Sozialrecht

Arbeitslosenversicherung: Erfordernis zeitlicher Kongruenz bei der Anrechnung von Einkünften aus Gewerbebetrieb auf Arbeitslosengeld

Aktenzeichen  L 9 AL 207/15

Datum:
3.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20912
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 4, § 5
SGB III § 138, § 155
SGB III aF § 119, § 141
SGB IV § 15
SGB X § 48

 

Leitsatz

Nebeneinkommen aus Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit sind im Hinblick auf Anrechnung des Nebeneinkommens auf Arbeitslosengeld nur insoweit relevant, als sie mit dem ALG-Bezug zusammentreffen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 12 AL 126/12 2015-06-30 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 30. Juni 2015 sowie der Bescheid vom 8. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2012 aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist erfolgreich. Sie ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Aufhebungsbescheid vom 08.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten.
Streitgegenstand der reinen Anfechtungsklage ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08.06.2011. Damit hob die Beklagte ab 01.01.2006 die Bewilligung von ALG auf und ordnete zudem die Erstattung sowohl des bis einschließlich 30.09.2006 geleisteten ALG wie auch der erbrachten Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers an. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung ab 01.01.2006 liegen nicht vor, weswegen auch die korrespondierende Anordnung der Erstattung von Leistungen und Versicherungsbeiträgen nicht rechtens ist.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine rückwirkende Aufhebung lässt § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht zu. Diesbezüglich liefert § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X eine Rechtsgrundlage. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1.die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Die Prüfung der Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Dauerverwaltungsakts für die Vergangenheit erfordert demnach ein zweistufiges Vorgehen. Erstens verlangt § 48 Abs. 1 SGB X sowohl für eine Aufhebung für die Zukunft wie auch für die Vergangenheit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben. Zweitens muss geprüft werden, ob deswegen die Aufhebung möglich ist. Insbesondere stellt sich im Rahmen dessen die Frage, ob bei einer rückwirkenden Aufhebung einer der besonderen Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist.
Im vorliegenden Fall scheitert die Aufhebung schon daran, dass es nicht zu einer nachträglichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, gekommen ist. Weder ist die Arbeitslosigkeit des Klägers zeitlich nach der unter dem Datum 24.11.2005 ausgesprochenen Leistungsbewilligung, aber vor dem 01.10.2006 entfallen (dazu unten a) noch hat dieser für den Zeitraum Januar bis September 2006 auf das ALG anzurechnendes Erwerbseinkommen erzielt (dazu unten b).
a) Während des streitgegenständlichen Zeitraums 01.01. bis 30.09.2006 hat durchgängig Arbeitslosigkeit vorgelegen. Anders als die Beklagte meint, ist die Beschäftigungslosigkeit nicht durch eine Verletzung der 15-Stunden-Grenze des § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF entfallen. Rechtsgrundlage ist § 119 SGB III in der Fassung vom 23.12.2003 (aF). Die Vorschrift lautet, soweit hier von Bedeutung:
(1) Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der
1.nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
2.sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und
3.den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
(2) …
(3) 1Die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. … Der Senat ist davon überzeugt, dass die Beschäftigungslosigkeit als Tatbestandsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit im Zeitraum 01.01. bis 30.09.2006 nicht aufgehoben war. Er nimmt insoweit wohlgemerkt kein Non liquet an, weswegen er nicht aufgrund der objektiven Beweislast entscheidet. Der Kläger hat sich innerhalb der von § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III aF gezogenen Grenzen bewegt. Zwar hat er eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, jedoch nur im Umfang von unter 15 Stunden wöchentlich. Allenfalls kam es zu unschädlichen Abweichungen von geringer Dauer.
Der Senat bedient sich diesbezüglich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einer prognostischen Betrachtungsweise (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.2008 – B 11 AL 52/07 R). Insoweit macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der Nebentätigkeit um eine abhängige Beschäftigung oder um eine selbständige Tätigkeit handelt. Im ALG-Antrag hatte der Kläger angegeben, er würde der selbständigen Tätigkeit als Baubetreuer im Umfang von unter 15 Stunden wöchentlich nachgehen. Das begründete zunächst die Prognose, der Kläger werde diese Grenze auch einhalten. Weiterer Anhaltspunkte für ein Einhalten bedurfte es damals nicht. So werden allgemein auch die Verfügbarkeit oder die hinreichenden Eigenbemühungen zunächst allein anhand der Ankreuzungen und Angaben im Antrag prospektiv beurteilt.
