmeldung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für die gegen diese Eintragung erhobenen Widersprüche gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG n. F.) weiterhin die Vorschrift des § 42 Abs. 1 und Abs. 2 MarkenG in der bis zum 14. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (MarkenG a. F., im Folgenden nur „MarkenG“).
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2. Zwischen den Vergleichsmarken besteht Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG,.
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a) Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH MarkenR 2014, 245 ff. – Bimbo/HABM [BIMBO DOUGHNUTS/DOGHNUTS]; GRURInt. 2012, 754 Rn. 63 – XXXLutz Marken GmbH./.HABM [Linea Natura Natur hat immer Stil]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/ HABM [CK CREATIONES KENNYA/CK CAKVIN KLEIN]; GRUR-RR 2009, 356 Rn. 45 f. – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rn. 9 – OXFORD/Oxford Club; WRP 2017, 1104 ff. – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2016, 1301 Rn. 44 – Kinderstube; GRUR 2016, 382Rn. 19 – BioGourmet m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie unter anderem etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen. Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 33 – Barbara Becker/HABM [BARBARA BECKER]; BGH GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria).
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b) Die Vergleichswaren und -dienstleistungen sprechen sowohl den Fachverkehr als auch den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher an. Es ist von durchschnittlicher Aufmerksamkeit auszugehen.
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c) Die Widerspruchsmarke verfügt über eine originär durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Anhaltspunkte für eine erhöhte oder verminderte Kennzeichnungskraft liegen nicht vor.
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d) Selbst wenn zugunsten des Beschwerdegegners die Formulierung „Im Übrigen ist die Marke der Beschwerdeführerin auch nicht ‚älter‘, weil sie von der Beschwerdeführerin noch gar nicht genutzt wird.“ als Einrede mangelnder Benutzung i.S.v. § 43 Abs. 1 MarkenG auslegte, ist diese noch nicht zulässig. Gem. § 158 Abs. 5 MarkenG sind, da der Widerspruch vor dem 14. Januar 2019 erhoben wurde, §§ 26 und 43 Abs. 1 MarkenG in der bis dahin geltenden Fassung anzuwenden. Da das Widerspruchsverfahren gegen die Widerspruchsmarke erst am 20. März 2017 abgeschlossen wurde, war gem. § 26 Abs. 5 MarkenG die fünfjährige Benutzungsschonfrist sowohl im Zeitpunkt der Erhebung der Einrede als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde noch nicht abgelaufen. Benutzungsfragen stellen sich somit nicht. Es ist von der Registerlage auszugehen.
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e) Die sich gegenüberstehenden Waren sind zum Teil identisch, im Übrigen liegen sie im Ähnlichkeitsbereich. Zwischen den Waren der Widerspruchsmarke und den für die jüngere Marke geschützten Dienstleistungen besteht ebenfalls durchschnittliche Ähnlichkeit.
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Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR Int 2009, 397 Rn. 65 – Les Éditions Albert René Sàrl/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH MarkenR 2016, 157 Rn. 21 – BioGourmet; GRUR 2015, 176 Rn. 16 – ZOOM/ZOOM; GRUR 2014, 488 Rn. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2004, 601 – d-c-fix/CD-FIX; GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN).
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Zwischen der Erbringung einer unkörperlichen Dienstleistung und der Herstellung bzw. dem Vertrieb einer körperlichen Ware bestehen grundlegende Abweichungen. Eine Ähnlichkeit zwischen Waren einerseits und Dienstleistungen andererseits kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn bei den beteiligten Verkehrskreisen der Eindruck aufkommt, dass Ware und Dienstleistung der Kontrolle desselben Unternehmens unterliegen, sei es, dass das Dienstleistungsunternehmen sich selbständig auch mit der Herstellung oder dem Vertrieb der Ware befasst, sei es, dass der Warenhersteller oder -vertreiber sich auch auf dem entsprechenden Dienstleistungsgebiet betätigt (vgl. vgl.https://www.juris.de/r3/document/KORE310132004/format/xsl/part/K?oi=G4Dw4hN28S&sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D GRUR 2012, 1145 Rn. 35 – Pelikan; GRUR 2004, 241 Rn. 26 – GeDIOS; GRUR 1999, 731 – Canon II). Es genügt also nicht, wenn der Verkehr von einer unselbständigen Nebenleistung oder -ware ausgeht. Nur wenn der Verkehr zu der Auffassung gelangt, die miteinander in Berührung kommenden Waren und Dienstleistungen könnten auf einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit desselben oder eines wirtschaftlich verbundenen Unternehmens beruhen, kann er einer unzutreffenden Vorstellung über die betriebliche Zuordnung unterliegen (BGH a.a.O. – Canon II; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 9 Rn. 114).
