Sozialrecht

Erwerbsminderungsrente

Aktenzeichen  S 20 R 747/17

Datum:
7.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 55580
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43, § 240
SGG § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Dem Kläger werden Verschuldenskosten in Höhe von 325,00 € auferlegt.   

Gründe

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhoben worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 12.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Gemäß § 105 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, weil er nicht erwerbsgemindert ist.
Im Lichte der Beweisaufnahme kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass der Kläger erwerbsgemindert im Rechtssinne ist.
1. Nach § 43 Absatz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gemäß § 43 Absatz 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Voll erwerbsgemindert sind auch
1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nach § 43 Absatz 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
„Der „allgemeine Arbeitsmarkt“ in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl. BT-Drucks 14/4230, S. 25). Das Merkmal „allgemein“ grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen“ (Zweng/Scheerer/Buschmann/ Dörr, Handbuch der Rentenversicherung – SGB VI, aaO RdNr. 85; Kamprad in Hauck/ Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr. 35 f, Stand Juni 2011). Eine Beschränkung auf körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten erfolgt durch die Bezeichnung „allgemeiner Arbeitsmarkt“ hingegen nicht“ (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011, Az.: B13 R 78/09 R).
„Unter den „üblichen Bedingungen“ im Sinne des § 43 SGB VI ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl. z.B. Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung – SGB VI, a.a.O. RdNr. 86 ff, Stand September 2009). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR 4100 § 103 Nr. 17 S. 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr. 43 S. 86 f). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog. Katalogfälle einschlägig ist (vgl. im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 S. 28 f)” (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011, Az.: B13 R 78/09 R).
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger nach Überzeugung des Gerichts nicht erwerbsgemindert, weil er noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts nach der Beweisaufnahme fest.
Das Gericht folgt daher im Wesentlichen im Ergebnis der schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Dres. M. und N..
In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 19.01.2018 hat Dr. M. beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:
– Periphere arterielle Verschlusskrankheit (paVK) bei Zustand nach thromboembolioschem Verschluss der kompletten Beckenstrombahn rechts mit nachfolgender Embolektomie (2009) und Zustand nach rechtsseitigem aortofemoralen Bypass (2013) mit Verschluss und notwendiger und erfolgreicher linksseitiger PTA der linken A. iliaca (2016) mit Einschränkung der Wegstrecke im sozialmedizinischen Sinne.
ICD 10 I 25.9
– Kleinhirnatrophie und Zustand nach Kleinhirninfarkt (2006) mit konsekutiver Gangstörung im Sinne einer zerebellären Ataxie. Anpassungsstörung geringgradiger Ausprägung. Zustand nach Fahrradunfall (mit unter anderem Kopfverletzung) ohne anhaltende Residuen.
ICD 10 F 32.9
– Chronischobstruktive Atemwegserkrankung (COPD) GOLD Stadium II und Lungenemphysem bei fortgesetztem Nikotinabusus (60 packyears).
ICD 10 J 44.9
– Toxischer Leberparenchymschaden mit Erhalt der Lebersynthese. Zustand nach Perforation eines Duodenalulkus mit Peritonitis und laparoskopischer Übernähung (2009).
ICD 10 K 76.9
– Kardiovaskuläres Risikoprofil:
Hyperlipidämie, fortgesetzter Nikotinabusus (60 packyears).
ICD 10 E 78.9
– Chronisches Wirbelsäulensyndrom betont der Lendenwirbelsäule geringgradiger Ausprägung.
ICD 10 M 54.9
In sozialmedizinischer Zusammenschau aller medizinischen Teilgebiete sei eine quantitative Leistungsminderung nicht ableitbar. Das tägliche Leistungsvermögen könne mit sechs Stunden und mehr beurteilt werden. Es solle sich dabei um körperlich leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmushandeln, eine übermäßig nervliche Belastung sowie unfallgefährdete Tätigkeiten sollten ausgeschlossen sein. Des Weiteren gelte es, pulmonale Reizstoffe zu vermeiden, wobei dieser Punkt durch den fortgesetzten Nikotinkonsum relativiert werde. Schweres Heben und Tragen sowie Bewegen von schweren Gegenständen sei ebenso wie häufiges Bücken und das Einnehmen von Zwangshaltungen auszuschließen.
