Sozialrecht

Eingliederungshilfe, Leistungen, Jugendhilfe, Behinderung, Nichtzulassungsbeschwerde, Verfahrensmangel, Sozialhilfe, Kostenerstattung, Bescheid, Berufung, Kostenerstattungsanspruch, Betreuung, Leistung, Anspruch, Leistungen der Jugendhilfe, Leistungen der Sozialhilfe, Leistungen der Eingliederungshilfe

Aktenzeichen  L 18 SO 17/19 NZB

Datum:
4.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13313
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

S 15 SO 104/16 2018-12-12 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.12.2018, S 15 SO 104/16, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.567,79 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten darüber, ob der Beklagte der Klägerin Kosten in Höhe von insgesamt 4.567,79 EUR, die die Klägerin in der Zeit vom 23.02.2015 bis 31.08.2015 für die ambulante Einzelbetreuung des Leistungsberechtigten B. (M. I.) aufgewandt hat, zu erstatten hat sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen hat.
Der 1998 geborene Leistungsberechtigte M. I. ist mehrfach behindert (seelische und geistige Behinderung aufgrund atypischen Autismus und mittelgradiger depressiver Episode). Für die Zeit vom 11.09.2013 bis 12.02.2015 gewährte die Klägerin als Trägerin der Jugendhilfe für M. I. stationäre Eingliederungshilfe nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in Form der Kostenübernahme einer Heimunterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe. Für die Zeit vom 23.02.2015 bis 31.08.2015 gewährte die Klägerin als Trägerin der Jugendhilfe für M. I. zuletzt mit Bescheid vom 26.3.2015 ambulante Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Einsatz einer ambulanten Einzelbetreuung im Umfang von 4 Stunden wöchentlich nach § 35a SGB VIII. Bezüglich der Ausgestaltung der Hilfe wird auf den Bericht des Allgemeinen Sozialdienstes vom 16.01.2015 sowie auf den Hilfeplan vom 08.05.2015 verwiesen.
Nachdem die Klägerin bereits mit Schreiben vom 07.04.2014 vom Beklagten erfolglos die Erstattung der Kosten und Fallübernahme verlangt hatte, bat sie den Beklagten mit Schreiben vom 26.08.2015 unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Landesarztes vom 03.11.2014 erneut um Klärung der sachlichen Zuständigkeit. Daraufhin erstattete der Beklagte die Kosten für die Leistungen der stationären Eingliederungshilfe für den Zeitraum vom 11.09.2013 bis 12.02.2015 (Schreiben vom 14.09.2015 und 24.11.2015); die Kostenerstattung für die gewährte ambulante Eingliederungshilfe lehnte der Beklagte weiterhin ab.
Am 10.08.2016 erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht A-Stadt (Az.: W 3 K 16.827). Es bestehe eine vorrangige Leistungsverpflichtung des Beklagten nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII. Ausweislich der Stellungnahme des Landesarztes liege beim Leistungsberechtigten eine Mehrfachbehinderung vor. Der Klägerin stehe ein Kostenerstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu. Der gesamte Hilfebedarf sei durch Leistungen der Eingliederungshilfe abzudecken. Der Einsatz einer ambulanten Eingliederungshilfe stelle auch eine Maßnahme der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe dar.
Nach Verweis des Rechtsstreits an das Sozialgericht Würzburg (SG) (Beschluss vom 04.10.2016) wies das SG die Klage ab. Einem Anspruch nach § 104 SGB X stehe entgegen, dass die als Jugendhilfe erbrachte ambulante Einzelbetreuung keine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII darstelle. Der Leistungsberechtigte habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ambulante Einzelbetreuung als Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der am 31.12.2017 geltenden Fassung. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen lasse sich kein zusätzlicher Bedarf des Leistungsberechtigten für Eingliederungshilfemaßnahmen nach §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX in der am 31.12.2017 geltenden Fassung feststellen, der über die gewährte ambulante Einzelbetreuung als Leistung der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII hinausgehe.