Im weiteren Verlauf traten bis 30.09.2006 keine Ereignisse hinzu, welche die anfängliche Prognose hinfällig machten. Für das Jahr 2005 sah die Beklagte selbst keine Anhaltspunkte, die Berechtigung der ALG-Gewährung in Frage zu stellen. Solche fehlen auch für das Jahr 2006 bis einschließlich Ende September.
Der Kläger selbst hat von Anfang an beteuert, er habe die 15-Stunden-Grenze nicht erreicht. Zudem hat der Zeuge D., der über die Geschäftstätigkeit des Klägers hervorragend Bescheid weiß, mehrfach versichert, der Kläger habe in den ersten acht beziehungsweise neun Monaten des Jahres 2006 seine selbständige Tätigkeit – gerade wegen des ALG-Bezugs – sehr zurückgefahren. Zwar hat der Zeuge D. im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren seinerseits den Eindruck hinterlassen, nicht wirklich mit der AA kooperieren zu wollen. Das war jedoch im Berufungsverfahren anders. Seine Angaben bei den Beweisaufnahmeterminen haben in hohem Maß glaubhaft gewirkt und nicht ansatzweise den Verdacht begründet, ihm gehe es primär darum, der Kläger möge „unversehrt davonkommen“. Gerade bei seinen Aussagen im Beweisaufnahmetermin vom 17.05.2019 hat der Zeuge D. einen sehr gewissenhaften, eher sogar „übervorsichtigen“ Eindruck hinterlassen. Er ist offenkundig bemüht gewesen, ihm mögen nicht vorschnell unpräzise Aussagen zugunsten des Klägers in den Mund gelegt werden. Dass die vom Zeugen D. erstellte Steuererklärung 2006 einen höheren Gewinn ausgewiesen hatte, als die Außenprüfung bestätigen konnte, zeigt, dass der Zeuge D. schon 2009 nicht eifernd auf Bevorzugung des Klägers aus war. Daran hat sich zur Überzeugung des Senats nichts geändert.
Der Jahresabschluss, den der Zeuge D. für den Kläger zum Stichtag 30.09.2006 erstellt hatte und der erstmals mit dem Widerspruch vorgelegt worden war, bestätigt in Zusammenschau mit der Eröffnungsbilanz zum 01.01.2006 diese Einschätzung. In der Eröffnungsbilanz zum 01.01.2006 waren halbfertige Produkte in Höhe von über 320.000 EUR aktiviert worden. Dieser Bestand wurde bis zum 30.09.2006 nahezu vollständig abgebaut. Die vom 01.01. bis 30.09.2006 erzielten Umsätze des Klägers waren nur um etwa 70.000 EUR höher als das Volumen des während dieser Zeit abgebauten Bestands an halbfertigen Produkten. Das indiziert, dass nur etwas mehr als 70.000 EUR Umsatz auf solche Baufortschritte gefallen sind, die tatsächlich in 2006 stattgefunden hatten. In der Branche, in der der Kläger tätig war und ist, ist es sicherlich leicht möglich, innerhalb von neun Monaten Umsätze von circa 70.000 EUR mit einer Arbeitsleistung von unter 15 Stunden wöchentlich zu generieren. Denn das Gewerbe zeichnet sich durch sehr hohe Aufwendungen für Fremdleistungen aus, aber auch durch hohe Umsätze. Die Bilanzierung lässt die Behauptung des Klägers, er habe die 15-Stunden-Grenze nicht erreicht, plausibel und schlüssig erscheinen; es passt sozusagen alles zusammen.
Selbiges gilt für die Beschreibungen der einzelnen Bauprojekte, die der Kläger mit Schriftsatz vom 13.05.2019 eingereicht hat. Daraus ergibt sich glaubhaft und eindeutig, dass die meisten der Bauprojekte, die der Senat aus dem zum 30.09.2006 erstellten Jahresabschluss identifiziert und „herausgezogen“ hat, entweder 2005 schon nahezu beendet oder erst im letzten Quartal 2006 wesentlich initiiert worden waren. Damit lässt sich eine Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich ohne Widersprüche und Verwerfungen vereinbaren.
Die Beklagte hat bezüglich der Einhaltung der 15-Stunden-Grenze immer nur Spekulationen zu Ungunsten des Klägers geäußert. Interessanter Weise hatte sie sich während des jahrelangen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens in keiner Weise um das Arbeitsquantum im fraglichen Zeitraum gekümmert. Die Einhaltung der 15-Stunden-Grenze wurde überhaupt nicht als Problem wahrgenommen. Dementsprechend hat die Beklagte auch keinerlei Mühe aufgewandt, um in diese Richtung zu ermitteln. Soweit ersichtlich, hat sie erstmals in einem Schriftsatz vom 16.09.2014 im erstinstanzlichen Verfahren – also nicht weniger als acht Jahre nach Ablauf des ALG-Bezugs – das Thema überhaupt angesprochen, dann aber – ein bemerkenswerter Kontrast – derart nachdrücklich, dass sie dem Sozialgericht „Arbeitsaufträge“ erteilt hat (Einholung eines Sachverständigengutachtens!). Es wäre besser gewesen, die Beklagte wäre zeitgerecht ihrer eigenen Amtsermittlungspflicht nachgekommen, statt sehr viel später die Gerichte über deren Amtsermittlungspflicht zu belehren.
