Sozialrecht

Bundesfreiwilligendienst: Taschengeld nicht auf Soziahilfe anrechenbar

Aktenzeichen  L 8 SO 18/16

Datum:
27.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26333
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XII § 28, § 82 Abs. 3
EStG § 3 Nr. 5f

 

Leitsatz

Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst ist kein Einkommen und darf nicht bedarfsmindernd auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 SO 57/15 2015-11-24 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. November 2015 wird aufgehoben.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 02.10.2014, 06.11.2014, 26.11.2014, 08.12.2014, 21.01.2015, 04.03.2015, 27.03.2015 und 08.05.2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide der Regierung von Schwaben vom 13.05.2015 und vom 14.09.2018 und der Bescheid vom 29.06.2015 werden teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.10.2014 bis 30.04.2015 weitere Leistungen i. H. v. monatlich 134,80 Euro zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Gründe

A.
Die vom Kläger am 18.01.2016 eingelegte Berufung gegen das Urteil des SG vom 24.11.2015, dem Kläger zugestellt am 18.12.2015, ist zulässig, insbesondere wurde sie gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Sie bedurfte auch gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750.- Euro übersteigt. Denn der Kläger begehrt die Nichtanrechnung von Taschengeld im Zeitraum 01.10.2014 bis 30.04.2015 in Höhe von monatlich 134,80 Euro, so dass insgesamt die Gewährung weiterer Leistungen in Höhe von 943,60 Euro mit der Berufung verfolgt wird.
B.
Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht das dem Kläger aufgrund seiner Tätigkeit im Bundesfreiwilligendienst gewährte Taschengeld als Einkommen in Höhe von 200.- Euro monatlich bedarfsmindernd angerechnet.
1. Streitgegenständlich ist vorliegend der Bescheid vom 02.10.2014, mit dem dem Kläger für den Zeitraum 01.10.2014 bis 30.09.2015 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von 451,95 Euro monatlich unter Anrechnung von Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst bewilligt wurde, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2015. Weiter sind streitgegenständlich die von der Beklagten erlassenen Änderungsbescheide für diesen Zeitraum vom 06.11.2014, 26.11.2014, 08.12.2014, 21.01.2015, 04.03.2015, 27.03.2015 und 08.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2018. Auch die nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2015 ergangenen Änderungsbescheide vom 27.05.2015 und vom 29.06.2015 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Der Kläger begehrt höhere Leistungen im Zeitraum 01.10.2014 bis 30.04.2015. Die streitgegenständlichen Bescheide sind, da nicht alleine das Berechnungselement Einkommen gerichtlich überprüfbar ist, unter jeglichem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 29/09 R -, BSGE 105, 279-291, SozR 4-1100 Art. 1 Nr. 7 für die insoweit vergleichbare Leistungsbewilligung nach dem SGB II).
2. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG.
3. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt gemäß § 41 Abs. 1 und 2 SGB XII. Er hatte die Altersgrenze erreicht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und konnte seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen bestreiten. Einkommen der Ehefrau war nicht anzurechnen, da diese kein Einkommen hatte, das ihren notwendigen Lebensunterhalt nach § 27 a SGB XII überstieg (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).
4. Der Bedarf des Klägers gem. §§ 42, 27 a und 35 SGB XII betrug insgesamt im Zeitraum 01.10.2014 bis 31.12.2014 621,76 Euro, zusammengesetzt aus dem Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von 353.- Euro sowie den hälftigen tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 268,76 Euro. Ab dem 01.01.2015 bis 30.09.2015 betrug der Bedarf des Klägers aufgrund einer Erhöhung des Regelbedarfs auf 360.- Euro insgesamt 628,75 Euro. Die Beklagte hat den Bedarf des Klägers in den streitgegenständlichen Bescheiden korrekt berechnet.
5. Unzutreffend hat die Beklagte jedoch Einkommen des Klägers aus dem Bundesfreiwilligendienst bedarfsmindernd angesetzt.
a. Bei dem dem Kläger gewährten Taschengeld in Höhe von 200.- Euro monatlich handelt es sich um Einkommen, das gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der Fassung vom 21.03.2013 (gültig vom 01.01.2013 bis 31.12.2015) dem Grunde nach anrechenbar ist, da es sich um eine Einnahme in Geld oder Geldeswert handelt und die normierten Ausnahmen nicht gegeben sind.
