Sozialrecht

Förderung der Selbstständigkeit nach dem SGB II

Aktenzeichen  S 13 AS 651/17

Datum:
26.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43717
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 16c

 

Leitsatz

Zum gestuften Prüfungsschema anlässlich von Leistungen zur Förderung einer selbständigen Tätigkeit nach § 16c SGB II.
Förderfähige, tragfähige selbständige Tätigkeiten  erfordern eine fachkundliche Stellungnahme sowie die Prognose, dass die Hilfebedürftigkeit in angemessener Zeit beseitigt oder zumindest vermindert wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 07.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen vom 23.11.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und insoweit begründet, dass der Beklagte zu einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichtes zu verpflichten war. Das weitergehende Begehren des Klägers, auf Zahlung von Leistungen, war jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 07.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), soweit der Beklagte seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Bezug der geltend gemachten Leistung seien nicht erfüllt und in der Folge dieser Fehleinschätzung unterlassen hat, Ermessenserwägungen anzustellen. Die Auffassung des Beklagten lässt sich nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht bestätigen, denn es gibt – mangels des Vorliegens der Einschätzung einer fachkundigen Stelle – keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger angestrebte Tätigkeit nicht tragfähig wäre oder – ausgehend von einer derartigen Einschätzung – bei prognostischer Betrachtung diese Tätigkeit nicht geeignet wäre, die Hilfebedürftigkeit des Klägers zumindest zu verringern. Ungeachtet dessen erweisen sich auch die Feststellungen des Beklagten, auf die er seine Einschätzung gründet, es handle sich lediglich um einen Nebenerwerb des Klägers, als unzureichend. Soweit der Kläger darüber hinaus die Verurteilung des Beklagten zu einer konkreten Leistung beantragt, sind jedoch – mangels hinreichender Ermittlungen des Beklagten – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16c SGB II nicht nachgewiesen. Hierbei hatte das Gericht keine Veranlassung, die Säumnis des Beklagten in Bezug auf diese Feststellungen durch eigene Ermittlungen von Amtswegen zu heilen, denn es gab nach Lage der Akten – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16c SGB II als wahr unterstellt – keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte wegen einer Reduzierung seines Ermessensspielraumes zu der vom Kläger konkret begehrten Leistung zu verurteilen gewesen wäre.
Gegenstand des Verfahrens ist ein – auf § 16c SGB II gestützter – Antrag des Klägers vom 23.11.2016 auf Zahlung von Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen; dieses Anliegen kann er, nachdem die streitendscheidende Anspruchsnorm eine Ermessensentscheidung des Beklagten vorsieht (… können Darlehen und Zuschüsse erhalten …) grundsätzlich im Wege einer (kombinierten) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 2 SGG) verfolgen, wobei – ausgehend von der Auffassung des Klägers, das Ermessen des Beklagten sei auf Null reduziert – sein Antrag auf Zahlung der Leistung – in der Sache konsequent – vorliegend nicht zu beanstanden ist.
Gemäß § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II können erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern erhalten, die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit notwendig und angemessen sind. (Derartige) Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird (§ 16c Abs. 3 Satz 1 SGB II). Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll die Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen (§ 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II).
Ausgehend von dieser Normstruktur bedarf es vorliegend zuerst einer Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen, d.h. ob die vom Kläger in Aussicht genommenen (selbständige) Tätigkeit als hauptberuflich anzusehen ist, und ob diese Tätigkeit bei prognostischer Betrachtung erwarten lässt, nicht nur wirtschaftlich tragfähig zu sein, sondern auch geeignet erscheint, die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu beseitigen oder zumindest zu verringern. Erst daran anschließend obliegt es dem Träger der Grundsicherung – sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind – im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu prüfen, ob und in welchem Umfang Eingliederungsleistungen für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erbracht werden.