Gerade im letzten Schriftsatz der Beklagten vom 24.05.2019 ist mit deutlich spürbarem Eifer gegen die Einhaltung der 15-Stunden-Grenze argumentiert worden. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang vorträgt, sie sei „überzeugt“, dass der Kläger länger als kurzzeitig tätig gewesen sei, dann kann sie damit nicht diejenige Überzeugung meinen, die für den Senat Maßstab für die Entscheidung sein muss. Vielmehr verwechselt die Beklagte ihr „Bauchgefühl“ mit Überzeugung im rechtlichen Sinn. Geradezu provozierend mutet an, wenn sie mit der Formulierung „bestenfalls unvollständig“ insinuiert, der Kläger könnte seine Stellungnahme vom 13.05.2019 „frisiert“ oder sogar erlogen haben. Denn nichts anderes als das Versagen der AA, die erst 2009 Anlass sah, sich um das Nebeneinkommen 2006 zu kümmern, hat dazu geführt, dass die Beklagte jetzt ein Defizit an Fakten beklagt. Das Vorbringen der Beklagten, Vor- und Nacharbeiten müssten eingerechnet werden, ist ins Blaue hinein erfolgt. Denn die Beklagte hat sich bis heute nicht dafür interessiert und kundig gemacht, wie die Tätigkeit des Klägers konkret ausgesehen hat. So weiß sie nicht – sondern spekuliert nur -, ob und welche „Vor- und Nacharbeiten“ es überhaupt gab. Sie ist auch nicht orientiert, welcher Zeitaufwand in Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers generell „üblich“ ist. Offenbar wünscht sie sich einen pauschalen Zeitzuschlag für Vor- und Nacharbeiten, welche auch immer das sein mögen. Der Beklagten ist hoffentlich selbst klar, dass dies illusorisch ist. Und nochmals: Wie sollte man von einzelnen generell anfallenden Verrichtungen auf einen konkreten Zeitaufwand des Klägers in einer konkreten Woche schließen? Das ist schlechterdings unmöglich.
Das gilt im Besonderen für ein weiteres Scheinargument der Beklagten, mit dem sie den Boden der Logik vollends verlässt: Wegen eines größeren Projekts hat der Zeuge D. im Beweisaufnahmetermin am 17.05.2019 letzte Bedenken der Beklagten ausgeräumt – was deren Sitzungsvertreterin auch offen zugegeben hat. Gleichwohl hat sich die Beklagte darauf versteift, der Kläger habe die 15-Stunden-Grenze verletzt. In dem besagten Schriftsatz vom 24.05.2019 weist sie in diesem Kontext darauf hin, bei dem genannten größeren Projekt sei für den Kläger vor dem 30.09.2009 ein Aufwand von 3.000 EUR (!) entstanden. Wie die Beklagte aus diesem banalen Umstand auf eine Verletzung der 15-Stunden-Grenze schließen möchte, bleibt ihr Geheimnis. Wie soll man daraus Folgerungen auf einen bestimmten Zeitaufwand in einer bestimmten Woche ziehen? Falls die Beklagte mit ihrem neuen Vortrag beabsichtigen sollte, den Kläger als generell unehrlichen Menschen zu entlarven, so wäre dies misslungen und als diffamierend scharf zurückzuweisen. Mit ihrem Vorbringen lässt die Beklagte Sachlichkeit und Objektivität, die eine Behörde stets und nicht weniger als ein Gericht an den Tag zu legen hat, vermissen. Blinder Eifer und bloßes „Gewinnenwollen“ seitens einer Behörde haben im sozialgerichtlichen Verfahren nichts zu suchen.
Auf die Rolle des Klägers im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, die dieser – wenigstens insoweit hat die Beklagte Recht – mehr als unglücklich gestaltet hat, kommt es nicht an. Denn die Frage einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Klägers stellt sich nicht. Die objektive Beweislast wird nur bei einem Non liquet relevant. Bereits oben hat der Senat aber unterstrichen, dass er von der Einhaltung der 15-Stunden-Grenze überzeugt ist.
