Sozialrecht

Ausbildungsförderungsrecht, Rechtsschutzbedürfnis bei Untätigkeitsklage, Austausch der Rechtsgrundlage, Eignung, Verlängerung der Frist zur Vorlage des Leistungsnachweises, Überschreiten der Förderungshöchstdauer, Doppelstudium als schwerwiegender Grund, Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

Aktenzeichen  M 15 K 20.1809

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44979
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75
BAföG § 9
BAföG § 15 Abs. 3 Nr. 1
BAföG § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Soweit die Klägerin Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum 10/2018 bis 9/2019 begehrt, ist die Klage zulässig, aber unbegründet (Ziff. 1.). Der Bescheid des Beklagten vom … … … und der Widerspruchsbescheid vom … … … sind – unter zulässigem Austausch der Rechtsgrundlage – rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung im vorgenannten Zeitraum (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
In Hinblick auf den Bewilligungszeitraum 10/2019 bis 10/2020 war der Klageantrag nach dem klägerischen Begehren dahingehend auszulegen (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO), dass die Verpflichtung des Beklagten begehrt wird, über den Antrag der Klägerin auf Ausbildungsförderung vom … Februar 2020 zu entscheiden (sog. Untätigkeitsklage). Insoweit ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig (Ziff. 2.).
1. Die für den Bewilligungszeitraum 10/2018 bis 9/2019 erhobene Klage ist zulässig – insbesondere war der Ausgangsbescheid vom … … … bei Klageerhebung nicht bereits bestandskräftig -, aber unbegründet.
1.1 Selbst wenn der Widerspruch der Klägerin vom … Februar 2020 verfristet gewesen wäre, hat der Beklagte diesen nicht verworfen, sondern sachlich verbeschieden. Das schließt für das nachfolgende gerichtliche Verfahren die Beachtlichkeit der Verspätung aus (vgl. BVerwG, U.v. 7.1.1972 – IV C 61.69 – juris Rn. 9 m.w.N.). Durch die Sachentscheidung wird der Mangel der Fristversäumung geheilt (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 14.3.2001 – 8 S 1989/00 – juris Rn. 26; VG Ansbach, U.v. 11.6.2002 – AN 1 K 01.00630 – juris Rn. 23 m.w.N.) und der Klageweg in der Hauptsache eröffnet (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.1963 – V C 105.61 – juris Rn. 28; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 8 m.w.N.).
1.2 Die im Ausgangsbescheid vom … … … fälschlich genannte Rechtsgrundlage des § 60 Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I (vgl. hierzu Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 7) wurde durch die Widerspruchsbehörde mit Widerspruchsbescheid vom … … … durch die Rechtsgrundlage des § 15 Abs. 3 bzw. § 15 Abs. 3a BAföG ergänzt. Ein Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum 10/2018 bis 9/2019 kann sich vorliegend aber allenfalls aus § 1 i.V.m. § 9 und § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 BAföG ergeben. Bei diesen Vorschriften handelt es sich – wie auch bei § 15 Abs. 3 bzw. § 15 Abs. 3a BAföG – trotz des Wortlauts „kann“ in § 48 Abs. 2 BAföG – um keine Ermessensnormen, sondern sie beinhalten gebundene Entscheidungen (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 36), sodass der Austausch der Rechtsgrundlage im Klageverfahren grundsätzlich möglich ist (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 2.6.2014 – 8 B 88/13 – juris Rn. 10 m.w.N).