Aus dem Bericht des Allgemeinen Sozialdienstes vom 16.01.2015 ergebe sich, dass die Mutter des Leistungsberechtigten diesen damals nach dem Wechsel von der Einrichtung nach Hause aufgrund ihrer eigenen Instabilität und geringen Belastbarkeit nur begrenzt habe unterstützen können. Sie sei nicht in der Lage gewesen, dem Leistungsberechtigten Sicherheit, Verlässlichkeit und Orientierung zu vermitteln. Daher habe der Leistungsberechtigte unbedingt professionelle, ambulante Begleitung und Unterstützung in Form einer Erziehungsbeistandschaft benötigt, um einen Rückfall in depressive und suizidale Verhaltensmuster zu verhindern und den Leistungsberechtigten dabei zu unterstützen, auftretende Krisen konstruktiv zu bewältigen. Ebenso stelle der Hilfeplan vom 08.05.2015 fest, dass der Leistungsberechtigte durch eine Erziehungsbeistandschaft habe begleitet und unterstützt werden sollen, damit er Schwierigkeiten und Probleme gut bewältigen könne und weiterhin stabil bleibe. Außerdem habe er bei der Vorbereitung auf den qualifizierenden Hauptschulabschluss, der sozialen Integration und beim Aufbau eines sozialen Netzes unterstützt werden sollen. Der Bedarf des Leistungsberechtigten sei vollständig durch die streitgegenständlichen Hilfen gedeckt worden, welche in Form einer ambulanten Einzelbetreuung durch die Klägerin mit Bewilligungsbescheiden vom 02.03.2015, 19.03.2015 und 26.03.2015 gewährt worden seien. Vor dem Hintergrund des gedeckten Hilfebedarfs stellten sich diese Hilfeleistungen damit als eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII dar.
Ein darüber hinausgehender Bedarf des Leistungsberechtigten an behinderungsbedingt erforderlichen Eingliederungshilfeleistungen im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach dem SGB XII sei aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Soweit im Hilfeplan vom 08.05.2015 mit der sozialen Integration, dem Aufbau eines sozialen Netzes sowie der gemeinsamen Freizeitgestaltung Ziele formuliert worden seien, die den Leistungsberechtigten jedenfalls auch in die Gesellschaft hätten integrieren können, genüge dies nicht, um diesbezüglich Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII anzunehmen. Denn der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII sei immanent, dass sie ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Jugendliche darstelle, das auf Verhaltensänderungen beim Jugendlichen einschließlich des Sozial- und Leistungsverhaltens in der Schule und die (Wieder-)Herstellung tragfähiger Familienbeziehungen abziele, indem diesem eine kontinuierliche Begleitperson zur Seite gestellt werde. Sie diene auch dazu, eine Fremdunterbringung zu vermeiden (vgl. Bay.VGH, Urteil vom 29.03.2010 – 12 BV 08.942 – Rn. 40 m.w.N.). Die bloße Verknüpfung einer Maßnahme – hier der Erziehungsbeistandschaft – mit einer zwangsläufig damit einhergehenden Annexleistung – hier der eventuellen Integration in die Gesellschaft – reiche aber nicht für eine Leistungsidentität aus. Im Übrigen dürfte bei einer typischen Erziehungsbeistandschaft eine Überschneidung zur Eingliederungshilfe nach Zielsetzung, Inhalt und Form der Erziehungsbeistandschaft auch kaum denkbar sein.
Gegen das dem Bevollmächtigten der Klägerin am 13.12.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch diesen am 14.01.2019 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie insbesondere vor, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Dem Erstgericht stehe es nicht zu, sich über die rechtliche Einschätzung der Klägerin, dass es sich dabei um Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 35a SGB VIII gehandelt habe, hinwegzusetzen, indem es entgegen der ausdrücklichen Festsetzung in den Bescheiden die Auffassung vertrete, dass es sich dabei um einen Erziehungsbeistand nach § 30 SGB VIII gehandelt habe. Damit werde aus Sicht der Klägerin in unzulässiger Weise der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt, nachdem es der Judikative nicht anstehe, sich über eine Entscheidung der Exekutive, hier der Klägerin, hinwegzusetzen. Die Ausführungen des Erstgerichts auf S. 8 zu dem Charakter der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII lägen bereits deshalb neben der Sache, da es sich bei der bewilligten Maßnahme um eine Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gehandelt habe. Aus dem Bericht des Allgemeinen Sozialdienstes vom 16.01.2015 lasse sich nicht schlussfolgern, dass der Leistungsberechtigte ausschließlich wegen der eigenen Instabilität und geringen Belastbarkeit seiner Mutter einer ambulanten Begleitung und Unterstützung bedurft habe. Vielmehr sei diese auch deshalb erforderlich gewesen, um einen (erneuten!) Rückfall des Leistungsberechtigten in depressive und suizidale Verhaltensmuster nach Beendigung der stationären Eingliederungshilfe möglichst zu vermeiden. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts lasse sich der damalige Bedarf des M. I. also nicht nur als eine rein pädagogische Beeinflussung und Beratung sowie als eine Unterstützung desselben in lebenspraktischen Angelegenheiten auffassen, sondern um eine gerade behinderungsbedingt erforderliche Hilfeleistung, um über die familiäre Situation hinaus nach Beendigung der stationären Maßnahme dem Leistungsberechtigten die notwendige Stabilität zu geben, am Leben in der Gemeinschaft (insbesondere in einer neuen Schule) teilzuhaben.