Auch wenn es rechtlich also nicht mehr darauf ankommt, soll nicht verschwiegen werden, dass der Vortrag der Beklagten, den Kläger einseitig als Faktor endloser Verzögerungen zu charakterisieren, allzu selbstgefällig ist und die Wahrheit verzerrt. Dem objektiven Beobachter bietet sich vielmehr ein Bild erheblicher behördlicher Insuffizienz; insoweit muss auch dem Sozialgericht widersprochen werden. Allerdings haben beide Seiten gehörig das ihre dazu beigetragen, dass sich das Verfahren zu einer Groteske entwickelt hat. Die Darstellung der Chronologie im Tatbestand spricht für sich. Den Kardinalfehler im ganzen Verfahren überhaupt hat jedoch die Beklagte dadurch begangen, dass sie sich erst 2009 darum zu kümmern begann, wie hoch das Nebeneinkommen 2006 war. Wäre sie dagegen zeitnah vorgegangen, wäre es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von vornherein nicht zu Differenzen gekommen. Den Kläger rehabilitiert in gewisser Weise, dass er und der Zeuge D. – und das zu Recht – nicht verstanden hatten, was die AA denn überhaupt mit einer Darstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie dem Einkommensteuerbescheid 2006 anfangen wollte. Die Verweigerungshaltung ist daher zu einem guten Anteil dem Umstand geschuldet, dass die AA schlicht eine falsche Herangehensweise propagierte. Nach alldem kann es nur Unverständnis und Verwunderung hervorrufen, dass die Beklagte im Berufungsverfahren das Verhalten der AA als bürgerfreundlich und in Ordnung hat darstellen wollen.
Ein weiterer Gesichtspunkt soll lediglich der Vollständigkeit halber angesprochen werden: Selbst wenn es gelänge, dem Kläger eine Verletzung der 15-Stunden-Grenze nachzuweisen, käme eine Aufhebung der Leistungsbewilligung wegen Wegfalls der Arbeitslosigkeit nicht in Betracht. Denn es würde insoweit an einem Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X fehlen. Das für die damalige Zeit einschlägige Merkblatt 1 der Beklagten lässt nämlich in keiner Weise erahnen, dass es hinsichtlich der 15-Stunden-Grenze nicht auf eine durchschnittliche, regelmäßige Arbeitszeit ankommt, sondern dass grundsätzlich schon einzelne „Ausreißer“ schädlich sein können. Der Kläger hätte somit schlicht nicht wissen können, dass ein Erreichen der 15-Stunden-Grenze beispielsweise in lediglich zwei Wochen geeignet gewesen wäre, den ALG-Anspruch zu beseitigen.
b) Die mit Bescheid vom 24.11.2005 ausgesprochene Bewilligung ist auch nicht dadurch nachträglich „rechtswidrig geworden“, dass sich der gesetzlich zustehende Leistungsbetrag aufgrund des Nebeneinkommens des Klägers gemindert hat oder gar ganz weggefallen ist. Denn der Kläger hat in Bezug auf die Phase 01.01. bis 30.09.2006 gerade kein anzurechnendes Einkommen erzielt.
Ob und inwieweit Nebeneinkommen auf das ALG anzurechnen ist, regelte seinerzeit § 141 SGB III in der Fassung vom 23.12.2003 (aF). Diese Vorschrift lautet:
(1) 1Übt der Arbeitslose während einer Zeit, für die ihm Arbeitslosengeld zusteht, eine weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung aus, ist das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrages in Höhe von 165 Euro auf das Arbeitslosengeld für den Kalendermonat, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, anzurechnen. 2Satz 1 gilt für selbständige Tätigkeiten und Tätigkeiten als mithelfender Familienangehöriger entsprechend mit der Maßgabe, dass pauschal 30 Prozent der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben angesetzt werden, es sei denn, der Arbeitslose weist höhere Betriebsausgaben nach.
(2) Hat der Arbeitslose in den letzten 18 Monaten vor der Entstehung des Anspruches neben einem Versicherungspflichtverhältnis eine geringfügige Beschäftigung mindestens zwölf Monate lang ausgeübt, so bleibt das Arbeitsentgelt bis zu dem Betrag anrechnungsfrei, der in den letzten zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruches aus einer geringfügigen Beschäftigung durchschnittlich auf den Monat entfällt, mindestens jedoch ein Betrag in Höhe des Freibetrages, der sich nach Absatz 1 ergeben würde.