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Nach diesen Maßstäben gilt Folgendes:
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aa) Die für die Widerspruchsmarke in Klasse 11 eingetragenen „Mischventile [Wasserhähne]“ werden von den für die jüngere Marke eingetragenen „sanitären Anlagen” umfasst, insoweit besteht Warenidentität.
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bb) Im Übrigen sind die sich gegenüberstehenden Waren zumindest durchschnittlich ähnlich. Mischventile [Wasserhähne] sind entweder Bestandteil der von der jüngeren Marke beanspruchten Waren oder zumindest für den funktionsgemäßen Betrieb dieser Waren unentbehrlich. Dieser funktionelle Zusammenhang legt für den Verkehr die Annahme eines gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereichs oder doch eng miteinander verbundener Unternehmen nahe. Auf die Frage, ob die Waren tatsächlich von den gleichen Unternehmen produziert werden, kommt es dabei entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners nicht an (BGH GRUR 1999, 731 Rn. 31 — Canon ll).
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So benötigen „Druckwasserspeicher“ i. d. R. Wasserhähne, um sinnvoll eingesetzt werden zu können. Gleiches gilt für „Wärmespeicher“, da zur Bereitstellung des gespeicherten Wassers ebenfalls Wasserhähne erforderlich sind (vgl. https://www.energieheld.de/waermespeicher). „Regelungs- und Sicherheitszubehör für Wassergeräte und Wasserleitungen“ zählen zu den Armaturen und sind somit ähnlich zu „Mischventile [Wasserhähne]“.
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„Sanitäre Apparate“ sind sog. Sanitärobjekte, wie z. B. Waschtische, Handwaschbecken oder Bidets, die bereits mit Wasserhähnen ausgestattet sein können, diese aber jedenfalls zum funktionsgerechten Einsatz benötigen, so dass ein enger funktionaler Zusammenhang besteht.
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„Wärmetauscher“ werden von den gleichen Unternehmen hergestellt, eingebaut und gewartet, die auch Wasserhähne vertreiben, vgl. z.B. (https://liegl-armaturen.de/haehne/).
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„Wasserleitungsanlagen, Wasserversorgungsanlagen, Wasserverteilungsanlagen; Teile, Bestandteile und Zubehör für alle vorstehend genannten Waren (soweit in Klasse 11 enthalten)“ stehen in einem engen funktionalen Zusammenhang zu Wasserhähnen, da auch diese ohne Wasserhähne nicht betrieben werden können. So wird ein Wasserhahn an der jeweiligen Ausleitung der genannten Anlagen benötigt, um diese komfortabel und sinnvoll nutzen zu können. Ferner bieten Sanitärbetriebe sowohl die Erstellung und Wartung der Anlagen, als auch passende Wasserhähne und deren Montage an.
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„Badeanlagen“ benötigen Wasserhähne, um genutzt werden zu können. Ferner werden diese in der Regel von den gleichen Herstellern produziert, über den Groß-und Einzelhandel sowie über Handwerker vertrieben und durch Sanitärinstallateure eingebaut. Zudem werden von den Herstellern optisch passende Wasserhähne zu den Badeanlagen angeboten (vgl. auch BPatG, Beschluss vom 13.06.2016, 28 W (pat) 534/13– AQUASAFE / Aquasafe; durchschnittliche Ähnlichkeit von “Toiletten (WC), Toilettenschüsseln (WC), Toilettensitze (WC)” und „Mischhähne für Wasserleitungen; Wasserhähne”).