1.3 Allerdings sind die Voraussetzungen von § 9 BAföG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG und § 48 Abs. 2 BAföG vorliegend nicht erfüllt:
Gemäß § 1 BAföG besteht auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Die Leistungen des Auszubildenden müssen erwarten lassen, dass er das angestrebte Ausbildungsziel erreicht (§ 9 Abs. 1 BAföG). Der Nachweis der Eignung wird gemäß § 9 Abs. 2 BAföG mit der Vorlage der nach § 48 BAföG erforderlichen Leistungsnachweise erbracht. Nach § 48 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Besuch einer Hochschule vom fünften Fachsemester an nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der Auszubildende entweder das Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung, die nach den Ausbildungsbestimmungen erst vom Ende des dritten Fachsemesters an abgeschlossen werden kann und vor dem Ende des vierten Fachsemesters abgeschlossen worden ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG), eine nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG) oder einen nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellten Nachweis über die bis dahin erworbene Anzahl von Leistungspunkten nach dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen – ECTS – (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BAföG) vorlegt. Der gemäß § 48 Abs. 1 BAföG vom fünften Fachsemester an vorzulegende Eignungsnachweis ist eine unerlässliche konstitutive Förderungsvoraussetzung, die neben den sonstigen Förderungsvoraussetzungen erfüllt sein muss, um einen weiteren Förderungsanspruch zu begründen (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.1978 – V C 38.77 – BVerwGE 57, 79). In Ergänzung des § 9 BAföG soll die besondere Eignungskontrolle des § 48 BAföG letztendlich sicherstellen, dass nach dem in der Regel vier Semester umfassenden Grundstudium Ausbildungsförderung nur für geeignete Auszubildende geleistet wird. Im Interesse einer sparsamen und sinnvollen Verwendung der von der Allgemeinheit für die Ausbildungsförderung aufzubringenden Mittel sollen nicht hinreichend geeignete Auszubildende wegen Fehlens der persönlichen Voraussetzungen von einer weiteren Förderung ausgeschlossen werden (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 2 m.w.N.). Legt der Auszubildende zu Beginn des fünften Fachsemesters bzw. für das dritte und vierte Fachsemester eine (positive) Eignungsbescheinigung nicht vor, kann er nicht mit Erfolg geltend machen, für seine Ausbildung geeignet i.S.d. § 9 BAföG zu sein. Die Förderung ist einzustellen bzw. abzulehnen, ohne dass das Amt noch die mangelnde Eignung des Auszubildenden feststellen muss. Für die rechtzeitige Vorlage ist allein der Auszubildende verantwortlich (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 7 f. m.w.N.).
Studiert der Auszubildende – so wie hier – mehrere Fächer, so ist der Nachweis nach § 48 Abs. 1 BAföG für jedes einzelne Fach erforderlich (Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 48 Rn. 20; BVerwG, U.v. 26.7.1984 – 5 C 130/81 – juris Rn. 17). Da die Klägerin für ihr Studium der Rechtswissenschaften zwischenzeitlich exmatrikuliert wurde und sich im Hauptfach Germanistik, Nebenfach Informatik, im Wintersemester 2018/19 noch im ersten Fachsemester befand, war nur eine entsprechende Bescheinigung für das Hauptfach Philosophie, Nebenfach Soziologie, erforderlich.
Nachdem der Klägerin die Frist zur Vorlage des Leistungsnachweises nach § 48 Abs. 2 BAföG mit Bescheid … bis zum Beginn des Wintersemesters 2018/19 (= siebtes Fachsemester) verlängert worden war, würde die Bewilligung von Ausbildungsförderung für das siebte und achte Fachsemester voraussetzen, dass die Klägerin während der ersten vier Monate des siebten Semesters eine Bescheinigung vorgelegt hat, dass sie die zum Ende des vierten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG). Dies ist hier nicht der Fall:
Die … hat nicht bestätigt, dass die Klägerin bei geordnetem Verlauf ihrer Ausbildung die bis zum Ende des siebten Fachsemesters üblichen Leistungen i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG am 31. März 2019 erbracht hat und festgestellt, dass der Klägerin 75 ECTS-Punkte fehlen. Daher käme eine weitere Förderung der Klägerin ab dem Wintersemester 2018/19 nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 BAföG vorliegen und die Klägerin demnach berechtigt wäre, den Leistungsnachweis zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt vorzulegen.