Demgegenüber hat Dr. N. in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 07.06.2018 beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
– Kleinhirnischämie rechts 2016 mit beinbetonter und rechtsbetonter leichter bis mittelgradiger Kleinhiernataxie.
– Leichte kognitive Störung, F 06.7, bei cerebraler Makroangiopathie, nicht fortschreitend seit 2015.
– Periphere arterielle Verschlusskrankheit (paVK) im Becken- und Bein-Bereich mit einer anamnestischen Gehstrecke von 20 Metern.
– Chronischobstruktive Lungenerkrankung.
Dem Kläger seien, hiervon ausgehend, wegen der paVK nur noch körperlich leichte, vorübergehend mittelschwere körperliche Tätigkeiten zumutbar, überwiegend im Sitzen, vorübergehend im Stehen und Gehen. Tätigkeit, die besonderen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen stellen, könne er nicht wegen der leichten kognitiven Störungen wiederum leichtgradiger Ausprägung nicht leisten. Wegen dieser seien auch keine Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung leistbar. Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen könne der Kläger wegen der Kleinhirnataxie nicht verrichten.
Das Gericht hält die Ausführungen der beiden Gutachter für schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar, so dass der Kläger noch unter Berücksichtigung der von den Gutachtern festgestellten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich einer zumindest leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes zu dessen üblichen Bedingungen nachgehen kann, ohne seine Restgesundheit zu gefährden.
Ebenso ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass die Wegefähigkeit des Klägers im sozialmedizinischen Sinne eingeschränkt ist: Der Kläger kann nachvollziehbar nicht mehr viermal täglich mindestens 500 Meter in jeweils einer Viertelstunde zurücklegen; auch kann er nachvollziehbar gesundheitsbedingt nicht mehr selbst Auto fahren. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Kläger noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann oder nicht, denn die Beklagte hat mit dem nicht streitgegenständlichen und bestandskräftigen Bescheid vom 04.05.2017 dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt in Form der Kostenübernahme für das günstigste und mögliche Verkehrsmittel so dass im Grunde die Kostenübernahme sowohl für öffentliche Verkehrsmittel, aber auch beispielsweise für Taxifahrten gewährt wird, wenn die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich ist.
„Es liegt in der Hand des Rentenversicherungsträgers, durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Einsatzfähigkeit des Versicherten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes wiederherzustellen. Dazu bieten sich z.B. Leistungen der Kraftfahrzeughilfe (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 8 Nr. 1 SGB IX) an. Voraussetzung ist allerdings, dass die aufgrund der Wegefähigkeit eingetretene volle Erwerbsminderung vollständig wieder beseitigt wird. Die bewilligte Leistung muss den Versicherten in eine Lage versetzen, die derjenigen eines Versicherten gleicht, der einen Führerschein und ein privates Kfz besitzt und dem die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses sowie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch an einem über 500 m entfernt liegenden Arbeitsplatz zuzumuten ist, weil er mit einigermaßen verlässlich einzuschätzendem Aufwand an Zeit und Kosten dorthin gelangen kann. Dafür ist das bloße Angebot von Kraftfahrzeughilfe für den Fall der Arbeitsaufnahme nicht ausreichend. Die Bereitschaft, „im Falle der Arbeitsaufnahme Leistungen zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes“ in Form der „tatsächlich anfallenden Beförderungskosten“ zu übernehmen, ggf. unter Einbeziehung von Taxikosten, genügt dagegen, soweit sie vorbehaltlos erfolgt.“ (vgl. Ulrich Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 SGB VI; RdNr. 215 m. w. N.).
Diesen Anforderungen wird der Bescheid der Beklagten vom 04.05.2017 nach Auffassung des Gerichts gerecht, so dass die fehlende Wegefähigkeit im rechtlichen Sinne behoben ist und somit auch keine Erwerbsminderung aus diesem Grunde gegeben ist.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Nach § 240 Absatz 1 SGB VI haben Versicherte auch Anspruch auf Rente wegen teilweise Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen, die
1. vor dem 02.01.1961 geboren sind und
2. berufsunfähig sind.
