Sozialrecht

Bemessung des Schmerzensgeldes nach einem Verkehrsunfall bei Opiatabhängigkeit und (auch) behaupteter psychischer Schäden

Aktenzeichen  4 O 672/14

Datum:
27.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133592
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 7, § 11 S. 2
BGB § 253 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (Anschluss BGH NJW 1976, 1149). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Schwere der Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (Anschluss BGH BeckRS 9998, 121701). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (Anschluss OLG Brandenburg BeckRS 2009, 07236). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 70.000,00.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte weitere Schmerzensgeldansprüche nicht zu. Die ihm zustehenden Schmerzensgeldansprüche wurden mit Zahlungen i. H. v. insgesamt € 50.000,00 hinreichend ausgeglichen.
1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte zu 50% für die dem Kläger entstandenen Schäden einstandspflichtig ist.
2. Weitere Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagte aus §§ 7 StVG, 115 VVG, 249 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB stehen dem Kläger gegen die Beklagte nicht zu. Hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzensgeldes ist bei der Bemessung folgendes zu berücksichtigen:
a) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfall ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm ZFS 2005, 122, 123; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW Spezial 2010, 617).
b) Die Schwere dieser Belastungen wird v. a. durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grundlegen RGZ 8, 117, 118 und BGHZ-GSZ-18, 149 ff = VersR 1955, 615 ff = NJW 1955, 1675 ff.).
Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm, ZFS 2005, 122, 123; Brandenburgisches Oberlandesgericht Urteil vom 08.03.2007, 12 U 154/06).
d) Das Gericht legt für die Beeinträchtigung des Klägers vollumfänglich die eingeholten urologischen und nervenärztlichen Sachverständigengutachten vom 05.07.2015 und 19.06.2015 (Bl. 62 – 83 d. A.) zu Grunde.
Der Kläger wurde von beiden Fachabteilungen persönlich untersucht. Die Sachverständigen haben den Akteninhalt als auch den Beweisbeschluss vollumfänglich ab- und aufgearbeitet und ihre Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2015 plausibel und für das Gericht nachvollziehbar erläutert.
Unstreitig hat der Kläger Berstungsfrakturen an den Brustwirbelkörpern 7 und 8, einen Dornfortsatzabriss am Brustwirbelkörper 7, eine periprothetische Oberschenkelfraktur links bei liegender Hüft-TEP beidseits, einen Trizepssehnenausriss am linken Olecranon, eine ausgedehnte Weichteilverletzung am rechten fistalen Oberschenkel mit Ruptur des vastus medialis und eine Dornfortsatzfraktur des HWK 7 erlitten. Unstreitig hat sich der Kläger mehrfach in stationärer Behandlung und anschließender Rehabilitationsmaßnahme befunden. Unstreitig liegt auf fachchirurgischem Gebiet eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von 40%o vor. Unstreitig wurden die herausgesprengten Brustwirbel durch einen Obelisken gefestigt, der nicht entfernt werden kann.
Hinsichtlich der streitigen Beeinträchtigungen auf nervenärztlichem und urologischem Fachgebiet geht das Gericht von Folgendem aus:
Beim Kläger liegt eine Störung mit teilweisem Erektionsverlust auf urologischem Gebiet vor, die einen isolierten Grad der Behinderung von 10% rechtfertigt. Das Gericht geht hiervon aufgrund des fachurologischen Gutachtens vom 05.07.2015 aus, das der Sachverständige Dr. in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2015 nachvollziehbar erläutert hat. Hierbei ist aber auch zu beachten, dass bereits vor dem Unfall, nach den Ausführungen von Dr. beim Kläger Faktoren vorgelegen haben, die Einfluss auf die Erektionsfähigkeit haben können. Dass die mangelnde Erektionsfähigkeit schlussendlich nur auf das Unfallereignis zurückzuführen ist, kann der nicht Kläger darlegen.
In nervenärztlicher Hinsicht geht das Gericht davon aus, dass bei dem Kläger für die Dauer von 1 Jahr nach dem Unfall – auch unter Einbeziehung der sexuellen Störung – eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 °% vorgelegen hat.