Würde man der Rechtsauffassung des Erstgerichts folgen, müsste zukünftig in jedem Einzelfall exakt eine Abgrenzung zwischen einem erzieherischen Bedarf aufgrund eines Erziehungsmangels einerseits oder aber aufgrund der (Mehrfach-)Behinderung andererseits erfolgen. Gerade dies sei jedoch nicht zu leisten (vgl. Kepert in LPK-SGB VIII, § 10 Rn. 71). Mit der Argumentation des Erstgerichts, dass die gewährte ambulante Hilfeleistung sich als reine Erziehungsbeistandschaft dargestellt habe, ohne eine darüber hinausgehende Überschneidung zur Eingliederungshilfe zu besitzen, werde im Ergebnis doch darauf abgestellt, wo der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. der Schwerpunkt im Bereich einer den Eingliederungsbedarf auslösenden Behinderung liege oder eine von ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich sei. Auf eine derartige Schwerpunktsetzung werde jedoch nach der Rechtsprechung nicht mehr abgestellt (BVerwGE 142, 18ff., Rn. 31 m.w.N.; BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R, juris Rn. 26).
Die von der Klägerin gewährte ambulante Eingliederungsmaßnahme sei erforderlich gewesen, um den Leistungsberechtigten nicht nur wieder in seiner Familie zu betreuen, sondern auch, um ihm das Leben nach Beendigung der stationären Maßnahme außerhalb der Familie in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Es handele sich dabei auch nicht nur um eine bloße Verknüpfung der ambulanten Hilfsmaßnahme einerseits mit einer damit einhergehenden „Annexleistung“. Eine typische Erziehungsbeistandschaft liege entgegen der Auffassung des Erstgerichts gerade nicht vor. Wenn überhaupt stelle die ambulante Eingliederungshilfe eine „Annexleistung“ der zuvor gewährten stationären Eingliederungshilfe dar; beide Leistungen stünden zumindest in einem untrennbaren Zusammenhang. Jedenfalls hätte die vom Beklagten übernommene stationäre Eingliederungshilfemaßnahme nicht ohne Fortführung der ambulanten Hilfsmaßnahme auch beendet werden können, ohne dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den erheblichen Auswirkungen der Mehrfachbehinderung beim Leistungsberechtigten gekommen wäre.
Die Klägerin gehe schließlich von einem einheitlichen Eingliederungshilfebedarf des Leistungsberechtigten infolge der bei ihm gegebenen Mehrfachbehinderung aus. Dieser sei einerseits durch die stationäre Hilfsmaßnahme im Zeitraum vom 11.09.2013 bis 20.02.2015 und sodann durch die ambulante Eingliederungshilfe bis 31.08.2015 erfolgt. Beide Arten der Hilfen – stationär wie ambulant – könnten nicht streng voneinander abgetrennt werden, so dass auch eine Überschneidung der Leistungsbereiche vorliege, was einen Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII zur Folge habe (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2014, a.a.O., Rn. 26).
Schließlich stelle sich die weitere Rechtsfrage, ob der Beklagte die ambulante Einzelbetreuung nicht auch gemäß § 53f. SGB XII, § 60 SGB XII i.V.m. § 20 Eingliederungshilfe-Verordnung zu zahlen gehabt hätte. Hierüber sei mit dem Erstgericht im Erörterungstermin am 31.10.2018 verhandelt worden, ohne dass das Erstgericht sich hierzu in seinen Entscheidungsgründen sodann hierzu äußere. Im Erörterungstermin habe das Erstgericht fälschlicherweise die Auffassung vertreten, dass die Regelung des § 20 Eingliederungshilfe-Verordnung nicht mehr einschlägig sei. Tatsächlich sei diese Norm jedoch erst mit Wirkung vom 01.01.2020 aufgehoben worden, für den hier geltend gemachten Erstattungsanspruch sei diese Regelung somit weiterhin einschlägig.
Die Rechtsfragen seien auch klärungsbedürftig. Das vom Erstgericht verwendete Urteil des BSG vom 25.09.2014 beziehe sich auch auf eine Betreuung in einer Pflegefamilie, so dass dieses nicht vollständig auf den vorliegenden Fall zu übertragen sei. Die Antwort auf die Rechtsfrage ergebe sich auch nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz. Vielmehr bedürfe es einer allgemeinen Klärung, ob in derartigen Fällen, in denen Eingliederungshilfe bei einer Mehrfachbehinderung von Kindern und Jugendlichen nach der stationären in Form einer ambulanten Hilfsmaßnahme fortgeführt werde, der Beklagte auch insoweit die Kosten zu übernehmen habe. Wäre die stationäre Maßnahme indes fortgeführt worden, hätte der Beklagte insoweit unstreitig die Kosten übernehmen müssen. Es liege auf der Hand, dass eine wie hier vorliegend mehrjährige stationäre Maßnahme nicht abrupt beendet werden könne, sondern gerade bei Kindern und Jugendlichen durch eine ambulante Hilfe fortgeführt werden müsse, um den Wiedereintritt in das gesellschaftliche Leben (also insbesondere in die Schule) zu ermöglichen.