Danach kann das Amt für Ausbildungsförderung die Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt zulassen, wenn Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG rechtfertigen, wobei ungeachtet des Wortlauts „kann“ bei Vorliegen der Voraussetzungen der Zeitpunkt der Vorlage des Leistungsnachweises zwingend hinauszuschieben ist (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 36). Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit geleistet, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen überschritten worden ist. Der Begriff „aus schwerwiegenden Gründen“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum, der unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer wirtschaftlichen und sparsamen Vergabe der Fördermittel einerseits und des Interesses des Auszubildenden an einer durchgehenden Förderung andererseits auszulegen ist. Dabei ist zu beachten, dass die Gewährung einer Ausnahme nach § 15 Abs. 3 BAföG, also auch nach der als Generalklausel abgefassten Nr. 1, der Ausnahmefall bleiben muss. Eine Verlängerung der Ausbildungszeit, die bei zumutbarer Studienplanung und rationeller Durchführung der Ausbildung vermeidbar gewesen wäre, rechtfertigt keine Verlängerung der Förderungsdauer (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 15 Rn. 19 m.w.N.). Die schwerwiegenden Gründe müssen für das Überschreiten der Förderungshöchstdauer von erheblicher Bedeutung sein und es muss dem Auszubildenden unmöglich oder unzumutbar gewesen sein, die Verzögerung zu verhindern (BVerwG, U.v. 28.6.1995 – 11 C 35/94 – juris; U.v. 27.3.1980 – 5 C 45/78 – juris; Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 21). Für das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes trägt der Auszubildende die Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit der von ihm geltend gemachten Verzögerungsgründe für den Ausbildungsrückstand, so dass Ungewissheiten oder Unklarheiten bei der Feststellung der Ursächlichkeit zum Nachteil des Auszubildenden gehen, soweit sie in seinen Verantwortungs- und Verfügungsbereich fallen (BVerwG, U.v. 13.10.1988 – 5 C 35/85 – BVerwGE 80, 290; Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 15 Rn. 13).
Vorliegend macht die Klägerin geltend, dass sie aufgrund des von ihr durchgeführten Doppelstudiums (Rechtswissenschaften und Philosophie) und der damit einhergehenden Belastung sowie der Überforderung mit der juristischen Prüfungsart kaum Zeit gehabt habe, sich mit anderen anstehenden Prüfungen in den Fächern Philosophie und Soziologie zu befassen, weshalb sich der Abschluss in Philosophie trotz ihrer Bemühungen hinausgezögert habe.
Ein schwerwiegender Grund ist unter diesen Umständen nicht gegeben. Aus den Ausführungen der Klägerin wird deutlich, dass sich die Belastung der Klägerin und die Verzögerung ihres Philosophiestudiums wohl maßgeblich aus dem freiwillig absolvierten Jurastudium ergeben haben. Das freiwillige Absolvieren eines zusätzlichen Studiengangs stellt keinen anzuerkennenden Grund für eine Verzögerung i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG dar (vgl. VGH Hessen, B.v. 12.12.1980 – Bs I 95/80 – juris). Besondere Belastungen und dadurch bedingte Studienverzögerungen infolge des Betreibens eines parallelen Studiums neben dem geförderten Studium in einer anderen Fachrichtung (sog. Doppelstudium) können nicht eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus begründen (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 15 Rn. 20.4 m.w.N.). Derart eigenverantwortlich geschaffene Gründe bilden grundsätzlich keinen schwerwiegenden Grund. Von einem Studierenden, der Ausbildungsförderung begehrt, wird erwartet, dass er vorrangig alle Anstrengungen unternimmt, sein Studium innerhalb der vorgesehenen Regelstudienzeit abzuschließen und andere (wenn auch im Prinzip anerkennungswürdige soziale und berufsqualifizierende) Ziele dahinter zurückstellt (vgl. VG Ansbach, U.v. 19.9.2016 – AN 2 K 16.00111 – juris Rn. 30). Die Verantwortung für die Gestaltung des Studiums liegt ausschließlich beim Studierenden selbst und es ist letztlich mit einer unkonventionellen Studienplanung aus Sicht des Studierenden regelmäßig auch ein (subjektiver) Vorteil verbunden. Hierfür die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, erscheint deshalb auch nicht unangemessen, rechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden (vgl. VG Ansbach, a.a.O., Rn. 32). Hinzu kommt, dass die Klägerin bei umsichtiger Studienplanung bereits früher hätte erkennen können, dass das Jurastudium sie überfordert, was durch die sich in der Akte befindliche Leistungsübersicht (vgl. Bl. 88 d. Behördenakte – BA) bestätigt wird. So hat die Klägerin ab dem Wintersemester 2015/16 bis zum Sommersemester 2017 von insgesamt 14 Prüfungen sieben nicht bestanden und führt in den zahlreichen Schreiben an den Beklagten auch aus, dass die Prüfungsart im Fach Jura sie überfordert hat. Auch räumt die Klägerin in ihren Schreiben letztendlich ein, dass somit wohl eine Fehlplanung ursächlich für die Verzögerung ihres Studienablaufs/Verlängerung der Regelstudienzeit war. Es wäre der Klägerin daher zumutbar gewesen, früher, d.h. spätestens zum Beginn des Wintersemester 2016/17, als im Übrigen auch noch ein Fachrichtungswechsel nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG möglich gewesen wäre, die notwendigen Konsequenzen (Studienabbruch) zu ziehen und nicht erst abzuwarten, bis sie infolge fehlender bzw. mangelhafter Prüfungsleistungen zum Wintersemester 2018/19 exmatrikuliert wird. Auch hätte die Klägerin die Machbarkeit des Doppelstudiums Jura/Philosophie (Zeitpunkt der Vorlesungen, Prüfungstermine etc.) im Vorfeld abklären können. Schließlich vermag auch das Argument der Klägerin, sie habe mangels akademischem Hintergrund nicht auf die Unterstützung ihrer Eltern zurückgreifen können, nicht zu überzeugen, da dies auf viele Studierende zutreffen dürfte.
Zudem verbietet es die Systematik des § 7 BAföG, eine besondere Belastung durch ein gleichzeitig betriebenes Studium als schwerwiegenden Grund i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG anzuerkennen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift besteht grundsätzlich nur Anspruch auf Förderung einer Ausbildung (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1978 – V C 54.76 – juris Rn. 27). Im Falle der Klägerin hätte jedes der aufgenommenen Studien zu einem selbständigen berufsqualifizierenden Abschluss geführt. Die Tatsache des zweiten Studiums könnte nur dann eine erweiterte oder zusätzliche Ausbildungsförderung rechtfertigen, wenn die Voraussetzungen vorlägen, unter denen nach § 7 Abs. 2 BAföG eine weitere Ausbildung zu fördern ist. Nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG trifft dies jedoch nicht zu. Diese Vorschrift soll nur in Ausnahmefällen eine Ergänzung der bereits berufsqualifizierend abgeschlossenen Ausbildung durch eine weitere Förderung ermöglichen (vgl. S.weg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 64 m.w.N.). Vorliegend hat die Klägerin das Jurastudium nicht berufsqualifizierend abgeschlossen, sondern wurde mit Bescheid vom … … … exmatrikuliert. Hätte demnach die Klägerin für ihr zweites Studium keine Ausbildungsförderung erhalten können, so kann im Hinblick auf dieses auch nicht das zunächst gleichzeitig betriebene Jurastudium zu einer Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus führen. Denn es würde zu einer unzulässigen Umgehung des Gesetzes führen, wenn für eine weitere Ausbildung, die nach § 7 Abs. 2 BAföG nicht gefördert werden kann, doch Förderungsleistungen gewährt würden, indem die gleichzeitig mit der ersten Ausbildung unternommene weitere Ausbildung Anlass dafür sein könnte, die noch nicht abgeschlossene berufsqualifizierende Ausbildung über die Förderungshöchstdauer hinaus zu fördern (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1978 – V C 54.76 – juris Rn. 29).