Nach Absatz 2 der Vorschrift sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Zur Beurteilung der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten hat das O. (BSG) ein Mehrstufenschema entwickelt (BSG vom 20.06.1979, 5 RKn 26/77; BSG vom 03.11.1994, 13 RJ 77/93 m.w.N.).
Danach ist die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in eine der folgenden Gruppen zu klassifizieren (bei Arbeitern):
1. Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters
2. Leitberuf des Facharbeiters (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren)
3. Leitberuf des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit mindestens drei Monaten bis zu zwei Jahren; unterteilt in sogenannte untere Angelernte mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu einem Jahr und in sogenannte obere Angelernte mit einer Regelausbindungszeit von mehr als einem bis zu zwei Jahren)
4. Leitberuf des ungelernten Arbeiters.
Sozial zumutbar ist nach der Rechtsprechung des BSG immer eine Verweisungstätigkeit innerhalb der gleichen Stufe oder aber in die jeweils nächstniedrigere Qualifikationsstufe.
Zwar ist der Kläger vor dem 02.01.1961 geboren; er ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne der Vorschrift und der BSG-Rechtsprechung.
Anzuknüpfen ist beim Kläger an der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Berufskraftfahrer. Eine diesbezügliche Ausbildung hat der Kläger nach eigenen Angaben nicht durchlaufen, ebenso wenig die eines beispielsweise Kfz-Mechanikers; die vom Kläger absolvierte Facharbeiterausbildung eines Zimmermanns hat hiermit nichts zu tun. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass es sich hierbei entweder um eine ungelernte oder zumindest untere Anlerntätigkeit handelt, so dass der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar verwiesen werden kann. Solche Tätigkeiten sind ihm aber aus medizinischer Sicht ebenfalls möglich (s.o. 1.). Vor diesem Hintergrund spielt es rechtlich keine Rolle, ob der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann oder nicht.
Der Kläger ist daher unter keinem Gesichtspunkt im rechtlichen Sinne erwerbsgemindert. Der angefochtene Bescheid ist daher rechtmäßig und die dagegen gerichtete Klage unbegründet. Sie ist daher abzuweisen.
II.
Dem Kläger werden nach pflichtgemäßem Ermessen die Kosten des Verfahrens nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auferlegt.
§ 192 Abs. 1 SGG lautet:
„(1) 1Das Gericht kann im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass
1. durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder
2. der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist.
Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 für die jeweilige Instanz.“
„Eine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ist demnach insbesondere anzunehmen, wenn der Rechtsstreit trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit geführt oder weitergeführt wird. Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Klage oder das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und die Erhebung der Klage oder die Einlegung des Rechtsmittels von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Maßstab ist also die objektivierte Einsichtsfähigkeit eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten. Umgekehrt kann von einer missbräuchlichen Rechtsverteidigung gesprochen werden, wenn ein verständiger Beklagter den geltend gemachten Anspruch ohne weiteres anerkennen würde, weil die Klage oder das Rechtsmittel offensichtlich zulässig und begründet ist.“ (vgl. Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 192 SGG, RdNr. 40 m. w. N.)
„Von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit einer Klage oder eines Rechtsmittels kann inhaltlich nur ausgegangen werden, wenn der Sachverhalt eindeutig, die Gesetzeslage eindeutig und einfach und die dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Rechtsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zweifelsfrei geklärt sind, das Verfahren jedoch ohne substantiierte inhaltliche Argumentation fortgeführt wird.“ (vgl. Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 192 SGG, RdNr. 43 m. w. N.).
Vorliegend ist die Klage bei verständiger Würdigung durch einen vernünftigen Verfahrensbeteiligten offensichtlich aussichtslos: Beide vom Gericht bestellten ärztlichen Sachverständigen haben dem Klägerin Übereinstimmung mit sämtlichen Vorgutachtern bescheinigt, trotz zahlreicher Erkrankungen noch mindestens sechs Stunden täglich zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten zu können. Beide habe auch in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern dem Kläger eine eingeschränkte Wegefähigkeit attestiert. Die Begutachtungslage ist völlig eindeutig, die Gutachten widersprechen sich nicht und es besteht auch kein Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen.