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Wasserhähne können mit „Heißwassergeräten, Warmwassergeräten, Warmwasserbereitern, Wärmespeicher, Wasserkühlungsanlagen, Trinkwasserfiltern, Wasserfiltern, als Teile von Wasserfiltriergeräten, Wasserfiltriergeräten, Wasserreinigungsanlagen, Wasserreinigungsgeräten und -maschinen, und deren Teilen, Bestandteilen und Zubehör“ ausgerüstet sein. So gibt es auf dem Markt z. B. Wasserhähne mit integrierten Wasserfiltern, Durchlauferhitzern, Wasserkühlern usw. (vgl. https://www.brita.de/wasserfiltersysteme/kuechenarmaturen-mit-Filter; https://www.sternefood.de/trinkwasserfilteranlage-test). Auch werden Wasserfiltergeräte, Wasserreinigungsanlagen sowie Wasserreinigungsgeräte und -maschinen mit Wasserhähnen ausgestattet, um einen direkten und einfachen Zugriff auf das gereinigte Wasser zu ermöglichen.
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Zwischen den Waren „Heizkessel, Rohre für Heizkessel, Speisevorrichtungen für Heizkessel, Wärmetauscher, Warmwasserheizungsanlagen“ und „Mischventile [Wasserhähne]“ besteht ebenfalls Ähnlichkeit (vgl. BPatG, Beschluss vom 04.09.2019, 28 W (pat) 20/16 – JOPP / JOOP zur Ähnlichkeit zwischen „Mischhähne für Wasserleitungen“ und „Heizungen“).
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Wasserführende Heizungen benötigen Armaturen, die der Veränderung und Steuerung von Stoffströmen dienen und insbesondere an Kesseln und Rohrleitungen verwendet werden (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Armatur). Ebenso sind sie mit Hähnen versehen, um frisches Wasser zuführen, erhitztes Wasser umleiten oder verschmutztes Wasser auslaufen lassen zu können. Bei Heizungsteilen und -zubehör kann es sich wiederum um Mischhähne, Armaturen oder Wasserzapfgeräte handeln. Zu Heizungen stehen zudem „Speisevorrichtungen für Heizkessel, Heizkessel, Rohre für Heizkessel“ in einem so engen Zusammenhang, dass der Verkehr hier von einem einheitlichen Produkt ausgeht, das – wie auch die (Heizungs-)Armaturen – für die Funktion der gesamten Heizung wesentlich ist, von den gleichen Unternehmen vertrieben und durch die gleichen Installationsunternehmen eingebaut wird.
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„Wärmepumpen“ werden u. a. für die Erwärmung des Trinkwassers und zur Beheizung von Gebäuden eingesetzt. Insoweit greift auch hier die bereits oben bei „Heizungen“ und „Wasserleitungsanlagen“ dargestellte Argumentation.
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„Wärmerückgewinner“ stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit Heizungs- und Lüftungssystemen, die oft in einem einzigen Gerät verbaut sind. Zudem können bei Wärmerückgewinnung aus Abwasser im Haushalt die Wärmerückgewinner direkt in das Wassersystem integriert und mit Dusche und Badewanne verbunden sein. Diese werden, ebenso wie Heizungen, von den gleichen Unternehmen vertrieben und eingebaut, die auch Wasserhähne im Angebot haben.
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Der Einwand des Beschwerdegegners, die Beschwerdeführerin wende sich mit ihren Wasserhähnen lediglich an Endkunden, während er selbst mit seinen Produkten und Dienstleistungen Stadtwerke, seltener auch an auf Fernwärme spezialisierte Installationsfirmen und lediglich in wenigen Ausnahmefällen Eigentümer von Mehrfamilienhäusern anspreche, ändert nichts an der Beurteilung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit. Gleiches gilt für den Vortrag, die Produkte unterschieden sich in ihrem Aussehen grundlegend, da eine Fernwärmehausanschlussstation ein technisches Produkt sei, also eine Station oder Anlage, während ein Wasserhahn ein Designerobjekt sei, so dass niemand auf die Idee käme, dass beide Produkte vom gleichen Hersteller stammen könnten. Die Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit ist abstrakt anhand der Registerlage zu prüfen. Eine Beschränkung der Waren und Dienstleistungen des Beschwerdegegners auf die von ihm genannten Zielgruppen ist dem Verzeichnis der angegriffenen Marke gerade nicht zu entnehmen. Zudem wenden sich die Waren der Beschwerdeführerin nicht nur an Endverbraucher, sondern auch an Fachleute wie Groß- und Einzelhändler sowie Handwerker.