Die Rechtsfragen hätten eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, da sie sich nicht nur im konkret zu entscheidenden Fall stellten, sondern ihnen eine allgemeine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukämen. Alleine der Klägerin lägen mehrere ähnlich gelagerte Fälle gegenüber dem Beklagten vor, die sich allesamt daraus ergäben, dass im Falle einer Mehrfachbehinderung Eingliederungshilfe zunächst vom Beklagten in stationärer Form erbracht werde und im Anschluss hieran zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft auch eine Betreuung im häuslichen Bereich erforderlich sei, um dem Kind die notwendige Stabilität zu vermitteln bzw. dort aufrechtzuerhalten und sich in die Gesellschaft zu integrieren, insbesondere also auch bei Kindern und Jugendlichen einen ausreichenden Schul- bzw. Bildungsabschluss zu erreichen.
Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien in einem anschließenden Berufungsverfahren auch klärungsfähig. Bejahe man nämlich einen Anspruch des Leistungsberechtigten auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der ambulanten Einzelbetreuung, stehe der Klägerin ein Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber dem Beklagten gemäß § 104 Abs. 1 SGB X zu.
Das Erstgericht hätte die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ferner zulassen müssen, weil es von einer Entscheidung des LSG abweiche und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruhe. Das LSG habe mit Urteil vom 16.11.2017 (L 8 SO 284/16) entschieden, dass der überörtliche Träger der Sozialhilfe – wie vorliegend der Beklagte – neben den Kosten einer Betreuung einer (teil-)stationären Maßnahme auch die Kosten für die Betreuung durch Pflegeeltern nach § 54 Abs. 3 SGB XII als Eingliederungshilfe zu übernehmen habe. Wie in dem zitierten Urteil liege auch beim hiesigen Leistungsberechtigten eine Mehrfachbehinderung vor, so dass diesem gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII zugestanden habe. Das LSG bestätige, dass eine Differenzierung danach, ob der Schwerpunkt des Bedarfs oder Leistungszwecks eher auf der Jugendhilfe oder eher auf der Eingliederungshilfe liege, nicht zulässig sei. Vielmehr genüge für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII bereits jede Überschneidung der Leistungsbereiche. So wie es in dem vom LSG entschiedenen Fall nicht ausschlaggebend gewesen sei, dass sich die Notwendigkeit zur Betreuung in einer Pflegefamilie durch den Ausfall der leiblichen Eltern ergeben habe, komme es im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht darauf an, ob und inwieweit neben dem unstreitig bestehenden Eingliederungshilfebedarf des Leistungsberechtigten auch erzieherische Defizite bei der ihn alleinerziehenden Mutter vorgelegen hätten. Entscheidend sei nach dem LSG vielmehr allein, ob mit der betreffenden Maßnahme neben dem erzieherischen Bedarf auch ein behinderungsbedingter Bedarf gedeckt werde oder nicht.
Die Klägerin beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.12.2018 zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Erwiderung trägt der Beklagte insbesondere vor, dass durch die bereits ergangene Rechtsprechung hinreichend geklärt sei, dass der Vorrang der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII gegenüber den Leistungen der Jugendhilfe nur greife, soweit ein Leistungsberechtigter mit Mehrfachbehinderung sowohl einen Anspruch auf Jugendhilfe als auch einen Anspruch auf Eingliederungshilfe besitze und beide Leistungen gleich, gleichartig und einander entsprechend seien. Gerade dies sei, wie das SG zutreffend in seinem Urteil vom 12.12.2018 ausgeführt habe, hier nicht der Fall. Bei der für den Leistungsberechtigten erbrachten Einzelbetreuung habe es sich um eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII gehandelt. Dies sei eine Leistung, die es im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nicht gebe. Dabei habe das SG selbstverständlich auch prüfen und bewerten dürfen, ob die Leistungsgewährung durch die Klägerin aufgrund der zutreffenden Vorschriften erfolgt sei. Denn es sei gerade die explizite Aufgabe der Judikative nach dem Grundgesetz, die Rechtsanwendung der Exekutive zu kontrollieren.
Das Urteil des SG vom 12.12.2018 stehe auch nicht im Widerspruch zu dem von der Klägerin genannten Urteil des BSG vom 25.09.2014 (B 8 SO 7/13 R). Auch nach diesem Urteil sei eine denkbare Leistungsidentität zu prüfen. Dazu seien Feststellungen zu treffen, ob ein über die reine Erziehung hinausgehender Bedarf an Eingliederungshilfemaßnahmen bestehe. Diese Prüfung habe auch das SG vorgenommen, mit dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Entgegen den Behauptungen der Klägerin habe beim Ausscheiden aus der Wohngruppe keine Gefahr des Rückfalls in depressive oder suizidale Verhaltensweisen des Leistungsberechtigten bestanden. Die Notwendigkeit einer Eingliederungshilfemaßnahme im Sinne von § 53 Abs. 3 SGB XII habe also auch nicht bestanden. Sowohl im Rahmen der stationären Unterbringung als auch danach sei M. I. sehr gut in der Schule zurechtgekommen und im lebenspraktischen Bereich fit und selbstständig gewesen (Hilfeplan vom 08.05.2015, Bericht Wohngruppe vom 29.12.2014). Ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der stationären Unterbringung und der ambulanten Einzelbetreuung sei nicht ersichtlich. Zudem habe sich die ambulante Einzelbetreuung nicht nahtlos an die stationäre Unterbringung angeschlossen, sondern diese habe erst am 23.02.2015 begonnen.
