Sozialrecht

Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Erkrankungen

Aktenzeichen  L 19 R 755/11

Datum:
18.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 111749
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2, § 240

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
2. Psychische Erkrankungen rechtfertigen erst dann einen Rentenanspruch, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft nicht mehr überwinden kann.

Verfahrensgang

S 18 R 118/09 2011-05-26 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2011 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 26.05.2011 einen Rentenanspruch der Klägerin abgelehnt. Ein Absinken des quantitativen Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter sechs Stunden täglich bis zum Zeitpunkt des letztmöglich denkbaren Leistungsfalles im April 2014 konnte von der Klägerin nicht nachgewiesen werden. Mangels Berufsschutz kommt auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht in Betracht.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin aufgrund des von der Beklagten mit Datum vom 09.06.2016 nochmals bestätigten Versicherungsverlaufs nur bis längstens April 2014 vor. Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit wurden von der Klägerin nur bis 27.03.2007 entrichtet, anschließend sind Pflichtbeitragszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit bis zum 24.09.2009 enthalten. In der Zeit vom 25.09.2009 bis 29.03.2012 bestand Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug. Spätere rentenrechtlich relevante Zeiten finden sich nicht mehr. Der im Versicherungsverlauf vom 09.06.2016 als Überbrückungszeit vermerkte Zeitraum vom 30.03.2012 bis 10.02.2015 ist insoweit ohne weitere Auswirkungen. Ein Rentenanspruch kann deshalb dem Grunde nach nur dann bestehen, wenn der Leistungsfall der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung bis spätestens April 2014 eingetreten ist.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin bis April 2014 (und auch noch aktuell) noch in der Lage war, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Zu vermeiden sind Tätigkeiten mit nervlicher Belastung wie Tätigkeiten im Akkord, am Fließband, unter Zeitdruck, in der Nachtschicht sowie in Gefahrenbereichen. Vermieden werden müssen auch körperlich belastende Tätigkeiten, wie beispielsweise schweres Heben und Tragen ohne Hilfsmittel, Arbeiten in Zwangshaltungen, überwiegendes Stehen oder auch Gehen. Zu vermeiden sind auch Tätigkeiten mit potentiell umwelttoxischen Substanzen.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf die eingeholten Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. I., die beide ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bejaht haben. Darüber hinaus haben auch im Rentenverfahren die tätig gewordene Sachverständige Dr. H. und im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens die Sachverständigen Dr. S., Dr. Z. und Dr. L. ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen bejaht. Einzig der behandelnde Arzt und Umweltmediziner Dr. B. hat in seinem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten ein unter 2-stündiges Leistungsvermögen für die Zeitdauer von zwei bis drei Jahren gesehen. Diesem Gutachten folgt der Senat nicht.
Die Klägerin ist auf unterschiedlichen Fachgebieten mehrfach begutachtet worden. Auf internistischem/umweltmedizinischem Fachgebiet hat Dr. S. in seinem Gutachten vom 27.07.2009 eine Schilddrüsenerkrankung der Klägerin festgestellt sowie den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert. Die Schilddrüsenerkrankung der Klägerin wurde zwischenzeitlich behandelt und scheint überwiegend gut eingestellt zu sein. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Prof. Dr. E., der die Klägerin im Berufungsverfahren sozial- und umweltmedizinisch begutachtet hat. Prof. Dr. E. konnte eine somatische Erkrankung der Klägerin weitgehend ausschließen. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden in Form von Sehstörungen bei Konzentrationsleistungen, insbesondere des linken Auges, hätten keinem organischen Korrelat zugeordnet werden können. Augenärztliche Untersuchungen haben neben einer Myopathie und einem Astigmatismus keine weiteren Pathologien erbracht. Zum einen können die von der Klägerin geltend gemachten Sehbeeinträchtigungen durchaus in einem Zusammenhang mit der Schilddrüsenerkrankung (endokrine Orbitopathie) gesehen werden. Der behandelnde Augenarzt hat gegenüber dem Senat berichtet, dass insoweit gegenüber dem Zustand im Jahr 2007 eine deutliche Besserung eingetreten ist. Die von der Klägerin geschilderte Problematik der Funktionsstörung des linken Auges insbesondere bei Belastung und Stresssituationen konnte nicht objektiviert werden.