Auch dass die Klägerin in ihrem Schreiben an den Beklagten vom … März 2018 vorgetragen hat, physisch und psychisch sehr belastet gewesen zu sein, rechtfertigt hier keine spätere Vorlage des Leistungsnachweises nach § 48 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG. Zwar kann auch eine Krankheit einen schwerwiegenden Grund i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG darstellen (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 15 Rn. 21.1), jedenfalls wurden aber keine ärztlichen Atteste vorgelegt, die eine solche Krankheit belegen könnten.
Nach alledem ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Vorlage der Leistungsbescheinigung nach § 48 Abs. 2 BAföG (erneut) zu einem späteren Zeitpunkt zuzulassen und der Klägerin für das siebte und achte Fachsemester weiterhin Ausbildungsförderung zu gewähren.
Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom … … … die Vorlage des Leistungsnachweises zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht und insoweit offenbar das Vorliegen von Gründen i.S.v. § 15 Abs. 3 BAföG anerkannt hat. Insoweit ist das Vertrauen der Klägerin bereits deshalb nicht schützenswert, weil die Entscheidung des Beklagten zu § 48 Abs. 2 BAföG nach dem oben Gesagten wohl rechtswidrig gewesen sein dürfte. Nach allgemeinem Rechtsgrundsatz kann Vertrauensschutz für rechtswidrig erworbene Positionen nicht gewährt werden (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 24.3.1988 – 3 C 41/87 – juris Rn. 26). Hinzu kommt, dass in dem Bescheid vom … … … die spätere Vorlage ausdrücklich auf den Beginn des Wintersemesters 2018/19 begrenzt war, sodass die Klägerin nicht ohne weiteres davon ausgehen durfte, die spätere Vorlage gelte unbegrenzt. Auch kann keine konkludente Verlängerung zur Vorlage des Leistungsnachweises darin gesehen werden, dass der Beklagte auf diverse Schreiben der Klägerin, in welchen sie darum gebeten hat, das Formblatt 5 später abgeben zu dürfen, nicht reagiert hat. Denn die Entscheidung zu § 48 Abs. 2 BAföG ergeht als selbständiger Verwaltungsakt oder zusammen mit dem Bewilligungsbescheid (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 37 m.w.N.). Ein Verwaltungsakt kann zwar auch mündlich (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X), nicht jedoch allein durch Schweigen (vgl. BVerwG, U.v. 18.9.1970 – VII C 68.68 – juris Rn. 14) erlassen werden.
1.4 Der Klägerin steht auch keine Ausbildungsförderung über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu.
Dabei kann dahinstehen, ob dieses im Recht der Ausbildungsförderung überhaupt Anwendung findet (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 23.2.2010 – 5 C 13.09 – juris Rn. 16 m.w.N.; OVG Lüneburg, U.v. 24.10.2019 – 4 LC 238/16 – juris Rn. 34). Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte seine Beratungspflicht verletzt hätte. Der Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat. Die Pflichtverletzung muss zu einem Nachteil für den Betroffenen geführt haben. Der hierdurch eingetretene Nachteil muss durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur darf dabei nicht dem jeweiligen Gesetzeszweck widersprechen (vgl. VG München, B.v. 10.7.2012 – M 15 K0 12.1383 – juris Rn. 25). Abgesehen davon, dass die konstitutive Wirkung der Eignungsbescheinigung nicht durch die Beratungspflicht des § 41 Abs. 3 BAföG sowie die allgemeinen Aufklärungs-, Beratungs-, und Auskunftspflichten nach den §§ 13 ff. SGB I in Frage gestellt werden kann, kann eine pflichtwidrige schuldhafte Verletzung der Betreuungspflichten keinen Förderungsanspruch, sondern lediglich Herstellungs- oder Schadensersatzansprüche begründen (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 8).