Diesen Anforderungen wird die ablehnende Entscheidung des Beklagten nicht gerecht. Weder die Ausführungen des Bescheides vom 07.03.2017 noch die des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 lassen den Schluss zu, der Beklagten habe – zumindest im Ergebnis – die tatbestandlichen Voraussetzungen zurecht verneint, denn nach den Gründen der Verwaltungsentscheidung ist bereits nicht nachzuvollziehen, dass der Beklagte den Wesensgehalt der tatbestandlichen Voraussetzungen erkannt und in der Sache zutreffend geprüft hätte.
Soweit mit dem Widerspruchsbescheid vom 24.05.2017 konstatiert wird, ein Leistungsanspruch bestünde bereits deshalb nicht, weil die Tätigkeit des Klägers nicht als hauptberuflich anzusehen sei, erschließt sich weder aus den Gründen der Verwaltungsentscheidung, worauf der Beklagte diese Behauptung stützt, noch lässt sich dies nach Lage der Akten nachvollziehen.
Die Voraussetzung einer hauptberuflichen Tätigkeit ist erfüllt, wenn der zeitliche Schwerpunkt auf der selbständigen Tätigkeit liegt (vgl. Stölting in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 16c Rn. 7; Thie in LPK-SGB II, § 16c SGB II Rn. 6; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 16c SGB II Rn. 39; Harks in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 16c [Stand: 01.03.2020]).
Soweit der Beklagte mit seiner Widerspruchsentscheidung darauf verweist, im Hinblick auf die Einnahmesituation der bislang ausgeübten Tätigkeit sei die selbstständige Tätigkeit nicht mehr als Hauptsondern nur noch als Nebenerwerb anzusehen, hat der Beklagte zum einen verkannt, dass nicht auf die bislang ausgeübte, sondern – im Falle einer Ausweitung des Geschäftsbetriebes – auf die angestrebte Tätigkeit abzustellen ist. Zum anderen hat der Beklagte für die Beurteilung der Hauptberuflichkeit rechtsfehlerhaft nicht auf die zeitliche Befassung des Klägers mit der Tätigkeit abgestellt, sondern (wohl) auf das zu erwartende Einkommen, so dass der Beklagte in der Folge im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, Ermittlungen dazu anzustellen, in welchem zeitlichen Umfang, die vom Kläger angestrebte selbständige Tätigkeit ausgeübt werden soll. Soweit der Beklagte in seinem Bescheid vom 07.03.2017 angesprochen hat, dem Kläger sei im Rahmen von Gesprächen am 11.08.2016 und 21.09.2016 mitgeteilt worden, dass (auch) im Hinblick auf den zeitlichen Umfang eine hauptberufliche Tätigkeit nicht vorliege, so kann sich dies – nach dem zeitlichen Ablauf – nicht auf die im Streit stehenden Förderleistungen beziehen, sondern auch nur auf die bislang ausgeübte Tätigkeit, denn den Förderantrag hat der Kläger erst am 23.11.2016 gestellt. Insoweit kann dahinstehen, dass die diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten – mangels entsprechender Vermerke in den vorgelegten Akten – ohnehin nicht nachvollzogen werden können.
Im Weiteren hat es der Beklagte unterlassen, vom Kläger die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der anstrebten selbständigen Tätigkeit zu verlangen, um – ausgehend von dieser Stellungnahme – eine Prognose treffen zu können, ob mit der angestrebten Tätigkeit zu erwarten ist, dass der Kläger seine Hilfebedürftigkeit in angemessener Zeit beseitigt oder zumindest vermindert.
Den Ausführungen des Beklagten hierzu lässt sich bereits nicht entnehmen, ob er differenziert hat zwischen der Tragfähigkeit der Tätigkeit, bezüglich derer die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangt werden soll (§ 16c Abs. 3 Satz 1 vorletzter Halbsatz, Abs. 3 Satz 2), und der Prognose, dass – ausgehend von dieser Stellungnahme – die (tragfähige) Tätigkeit eine Überwindung (oder Verringerung) der Hilfebedürftigkeit erwarten lässt.
