Sozialrecht

Erstattung von Mehrkosten für selbstbeschafften Betreuungsplatz in privater Kita

Aktenzeichen  M 18 K 17.5260

Datum:
13.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27203
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 24 Abs. 2, § 36a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Allein eine Anmeldung bei städtischen Tageseinrichtungen genügt nicht, um den Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe in ausreichender Weise geltend zu machen (vgl. VG München BeckRS 2014, 47521). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 140847). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Differenz zwischen den Aufwendungen für den selbstbeschafften Betreuungsplatz und denjenigen Aufwendungen für einen Betreuungsplatz in einer öffentlich-rechtlich betriebenen Tageseinrichtung, § 113 Abs. 5 VwGO.
Die Klage ist trotz Versäumung der Klagefrist zulässig, da der Klägerin nach § 60 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Die Erstattung von Kosten für die selbstbeschaffte Leistung nach § 36a SGB VIII stellt einen Verwaltungsakt dar, sodass die richtige Klageart für die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs die Verpflichtungsklage ist (vgl. Stähr in Hauck/Noftz, SGB, Stand 12/14, § 36a Rn. 54; Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 42 Rn. 33 m.w.N.; BSG, U.v. 9.2.1989 – 3 RK 19/87 -, juris Rn. 20). Folglich handelt es sich auch bei dem ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 27. September 2013 – unabhängig von der Form und der Intention der Beklagten – um einen Verwaltungsakt (Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 42 Rn. 32). Dementsprechend hätte die Klage innerhalb der Klagefrist, vorliegend mangels Rechtsbehelfsbelehrung:innerhalb eines Jahres seit Zugang des ablehnenden Schreibens, vgl. § 58 VwGO, erhoben werden müssen, was nicht erfolgt ist. Aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht hinreichend geklärten Rechtslage hinsichtlich der Art und des Umfangs eines möglichen Erstattungsanspruchs und dementsprechend der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage konnte das Gericht nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO jedoch die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewähren.
Die Klage ist unbegründet, da kein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen (Sekundäranspruch) besteht. Weder hat die Klägerin bzw. ihre Eltern die Beklagte in hinreichendem Umfang über den Bedarf vor der Selbstbeschaffung in Kenntnis gesetzt, noch sind erstattungsfähige Mehraufwendungen durch die Selbstbeschaffung entstanden.
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für den Fall, dass Hilfen abweichend von § 36a Absätzen 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
1.der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für jugendhilferechtliche Leistungen, welche die frühkindliche Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII betreffen, entsprechend Anwendung (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16; U.v. 12.9.2013 – 5 C 35/12 – jeweils juris).
Die Klägerin hatte gegenüber der Beklagten aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ab Vollendung des ersten Lebensjahres und damit ab September 2013 (hingegen noch nicht wie in der Klage zu Grunde gelegt für August 2013).
Allerdings hat sie bzw. ihre Eltern diesen Anspruch gegenüber der Beklagten nicht in ausreichendem Umfang geltend gemacht. Die ausschließlich erfolgte konkrete Anmeldung bei städtischen Tageseinrichtungen allein genügt hierfür nicht (vgl. bereits VG München, B.v. 8.1.2014 – M 18 E 13.4877 – juris Rn. 12). Vielmehr muss der Wille, nicht nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO, sondern den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII geltend zu machen, hinreichend deutlich hervortreten. Denn nur in diesen Fällen kann (und muss) die Gemeinde bzw. der örtlich zuständige Jugendhilfeträger erkennen, dass sich der Bedarf des Anspruchsberechtigten nicht lediglich auf die konkret angefragten Einrichtungen beschränkt und im Hinblick auf den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährten Rechtsanspruch bislang unerfüllt geblieben ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 25). Hingegen ist für die Geltendmachung nicht erforderlich, dass die innerorganisatorische Zuständigkeitsverteilung beachtet wird, vielmehr sind entsprechende Anträge ggf. weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 18f). Ebenso wenig bedarf es für die Geltendmachung und damit den Beginn des Fristlaufs nach Art. 45a AGSG weiterer konkretisierender Angaben, so dass auch nicht auf den Rücklauf des von der Beklagten bereitgestellten Formulars abgestellt werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 26).
