Sozialrecht

Ausbildungsförderung nach dem fünften Fachsemester, Hochschulwechsel, Zählung der Fachsemester, Anspruch auf Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG zu einem späteren Zeitpunkt (verneint), Hochschulwechsel als schwerwiegender Grund für Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus (verneint)

Aktenzeichen  Au 3 K 20.1505

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21161
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 48 Abs. 1
BAföG § 48 Abs. 2
BAföG § 15 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung der späteren Vorlage eines Leistungsnachweises und daher auch keinen Anspruch auf die beanspruchte Ausbildungsförderung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung für ihr Studium ab dem Wintersemester 2019/2020. Nach § 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) besteht ein Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Einem Anspruch der Klägerin steht entgegen, dass sie die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 BAföG im Hinblick auf ihre Eignung erforderlichen Nachweise nicht erbracht hat.
1. Nach § 48 Abs. 1 BAföG wird vom fünften Fachsemester an Ausbildungsförderung für den Besuch einer Hochschule nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der Auszubildende ein Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung (Nr. 1), eine Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber, dass die bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht wurden (Nr. 2), oder – wie im Fall der Klägerin einschlägig – einen nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellten Nachweis über die bis dahin erworbene Anzahl von Leistungspunkten nach dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) vorlegt, wenn die bei geordnetem Verlauf der Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters übliche Zahl an ECTS-Leistungspunkten nicht unterschritten wird (Nr. 3). Der Beklagte hat von der Klägerin zu Recht einen solchen Nachweis verlangt, weil das Wintersemester 2019/2020 für die Klägerin das sechste Fachsemester (siehe unten 2.) war und sie keinen Anspruch nach § 48 Abs. 2 BAföG auf Zulassung der Vorlage der Bescheinigung zu einem späteren Zeitpunkt hat (siehe unten 3.).
2. Das Wintersemester 2019/2020 war für die Klägerin das sechste Fachsemester, da sie ihr Studium im Bachelorstudiengang Bauingenieurwesen im Wintersemester 2016/2017 begonnen hat, das Wintersemester 2018/2019 wegen eines Urlaubssemesters bei der Zählung der Fachsemester der Klägerin nicht berücksichtigt wird und die Rückstufung der Klägerin ins dritte Semester durch die Hochschule … nach ihrem Hochschulwechsel für die Zählung der Fachsemester nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ohne Belang ist. Der Wechsel der Ausbildungsstätte hat auf die fortlaufende Zählung der Fachsemester nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz keinen Einfluss, so lange die Ausbildung in derselben Fachrichtung fortgesetzt wird (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 48 Rn. 8), wie es hier bei der Klägerin der Fall ist, die zunächst an der … und dann an der Hochschule … jeweils Bauingenieurwesen im Bachelorstudiengang studierte. Dies entspricht auch Tz. 7.3.3. der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGVwV), wonach bei einem Wechsel von einem Bachelorstudiengang an einer Fachhochschule in einen Studiengang der gleichen Fachrichtung an einer Universität oder umgekehrt kein Fachrichtungswechsel vorliegt.
Die nach den Richtlinien der Hochschule … für die Bescheinigung nach § 48 BAföG am Ende des fünften Fachsemesters übliche Leistung von 105 ETCS-Leistungspunkten (vgl. Bl. 246 der Verwaltungsakte) hat die Klägerin – zwischen den Parteien unstreitig – auch unter Berücksichtigung der 20 ETCS-Leistungspunkte, die ihr für das im fünften Fachsemester an der … durchgeführte Praktikum angerechnet wurden, bei weitem nicht erreicht.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus § 48 Abs. 2 BAföG, dass der Beklagte die Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG zu einem späteren Zeitpunkt zulässt und solange Ausbildungsförderung ohne die Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG gewährt.
Voraussetzung hierfür ist, dass Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG oder eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15a Abs. 3 BAföG rechtfertigen, wobei im Fall der Klägerin allenfalls eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG im Raum steht. Dies ist im Fall der Klägerin jedoch zu verneinen.