Soweit der Beklagte hilfsweise – in Ergänzung seiner tragenden Überlegungen, es liege bereits keine hauptberufliche Tätigkeit vor – Ausführungen dazu gemacht hat, das vorgelegte Konzept lasse den Schluss zu, dass dem Kläger die unternehmerischen Fähigkeiten fehlten, einen Geschäftsbetrieb, wie von ihm angestrebt, zu einem Erfolg zu führen, bleibt überdies unklar, ob es sich hierbei um Überlegungen zur Tragfähigkeit handelt (die diesbezügliche Prüfung ist dem Träger der Grundsicherung regelmäßig verwehrt), ob eine Prognose gestützt werden soll, der Kläger werde seine Hilfebedürftigkeit nicht überwinden können (diese Prognoseentscheidung unterliegt einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung) oder ob es sich – ungeachtet des Fehlens der tatbestandlichen Voraussetzungen – bereits um Überlegungen zum Ermessen handelt (eine gerichtliche Prüfung ist hier nur in Bezug auf einen Ermessenfehlgebrauch möglich).
Angesichts dieser Gesamtumstände, nämlich, dass der Beklagten zum einen den Wesensgehalt der tatbestandlichen Voraussetzungen verkannt und – darauf aufbauend – nicht sachgerecht ermittelt hat, und zum anderen, dass seiner Verwaltungsentscheidung jegliche Konsistenz fehlt, hat sich das Gericht auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse außerstande gesehen, eine zweifelsfreie Entscheidung zugunsten oder zulasten des Klägers zu treffen. Insoweit hat sich das Gericht auch nicht gehalten gesehen, weitergehende Ermittlungen von Amtswegen zu betreiben, denn angesichts des Umstandes, dass das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen als ergebnisoffen zu betrachten ist, käme – im Hinblick auf eine eventuell gebotene Ermessensentscheidung – allenfalls eine Verurteilung des Beklagten zu einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichtes in Betracht. Soweit die Gerichte hierbei zwar grundsätzlich verpflichtet sind, einen angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1, § 103 SGG) und die beklagte Behörde deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe nachschieben kann, hat sich hierfür im vorliegenden Verfahren bereits deshalb kein Anlass geboten, weil für eine der tatbestandlichen Voraussetzungen, nämlich die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle, der Kläger nicht nur beweisbelastet sondern – nach der Struktur der Regelung des § 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II – auch beibringungspflichtig ist. Grundsätzlich ist die Einholung einer fachkundigen Stellungnahme zwar ein Vorgang, der im Rahmen der Amtsermittlung (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 20 SGB X) seitens der Behörde vorzunehmen und daher die Kosten vom Grundsicherungsträger zu tragen sind (vgl. Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 16b [Stand: 01.03.2020]). Der Wortlaut der Regelung (… verlangen soll …) weist jedoch darauf hin, dass mit der Beibringung dieser Stellungnahme dem Antragsteller auch eine Wahlmöglichkeit in Bezug auf die begutachtende Stelle eingeräumt wird, wohingegen Aufgabe des Leistungsträgers in erster Linie ist, ohne Bindung an die Stellungnahme die Tragfähigkeitsanalyse selbst zu werten und mit den verfügbaren Erkenntnissen abzuwägen (vgl. LSG Essen, Urteil vom 25.06.2013 – L 2 AS 2249/12 – juris Rn.42). Ausgehend hiervon bestand daher weder für den Beklagten noch für das Gericht die Möglichkeit eine Tragfähigkeit der in Aussicht genommen Tätigkeit von Amtswegen ohne Mitwirkung des Klägers fachkundig klären zulassen. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf die „Stellungnahme der fachkundigen Stelle“ verweist, die beim ihm „verortet“ sei, hat er den Regelungszweck des § 16c Abs. 3 Satz 2 verkannt. Nach Lage der Akten lässt sich zwar nicht erkennen, ob in der Person der Mitarbeiterin des Beklagten, die für den Kläger wohl auch als Arbeitsvermittler zuständig ist, überhaupt die Voraussetzungen erfüllt sind, die an eine fachkundige Stelle zu stellen sind. Dies kann für das vorliegende Verfahren aber dahinstehen und – wie vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – als wahr unterstellt werden, dass eine entsprechende Zertifizierung vorliegt, ein Unternehmenskonzept – grundsätzlich – fachkundig beurteilen zu können. Mit der Schaffung einer Sollvorschrift hat der Gesetzgeber allerdings zum Ausdruck gebracht, dass die Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit einer aufzunehmenden oder ausgeübten selbständigen Tätigkeit den Regelfall darstellt, und dem Zweck dient, die Ermessensentscheidungen der Grundsicherungsträger zu Eingliederungsleistungen für Selbständige zu unterstützen. Damit dürfte ein Absehen von der Einholung einer externen Stellungnahme regelmäßig nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn Entwicklungsmöglichkeiten oder der voraussichtliche Misserfolg wegen der Art und Struktur des Gewerbes klar auf der Hand liegen (Stölting in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 16c Rn. 15). Objektivierbare Anhaltspunkte, für eine derartige Aussichtslosigkeit der vom Kläger angestrebten Unternehmung, gibt es aber nicht. Es ist daher der Schluss zu ziehen, dass die Überlegungen der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10810 S. 47), Grundsicherungsträger auf eigene Kompetenzen zur Bewertung von Unternehmen zurückgreifen zu lassen, allenfalls zum Tragen kommen kann, wenn er in eigener Zuständigkeit die Tragfähigkeit als gegeben ansehen kann, so dass – insbesondere auch aus Gründen der Kostenersparnis – ein Absehen von der Vorlage einer externen Stellungnahme zur Straffung eines Bewilligungsverfahrens führt. Nach Auffassung der Kammer schaffen die Überlegungen des Gesetzgebers jedoch keine Grundlage für einen Träger der Grundsicherung einen Antragsteller, insbesondere ohne dies wie vorliegend kenntlich zu machen, die eigene (vermeintliche) Kompetenz bei der Beurteilung von Unternehmenskonzepten im Rahmen einer ablehnenden Entscheidung entgegenzuhalten. Zum einen ist angesichts der Gemengelage, dass der zuständigen Arbeitsvermittlerin auch die Kompetenz zur Beurteilung der Tragfähigkeit des vom Kläger angestrebten Unternehmens übertragen ist, ein Interessenkonflikt (iSe Befangenheit) nicht zweifelsfrei auszuschließen. Zum anderen wird durch eine – dem Kläger insbesondere nicht kommunizierte – seitens des Beklagten eigenständige Beurteilung der Tragfähigkeit dem Kläger die gesetzliche Wahlmöglichkeit genommen, eine aus seiner Sicht geeignete fachkundige Stelle mit der Beurteilung der Tragfähigkeit zu beauftragen.
Der Beklagte wird daher im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung den Kläger zur Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle aufzufordern und ihre Kompetenzen allenfalls in der Weise einzusetzen haben, dass diese Stellungnahme einer kritischen Prüfung unterzogen wird (vgl. LSG Essen, Urteil vom 25.06.2013 aaO).