Die eingeschränkte Wegefähigkeit führt jedoch nicht zu einem Rentenanspruch, weil dieses Manko in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Bescheid vom 04.05.2017 beseitigt worden ist. Damit ist aber eine Erwerbsminderung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch aus diesem Grunde evident nicht gegeben.
Bei verständiger Würdigung durch einen objektiven und vernünftigen Verfahrensbeteiligten kann eine Klage bei einer solchen Lage keine Aussichten auf Erfolg haben, sie ist evident aussichtslos.
Vor diesem Hintergrund ist das Festhalten des Klägers an der vorliegend offensichtlich aussichtslosen Klage auch rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 192 SGG, weil dies ohne inhaltlich substantiierte Argumentation des Klägers erfolgt: Der Kläger hat, außer festzustellen, dass die Gutachten aus seiner Sicht nicht zutreffend sein sollen, weder selbst substantiiert inhaltlich gegen die Begutachtungen vorgetragen, noch ärztliche Befundberichte oder Atteste vorgelegt, die die Gutachten entkräften könnten oder Anlass zu neuen Ermittlungen von Amts wegen hätten bieten können, noch seinerseits einen Antrag nach § 109 SGG gestellt, um die Begutachtungslage zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Der Vorsitzende hat den Kläger ausdrücklich und ausführlich über seine prozessualen Möglichkeiten im Erörterungstermin vom 02.08.2018 aufgeklärt und darauf hingewiesen, dass eine Fortführung des Klageverfahrens unter diesen Bedingungen rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 192 SGG wäre und in diesem Falle bei einer gerichtlichen Entscheidung des Rechtsstreits im Sinne einer Klagabweisung dem Kläger auch die Verfahrenskosten auferlegt würden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Das bedeutet, dass der Kläger bei völliger Aussichtslosigkeit der Klage zum gegenwärtigen Sach- und Streitstand und nach Aufklärung durch den Vorsitzenden hierüber in voller Kenntnis derselben das Verfahren fortführt, ohne inhaltlich vorzutragen oder Maßnahmen zu treffen, die deren Erfolgsaussichten zu erhöhen in der Lage sein könnten. Einzige Begründung des Klägers im Erörterungstermin war, dass er bereits zweimal eine Rentenklage zurückgenommen habe, nun aber dies nicht mehr mache.
Dieses Verhalten des Klägers ist aus Sicht des Gerichts rechtsmissbräuchlich, worauf es den Kläger auch im Termin hingewiesen hat. Dies alles war auch für den Kläger erkennbar. Hinweise für eine eingeschränkte Geschäfts- oder Schuldfähigkeit des Klägers sind in Anbetracht der Gutachten nicht gegeben.
Danach sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfüllt.
Die Verhängung von Verschuldenskosten unterliegt sodann sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch hinsichtlich des „Wie“ dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. Stotz, a.a.O., RdNr. 58).
Nachdem der Kläger bereits zwei Rentenverfahren mit Klagerücknahme beendet hat und gerade unter Hinweis hierauf vorliegend eine Klagerücknahme ausgeschlossen hat, hält es das Gericht gerade aus spezialpräventiven Erwägungen für angezeigt, dass dem Kläger Verschuldenskosten auferlegt werden, um ihm die Rechtsmissbräuchlichkeit seines prozessualen Verhaltens vor Augen zu führen, um ein solches in Zukunft zu verhindern.
„Werden vom Gericht Kosten nach § 192 Abs. 1 SGG auferlegt, muss der auferlegte Betrag im Entscheidungstenor genau beziffert werden. Die Auferlegung der Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG oder von Missbrauchskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist der Höhe nach nicht begrenzt. Aufgrund des Charakters des § 192 als Schadensersatznorm ergibt sich jedoch eine Begrenzung der Kostenhöhe auf die durch das schuldhafte Verhalten des Beteiligten, Vertreters oder Bevollmächtigten kausal verursachten Kosten.