(3) Hat der Arbeitslose in den letzten 18 Monaten vor der Entstehung des Anspruches neben einem Versicherungspflichtverhältnis eine selbständige Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger von weniger als 15 Stunden wöchentlich mindestens zwölf Monate lang ausgeübt, so bleibt das Arbeitseinkommen bis zu dem Betrag anrechnungsfrei, der in den letzten zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruches durchschnittlich auf den Monat entfällt, mindestens jedoch ein Betrag in Höhe des Freibetrages, der sich nach Absatz 1 ergeben würde.
(4) Leistungen, die ein Bezieher von Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung
1. von seinem Arbeitgeber oder dem Träger der Weiterbildung wegen der Teilnahme oder
2. auf Grund eines früheren oder bestehenden Arbeitsverhältnisses ohne Ausübung einer Beschäftigung für die Zeit der Teilnahme erhält, werden nach Abzug der Steuern, des auf den Arbeitnehmer entfallenden Anteils der Sozialversicherungsbeiträge und eines Freibetrages von 400 Euro monatlich auf das Arbeitslosengeld angerechnet.
Beklagte und Sozialgericht haben eine falsche Berechnung durchgeführt. Beide haben den Fehler gemacht, den im Einkommensteuerbescheid 2006 ausgewiesenen Jahresgewinn durch zwölf zu teilen – damit einen „durchschnittlichen Monatsbetrag“ zu erhalten – und dann diesen Durchschnitt mit neun zu multiplizieren. Das mag zwar einfach und verlockend erscheinen, den Vorgaben des Gesetzes wird diese Methode aber nicht gerecht. Aus § 141 Abs. 1 SGB III aF ergibt sich eindeutig, dass eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nur insoweit relevant ist, als sie mit dem ALG-Bezug zusammentrifft. Was der Kläger im vierten Quartal 2006 erwirtschaftet hat, muss daher gänzlich außenvorbleiben. Das harmoniert mit der Formulierung des BSG, Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung und auch aus einer selbständigen Nebentätigkeit müssten während des ALG-Bezugszeitraums erarbeitet worden sein (BSG, Urteil vom 14.06.1983 – 7 RAr 10/82 – nichtselbständige Tätigkeit; Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 38/05 R – selbständige Tätigkeit; vgl. zu den Besonderheiten bei selbständig Erwerbstätigen LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2014 – L 3 AL 29/12). Der Senat hält dieses Erfordernis der Periodenüberstimmung – das BSG spricht von „zeitlicher Kongruenz“ – für eine rechtliche Selbstverständlichkeit (vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2014 – L 3 AL 29/12).
Dem Erfordernis der Periodenübereinstimmung wird aber durch die Berechnungsweise der Beklagten und des Sozialgerichts nicht genügt. Auch wenn die Beklagte es nicht wahrhaben will, so hat der Kläger seine Aktivitäten als selbständiger Bauplaner geschickt, exakt und völlig legal mit den rechtlichen Vorgaben für den ALG-Bezug kompatibel gestaltet. Er hat sich nämlich in den Monaten Januar bis September beruflich sehr zurückgenommen, während er im letzten Quartal 2006 zahlreiche neue Projekte in Angriff genommen hat. In diesem letzten Quartal musste er selbst – ohne Flankierung durch eine Sozialleistung – den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sicherstellen und wäre selbstredend berechtigt gewesen, dabei auch ausgesprochen gut zu verdienen. All dies darf das in einer anderen Periode ausgezahlte ALG nicht berühren. Genau dieses Tabu wird aber verletzt, wenn man den hohen Gewinn im letzten Quartal mit einbezieht, um für das erste bis dritte Quartal einen durchschnittlichen Gewinn zu berechnen. Nach der Vorgehensweise des Beklagten und des Sozialgerichts wird der Kläger dafür bestraft, dass er in Zeiten außerhalb des ALG-Bezugs effizient seiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Auf diese Weise gestaltet man wider dem Gesetz periodenfremde Einkünfte ALGschädlich um.
Der richtige Weg kann nur darin liegen, in die Ermittlung des Einkommens nur diejenigen Monate des Jahres 2006 einzubeziehen, in denen auch tatsächlich ALG bezogen wurde (vgl. zu einem vergleichbaren Problem im Elterngeldrecht BSG, Urteil vom 13.12.2018 – B 10 EG 5/17 R). Klar ist, dass nicht Monat für Monat die konkreten Verrichtungen des Klägers rekonstruiert und diese irgendwie monetär bewertet werden müssen, sondern lediglich eine annähernd authentische Gewinnermittlung vonnöten ist. Genau das hat der Kläger schlussendlich ermöglicht, indem sein Steuerberater, der Zeuge D., eine Bilanz zum Stichtag 30.09.2006 erstellt hat (eingereicht mit dem Widerspruch). In Zusammenschau mit der zum 01.01.2006 erstellten Eröffnungsbilanz lässt sich auf diese Weise ablesen, welcher Gewinn exakt im fraglichen Zeitraum 01.01. bis 30.09.2006 erzielt worden war. Dieser periodengerecht ermittelte Gewinn darf und muss dann in gleichen Anteilen auf die neun Monate des ALG-Bezugs 2006 aufgeteilt und auf das jeweilige monatliche ALG angerechnet werden.