Da nach dem Ausscheiden des Leistungsberechtigten aus dem Wohnheim kein Bedarf an Eingliederungshilfe mehr bestanden habe, sei auch eine Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 20 Eingliederungshilfe-Verordnung nicht in Betracht gekommen. Die Notwendigkeit der Betreuung und Unterstützung sei in erster Linie im Hinblick auf die Mutter des M. I. geboten gewesen. Es sei somit durch die ambulante Einzelbetreuung der Bedarf der Mutter und nicht der Bedarf von M. I. zu decken gewesen. Nach dem Urteil des BSG vom 25.09.2014 bestehe eine Leistungsidentität zwischen der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe und damit der Vorrang der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII nur, wenn die Bedarfe derselben Person gedeckt werden, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei. Ergänzend werde noch darauf hingewiesen, dass es in der Sozialhilfe – anders als in der Jugendhilfe – einen „Ganzheitsanspruch“, wie z. B. in § 19 SGB VIII, nicht gebe (Urteil des BSG vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R). Es gebe daher keine Grundlage dafür, dass vom Beklagten die Bedarfssituation aller betroffenen Personen der Familie zu decken sei. Zudem könnten Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich sogar neben den Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden (Urteil des BVerwG vom 22.10.2009 – 5 C 19/08).
Soweit die Klägerin auf das Urteil des LSG Bayern vom 16.11.2017 (L 8 SO 284/16) verweise, sei festzustellen, dass dieses sich auf eine Vollzeitpflege beziehe, mit der der Bedarf der leistungsberechtigten Person gedeckt worden sei. Es werde vom Beklagten weder bestritten, dass bei dem Leistungsberechtigten eine Mehrfachbehinderung vorgelegen habe, noch, dass die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie eine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII sein könne (vgl. § 54 Abs. 3 SGB XII). In diesem Fall seien jedoch familienunterstützende ambulante Maßnahmen in Form einer Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII ausreichend gewesen, um die defizitäre Erziehungssituation auszugleichen. Eine weitere Heimunterbringung des Leistungsberechtigten oder dessen Vollzeitpflege, die dann eine Maßnahme der Eingliederungshilfe gewesen wäre, seien nicht mehr notwendig gewesen, um das Erziehungsdefizit zu beseitigen. Somit habe in diesem Fall auch kein Anspruch auf Eingliederungshilfe mehr bestanden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin (§ 145 SGG) gegen das Urteil des SG vom 12.12.2018 ist zulässig, jedoch nicht be-gründet.
Dabei ist das SG zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufung hier kraft Gesetzes ausgeschlossen ist und nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG der Zulassung bedarf, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 10.000,00 EUR nicht übersteigt.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Die Berufung ist nicht gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, ein Individualinteresse genügt hingegen nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28 m.w.N.). Die Rechtsfrage muss (abstrakt) klärungsbedürftig, (konkret) klärungsfähig (d. h. entscheidungserheblich) sein (vgl. BSG, Beschluss vom 27.07.2015 – B 10 EG 3/15 B; siehe auch Cantzler in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl. 2016, § 7 Rn. 70 m.w.N.) und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben, ihr muss also eine sog. Breitenwirkung zukommen (BSG, st.Rspr., vgl. z. B. Beschluss vom 27.07.2015 – B 10 EG 3/15 B).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage z. B. dann nicht mehr, wenn sie schon höchstrichterlich entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 51; SozR 1500 § 160a Nr. 65) oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 8b m.w.N.). Ebenso wenig besteht ein Klärungsbedarf, wenn zur Auslegung vergleichbarer Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür geben, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 8; Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 8 m.w.N.).
Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie gerade für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (sog. Entscheidungserheblichkeit). Dies setzt voraus, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen (vgl. BSG, a.a.O.).
Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr dagegen noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG, st.Rspr., Beschlüsse vom 04.05.2017 – B 3 KR 5/17 B; vom 07.10.2014 – B 14 AS 55/14 B; vom 26.05.2014 – B 9 V 1/14 B und vom 26.06.1975 – 12 BJ 12/75).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass vorliegend keine Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist, sondern die Klägerin mit ihrem Beschwerdevorbringen lediglich die vom SG vorgenommene und aus Sicht der Klägerin fehlerhafte Rechtsanwendung rügt.