b. Das Taschengeld stellt keine Leistung dar, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht wird, der ein anderer wäre, als der mit der Sozialhilfe verfolgte Zweck, mit der Folge, dass eine Einkommensberücksichtigung gemäß § 83 SGB XII ausgeschlossen wäre. Bereits die Bezeichnung „Taschengeld“, die sowohl in der Vereinbarung über die Ableistung eines Bundesfreiwilligendienstes des Klägers vom 06.02.2013 als auch im Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG) in § 2 Nr. 4 und § 17 verwendet wird, spricht für eine offene Zweckverwendung. Ein besonderer Verwendungszweck für das Taschengeld lässt sich auch nicht in sonstiger Weise aus dem BFDG oder einer anderen gesetzlichen Regelung entnehmen (BSG, Urteil vom 26.07.2016, B 4 AS 54/15 R, RdNr. 23).
c. Der Senat folgt der Beklagten in ihrer Rechtsauffassung, dass § 82 Abs. 3 Satz 4 SGB XII nicht auf das Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst anzuwenden ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Betrag von bis zu 200.- Euro monatlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen hat, die nach § 3 Nr. 12, 26, 26 a oder 26 b des EStG steuerfrei sind. Denn die in § 82 Abs. 3 S. 4 SGB XII genannten Vorschriften des EStG beziehen sich nicht auf das Taschengeld, das aufgrund eines Bundesfreiwilligendienstes gezahlt wird. Dieses ist vielmehr nach § 3 Nr. 5 f EStG von der Steuerpflicht ausgenommen. Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung kommt auch eine analoge Anwendung des § 82 Abs. 3 Satz 4 SGB XII nicht in Betracht.
d. Das vom Kläger bezogene Taschengeld ist jedoch in gesamter Höhe gemäß § 82 Abs. 3 S. 3 SGB XII vom Einkommen abzusetzen, mit der Folge, dass eine diesbezügliche Einkommensanrechnung nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift kann in begründeten Fällen ein anderer als in § 82 Abs. 3 S. 1 SGB XII festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden. Nach dem in Bezug genommenen § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein Betrag in Höhe von 30 vom 100 des Einkommens aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom 100 der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII.
Zwar handelt es sich bei dem Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst nicht um Einkommen aus einer selbstständigen oder nichtselbstständigen Tätigkeit. Denn nach seiner Zweckrichtung handelt es sich bei dem Bundesfreiwilligendienst um ein freiwilliges Engagement für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich sowie im Bereich des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes, das das lebenslange Lernen fördern soll, jedoch ohne Erwerbsabsicht ausgeübt wird (vgl. §§ 1 und 2 BFDG). Es ist daher einem Ehrenamt ähnlich und stellt keine Erwerbstätigkeit dar (BSG a. a. O., RdNr. 26). § 82 Abs. 3 Satz 3 stellt jedoch trotz seiner Bezugnahme auf Satz 1 der Vorschrift eine allgemeine Öffnungsklausel bzw. einen Auffangtatbestand dar, die es dem Sozialhilfeträger insbesondere zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung ermöglicht, von einer Einkommensanrechnung ganz oder teilweise abzusehen. § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII stellt dabei eine generelle Härteklausel für alle denkbaren Einkommen dar, da nur so den Gerichten und der Verwaltung die Möglichkeit eingeräumt wird, unbillige Ergebnisse zu vermeiden und bei Leistungen nach unterschiedlichen Grundsicherungssystemen eine Harmonisierung zu erreichen. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb ein nach § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII begründeter Fall, der ein Abweichen von der Regel des § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII rechtfertigt, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, nur bei Einkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten denkbar sein sollte (BSG, Urteil vom 09.06.2011, B 8 SO 20/09 R, RdNr. 24 für den Fall der Einkommensanrechnung von gemischten Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II und SGB XII; BSG, Urteil vom 30.06.2016, B 8 SO 3/15 R, RdNr. 23 für die Einkommensanrechnung sog. DEMO-Leistungen für Überlebende der Leningrader Blockade; mit dieser Tendenz auch bereits BSG, Urteil vom 23.03.2010, B 8 SO 17/09 R für das im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen von der Bundesagentur für Arbeit gezahlte Ausbildungsgeld).