Die Ermittlung der Kosten, die infolge der Vertagung oder der Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung entstanden sind, wird in der Praxis kaum möglich sein.117 Das Gleiche gilt für die Ermittlung der allgemeinen Gerichtshaltungskosten und der anfallenden Kosten für die Abfassung eines Urteils oder Beschlusses. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und daher im Zuge der Neufassung des § 192 SGG zum 02.01.2002 einen Mindestkostenbetrag in § 192 Satz 3 SGG eingeführt, wonach der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz als verursachter Kostenbetrag gilt. Dieser Mindestkostenbetrag beträgt demnach für Verfahren vor den Sozialgerichten 150 €, für Verfahren vor den Landessozialgerichten 225 € und für Verfahren vor dem O. 300 €.
„ Den Gerichten steht es aber weiterhin frei, über diesen Betrag hinauszugehen, denn es handelt sich bei der Regelung des § 192 Abs. 1 Satz 3 SGG lediglich um die Mindesthöhe. Sofern Gerichte davon Gebrauch machen, werden die durch die Vertagung oder Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung verursachten Kosten, die allgemeinen Gerichtshaltungskosten oder die für die Abfassung eines Urteils oder Beschlusses anfallenden Kosten nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 287 ZPO geschätzt. Für eine Richterarbeitsstunde in der ersten Instanz wurden dabei Beträge zwischen 200 € und 300 € angenommen. Für ein Berufungsverfahren wurden Kosten von insgesamt über 1.000 € angesetzt.
Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG liegt es im Ermessen des Gerichts, ob es die verursachten Kosten ganz oder teilweise auferlegt. Diese Vorschrift ermöglicht es, den in § 192 Abs. 1 Satz 3 SGG genannten Mindestkostenbetrag zu unterschreiten, weil in dieser Vorschrift lediglich die mindestens verursachten Kosten bestimmt werden. Befugnis des Gerichts, diese Kosten nur teilweise aufzuerlegen, wird dadurch nicht beschränkt.“ (vgl. Stotz a.a.O., RdNrn. 65 – 68 m. w. N.).
Bei der Bemessung der Höhe der zu verhängenden Verschuldenskosten ist zu berücksichtigen, dass keine erneute mündliche Verhandlung erforderlich geworden ist, andererseits aber die Abfassung des Gerichtsbescheids aber über drei Stunden in Anspruch genommen hat und auch die Gerichtshaltung als solche durch die Absetzung des Gerichtsbescheids logistisch mehr als bei der an sich angezeigten Klagerücknahme in Anspruch genommen worden ist, allerdings auch weniger als bei einer mündlichen Verhandlung.
Bei äußerst zurückhaltendem Ansatz von einer Richterstunde von € 200,00 und drei Stunden Abfassung des Gerichtsbescheids wäre ein Betrag von € 600,00 zuzüglich geschätzt € 50,00 Gerichtshaltung, insgesamt 650,00 € anzusetzen.
In Anbetracht der wirtschaftlichen Situation des Klägers las SGB II – Leistungsbezieher reduziert sich der anzusetzende Betrag jedoch auf die Hälfte, nämlich auf € 325,00.
Ein Ansatz des Mindestbetrages von € 150,00 nach § 192 Abs. 1 Satz 3 SGG i.V. m. § 184 Abs. 2 SGG erscheint hingegen als zu niedrig angesetzt, um dem Kläger die Rechtsmissbräuchlichkeit seines Verhaltens nachhaltig vor Augen zu führen, zumal er sich im Erörterungstermin keinerlei Sachargumenten zugänglich zeigte. Es bedarf daher aus Sicht des Gerichts eines deutlichen Signals das über den Mindestbetrag spürbar hinausreicht.
Nach pflichtgemäßem Ermessen werden dem Kläger daher Verschuldenskosten in Höhe von € 325,00 auferlegt.
Im Übrigen folgt die Kostenentscheidung den §§ 183, 193 SGG.


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