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cc) In Bezug auf die für die angegriffene Marke eingetragenen Reparatur- und Installationsdienstleistungen ist ebenfalls von einer durchschnittlichen Ähnlichkeit zu den Waren der Widerspruchsmarke auszugehen.
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Ähnlichkeit kann dabei allerdings nur angenommen werden, wenn bei den beteiligten Verkehrskreisen der Eindruck entsteht, die betreffenden Waren und Dienstleistungen könnten auf einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit desselben oder eines wirtschaftlich verbundenen Unternehmens beruhen (vgl. 25 W (pat) 510/13 – Cartridge Star/Cartridge World). Ein Indiz hierfür kann es sein, wenn die betreffenden Waren typischerweise bei der Erbringung der Dienstleistungen zur Anwendung kommen (Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 114). Davon ist vorliegend auszugehen, da Unternehmen, die die von der Widerspruchsmarke beanspruchten Installations-, Wartungs- und Reparaturarbeiten erbringen, regelmäßig auch die dazugehörigen Teile, wie z. B. die von der Widerspruchsmarke geschützten „Mischventile [Wasserhähne]“ anbieten, vertreiben und einbauen.
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Selbst wenn man mit dem Beschwerdegegner davon ausginge, die für die angegriffene Marke eingetragenen Waren und Dienstleistungen bezögen sich nur auf Fernwärmehausanschlussanlagen, würde dies nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Denn Installationsunternehmen, die Fernwärmehausanschlüsse einbauen und warten, bieten, anders als der Beschwerdegegner vorbringt, die unterschiedlichsten Waren und Dienstleistungen rund um die Installation im Heizungs- und Sanitärbereich an, so z. B. komplette Bad- und WC-Installationen, bei denen auch Wasserhähne verkauft und eingebaut werden (vgl. z.B. https://www.kaiser-haustechnik.de/heizung/fernwaerme.html und https://www.kaiser-haustechnik.de/sanitaer.html; https://www.hofmann-haustechnik.de/). Diese Waren werden über dieselben Vertriebswege (Hersteller – Großhändler – Einzelhändler bzw. Handwerker – Endverbraucher) vertrieben. Häufig bieten die Hersteller neben den oben genannten Stationen auch noch Frischwasserstationen oder andere Heizsysteme an, bei denen Mischventile zum Einsatz kommen (vgl. z.B. https://www.rebaro.de/produkte/trinkwassersysteme/).
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Schließlich ist auch von einer Ähnlichkeit zwischen der Dienstleistung „Bauwesen“ und den von der Widerspruchsmarke beanspruchten „Mischventilen [Wasserhähne]“ auszugehen. Bauwesen wird definiert als „Gesamtheit dessen, was mit dem Errichten von Bauten zusammenhängt“ (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Bauwesen). Der Begriff umfasst alle Themen, Arbeitsbereiche und Fachdisziplinen, die mit dem Bauen von Gebäuden, Freianlagen, Ingenieurbauwerken und weiteren Konstrukten zu tun haben und bezieht sich auf die gesamte Bauwirtschaft, Architektur und Bautechnik. Die Akteure des Bauwesens sind „die am Bau Beteiligten“; hierunter fallen u. a. auch die ausführenden Unternehmen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bauwesen). Zu diesen gehören auch solche, die die Heizungs- und Sanitärinstallation durchführen. Insofern liegt ein unmittelbarer Bezug zu den hier relevanten Mischventilen [Wasserhähnen] noch vor (vgl. BPatG, Beschluss vom 12.02.2003, 32 W (pat) 154/02 – KÜCHEN AS / as).