Die Art und Weise der Gewinnermittlung durch die Beklagte lässt ein durchdachtes Konzept vermissen. Diesen Vorwurf muss sich die Beklagte insoweit gefallen lassen, als sie „aus dem Bauch heraus“ argumentiert (zum Beispiel im Widerspruchsbescheid), von dem im Einkommensteuerbescheid festgestellten Gewinn könne man ja sogar noch im Sinn von § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III aF pauschal 30% als Betriebsausgaben absetzen, dann verbleibe immer noch ein Restgewinn, der jeglicher Zahlung von ALG für die ersten drei Quartale 2006 entgegenstehe. Diese Herangehensweise verkennt die verschiedenen Wege, wie der Gewinn ermittelt werden kann. Ein entsprechendes Negativzeugnis muss aber auch dem Gesetzgeber ausgestellt werden, wenn der in § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III aF generell angeordnet hat, es müssten grundsätzlich 30% pauschal als Betriebsausgaben angesetzt werden.
Bei alldem wird nicht beachtet, dass nach ganz herrschender Meinung im Rahmen von § 141 Abs. 1 SGB III aF das Arbeitseinkommen unter Heranziehung von § 15 SGB IV zu ermitteln ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 38/05 R; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2014 – L 3 AL 29/12). Es kann nicht genug betont werden, dass § 141 SGB III aF, genauso wie der aktuelle § 155 SGB III, kein eigenständiges Reglement zur Ermittlung des Arbeitseinkommens Selbständiger installiert hat. Der Rückgriff auf § 15 SGB IV ist alternativlos. Die Norm lautete seinerzeit (aF):
Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. 2Bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen.
Verfehlt wäre zu argumentieren, § 141 Abs. 1 SGB III aF nehme nicht auf das Arbeitseinkommen Bezug, weswegen § 15 SGB IV aF nicht anwendbar sei. Daran wäre allein richtig, dass der Begriff „Arbeitseinkommen“ in § 141 Abs. 1 SGB III aF nicht explizit erscheint. Allerdings erwähnt Satz 1 den Begriff „Arbeitsentgelt“ (vgl. § 14 SGB IV). Und wenn Satz 2 Satz 1 für entsprechend anwendbar erklärt, versteht es sich von selbst, dass im Rahmen der analogen Anwendung der auf Beschäftigungen gemünzte Begriff „Arbeitsentgelt“ durch „Arbeitseinkommen“ ersetzt werden muss. Im Übrigen erwähnt zumindest § 141 Abs. 3 SGB III aF den Begriff „Arbeitseinkommen“ ausdrücklich.
Gilt also für die Ermittlung des Arbeitseinkommens § 15 SGB IV aF, sieht man sich damit konfrontiert, dass die Gewinnermittlung nahezu eins zu eins nach den Vorgaben des Einkommensteuerrechts zu erfolgen hat. Angesichts der immensen Aussagekraft der einkommensteuerrechtlichen Verhältnisse auch für die Ermittlung des Arbeitseinkommens nach dem Sozialrecht wäre es schlicht auch nicht darstellbar, auf der Ebene des Sozialrechts ein eigenständiges Berechnungsregime vorzusehen.
Im Einkommensteuerrecht gibt es indes zwei Methoden, den Gewinn zu ermitteln, zum einen die Einnahmenüberschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), zum andern den Betriebsvermögensvergleich durch Bilanzierung (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG). § 15 Satz 1 SGB IV aF impliziert, dass auch die vom Betroffenen gewählte Methode der einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlung für das Sozialrecht maßgebend sein muss. Einkommensteuerrechtlich wurde der Gewinn des Klägers im Jahr 2006 nach dem Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG ermittelt. Der Kläger hatte sich diese Methode übrigens nicht ausgesucht, sondern war aufgrund der Vorschriften der Abgabenordnung dazu gezwungen. § 15 Satz 1 SGB IV aF bewirkt, dass auch das Arbeitseinkommen im Sinn des Sozialrechts just auf diesem Weg zu ermitteln ist. Derjenige, der einkommensteuerrechtlich gezwungen oder erlaubt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, kann sozialrechtlich nicht in die Einnahmenüberschuss-Rechnung gedrängt werden; das sieht inzwischen auch die Beklagte ein. Jegliches Ansinnen der Behörde, den Kläger zur Offenbarung seiner Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben zu veranlassen, war angesichts dessen verfehlt. Des Weiteren geht die Regelung im Gesetz, es seien pauschal 30% der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben abzusetzen, für Fälle des Betriebsvermögensvergleichs komplett ins Leere. Denn beim Betriebsvermögensvergleich gibt es schlechterdings keine Betriebsausgaben. Leider hat der Gesetzgeber dieses Defizit auch in der aktuellen Fassung der Vorschrift, § 155 SGB III, nicht korrigiert.