Die im vorliegenden Fall streitentscheidenden rechtlichen Maßgaben wurden bereits durch die obergerichtliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 25.09.2014 (B 8 SO 7/ 13 R, juris Rn. 26), auf die sich die Klägerin beruft, ausgeführt:
„Wäre die als Jugendhilfe erbrachte Betreuung in der Familie auch als Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII möglich, regelt § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII genügt dabei bereits jede Überschneidung der Leistungsbereiche …”.
Mit dieser Entscheidung stellt das BSG klar, dass der Vorrang der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII gegenüber den Leistungen der Jugendhilfe nur greift, soweit ein Leistungsberechtigter mit Mehrfachbehinderung sowohl einen Anspruch auf Jugendhilfe nach dem SGB VIII als auch einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII besitzt und beide Leistungen gleich, gleichartig und einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (siehe auch BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R, juris Rn.17; vgl. auch schon BVerwG vom 13.06.2013 – 5 C 30/12 und vom 02.03.2006 – 5 C 15.05 und Urteil des Senats vom 30.10.2019 – L 18 SO 259/18).
Davon geht das SG im vorliegenden Fall gerade nicht aus, sondern stellt fest, dass die als Jugendhilfe erbrachte ambulante Einzelbetreuung des M. I. keine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII darstellt. Entscheidend sei, dass die Bedarfe derselben Person gedeckt werden. Vorliegend sei jedoch ein über die ambulante Einzelbetreuung hinausgehender Bedarf des Leistungsberechtigten an behinderungsbedingt erforderlichen Eingliederungshilfeleistungen im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach dem SGB XII aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Eine Leistungsidentität der gewährten Jugendhilfeleistungen mit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII hat das SG ausdrücklich verneint.
Dem Beschwerdevorbringen der Klägerin gegen die Feststellungen des SG ist keine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage zu entnehmen, sondern die Klägerin rügt lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG, d. h. einen Rechtsirrtum im Einzelfall, hier durch unzutreffende Subsumtion des Sachverhalts unter die maßgeblichen Normen. Insoweit trägt die Klägerin vor, dass der Leistungsberechtigte einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ambulante Einzelbetreuung als Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII gehabt habe. Der damalige Bedarf des Leistungsberechtigten lasse sich nicht nur als eine rein pädagogische Beeinflussung und Beratung sowie Unterstützung desselben in lebenspraktischen Angelegenheiten auffassen, sondern als eine behinderungsbedingt erforderliche Hilfeleistung, um über die familiäre Situation hinaus nach Beendigung der stationären Maßnahme dem Leistungsberechtigten die notwendige Stabilität zu geben, am Leben in der Gemeinschaft (insbesondere in neuer Schule) teilzuhaben. Die Ausführungen des SG auf S. 8 zu dem Charakter der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII lägen bereits deshalb neben der Sache, da es sich bei der bewilligten Maßnahme um eine Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gehandelt habe. Dem Erstgericht stehe es nicht zu, sich über die rechtliche Einschätzung der Klägerin, dass es sich dabei um Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 35a SGB VIII gehandelt habe, hinwegzusetzen, indem es entgegen der ausdrücklichen Feststellung in den Bescheiden die Auffassung vertrete, dass es sich dabei um eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII gehandelt habe; damit werde in unzulässiger Weise der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt.
Auch insoweit beanstandet die Klägerin lediglich die rechtliche Beurteilung des SG, dass der Leistungsberechtigte im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ambulante Einzelbetreuung als Eingliederungshilfe gehabt habe, wirft aber keine bisher nicht geklärte Rechtsfrage auf, auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die Gewaltenteilung. Das in Art. 20 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) normierte Gewaltenteilungsprinzip ist für das Grundgesetz ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip (BVerfG, 2. Senat, Beschluss vom 17.07.1996, 2 BvF 2/93, juris Rn. 42). Das Grundgesetz fordert nicht eine absolute Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten (BVerfGE 9, 268 (279)). Es ist gerade die explizite Aufgabe der Judikative, die Rechtsanwendung der Exekutive zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang verkennt die Klägerin, dass es ohne Zweifel Aufgabe des SG ist, den von ihr geltend gemachten Anspruch und daher die (zutreffende) Rechtsgrundlage für die durch die Klägerin tatsächlich erbrachte Leistung im streitigen Zeitraum zu prüfen. Insoweit kommt das SG zu dem Ergebnis, dass es sich bei der für den Leistungsberechtigten erbrachten Einzelbetreuung um eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII gehandelt habe. Dies sei eine Leistung, die es im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nicht gebe.