Auch der Bezug von Taschengeld aufgrund eines Bundesfreiwilligendienstes stellt einen begründeten Fall von § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII dar. Auch hier bedarf es einer Harmonisierung zweier Grundsicherungssysteme (SGB II und SGB XII), um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu vermeiden. Wie oben unter a. bis c. ausgeführt, ist das Taschengeld für einen Bundesfreiwilligendienst bei Leistungsbeziehern nach dem SGB XII nicht explizit von der Einkommensanrechnung ausgenommen. Anders verhält es sich bei Leistungsbeziehern nach dem SGB II. Gemäß § 1 Abs. 7 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) in der Fassung vom 21.03.2013 (gültig vom 01.01.2013 bis 31.07.2016) bzw. ab dem 01.08.2016 gemäß § 11 b Abs. 2 Satz 5 SGB II ist das Taschengeld für einen Bundesfreiwilligendienst in Höhe von 200.- Euro monatlich (jedenfalls wenn kein weiteres Einkommen erzielt wird) nicht als Einkommen anzurechnen. Anders als bei den nach § 3 Nr. 12, 26, 26 a und 26 b EStG steuerfreien Einnahmen, die grundsätzlich in § 11 Abs. 2 S. 3 SGB II und § 82 Abs. 3 S. 4 SGB XII gleich behandelt werden, ist daher beim nach § 3 Abs. 5 f EStG steuerfreien Taschengeld für einen Bundesfreiwilligendienst eine Ungleichbehandlung gegeben.
Eine solche ungleiche Regelung der Einkommensanrechnung des Taschengeldes für einen Bundesfreiwilligendienst würde das Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG tangieren. Danach dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, wenn dies zu einem Nachteil für den Betroffenen führt und nicht durch einen hinreichend gewichtigen Grund gerechtfertigt ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sieht der Senat vorliegend einen vergleichbaren Sachverhalt als gegeben an, da die Grundsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII nach ihren Grundlagen und Zielrichtungen bezüglich der Anrechnung des Taschengeldes für einen Bundesfreiwilligendienst keiner Unterscheidung zugänglich sind. Die Eingruppierung hilfebedürftiger Personen in das System des SGB II oder des SGB XII erfolgt über das Kriterium der Erwerbsfähigkeit (§ 21 S. 1 SGB XII). Erwerbsfähige Hilfebedürftige (und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 SGB II lebenden Personen, die nicht nach dem vierten Kapitel des SGB XII anspruchsberechtigt sind (§ 5 Abs. 2 S. 2 SGB II), erhalten Leistungen nach dem SGB II, die weiteren hilfebedürftigen Personen, die regelmäßig nicht erwerbsfähig sind, erhalten Leistungen nach dem SGB XII.
Entsprechend dieses grundlegenden Differenzierungsmerkmals der unterschiedlichen hilfebedürftigen Personengruppen verfolgt das SGB II anders als das SGB XII das Ziel, die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, zu stärken und dazu beizutragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten sollen (§ 1 Abs. 2 S. 1 SGB II). Aus diesem gesetzlichen Ziel folgt der in § 2 SGB II festgelegte Grundsatz des Forderns, der z. B. durch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, aber auch durch das Sanktionssystem bei erfolgter Pflichtverletzung im SGB II ausgestaltet wird und keine Entsprechung im SGB XII findet.
Für eine Ungleichbehandlung bei der Einkommensanrechnung des Taschengeldes für einen Bundesfreiwilligendienst stellen nach Ansicht des Senats das Kriterium der Erwerbsfähigkeit und die unterschiedliche Programmatik des SGB II und des SGB XI bei der Integration in den Arbeitsmarkt jedoch keinen überzeugenden Grund dar. Der Bundesfreiwilligendienst ist nach seiner gesetzlichen Konstruktion ein Engagement von Frauen und Männern für das Allgemeinwohl, das einen freiwilligen Dienst ohne Erwerbsabsicht darstellt und daher auch unabhängig von einer Erwerbsfähigkeit ausgeübt werden kann. Insbesondere sieht das BFDG keinen Ausschluss von bestimmten Altersgruppen zur Ableistung dieses freiwilligen, gemeinwohlorientierten Dienstes vor. Vielmehr soll damit das lebenslange Lernen gefördert werden (§ 1 S. 2 BFDG), woraus zu schließen ist, dass der Bundesfreiwilligendienst in jedem Lebensalter gesetzgeberisch gewollt ist.
Die gesetzliche Zielsetzung des Bundesfreiwilligendienstes ist insbesondere die Förderung des freiwilligen Engagements für das Allgemeinwohl. Dieses Ergebnis wird unabhängig davon erreicht, ob ein Freiwilliger nach dem BFDG leistungsberechtigt nach dem SGB II oder dem SGB XII ist. Es ist davon auszugehen, dass auch die Motivation für eine Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst und die Bedeutung für den einzelnen Freiwilligen unabhängig davon ist, welcher der beiden Personengruppen er unterfällt.