Zusammenfassend hat der Kläger mit der Vorlage einer Bilanz zum Stichtag 30.09.2006 genau das Richtige veranlasst, um den maßgebenden Gewinn zu ermitteln. Er hat nämlich einerseits den passenden Referenzzeitraum herangezogen, und zwar den 01.01. bis 30.09.2006. Und er hat andererseits den korrekten Modus gewählt, indem er einen Betriebsvermögensvergleich (zwischen Eröffnungsbilanz und der Bilanz zum Stichtag 30.09.2006) vorgenommen hat.
Die zum Stichtag 30.09.2006 erstellte Bilanz, der von daher höchste Relevanz zukommt, überzeugt den Senat voll und ganz. Auch die Beklagte hat es zu keiner Zeit unternommen, deren Richtigkeit anzuzweifeln. Der Senat lässt dahinstehen, ob bereits die handelsrechtlich begründete Vermutung der Richtigkeit der Bilanz hier eine eingehende Überprüfung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit erübrigt. Der Senat hat jedenfalls diese eingehende Prüfung vorgenommen und kommt zum Ergebnis, dass die Bilanzierung zum Stichtag 30.09.2006 für die Beurteilung der sozialrechtlichen Verhältnisse übernommen werden muss.
Den sich daraus für den Zeitraum Januar bis September 2006 ergebenden Fehlbetrag von 78.654,52 EUR will die Beklagte gleichwohl nicht akzeptieren. Der Senat gibt ihr nur insoweit Recht, als der in der Bilanz ausgewiesene „Sonderposten mit Rücklageanteil“ in Höhe von 30.000 EUR möglicherweise im Rahmen von § 141 SGB III aF nicht gewinnmindernd wirken darf. Da es aber letztlich nicht darauf ankommt – es bliebe dann immer noch ein Fehlbetrag von 48.654,52 EUR -, lässt er dieses Problem offen.
Entscheidend ist, dass der Jahresabschluss zum 30.09.2006 richtiger Weise eine „Verminderung des Bestands in Ausführung befindlicher Bauaufträge“ in Höhe von 322.000 EUR ausweist (vgl. § 275 Abs. 2 Nr. 2, § 277 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs). Dabei handelt es sich im Rahmen der GuV um einen Aufwand, bilanziell letztlich um eine Verminderung des Eigenkapitals und damit des steuerrechtlich relevanten Gewinns. Zum 31.12.2005 hatte der Kläger in hohem Maß halbfertige Produkte erstellt, die aber sein „Lager“ noch nicht verlassen hatten und für die er noch nicht entsprechend dem Grad der Fertigstellung Umsätze hatte erzielen können (das geschah erst 2006). Es handelte sich um eine „Produktion auf Halde“. Der Kläger hat diese unfertigen Erzeugnisse gemäß den handelsrechtlichen Vorgaben in der Eröffnungsbilanz 2006 aktiviert (unter dem Stichwort „in Ausführung befindliche Bauaufträge“ – Konto 7090). Zugleich wurde auf einem Ertragskonto die Gegenbuchung durchgeführt, was letztlich das Eigenkapital und damit auch den Gewinn bis zum Zeitpunkt 31.12.2005, 24.00 Uhr, erhöht hat. Dieser Aktivbestand wurde bis Ende September 2006 fast komplett wieder abgebaut und aufgelöst (die Bilanz zum 30.09.2006 weist nur noch 3.000 EUR aus). Die Auflösung ist deswegen notwendig geworden, weil die zunächst in Ausführung befindlichen Bauaufträge abgeschlossen wurden und so „aus dem Lager“ verschwanden. Das wiederum hat maßgeblich zu den hohen Umsatzerlösen (394.353,41 EUR) beigetragen. Damit die 322.000 EUR aber nicht doppelt bilanziell als Gewinn berücksichtigt wurden (das war ja schon 2005 geschehen), musste die Auflösung des „Lagers“ mit der Buchung als Aufwand in dem Erfolgskonto „Bestandsveränderung Bauaufträge“ einhergehen.