Der Umfang der augenärztlichen Erkrankung der Klägerin wurde vom SG durch Einholung eines augenärztlichen Gutachtens von Dr. L. abgeklärt. In diesem Gutachten wurden morphologisch normale Befunde festgestellt. Der Brechungsfehler im Sinne eines Astigmatismus myopticus kann durch eine entsprechende Brille korrigiert werden. Die Klägerin hat allerdings damals ein Problem mit der Nahsicht gehabt. Ob und inwieweit eine entsprechende Brillenanpassung erfolgt ist, ist rentenrechtlich nicht relevant, da diese jedenfalls durchgeführt werden könnte. Hingewiesen ist im Gutachten jedenfalls darauf, dass aufgrund des Brechungsfehlers des Auges durchaus Beschwerden ausgelöst werden könnten, sofern diese nicht augenärztlich optimal ausgeglichen werden. Eine quantitative Leistungsminderung der Klägerin ist aufgrund der Augenerkrankung nicht festzustellen.
Die Klägerin hat gegenüber Prof. Dr. E. auch Schulterbeschwerden rechts betont geltend gemacht. Hier wurde von Dr. E. die Diagnose eines Impingement-Syndroms gestellt, das allerdings noch behandelbar ist und keine dauerhafte Funktionseinschränkung mit sich bringt. Degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule bzw. im Schulter-Arm-Bereich begründen keine quantitative Leistungsminderung, sondern lediglich qualitative Einschränkungen hinsichtlich der Schwere der Tätigkeit und hinsichtlich der Vermeidung von Zwangshaltungen. Gleiches gilt für die Schmerzen in den Kniegelenken, wo sich Abnützungserscheinungen zeigen.
Sowohl Dr. S. als auch Prof. Dr. E. haben zutreffend darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen unzweifelhaft auf psychiatrischem Fachgebiet liegt. Dr. S. hat den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert, wie vor ihm bereits Frau Dr. H. im Rentenverfahren. Frau Dr. H. sah damals ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, hielt aber eine psychosomatische Reha-Maßnahme für sinnvoll, um die Leistungsfähigkeit der Klägerin zu erhalten. Diese psychosomatische Reha-Maßnahme wurde in der Klinik B. durchgeführt, aus der die Klägerin zwar als arbeitsunfähig, jedoch mit einem Leistungsbild von mehr als sechs Stunden täglich für die letzte Tätigkeit als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde. Im Entlassungsbericht ist die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin damit begründet worden, dass ein unlösbarer Arbeitsplatzkonflikt vorhanden sei. Offenbar hat die Klägerin in einem Betrieb gearbeitet, in dem eventuell die sogenannte „Arbeitsplatzhygiene“ nicht ausreichend beachtet worden sein könnte. Ob dies tatsächlich der Fall war oder nicht, kann dahingestellt bleiben, eine Schädigung der Klägerin durch eine derartige fehlende Arbeitsplatzhygiene im Sinne des Herbeiführens einer Berufskrankheit wurde im parallel dazu vor dem BayLSG geführten unfallversicherungsrechtlichen Rechtsstreit mit dem Az. L 17 U 545/11 ausgeschlossen. Festzuhalten ist, dass bei der Klägerin im Blut tatsächlich erhöhte Bleiwerte festgestellt wurden. Die Intoxikation war aber nie in einem Ausmaß vorhanden, dass damit relevante Grenzwerte überschritten worden wären und nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit hatten sich diese Bleiwerte sehr schnell zurückgebildet.
Die Diagnose einer Somatisierungsstörung der Klägerin wird von allen nervenärztlichen Gutachtern bestätigt. Gleichzeitig wird festgehalten, dass eine angemessene, leitliniengerechte Therapie dieser Störung bis April 2014, aber auch bis heute nicht erfolgt ist. Es fehlt an einer intensiven verhaltenstherapeutischen Behandlung. Eine Verhaltenstherapie hat nur in dem Zeitraum vom 03.06.2014 bis 29.06.2015 bei Dr. G. stattgefunden. Diese kurzzeitige Behandlung hat immerhin zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden geführt, so dass am Ende (Juni 2015) nur noch eine leichte depressive Episode bei der Klägerin bestätigt werden konnte. Darauf hatte auch Prof. Dr. E. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.05.2016 hingewiesen. Dr. I. hat in seinem Gutachten vom 08.11.2016 ebenfalls festgestellt, dass eine relevante depressive Erkrankung der Klägerin nicht vorliegt, auch nie vorgelegen hat, und dass insbesondere die leichte depressive Episode die zutreffende Diagnose darstellt. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Klägerin nicht dauerhaft in einer entsprechenden Depression befindet, sondern sie selber ihre Stimmungsschwankungen schildert. Überwiegend ist von einem durchaus positiven Stimmungsbild auszugehen. Es wird ein geringer Leidensdruck der Klägerin konstatiert, nachdem die Klägerin selbst die Maßnahmen nicht durchführt, die sie als entlastend erlebt hat, z. B. die Anwendung von Entspannungstechniken, regelmäßige Verhaltenstherapie, die Einnahme von Psychopharmaka, die Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitation auf psychosomatischen Fachgebiet. Trotz Verspannungen und Muskelschmerzen steht die Klägerin auch nicht in physiotherapeutischer Behandlung, sie treibt keinen Sport, so dass auch hier eigenständige Behandlungsmöglichkeiten nicht ergriffen werden.