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f) Den bei dieser Ausgangslage erforderlichen teils deutlichen, teils durchschnittlichen Abstand halten die jedenfalls in klanglicher Hinsicht überdurchschnittlich ähnlichen Vergleichszeichen nicht ein.
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aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rn. 35 – Specsavers/Asda; BGH, Beschluss vom 23.10.2014, I ZR 38/14 Rn. 10 – TNT Post; GRUR 2013, 833Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 930 Rn. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Rn. 23 – MIXI; GRUR 2009, 672 Rn. 33 – OSTSEE-POST; BPatG, Beschluss vom 18.04.2011, 26 W (pat) 30/07 – CITIPOST), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428, Rn. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2012, 64Rn. 14 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2009, 487 Rn. 32 – Metrobus; GRUR 2009, 672 Rn. 33 – OSTSEE-POST). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist im Klang, im (Schrift)Bild und im Bedeutungs-(Sinn)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einem der Wahrnehmungsbereiche aus (BGH GRUR 2017, 1104 Rn. 27 – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2015, 114 Rn. 23 – Springender Pudel; GRUR 2015, 1009 Rn. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2009, 1055Rn. 26 – airdsl; BGHZ 139, 340, 347 -Lions; MarkenR 2008, 393, Rn. 21 – HEITEC)
57
bb) Es stehen sich die Vergleichsmarken HotSpot und HOTSPUR gegenüber, die über die gleiche Silbenzahl, Wortlänge und den gleichen Sprechrhythmus verfügen und damit erhebliche Übereinstimmungen aufweisen. Von den jeweils sieben Buchstaben sind die ersten fünf identisch; lediglich am Wortende unterscheiden sich die Zeichen in den Buchstaben „ot“ bzw. „UR“.
58
Klanglich ist zu beachten, dass beide Zeichen über die gleiche Zahl an Vokalen und Konsonanten verfügen, die jeweils in dergleichen Reihenfolge angeordnet sind. Die ersten Silben sind identisch, ebenso die klanglich markante Buchstabenfolge „SP“ in der Wortmitte. Die Vokale der zweiten Silbe „o“ und „u“ weichen klanglich nur geringfügig voneinander ab. Beide Zeichen stammen aus der englischen Sprache. Es ist daher wahrscheinlich, dass sie jeweils Englisch als „hɒt spɔt“ und „hɒt spɜ:ʳ“ ausgesprochen werden. Die klanglichen Unterschiede zwischen „ot“ und „ör“ sind jedoch zu gering, um von den Übereinstimmungen wegzuführen, wobei der Erfahrungssatz zu berücksichtigen ist, dass der Verkehr Wortanfänge in der Regel stärker beachtet als nachfolgende Markenteile und ihnen daher besondere Aufmerksamkeit schenkt (BGH GRUR 2015, 1004 Rn. 36 — IPS/ISP; GRUR 1993, 972, 975 – Sana/Schosana). Dass die Widerspruchsmarke auf Deutsch, also als „Hot Spur“ ausgesprochen wird, ist nicht zu erwarten. Der Beginn des Widerspruchszeichens mit dem englischen Wort „hot“ legt dies selbst dann nicht nahe, wenn man die Herkunft des Gesamtbegriffs aus dem Englischen nicht erkennen würde. Doch selbst bei deutscher Aussprache wären die Unterschiede nicht ausreichend, um ein Verhören gerade in unsicheren Übermittlungsbedingungen und damit eine Verwechslungsgefahr ausschließen zu können. Angesichts der Länge der Zeichen kommt eine Anwendung der Rechtsprechung zu „Kurzzeichen“ nicht in Betracht. Denn zweisilbige Wörter mit fünf oder mehr Buchstaben stellen keine Kurzmarken in diesem Sinne dar (vgl. auch Hacker, a.a.O., § 9 Rn. 287; BGH GRUR 2015, 1004, 1008 (Nr 45) IPS/ISP; BPatG Mitt 1971, 50, 51 Crenin/Kreon).