Zur Frage der Hauptberuflichkeit wird der Beklagte zu beachten haben, dass diese – wie bereits dargelegt – nicht an den zu erwartenden Verdienstmöglichkeiten zu messen ist, denn diese sind erst im Rahmen der Prognoseentscheidung dahingehend zu beachten, ob die Tätigkeit der Überwindung (oder Verminderung) der Hilfebedürftigkeit dienen kann. Abzustellen ist vielmehr auf den zeitlichen Aufwand, den der Kläger – bei prognostischer Betrachtung – für das in Aussicht genommene Unternehmen darlegt, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Kläger nach den bisherigen Feststellungen des Beklagten – hierzu hat er unter dem 12.01.2017 ein sozialmedizinisches Gutachten eingeholt – aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nur noch drei bis unter sechs Stunden einsatzfähig sei. Hierbei ist unbeachtlich, dass der Kläger – auf der Grundlage des Gutachtens vom 12.01.2017 – für eine abhängige Beschäftigung in einem zeitlichen Umfang von 20 Wochenstunden angesehen wird, denn für die Beurteilung der Hauptberuflichkeit ist lediglich ein Vergleich der tatsächlichen Leistungsfähigkeit mit dem geplanten Zeitaufwand geboten, ohne dass es an dieser Stelle darauf ankäme, ob der Kläger vorrangig eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen habe, denn dies betrifft allein die Frage der Zweckmäßigkeit des Einsatzes von Fördermitteln und wäre somit allenfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu thematisieren.
Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden können (Hauptberuflichkeit und Vorlage einer [kritisch geprüften] Tragfähigkeitsbescheinigung) hätte der Beklagte ausgehend von der auf der Grundlage des Unternehmenskonzeptes als realistisch zu erwartenden (objektivierbaren) Einkommenssituation (prognostisch) zu beurteilen, ob der Kläger – aufgrund seiner Fähigkeiten oder Defizite – in der Lage sein wird, dieses Einkommen zu realisieren und damit seine Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zumindest zu mindern, wobei eine ablehnende (Prognose-)Entscheidung, auf einen (subjektiven) Mangel unternehmerischer Fähigkeiten gestützt – anders als die bisherige Verwaltungsentscheidung – nachvollziehbar zu begründen wäre, wobei nicht außer Betracht gelassen werden kann, dass der Kläger vor seinem Bezug von Leistungen nach dem SGB II, wohl lange Jahre selbständig war, ohne auf staatliche Leistungen angewiesen gewesen zu sein.
Erst soweit auch eine positive Prognose in Bezug auf die Beseitigung oder Minderung der Hilfebedürftigkeit getroffen werden kann, sind Erwägungen zum Ermessen anzustellen, wobei dem Beklagten (erst) an dieser Stelle obliegt, andere Möglichkeiten, die Hilfebedürftigkeit des Klägers – insbesondere durch Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung – zu beseitigen, anspruchsausschließend zu berücksichtigen. Soweit sich in diesem Zusammenhang realistische Alternativen zur Förderung der vom Kläger angestrebten selbständigen Tätigkeit nicht anbieten, ist es Aufgabe des Beklagten im letzten Schritt der Ermessensentscheidung die finanziellen Rahmenbedingungen abzuklären, d.h. vorliegend die alternativen Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen (auch wenn bislang keine Anhaltspunkte dafür bestehen, der Kläger könne in realistischer Weise sein Vorhaben mit Fremdmitteln finanzieren), den aktuellen Finanzbedarf zu klären (nach Angaben in der mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger wohl zwischenzeitlich gebrauchte Kleingeräte angeschafft) und zuletzt abzuwägen, in welchem – angemessenen, aber auch verhältnismäßigen – Maße Mittel als Zuschuss oder als Darlehen eingesetzt werden können, um dem Kläger zu ermöglichen, seine Hilfebedürftigkeit zu mindern oder zu beseitigen.
Angesichts dieser Gesamtumstände, insbesondere wegen der unzureichende Sachverhaltsaufklärung seitens des Beklagten und der fehlenden Konsistenz seiner Verwaltungsentscheidung war es der erkennenden Kammer nicht möglich, sich ein klares Bild in Bezug auf einen Anspruch des Klägers zu verschaffen, der eine Verurteilung zu einer Leistung – wie von ihm beantragt – gerechtfertigt hätte, so dass lediglich eine Verpflichtung des Beklagten zu einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes geboten und die Klage im Übrigen abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem teilweisen Obsiegen des Klägers.


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