Dementsprechend wurde die Beklagte durch die reine Anmeldung bei den städtischen Einrichtungen nicht über den allgemeinen baldigen Bedarf der Klägerin in Kenntnis gesetzt. Auch in den Schreiben der Bevollmächtigten vom 16. August, 2. September und 31. Oktober 2013 an die Beklagten ist keine Inkenntnissetzung zu sehen, denn mit diesen Schreiben wurde ausschließlich der Sekundäranspruch auf Übernahme der Mehrkosten geltend gemacht, ein Hinweis auf einen weiterhin bestehenden Bedarf findet sich darin nicht. Ebenso verhält es sich mit der am 12. Januar 2015 erhobenen Klage.
Die Selbstbeschaffung des Platzes bei der privaten Einrichtung im August 2013 erfolgte somit ohne vorherige Inkenntnissetzung und – zumindest für den streitgegenständlichen Zeitraum – auch ohne nachträgliche Bedarfsmeldung. „Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII wurde daher … schon gar nicht erst effektuiert und das staatliche System der Jugendhilfe überhaupt nicht aktiviert, weder primär noch im Wege des Aufwendungsersatzes sekundär. Das Jugendamt kann in einem solchen Fall auch später nicht als reine „Zahlstelle“ in Anspruch genommen bzw. „missbraucht“ werden“ (BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 63 m.w.N.).
Erstmals bei dem Telefonat am 11. Februar 2015 (und damit bereits außerhalb des streitgegenständlich Zeitraums) zwischen der Mutter der Klägerin und einer Mitarbeiterin der Beklagten wurde die Beklagte darüber informiert, dass weiterhin ein Bedarf auf Nachweis eines (wohnortnäheren) Platzes besteht. Auf Grund dieser Bedarfsmeldung erfolgte ein entsprechender Platznachweis fristgerecht innerhalb von drei Monaten, § 24 Abs. 6 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG, so dass für diesen Zeitraum der Primäranspruch erfüllt wurde.
Unabhängig von der fehlenden Bedarfsmeldung sind der Klägerin jedoch auch keine erstattungsfähigen Mehrkosten entstanden. Denn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes in analoger Anwendung von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – Leitsatz 4 – juris Rn. 69 ff.). Sofern folglich – wie vorliegend – kein Recht auf die kostenfreie Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes besteht, beschränkt sich der Sekundäranspruch auf die Mehrkosten, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind. Nicht beansprucht werden können die Aufwendungen, die ohnehin zu tragen gewesen wären. Zu Letzteren gehören die hier streitigen Aufwendungen. Denn die Beklagte hätte den Platz bei der selbstgesuchten Einrichtung auch anspruchserfüllend nachweisen können (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 75). Aus § 24 Abs. 2 SGB VIII ergibt sich weder ein Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, noch ist die Höhe des dort zu entrichtenden Teilnahmebeitrags beschränkt (vgl. ausführlich hierzu BVerwG, a.a.O.). Die von den Eltern der Klägerin gewählte Einrichtung erhält sowohl staatliche wie auch kommunale Förderung und hätte daher anspruchserfüllend vermittelt werden können. Mehrkosten sind demnach nicht entstanden. Da es keinen Anspruch auf einen städtischen Betreuungsplatz gibt, verbietet sich der von der Bevollmächtigten vorgenomme Vergleich mit deren Gebührensätzen zur Ermittlung von Mehrkosten.
Sofern im Einzelfall der Beitragschuldner vor unzumutbaren finanziellen Belastungen bewahrt werden muss, ist eine solche Prüfung ausschließlich dem Verfahren nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorbehalten (BVerwG, a.a.O., Rn. 47).
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 ff ZPO.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben