Sozialrecht

Folgen der Behinderung sind mit möglichen und geeigneten Hilfsmittel auszugleichen

Aktenzeichen  S 10 AL 83/16

Datum:
29.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142449
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 159 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Einer von Geburt an hochgradig schwerhörigen arbeitslosen und arbeitsuchenden Person ist es – wie jedem Behinderten – fraglos zuzumuten, alle ihr möglichen Hilfsmittel einzusetzen, um im Erwerbsleben die Folgen ihrer Behinderung bestmöglich auszugleichen. Wenn es jemand nicht tut, sondern ein Nicht- oder Nicht-richtig-Verstehen in Kauf nimmt, es also gewissermaßen darauf anlegt, insbes. etwas Unangenehmes/Unerwünschtes eben nicht zu verstehen, entspricht dies bewusstem und vorsätzlichem Vereiteln einer Vertragsanbahnung und begründet auch nicht das Vorliegen eines wichtigen Grundes iS des § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III. (Rn. 30)
2. Eine Sperrzeit tritt gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III ein, wenn eine bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldete oder die arbeitslose Person trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch ihr Verhalten verhindert ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung). (Rn. 31)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Da beide Parteien übereinstimmend den Erlass eines Urteils ohne mündliche Verhandlung beantragt hatten, konnte das Gericht nach § 124 Abs. 2 SGG verfahren.
Das Sozialgericht Bayreuth ist zur Entscheidung dieses Rechtsstreits sachlich und auch örtlich gem. §§ 51, 57 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig. Die form- und fristgerecht nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens erhobene Klage ist jedoch von Anfang an nicht begründet. Der Kläger ist durch die verfahrensgegenständlichen Bescheide nicht zu Unrecht in seinen Rechten beeinträchtigt.
Zu Recht stützt die Beklagte die Aufhebung und Erstattung des bereits bewilligten Arbeitslosengelds auf die Vorschriften der § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und § 50 Abs. 1 SGB X, weil für den Kläger die Voraussetzungen des Bezugs von Arbeitslosengeld im streitigen Zeitraum entfallen sind. Der Kläger hat das ihm für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Unrecht gewährte Arbeitslosengeld in vollem Umfang zu erstatten.
I.
In der Zeit vom 11.2.2016 bis 2.3.2016 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen iSd § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 SGB X eingetreten. Wesentlich iS dieser Norm sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den neuerlich objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich nach dem für die Leistung maßgebenden materiellen Recht. Nach diesen materiellrechtlichen Maßstäben sind die Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld im streitigen Zeitraum entfallen, weil der Arbeitslosengeldanspruch gem. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III zum Ruhen gekommen ist.
II.
Zum Ruhen geführt hat der Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsablehnung gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III, weil der Kläger die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses durch sein Nichterscheinen zum vereinbarten Vorstellungstermin am 10.2.2016 vereitelte.
Eine Tätigkeit bei der Fa. R. war objektiv zumutbar, auch wenn der Kläger keine Beschäftigungen bei Zeitarbeitsfirmen aufnehmen möchte, weil er bei einer anderen als der vorgeschlagenen Fa. R. einmal schlechte Erfahrungen im Hinblick auf seine Behinderung gemacht haben will. Wegen möglicher schlechter Erfahrung mit einer einzigen Firma eines bestimmten Genres gleich alle Firmen desselben Genres unbesehen abzulehnen, erfolgt eo ipse nicht mit objektiv wichtigem Grund im Sinn des Sperrzeitrechts. Im übrigen war vorgesehen gewesen, den Kläger bei einem Kunden der Fa. R., nicht der Fa. R. selbst, ausbildungsgerecht einzusetzen. Der Vermittlungsvorschlag war ferner mit einer korrekten Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen und entgegen der Meinung des Klägers zumutbar.
Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger sehr wohl einen Vorstellungstermin am 10.2.2016 erhalten und dies trotz seiner Schwerhörigkeit auch zur Kenntnis genommen – aber eben bei dieser Firma nicht arbeiten wollen, wie er es bei seiner ersten Stellungnahme spontan angegeben hatte. Im übrigen ist es jedem Behinderten fraglos zuzumuten, alle ihm möglichen Hilfsmittel einzusetzen, um im Erwerbsleben die Folgen seiner Behinderung bestmöglich auszugleichen. Wenn es jemand nicht tut, sondern ein Nicht- oder Nicht-richtig-Verstehen in Kauf nimmt, es also gewissermaßen darauf anlegt, insbes. etwas Unangenehmes/Unerwünschtes eben nicht zu verstehen, entspricht dies bewusstem und vorsätzlichem Vereiteln einer Vertragsanbahnung. Einen Anspruch auf die Aushändigung eines Termin-Notizzettels gibt es nirgends, es ist schon Sache des Betroffenen selbst, sich ggfs Termine zu vermerken. Im übrigen sprechen die sukzessive vorgetragenen widersprüchlichen Angaben des Klägers für sich.
III.
Dem Kläger war insbesondere aus dem Merkblatt 1 „Ihre RechteIhre Pflichten“, dessen Erhalt und Kenntnisnahme er auch bei dieser Arbeitslosigkeit mit seiner Unterschrift wieder bestätigt hatte, genau bekannt (iS des § 48 Abs. 1 Satz 2 Ziff 4 SGB X), dass bei Verhinderung von Vertragsanbahnungen eine Sperrzeit eintritt, während deren Laufs Arbeitslosengeld nicht zusteht.
Die Aufhebungs- und Handlungsfristen sind eingehalten, der Kläger ausreichend angehört worden. Gem. § 330 SGB III hatte die Beklagte im Rahmen der Leistungsaufhebung keinerlei Ermessen auszuüben.
Die nach alledem rechtmäßig ergangene Teil-Aufhebung während des Laufs der Sperrzeit führt gem. § 50 SGB X zur Pflicht des Klägers, die infolge der Teil-Aufhebung zu Unrecht erhaltenen Leistungen an die Beklagte zu erstatten.
IV.
Nach alledem begegnet die Entscheidung der Beklagten keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer im übrigen vollinhaltlich auf die sehr ausführliche Begründung des Widerspruchsbescheides sowie die Stellungnahmen der Beklagten im Gerichtsverfahren; da sie die dort genannte Sach- und Rechtsauffassung nach Überprüfung teilt, sieht sie von einer ausführlichen weiteren Darstellung der Sach- und Rechtslage ab, § 136 Abs. 3 SGG.
Somit war zu entscheiden wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und trägt dem vollständigen Unterliegen des Klägers im Verfahren Rechnung….


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