Mangels Anknüpfung eines Bundesfreiwilligendienstes an ein entlohntes Arbeitsverhältnis, ist auch das in § 1 Abs. 2 SGB II formulierte Ziel, leistungsberechtigte Personen zu stärken und dazu beizutragen, dass der Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestritten werden kann, nicht ein solches, das sich aus dem BFDG für einen Bundesfreiwilligendienst ergeben würde. Die Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst ist nicht erwerbsbezogen, sondern allgemeinwohlbezogen. Auch, dass eine Teilnahme am Bundesfreiwilligendienst regelmäßig maximal 18, in Ausnahmefällen 24 Monate dauern darf, zeigt, dass der Gesetzgeber hiermit keine auf Dauer angelegte Tätigkeit schaffen wollte. Ebenso legt die Höhe der Entlohnung des Bundesfreiwilligendienstes nahe, dass damit nicht der Lebensunterhalt gesichert werden soll, sondern lediglich eine Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements erfolgt. Diese Anerkennung steht jedoch allen Personengruppen zu, die einen Bundesfreiwilligendienst leisten, unabhängig von der Frage der Erwerbsfähigkeit.
Dass durch die Teilnahme an einem Bundesfreiwilligendienst eine Verbesserung der Eingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt einhergehen könnte, ist ein möglicherweise entstehender Reflex dieser Tätigkeit, der jedoch nicht im Fokus des Gesetzgebers stand und auch nicht das grundsätzliche Ziel des Bundesfreiwilligendienstes ist, ebenso wie andere denkbare möglichen positiven Veränderungen für die Teilnehmer (z. B. Stärkung des Selbstvertrauens und Selbstwertes durch eine sinnstiftende und tagesstrukturierende Tätigkeit, Ausweitung sozialer Kontakte, Erlernen neuer Fähigkeiten).
Da somit keinerlei Anknüpfungspunkt des Bundesfreiwilligendienstes an einer auf Erwerb ausgerichteten, die Hilfebedürftigkeit beseitigenden Tätigkeit gegeben ist, ist auch eine unterschiedliche Einkommensanrechnung im SGB II und SGB XII, auch wenn dies vom Gesetzgeber bewusst so geregelt wurde, nicht gerechtfertigt. Bestärkt wird dieses Ergebnis dadurch, dass vergleichbare Einnahmen z. B. für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer, künstlerische Tätigkeiten oder die Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen nach § 3 Nr. 26 EStG im SGB II und im SGB XII grundsätzlich ähnlich geregelt werden (s. o.). e. Dieser ungerechtfertigten Ungleichbehandlung und einem damit einhergehenden Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist durch einen Rückgriff auf § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII zu begegnen und ein begründeter Fall dieser Vorschrift anzunehmen.
Bei der Annahme eines solchen Härtefalles ist die nach § 82 Abs. 3 Satz 3 zu treffende Ermessensentscheidung dergestalt vorgezeichnet, dass der Einsatz des betreffenden Einkommens nicht verlangt werden kann. Das Ermessen ist damit im vorliegenden Fall, in dem § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII bemüht wird, um die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Leistungsempfängern nach dem SGB II und SGB XII auszugleichen, dahingehend auf Null reduziert, dass eine Einkommensanrechnung wie im SGB II in Höhe von 200.- Euro monatlich für das Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst nicht erfolgen darf (LSG NRW, Urteil vom 23.03.2017, L 9 SO 538/16; vgl. auch BSG, Urteil vom 23.03.2010, B 8 SO 17/09 R, Rdnr. 35; Giere in Gube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 6. Aufl., § 82 RdNr. 109; Geiger in LPK-SGB XII, 11. Aufl., § 82 RdNr. 98; Schmidt in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 82 SGB XII, RdNr. 94.2). Denn jede andere Ermessensausübung würde nicht zu einer den Gleichheitssatz befriedenden Harmonisierung der Einkommensanrechnung für Grundsicherungsempfänger führen.
Das Rundschreiben des BMAS vom 14.02.2014, in dem auf das Ergebnis einer Besprechung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vom 15.01.2014 verwiesen wurde und das die Rechtsauffassung wiedergibt, dass „keine allgemeine Freilassung von 200 Euro“ gem. § 82 Abs. 3 S. 3 SGB XII erreicht werden könne, ändert an der rechtlichen Einordnung nichts. Ministerielle Rundschreiben und ähnliche behördliche Meinungsäußerungen haben keine Bindungswirkung für die Gerichte (Gewaltenteilungsgrundsatz, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG).
Da bereits der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes eine dem Anspruch des Klägers zusprechende Entscheidung verlangt, ist ein Verstoß gegen europarechtliche Regelungen nicht entscheidungserheblich und daher nicht weiter zu prüfen.
Die weitere Einkommensanrechnung, die die Beklagte aufgrund des Rentenbezugs des Klägers vorgenommen hat, ist in den streitgegenständlichen Bescheiden rechtmäßig.
Die Berufung ist damit vollumfänglich erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.


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