Hinsichtlich des Ausmaßes der psychischen Erkrankung der Klägerin sind sich die Gutachter darin einig, dass die Klägerin in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Problematisch erscheint dabei in erster Linie die Frage des Ausmaßes der noch vorhandenen Konzentrationsfähigkeit der Klägerin. Dr. I. führt in seinem Gutachten hierzu aus, dass sicherlich die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin schwierig erscheint, zumal sie eine Versagenshaltung an den Tag legt, die mit ihrer letzten Tätigkeit als Modellbaumechanikerin einhergeht. Gleichwohl weist er nach Ansicht des Senats zutreffend darauf hin, dass die Somatisierungsstörung der Klägerin nicht dazu geführt hat, dass wesentliche Einschränkungen in ihrem Alltagsablauf eingetreten wären und dass die Klägerin durchaus in der Lage gewesen ist, auch komplexe Handlungsvorgänge und Notwendigkeiten zu ergreifen und durchzustehen. Er verweist darauf, dass die Klägerin ohne Probleme in den vergangenen Jahren einen 4-Personen-Haushalt führen konnte, überwiegend allein, den dazugehörenden Garten und das Haus versorgen konnte, mit durchaus anstrengenden Tätigkeiten, wie Hecke schneiden und Rasen mähen. Der von ihr geschilderte Tagesablauf ist durchaus strukturiert, sie kann soziale Kontakte aufrechterhalten und auch pflegen. Die Angabe, keinen Urlaub machen zu können, weil sie nicht mehr lange Auto fahren könne, musste sie selbst relativieren, weil sie mit ihrer Tochter übers Wochenende ins Ruhrgebiet fahren und somit durchaus eine weite Fahrtstrecke bewältigen konnte. Dr. I. weist auch auf den Umstand hin, dass die Klägerin in ihrer Situation in der Lage war, sich von ihrem Ehemann zu trennen, eine neue Wohnung zu suchen und Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang zu handhaben. Bestätigt sieht der Senat diese Einschätzung von Dr. I. nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin in der Lage gewesen ist, verschiedene Sozialleistungen Tag genau zu beantragen und zu koordinieren. So findet sich in der Rentenakte der Beklagten ein Vermerk, wonach die Klägerin darauf gedrängt habe, dass die Rehamaßnahme in ihrem Interesse zügig umgesetzt werden müsse. Der Bezug von Übergangsgeld konnte ohne Lücke im Anschluss an das Krankengeld Tag genau sichergestellt werden, ebenso der anschließende Bezug von Arbeitslosengeld.