Nicht nachvollziehbar ist der Einwand der Klägerin, dass das SG im Ergebnis doch eine Schwerpunktsetzung vornehme, auf die nach der Rechtsprechung nicht mehr abgestellt werde (vgl. BVerwGE 142, 18ff., Rn. 31 m.w.N.; BSG, Urteil vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R, juris Rn. 26). Zur Begründung trägt die Klägerin insoweit vor, dass das SG mit seiner Argumentation, dass sich die gewährte ambulante Hilfeleistung als reine Erziehungsbeistandschaft dargestellt habe, ohne eine darüber hinausgehende Überschneidung zur Eingliederungshilfe zu besitzen, im Ergebnis doch darauf abstelle, wo der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. der Schwerpunkt im Bereich einer den Eingliederungshilfebedarf auslösenden Behinderung liege oder eine von ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich sei.
Die von der Klägerin gerügte Schwerpunktsetzung durch das SG liegt jedoch gerade nicht vor. Vielmehr geht das SG davon aus, dass sich aufgrund der vorliegenden Unterlagen kein zusätzlicher Bedarf des Leistungsberechtigten für Eingliederungshilfemaßnahmen, die über die gewährte ambulante Einzelbetreuung als Leistung der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII hinausgehen, feststellen lasse und eine – zumindest teilweise – Leistungsidentität der gewährten Jugendhilfeleistungen mit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gerade nicht gegeben sei.
Auch mit ihrem weiteren Vortrag, es lägen mehrere ähnlich gelagerte Fälle vor, in denen im Fall einer Mehrfachbehinderung Eingliederungshilfe zunächst vom Beklagten in stationärer Form erbracht worden sei und im Anschluss hieran zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft auch eine Betreuung im häuslichen Bereich erforderlich sei, um dem Kind die notwendige Stabilität zu vermitteln bzw. dort aufrechtzuerhalten, um sich von dort aus in die Gesellschaft zu integrieren, insbesondere also auch bei Kindern und Jugendlichen einen ausreichenden Schul- bzw. Bildungsabschluss zu erreichen, legt die Klägerin keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Vielmehr ergibt sich auf der Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen einer Einzelfallprüfung der jeweilige Anspruch unter Zugrundelegung der maßgebenden Rechtsgrundlagen für den jeweiligen streitigen Zeitraum aus dem Gesetz. Die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers wird im Fall einer Mehrfachbehinderung jedenfalls dann nicht begründet, wenn die Leistung nicht zumindest auch auf den Hilfebedarf einer körperlichen oder geistigen Behinderung eingeht; dabei kommt es – wie bereits dargelegt – auf den Schwerpunkt der Behinderung nicht an (BVerwG vom 09.02.2012 – 5 C 3/11; BayVGH vom 24.02.2014 – 12 ZB 12.715; LSG NRW vom 10.10.2012 – L 12 SO 621/10 und vom 14.12.2011 – L 12 SO 482/10).
Soweit die Klägerin sich die weitere Frage stellt, ob der Beklagte die ambulante Einzelbetreuung nicht auch gemäß §§ 53f. SGB XII, § 60 SGB XII i.V.m. § 20 Eingliederungshilfe-Verordnung zu zahlen gehabt hätte, legt sie ebenso wenig dar, welche klärungsbedürftige Rechtsfrage sich hieraus entnehmen lässt; eine solche ist auch nicht erkennbar. Nach dem SG war eine über die reine Erziehungsbeistandschaft hinausgehende Überschneidung mit der Eingliederungshilfe bei der vorliegend gewährten ambulanten Einzelbetreuung nicht erkennbar. Auch in diesem Zusammenhang rügt die Klägerin lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG.
Schließlich ist auch der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht gegeben.
Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 29.11.1989 – 7 BAr 130/88 = SozR 1500 § 160a Nr. 67 = juris Rn. 7; BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B, juris Rn. 21 = SozR 4-1500 § 160a Rn. 32; vgl. Leitherer, a.a.O., § 144 Rn. 30, § 160 Rn. 13ff. m.w.N.). Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn das SG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (vgl. Leitherer, a.a.O., § 144 Rn. 30 m.w.N.). Eine nur fehlerhafte Rechtsanwendung (Rechtsirrtum im Einzelfall, also z. B. fehlerhafte Subsumtion, unzutreffende Beurteilung oder Übersehen einer Rechtsfrage) begründet dagegen keine Divergenz, denn dann hat das SG keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 14 m.w.N.). Daher genügt es auch nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entspricht, die z. B. das BSG aufgestellt hat, wenn etwa das SG einem vom BSG aufgestellten Rechtssatz folgen will, diesen aber missversteht, ihn in seiner Tragweite verkennt oder sonst Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (vgl. Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 14 m.w.N). Zudem muss das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen, d.h. es ist erforderlich, dass die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem abgewichen worden ist, anders hätte ausfallen müssen (sog. Entscheidungserheblichkeit, vgl. Leitherer, a.a.O., § 160 Rn. 15).