Eine solche Pflichtverletzung durch den Beklagten hat die insoweit darlegungspflichtige Klägerin nicht substantiiert darlegen können. Soweit sie in ihren Schreiben vom … Februar 2020, … April 2020, … Juni 2020 und … März 2021 angegeben hat, eine Sachbearbeiterin des Beklagten habe ihr mündlich die spätere Vorlage des Leistungsnachweises im Wintersemester 2018/19 bzw. 2019/20 gestattet, findet sich hierzu kein entsprechender Vermerk in der Behördenakte. Auch der Einwand der Klägerin, der Beklagte hätte ihr aufgrund des Überschreitens der Förderungshöchstdauer bereits im Oktober 2018 eine Absage erteilen müssen und nicht weiter die Vorlage des Leistungsnachweises fordern dürfen, greift nicht durch. Denn die Klägerin wurde im Bescheid vom … … … (Bl. 54 BA) darauf hingewiesen, dass eine Förderung ab dem fünften Semester nur mit Vorlage des Formblatts 5 möglich ist. Hinzu kommt, dass die Ämter für Ausbildungsförderung generell durch zahlreiche Broschüren, Hinweisblätter etc. über die Auszahlungsmodalitäten der Ausbildungsförderung aufklären. Unabhängig davon erschien aus Sicht des Gerichts eine Belehrung darüber, dass eine Förderung wegen Erreichens der Förderungshöchstdauer ausgeschlossen war, nicht geboten, da eine Förderung für das siebte und achte Semester (Bewilligungszeitraum 10/2018 bis 9/2019) noch möglich gewesen wäre und demnach die Vorlage des Leistungsnachweises aus Sicht des Beklagten weiterhin entscheidungsrelevant war. Nach einer im Gerichtsverfahren eingeholten Auskunft der Leiterin des Prüfungsamtes für Geistes- und Sozialwissenschaften vom … … … studiert die Klägerin in der „240-ECTS-Variante“, weshalb das Ende der Regelstudienzeit (= Förderungshöchstdauer, vgl. § 15a Abs. 1 BAföG) auf das Ende des Sommersemesters 2019 fällt. Gleiches gilt hinsichtlich des Bewilligungszeitraums 10/2019 bis 10/2020. Für eine Weiterförderung hätte es eines Grundes i.S.v. § 15 Abs. 3 BAföG für die Überschreitung der Förderungshöchstdauer bedurft. Dies zu prüfen, war Aufgabe des Beklagten. Der Beklagte kann jedoch nicht bereits über etwas aufklären, was in rechtlicher Hinsicht noch geprüft werden muss.
1.5 Schließlich kann die Klägerin auch keinen Anspruch infolge einer durch den Beklagten erteilten Zusicherung (vgl. § 34 SGB X) geltend machen.
Nach dieser Vorschrift bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung) zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Daran fehlt es vorliegend. Für das Vorbringen der Klägerin, der Beklagte habe ihr in mehreren Telefonaten im Oktober 2018 bzw. 2019 die Vorlage des Leistungsnachweises bis zum Wintersemester 2018/19 bzw. 2019/20 gestattet, fehlen entsprechende Vermerke in der Behördenakte. Im Übrigen liegt in dem (auch schriftlichen) Verlangen des Amtes, den Eignungsnachweis nachzureichen, mangels Verpflichtungswillens keine Zusicherung auf rückwirkende Gewährung von Ausbildungsförderung (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Juli 2019, § 48 Rn. 8 m.w.N.). Vielmehr hat der Beklagte hierdurch zum Ausdruck gebracht, dass ohne Vorlage des Nachweises eine weitere Förderung ausscheidet.
2. Die in Hinblick auf den Bewilligungszeitraum 10/2019 bis 10/2020 erhobene Untätigkeitsklage ist bereits unzulässig.
2.1 Vorliegend kann dahinstehen, ob der unvollständige BAföG-Antrag der Klägerin vom … … … geeignet war, die Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO auszulösen (dies bejahend: Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 75 Rn. 5; dies verneinend: BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 15 BV 15.2441 – juris Rn. 14 ff.; VGH BW, U.v. 27.2.2003 – 5 S 1279/01 – juris Rn. 24), sodass die am … … … erhobene Untätigkeitsklage bereits aus diesem Grund unzulässig wäre. Denn der erhobenen Untätigkeitsklage fehlt jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis.