Dem Gutachten nach § 109 SGG von Dr. B. folgt der Senat – ebenso wie das SG – nicht. Auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des SG hierzu wird insoweit Bezug genommen. Dr. I. hat darüber hinaus in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass er keine objektivierbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer beeinträchtigten Hirnleistung bei der Klägerin sieht. Darüber hinaus handele es sich bei der von Dr. B. gestellten Diagnose eines „cervico-zephalen Syndroms“ um keine anerkannte Diagnose. Im Übrigen wäre eine Diagnose allein kein Grund für die Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente. Vielmehr kommt es rentenrechtlich entscheidend auf die aus einer Gesundheitsstörung bzw. Diagnose resultierenden Funktionseinschränkungen für den ausgeübten Beruf bzw. für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes an. Dr. I. hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass die Bleiintoxikation der Klägerin kein krankheitsrelevantes Niveau erreicht hat und auch die von ihr geäußerten Beschwerden nicht auf diese Bleiintoxikation zurückgeführt werden konnten. Das Gutachten von Dr. B. ist in sich auch nicht konsistent. Er sah eine wesentliche Ursache in den Amalgamfüllungen der Klägerin, die samt und sonders entfernt wurden, ohne dass im Verlauf der Begutachtungen eine Besserung von Seiten der Klägerin mitgeteilt wurde. Des Weiteren sah Dr. B. eine wesentliche Ursache in der Renovierung des Hauses der Klägerin durch Verwendung von toxischen Baumaterialien. Diesbezüglich findet sich aber ebenfalls kein Sachvortrag, dass die Klägerin hier aktiv tätig geworden wäre, derartige Baustoffe aus ihrem Haus zu entfernen. Die von der Klägerin tatsächlich ausgeübte Tätigkeit einer Modellbaumechanikerin, die die Klägerin als Krankheitsauslöser sieht, scheint im Gutachten von Dr. B. eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dr. B. ging in seinem Gutachten vom 03.09.2010 von einem max. 2 – 3 Jahre bestehenden geminderten Leistungsvermögen der Klägerin aus, sofern seine Behandlungsmethoden angewandt würden und Erfolg hätten. Dieser Zeitraum ist bereits verstrichen, die Klägerin berichtet nicht über eine Besserung, obwohl die Zahnfüllungen entfernt sind, sie die letzte Tätigkeit seit 2007 bereits nicht mehr geübt hat und sie auch nicht mehr in ihrem Haus lebt. Durchgeführt wurde auch eine sog. Schwermetallausleitung, obwohl Prof. Dr. E. ausdrücklich vor den denkbaren internistischen Schäden gewarnt hatte.
Ausgehend von der Diagnose einer Somatisierungsstörung ist festzuhalten, dass zu keiner Zeit eine leitliniengerechte Therapie erfolgt ist und die Klägerin nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens von Dr. I. auch bei Anstrengung ihres eigenen Willens und unter therapeutischer und ärztlicher Hilfe auch in absehbarer Zeit in der Lage wäre, ihre Einschränkung zu überwinden. Psychische Erkrankungen rechtfertigen erst dann einen Rentenanspruch, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft nicht mehr überwinden kann (BSG Urteil vom 12.09.1990 – 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 – B 13 RJ 31/05 R – jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 12.10.2011 – L 19 R 738/08; BayLSG Urteil vom 30.11.2011 – L 20 R 229/08; BayLSG Urteil vom 18.01.2012 – L 20 R 979/09; BayLSG Urteil vom 15.02.2012 – L 19 R 774/06; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 – L 19 R 35/08; Urteil vom 18.03.2015 – L 19 R 956/11).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Zwar wäre diese Vorschrift aufgrund des Alters der Klägerin auf sie anwendbar. Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Klägerin ihre zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Modellbaumechanikerin nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich ausüben könnte, wie dies Dr. I. in seinem Gutachten rückwirkend ab Rentenantragstellung angenommen hat. Auch Prof. Dr. E. kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine erhebliche Angst vor einer erneuten Intoxikation bei einer erneuten Arbeitsaufnahme dieser Tätigkeit besteht, die sie wohl insoweit nur schwer überwinden könne, bei gleichzeitiger Unterstützung durch Behandlungsmaßnahmen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Klägerin genießt aufgrund ihres beruflichen Werdegangs jedenfalls keinen Berufsschutz im Sinne des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (BSG) (BSGE 51, 50, 54). Die Klägerin hat zwar eine Berufsausbildung als Teilezeichnerin absolviert, hat sich aber von diesem Beruf mit Aufnahme der Tätigkeit als Modellbaumechanikerin im Jahr 1992 gelöst und damit zuletzt vor Eintritt des geltend gemachten Leistungsfalls eine versicherte Tätigkeit in einem Anlernberuf (mit einer Ausbildungszeit von max. 2 Jahren) ausgeübt. Nach den in den Akten enthaltenen Angaben des Arbeitgebers betrug die Anlernzeit jedoch nur einen Monat, so dass es sich um einen einfachen Anlernberuf gehandelt hat. Die Klägerin ist deshalb auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen, für den ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen gegeben ist. Die Benennung eines zumutbaren Verweisungsberufs durch die Beklagte ist deshalb nicht erforderlich gewesen.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des SG B-Stadt vom 26.05.2011 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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