Diese Bilanzierung trägt der Vorgabe des BSG, entscheidend sei, wann das Einkommen erarbeitet worden sei, in geradezu idealer Weise Rechnung. Denn erarbeitet wurde das Einkommen zum großen Teil bereits 2005, nämlich zu dem Anteil, wie die halbfertigen Produkte in der Eröffnungsbilanz aktiviert worden waren. Dagegen darf nicht eingewandt werden, die entsprechenden tatsächlichen Umsätze seien erst 2006 erzielt worden. Das würde wiederum die grundlegenden Unterschiede zwischen Einnahmenüberschuss-Rechnung und Betriebsvermögensvergleich verkennen. Ermittelt jemand wie der Kläger seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich, darf keinesfalls auf den monetären Zufluss der Umsätze abgestellt werden. Maßgebend ist vielmehr die sich in aktivierbaren Gütern ausdrückende Wertschöpfung; und die erfolgte im Wesentlichen schon 2005.
Falsch ist der zuletzt erhobene Einwand der Beklagten, der durch den Übergang von der Einnahmenüberschuss-Rechnung zur Bilanzierung entstandene Übergangsgewinn müsse vollständig oder anteilig dem Gewinn zugerechnet werden. Dadurch, so der Beklagte, komme der Kläger letztlich doch in die „Gewinnzone“. Der Kläger hat in der Tat den Gewinn für 2005 noch in Form der Einnahmenüberschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Er hat also lediglich die gesamten Betriebsausgaben von den gesamten Betriebseinnahmen abgezogen. Für das Jahr 2006 musste er aber auf den Betriebsvermögensvergleich übergehen. Das hat erfordert, erstens eine Eröffnungsbilanz zum 01.10.2006 zu erstellen und zweitens von Beginn des Jahres 2006 an eine doppelte Buchführung zu unterhalten. Mit dem 01.01.2006, 0.00 Uhr, war die bloße Einnahmen-Ausgaben-Rechnung beendet. Der Übergang von der Einnahmenüberschuss-Rechnung zur Bilanzierung kann mit einem so genannten Übergangsgewinn oder Übergangsverlust verbunden sein. Der Steuerberater hat dafür eine eigene Gewinnermittlung erstellt, die einen Übergangsgewinn von 108.076,64 EUR ausweist. Dieser Übergangsgewinn muss auch versteuert werden. Aus R 4.6 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien geht hervor, dass die Anrechnung als Gewinn und damit die Versteuerung auf drei Jahre aufgeteilt werden kann. So wird die durch die Umstellung entstandene Steuerlast gestreckt. Bilanziell entstanden war der Übergangsgewinn aber bereits am 01.01.2006, 0.00 Uhr. Denn der im Rahmen der Ermittlung des Übergangsgewinns bewertete Bestand war zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden – er war im Jahr 2005 lediglich rechnerisch uninteressant, weil eben eine andere Gewinnermittlungsmethode griff. Rechnerisch relevant wurde er erst mit der Umstellung der Gewinnermittlung. Die Substanz dessen war aber vorher schon da. Von daher vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, wie die Beklagte zu dem Schluss kommt, der Übergangsgewinn sei ausgerechnet dem hier streitigen Zeitraum zuzurechnen. Ihre Mutmaßung wird schon dadurch wiederlegt, dass der Übergangsgewinn bereits in die Posten der Eröffnungsbilanz zum 01.01.2006 eingearbeitet war. Schon das allein muss der Beklagten an sich zeigen, dass der Übergangsgewinn nicht dem hier fraglichen Zeitraum zugeordnet werden darf. Dass die Versteuerung des Übergangsgewinns erst später erfolgt, spielt dagegen keine Rolle. Dabei handelt es sich um eine spezifische Handhabung der Versteuerung, nicht aber um einen Aspekt der Ermittlung des Gewinns, auf die § 15 Satz 1 SGB IV aF abstellt.
Es mutet kurios an, dass die Beklagte ihre Mutmaßung ausgerechnet „im Lichte des BSG-Urteils vom 05.09.2006 – B 7a AL 38/05 R“ für richtig hält. Das Gegenteil ist der Fall. Die besagte BSG-Rechtsprechung akzentuiert gerade die Erarbeitung des Nebeneinkommens. Niemand wird aber behaupten wollen, der Kläger habe den Übergangsgewinn oder auch nur einen Teil davon zwischen dem 01.01. und 30.09.2006 erarbeitet. Erarbeitet war er vielmehr bereits zum 31.12.2005, 24.00 Uhr – das zeigt die Eröffnungsbilanz.
Im Lichte des BSG-Urteils vom 05.09.2006 – B 7a AL 38/05 R erscheint die Haltung der Beklagten also als eher abwegig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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