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist Voraussetzung für die Zulässigkeit jeder Inanspruchnahme des Gerichts und ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller oder einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern könnte oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor § 40 Rn. 11 ff. m.w.N.). In der Regel besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Untätigkeitsklage, wenn eine Behörde es ausdrücklich ablehnt, über einen Antrag zu entscheiden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 17.12.1997 – 4 O 5650/97 – juris Rn. 9). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zieht den Verlust des Rechtsschutzbedürfnisses nach sich (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2001 – 10 C 01.422 – juris Rn. 4). Ob dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht, ist von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen. Sinn und Zweck der Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses ist es, eine unnötige oder gar missbräuchliche Ausübung von Klagemöglichkeiten zu verhindern. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzbedürfnisses kann ein Gericht auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Beteiligten dafür spricht, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor § 40 Rn. 11 m.w.N.).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht (mehr) erkennbar. Der Beklagte hat in seinem, nach Klageerhebung an die Klägerin gerichteten Schreiben vom … … … diese unter Fristsetzung bis … Juni 2020 um Mitteilung gebeten, ob sie im Zeitraum 4/2020 bis 3/2021 die – einzig in Betracht kommende – Gewährung einer Studienabschlusshilfe in Form eines zinsfreien Volldarlehens wünscht oder auf die Auszahlung verzichtet. Es war somit für die Klägerin ersichtlich, dass der Beklagte sich keiner Entscheidung verweigert, sondern vielmehr im Interesse der Klägerin, sich nicht noch mehr verschulden zu wollen (vgl. klägerisches Schreiben vom …5.2020, Bl. 164 BA), zum damaligen Zeitpunkt von einer Verbescheidung abgesehen hat bzw. erst nach ausdrücklicher Zustimmung der Klägerin – die im Übrigen ausblieb, weshalb der Beklagte zu Recht davon ausgehen durfte, dass die Klägerin keine Studienabschlusshilfe nach § 15 Abs. 3a BAföG wünscht – darüber entschieden hätte. Wenn es Ziel der Klägerin gewesen wäre, BAföG in Form der Studienabschlusshilfe nach § 15 Abs. 3a BAföG zu erlangen, wäre ein einfacherer und schnellerer Weg zur Verfügung gestanden, indem die Klägerin auf das Schreiben des Beklagten vom … Mai 2020 geantwortet und zu erkennen gegeben hätte, dass über ihren Antrag vom … … … entschieden werden soll. Vor diesem Hintergrund erscheint es widersprüchlich bzw. rechtsmissbräuchlich, wenn die Klägerin die für ebendiesen Bewilligungszeitraum erhobene Untätigkeitsklage aufrecht erhält. Selbst wenn unterstellt würde, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Rechtsschutzbedürfnis hatte, so wäre dies jedenfalls infolge der Nichtreaktion auf das Schreiben des Beklagten vom … Mai 2020 entfallen, zumal die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung (vgl. Sitzungsniederschrift, S. 2) vorgetragen hat, keine Studienabschlusshilfe zu wollen, sodass es ihr auf den Klageerfolg insoweit nicht mehr ankam.
2.2 Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Untätigkeitsklage auch unbegründet wäre. Die Klägerin war ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung vom … … … (vgl. Bl. 147 BA) im Wintersemester 2019/20 im neunten Fachsemester und hat damit die hier vorliegende Förderungshöchstdauer von acht Semestern überschritten. Für den Bewilligungszeitraum 10/2019 bis 10/2020 käme daher allenfalls eine Förderung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG, deren Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen (siehe oben, 1.3), oder die Gewährung einer Studienabschlusshilfe nach § 15 Abs. 3a BAföG in Betracht, die aber nicht dem klägerischen Begehren entspricht.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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