Soweit die Klägerin rügt, dass die Entscheidung des SG von der des 8. Senats des Bayer. LSG vom 16.11.2017 (L 8 SO 284/16) abweiche und auf dieser Abweichung beruhe, ist der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG schon deshalb nicht gegeben, weil es sich dabei nicht um das „Berufungsgericht“ handelt.
Darüber hinaus hat das SG insoweit keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem abstrakten Rechtssatz des 8. Senats in der o.g. Entscheidung im Sinne des Zulassungsgrundes gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG abweicht, sodass die Klägerin mit ihrem Vortrag hierzu keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu begründen vermag.
Auch insoweit stellt die Klägerin nämlich darauf ab, dass beim Leistungsberechtigten M. I. – ebenso wie bei dem dem dortigen Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt – eine Mehrfachbehinderung vorliege, so dass diesem gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII zugestanden habe. So wie es in dem vom LSG entschiedenen Fall nicht ausschlaggebend gewesen sei, dass sich die Notwendigkeit der Betreuung in einer Pflegefamilie durch den Ausfall der leiblichen Eltern ergeben habe, komme es im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht darauf an, ob und inwieweit neben dem unstreitig bestehenden Eingliederungshilfebedarf des Leistungsberechtigten auch erzieherische Defizite bei der ihn alleine erziehenden Mutter vorgelegen hätten. Entscheidend sei nach dem LSG vielmehr alleine, ob mit der betreffenden Maßnahme neben dem erzieherischen Bedarf auch ein behinderungsbedingter Bedarf gedeckt werde oder nicht. Der Leistungsberechtigte habe nach den mehrjährigen Aufenthalten in betreuten Wohnformen einschließlich der dazwischenliegenden stationären Behandlungen in der K. einer weiteren Eingliederungshilfe in Form der Begleitung und Unterstützung durch die E. in der Zeit vom 23.02.2015 bis 31.08.2015 bedurft. Ohne diese professionelle Unterstützung wäre es auch bei dem Leistungsberechtigten nicht dazu gekommen, dass er sich nach Beendigung der stationären Maßnahme derart hätte stabilisieren können, wie dies auch aus den einzelnen Berichten hervorgehe. Die Betreuung des Leistungsberechtigten in Form der ambulanten Eingliederungshilfemaßnahme sei somit auf die Deckung des noch bestehenden, sich aus den verschiedenen Behinderungen ergebenden Bedarfs gerichtet gewesen. Demgegenüber schränke das Erstgericht den Hilfebedarf beim Leistungsberechtigten einzig und alleine auf eine Erziehungsbeistandschaft ein und verkenne dabei, dass über die Unterstützung der Mutter hinaus auch eine Betreuung und Hilfeleistung dem Leistungsberechtigten selbst gegenüber erforderlich gewesen sei, um ihm eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach seinen mehrjährigen stationären Maßnahmen zu ermöglichen bzw. ihn dabei zu unterstützen.
Diese Darlegungen vermögen eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht zu begründen. Im Leitsatz (Ziffer 1) der Entscheidung des 8. Senats des Bayer. LSG (a.a.O.) wird festgestellt, dass jede erforderliche Betreuung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs. 3 SGB XII unter den dort genannten Voraussetzungen typisierend Eingliederungshilfe sei. Es komme nicht darauf an, ob zusätzlich auch in der Pflegefamilie qualitative Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden (Rn. 44). Somit bezieht sich die Entscheidung des 8. Senats des Bayer. LSG auf eine Vollzeitpflege, mit der der Bedarf der leistungsberechtigten Person gedeckt worden ist. Eine Divergenz der Entscheidung des SG zu der Entscheidung des 8. Senats des Bayer. LSG ist nicht feststellbar. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar, weil es im dortigen Fall um den (erforderlichen) Betreuungsbedarf eines behinderten Kindes gegangen ist, im vorliegenden Fall es sich hingegen um eine ambulante Maßnahme in Form einer Erziehungsbeistandschaft handelt. Auch in diesem Zusammenhang rügt die Klägerin lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG, nämlich, dass das SG einen Eingliederungshilfebedarf, zumindest eine Überschneidung der Leistungsbereiche, und einen Anspruch des Leistungsberechtigten auf Eingliederungshilfe hätte feststellen müssen. Eine – unterstellt – nur fehlerhafte Rechtsanwendung begründet jedoch keine Divergenz. Das SG hat keinen abstrakten, von der Entscheidung des 8. Senats des Bayer. LSG (a.a.O.) abweichenden Rechtssatz aufgestellt.
Schließlich lässt sich – wie bereits dargelegt – den Entscheidungsgründen des SG auch keine Divergenz zu der Entscheidung des BSG vom 25.09.2014 (a.a.O.) entnehmen.
Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor, da die Klägerin keine der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmängel geltend macht, auf denen das Urteil beruhen kann.
Die Nichtzulassungsbeschwerde war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 HS. 1 SGG i.V.m. §§ 52, 47 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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