a) Schwerwiegende Gründe im Sinne dieser Vorschrift sind solche Umstände, die für die Verzögerung des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung innerhalb der Förderungshöchstdauer von erheblicher Bedeutung sind, weil sie es dem Auszubildenden unmöglich oder unzumutbar machen, diese Verzögerung zu verhindern (vgl. BVerwG, U.v. 7.2.1980 – BVerwG 5 C 38.78 – juris Rn. 12; U.v. 28.6.1995 – 11 C 25.94 – juris Rn. 15 m.w.N). Es können nur solche Umstände berücksichtigt werden, die für die Verlängerung der Ausbildung und die daraus folgende Überschreitung der Förderungshöchstdauer in dem Sinne kausal sind, dass der Auszubildende den Zeitverlust nicht mit zumutbaren Mitteln und Anstrengungen verhindern bzw. aufholen konnte (OVG NW B.v. 6.12.2013 – 12 A 2167/13 – juris Rn. 5 m.w.N). Eine Verlängerung der Ausbildungszeit, die bei zumutbarer Studienplanung und rationeller Durchführung der Ausbildung vermeidbar gewesen wäre, rechtfertigt nicht eine Verlängerung der Förderungsdauer (OVG SH, U.v. 15.2.2018 – 3 LB 9/17 – juris Rn. 32; ähnlich VG Magdeburg, U.v. 05.04.2018 – 6 A 344/16 – juris Rn. 27). Auch hochschulbedingte Verzögerungen der Ausbildung können grundsätzlich unter die schwerwiegenden Gründe des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG fallen (BVerwG, U.v. 30.6.1999 – 5 C 40/97 – juris Rn. 8 ff.; VG Magdeburg, U.v. 5.4.2018 – 6 A 344/16 – juris Rn. 32 m.w.N.)
b) Der Hochschulwechsel der Klägerin und die damit in Zusammenhang stehende Einstufung in das dritte Fachsemester an der Hochschule … stellen keine schwerwiegenden Gründe im Sinn des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG dar.
aa) In diesem Zusammenhang ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die Einstufung der Klägerin in das dritte Fachsemester an der Hochschule … nach der im Verfahren eingeholten Stellungnahme der Hochschule darauf beruhte, dass die Klägerin aufgrund der geringen, von ihr im bisherigen Studienverlauf an der … erbrachten Gesamtleistung unabhängig von der Frage der Unterschiedlichkeit der Studiengänge in … und … nicht höher eingestuft werden konnte.
Zwar zählt nach Tz. 15.3.3 BAföGVwV zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG auch die erstmalige Wiederholung eines Studienhalbjahres wegen des Misslingens von Leistungsnachweisen, wenn anstelle einer einzelnen Zwischen- oder Modulprüfung laufend Leistungsnachweise zu erbringen sind. Bei der Klägerin ging es aber nicht um die Wiederholung nur eines Studienhalbjahres, sondern um eine Rückstufung um drei Fachsemester, weshalb die Annahme eines schwerwiegenden Grundes unter Berufung hierauf eindeutig ausscheidet.
bb) Im Übrigen werden nach der Rechtsprechung Studienverzögerungen infolge des Wechsels zu einer anderen Ausbildungsstätte unter Beibehaltung des Studienganges grundsätzlich nicht zu den schwerwiegenden Gründen nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG gezählt (OVG SH, U.v. 15.2.2018 – 3 LB 9/17 – juris Rn. 33; Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 27). Denn die Freiheit des Studienortwechsels kann nicht als Wert an sich ohne weitere Zumutbarkeitserwägungen die Ausnahme der förderungshöchstdauerüberschreitenden Ausbildungsförderung bzw. nach § 48 Abs. 2 BAföG die Verschiebung der Vorlage des Nachweises auslösen. Ein Studienortwechsel muss bei der Feststellung des Schwerwiegens im Zusammenhang mit einer sinnvollen und dem Studierenden zumutbaren Planung des Studienablaufs gesehen werden, da die Regelstudienzeit nach § 15 Abs. 2 BAföG als zumutbarer Regelfall ausgestaltet ist (VG Magdeburg, U.v. 05.04.2018 – 6 A 344/16 – juris Rn. 38). Von dem Auszubildenden muss nämlich erwartet werden, dass er sich vor einem Wechsel der Hochschule erkundigt, ob die Organisation von Studium und Prüfungen – etwa hinsichtlich der Unterschiede in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen oder der Anerkennung von bisher erbrachten Leistungsnachweisen – einen zügigen Fortgang des Studiums nach dem Hochschulwechsel erlaubt (OVG SH, U.v. 15.02.2018 – 3 LB 9/17 – juris Rn. 33). Ist der Zeitverlust durch einen anderen Studienaufbau entstanden, der bewusst in Kauf genommen worden ist, ist kein Raum für die Annahme eines schwerwiegenden Grundes im Verständnis von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG (VG Saarland, Gerichtsbescheid v. 17.4.2015 – 3 K 787/14 – juris Rn. 38 f.).
cc) Eine andere Beurteilung kann allenfalls ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn der Hochschulwechsel gerade dazu dient, das Studium erfolgreich zum Abschluss zu bringen oder eine berufliche Verwertbarkeit des Studiums sicherzustellen (OVG SH, U.v. 15.02.2018 – 3 LB 9/17 – juris Rn. 33; dort bejaht für einen Wechsel vom Teilstudienplatz zum Vollstudienplatz im Fach Medizin). Eine derartige Ausnahmekonstellation ist im Fall der Klägerin jedoch nicht erkennbar. Dass die Klägerin das Studium an der … aus anderen Gründen als etwaigen Leistungsdefiziten (hierzu s.o.) nicht hätte erfolgreich zum Abschluss bringen können, ist nicht ersichtlich. Auch die Gestaltung des 5. Fachsemesters (Sommersemester 2019) als Praktikumssemester stellt keine Ausnahmekonstellation in diesem Sinn dar. Denn durch die Anerkennung der Praktikumsleistung mit 20 ETCS war dieses auch nicht für die Rückstufung der Klägerin verantwortlich. Diese beruht vielmehr im Wesentlichen auf ihren mangelnden Leistungen an der … und Unterschieden im Studienaufbau, die die Klägerin bewusst in Kauf genommen hat.
3. Der Ausspruch über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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