59
Schriftbildlich genügen die Unterschiede in lediglich den letzten beiden Buchstaben – zumindest im Bereich identischer und hochgradig ähnlicher Waren – ebenfalls nicht, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen, zumal die Buchstaben „u“ und „o“ bzw. „U“ und „O“ sich schriftbildlich nur geringfügig durch den geschlossenen Kreis beim „O“ unterscheiden. Somit tritt die Abweichung auch schriftbildlich hinter die Übereinstimmungen zurück.
60
Damit ist für die beteiligten Verkehrskreise keine hinreichend sichere Abgrenzbarkeit der beiden Marken gewährleistet, zumal die Verbraucher nur selten die Möglichkeit haben werden, die Marken unmittelbar miteinander vergleichen zu können, sondern sie vielmehr im Regelfall aus der erfahrungsgemäß eher unsicheren Erinnerungen heraus voneinander abgrenzen müssen (vgl. BGH-GRUR 2016, 197 Rn. 37 — Bounty; BPatG, Beschluss vom 13.01.2010, 29 W (pat) 8/09 — Monrose/melrose/melrose).
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Die Übereinstimmungen der Vergleichszeichen in klanglicher Hinsicht werden nicht durch einen abweichenden Begriffsinhalt in einer die Gefahr von Verwechslungen ausschließenden Weise reduziert. Unabdingbare Voraussetzung für eine Reduzierung der Verwechslungsgefahr durch einen abweichenden Sinngehalt ist, dass dieser vom Verkehr auch bei flüchtiger Wahrnehmung sofort erfasst wird und sein Verständnis keinen weitergehenden Denkvorgang erfordert. Es genügt nicht, dass es sich um lediglich verständliche Begriffe handelt (BGH GRUR 1992, 130, 132 – Bally/Ball; GRUR 2010, 235Rn. 21 – AIDA/AIDU; GRUR Int. 2004, 850Rn. 56 – PICASSO). Zwar hat „hotspot“ mehrere lexikalisch definierte Bedeutungen, nämlich „ heiße Stelle; einzelne Stelle oder Bereich eines Gens, an dem besonders häufig Mutationen auftreten; hypothetisch begrenzte Schmelzregion im Erdmantel unterhalb der Lithosphäre; grafisch oder farblich hervorgehobener Punkt oder Text auf einer Bildschirmseite, der einen Link markiert; Ort, der eine besondere Anziehungskraft ausübt, besonders viele Menschen anlockt; etwas, was ein hohes Konfliktpotenzial in sich birgt, von großer Brisanz ist; Ort, an dem es einen öffentlichen drahtlosen Internetzugang gibt“ (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Hotspot). Allerdings kann nicht angenommen werden, dass sich diese Bedeutungen den von den in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreisen auch bei flüchtiger Wahrnehmung ohne weiteres aufdrängen. Gleiches gilt für den Begriff „hotspur“, der allenfalls den Fans des englischen Fußballs („Tottenham Hotspur“), in seiner eigentlichen Bedeutung „Heißsporn“, nicht hingegen den allgemeinen inländischen Verkehrskreisen geläufig sein dürfte. Doch selbst wenn der abweichende Sinngehalt erkannt würde, würde dies angesichts der hochgradigen klanglichen und schriftbildlichen Übereinstimmungen die Gefahr von Verwechslungen nicht ausschließen. Denn selbst Abnehmer, denen die Bedeutung des einen oder anderen Wortes geläufig ist, werden den Sinnunterschied nicht erkennen können, wenn sie sich angesichts der klanglichen oder schriftbildlichen Ähnlichkeit verlesen oder verhören (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 9 Rn. 316 m. w. N.; BPatG, Beschluss vom 09.08.2018, 27 W (pat) 79/14 – ANGRY BIRD / ANGRY BAND).
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Auf die Beschwerde der Widersprechenden war daher der Beschluss der Markenstelle für Klasse 11 des DPMA vom 31. Januar 2019 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
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3. Zu einer vom gesetzlichen Regelfall abweichenden Kostenentscheidung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG besteht kein Anlass.


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