Nervenärztlich kann beim Kläger ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden, u. a. mit vertibragenen Kopfschmerzen, ein Karpaltunnelsyndrom rechts, eine abgelaufene Anpassungsstörung und eine rezidivierende Depressivität und Angst diagnostiziert werden. Nervenärztlich liegt beim Kläger auch eine Schmerzsymptomatik vor, aufgrund derer der Kläger Opiate einnimmt. Nach Ansicht des Gutachters spielt aber in diesem Zusammenhang insbesondere auch die spezielle Suchterfahrung des Klägers eine Rolle. Nach den Ausführungen des Gutachters hat die Medikation aber durchaus negative Einflüsse auf die Vigilanz und auch auf die Verdauung. Vom Gutachter als sicher angenommen besteht inzwischen eine Medikamentenabhängigkeit.
Klar stellt der Gutachter allerdings, dass der Kläger nicht mehr unter erheblichen psychischen Folgen des Unfalls von 2011 leidet. Lediglich hinsichtlich einer zeitlich begrenzt anzuerkennenden Anpassungsstörung kann von Schlaflosigkeit, Flashbacks vom Unfall, Depressionen und emotionalem Rückzug ausgegangen werden. Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt jedoch nach den Ausführungen des Gutachters nicht vor. Unter Berücksichtigung der Schmerzsymptomatik und unter Berücksichtigung der Libidominderung geht der Gutachter von einer Beeinträchtigung des allgemeinen Leistungsvermögens, die auf den Unfall zurückzuführen sind, von 30% für die Dauer von maximal einem Jahr nach dem Unfall aus. Dem schließt sich das Gericht nach der übezeugenden Darstellung des Gutachters in der mündlichen Verhandlung an.
Der Gutachter hat insbesondere herausgestellt, dass beim Kläger bereits vor dem Unfallereignis eine psychische Störung, depressiv gefärbt, vorlag, vorgelegen haben muss auch eine akute Belastungssituation aufgrund Ehe- und partnerschaftlicher Probleme. Einzubeziehen ist ebenso die Alkohol- und Drogenproblematik des Klägers. Weitere psychische Beeinträchtigungen, die auf den Unfall zurückzuführen sind hat der Kläger nicht nachweisen können. Der Gutachter führt hier insbesondere dazu aus, dass psychoreaktive Störungen grundsätzlich zeitlich begrenzt sind. Die Begrenzung des Gutachters auf ein Jahr ist bereits hoch gegriffen, üblicherweise geht man davon aus, dass ein solcher Unfall etwa nach 1/2 Jahr „überwunden“ ist. Die zeitliche Begrenzung von 1 Jahr hat der Gutachter insbesondere aufgrund der persönlichen Situation des Klägers vorgenommen, da denkbar ist, dass im konkreten Fall das Unfallereignis den Kläger stärker betroffen hat als Vergleichspatienten.
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger sich nach dem Unfall in schmerztherapeutischer Behandlung bei Dr. befunden hat, Akupunktur, Krankengymnastik und Spritzen erhält als auch von diesem medikamentiert wird. Von Dr. ist er nach Auffassung des Gerichtes medikamentiert worden mit Ritardin und Oxycodon, wobei sich die Dosis gesteigert hat. Überzeugt hiervon ist das Gericht aufgrund der glaubhaften und glaubwürdigen Aussage des Dr.
Inwiefern die Medikation allerdings unfallbedingt erfolgte, kann letztendlich nicht geklärt werden. Unstreitig hat der Kläger bereits vor dem Unfallereignis aufgrund anderer Vorerkrankungen Schmerzmittel eingenommen. Es kann auch nicht lückenlos aufgeklärt werden, inwiefern die jetzige hohe Dosierung auf das vorherige Konsumverhalten des Klägers, den Unfall oder Vorerkrankungen oder auch die spezielle Behandlungsart von Dr. …H zurückzuführen ist.
Unter Berücksichtigung der vom Kläger erlittenen unfallbedingten Primärverletzungen als auch einer Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf fachchirurgischem Gebiet i. H. v. 40 °% und einer Minderung auf neurologischem Gebiet unter Einbeziehung des urologischen Gebiets von 30% für die Dauer von 1 Jahr, dem Alter des Klägers zum Unfallzeitpunkt (37), einer andauernden Schmerzsymptomatik, die – auch – auf den Unfall zurückzuführen ist, aber auch eines Mitverschulden des Klägers von 50%, ist ein Schmerzensgeld i. H. v. € 50.000,00 unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände angemessen. Es kann letztlich dahinstehen, ob die psychische und urologische Beeinträchtigung für die Dauer von einem Jahr in Gänze auf den Verkehrsunfall zurückzuführen ist, da das Gericht auch für diesen Fall das bereits geleistete Schmerzensgeld als ausreichend ansieht. 50.000,00 € hat die Beklagte bereits gezahlt. Weitere Ansprüche bestehen daher nicht.
II.
Ein Anspruch auf Ausgleich weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Über den von ihre regulierten Betrag hat die Beklagte eine Geschäftsgebühr i. H. v. 1,8 bereits ausgeglichen. Weitere Schmerzensgeldansprüche und damit auch Anspruch auf den Ausgleich aus einem erhöhten Geschäftswert ergeben sich nicht.
III.
Kosten: § 91 ZPO
IV.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 2 ZPO
V.
Streitwert: § 3 ZPO


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