Sozialrecht

Freistellung von Anwaltskosten

Aktenzeichen  L 5 KR 184/20

Datum:
27.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29479
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 13 Abs. 3a
SGB X § 63
BGB § 839 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Nichtbeachtung des Eintritts der fiktiven Genehmigung nach § 13 Abs. 3a SGB V kann einen Amtshaftungsanspruch begründen.
Die Nichtbeachtung des Eintritts der fiktiven Genehmigung nach § 13 Abs. 3 a SGB V kann einen Amtshaftungsanspruch begründen. (Redaktioneller Leitsatz) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 KR 765/18 2019-09-19 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19. September 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig aufgrund des Beschlusses des Senats vom 05.05.2020. Sie ist jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten aus einer sozialrechtlichen Anspruchsgrundlage.
Der Senat durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten aus § 63 SGB X. Dem Tätigwerden des Bevollmächtigten war ein Bescheid der Beklagten vorausgegangen vom 14.06.2017. Mit diesem Bescheid hatte die Beklagte unter Nichteinhaltung der Fristen von § 13 Abs. 3 a SGB V die beantragte Liposuktion abgelehnt. Diesen Bescheid hat die Klägerin nicht mit Widerspruch angefochten, er wurde daher bestandskräftig (§ 77 SGG). Fast ein Jahr später, am 24.05.2018, beantragte die Klägerin über ihren Bevollmächtigten erneut die Liposuktion und machte den Eintritt der Genehmigungsfiktion geltend. Die Beklagte erteilte daraufhin mit Bescheid vom 25.05.2018 eine Kostenzusage. Die hier streitgegenständliche Kostennote vom 10.07.2018 bezog sich auf den mit Telefax vom 24.05.2018 gestellten Antrag und die nachfolgende Entscheidung der Beklagten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Bescheid vom 25.05.2018 um eine Entscheidung nach § 44 SGB X handelte, oder ob die Beklagte vorliegend „nur“ die zutreffende Rechtslage wiedergegeben hat. In beiden Fällen kann ein Anspruch auf die rechtsanwaltskosten nicht aus § 63 SGB X abgeleitet werden. § 63 SGB X ist in dieser Fallkonstellation weder direkt noch analog anwendbar. Eine direkte Anwendung scheidet aus, da § 63 SGB X nur die Kostentragung für ein Widerspruchsverfahren regelt. Ein Widerspruchsverfahren hat die Klägerin nicht geführt, der ursprüngliche Bescheid war bereits bestandskräftig.
Auch eine analoge Anwendung von § 63 SGB X kommt nicht in Betracht, denn es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar ist es möglich, durch das Verfahren zur Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes gem. § 44 SGB X das Gleiche zu erreichen wie durch einen Widerspruch gegen einen unrichtigen Bescheid. Das reicht aber für eine Gleichbehandlung bei der Erstattung von Kosten nicht aus; denn der Widerspruch richtet sich gegen einen noch nicht bindenden Verwaltungsakt, während der Antrag auf Überprüfung eines Bescheides in denjenigen Fällen möglich ist, in denen – wie vorliegend – der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar geworden ist. Die Vorschrift des § 63 SGB X kann hier auch nicht – mangels einer gesetzlichen Bestimmung, die die Erstattung von Kosten des Verwaltungsverfahrens mit Ausnahme des Vorverfahrens regelt – entsprechend angewendet werden. Das Fehlen der Kostenvorschrift beruht nicht auf einer Lücke im Gesetz, die durch Richterrecht auszufüllen ist. Vielmehr handelt es sich hier um ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzes (vgl BSGE 24, 207, 210). Der Gesetzgeber hat mehrere das Verwaltungsverfahren im Bereich des Sozialrechts betreffende Kostenregelungen getroffen. Das deutet auf eine bewusste Gesetzeslücke hin, aus der zu folgern ist, dass die hier begehrte Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht gewollt ist. (BSG, Urteil vom 20. April 1983 – 5a RKn 1/82 -, BSGE 55, 92-94, SozR 1300 § 63 Nr. 1, Rn. 13 – 15).
2. Der zur Klagebegründung angeführte sozialrechtliche Herstellungsanspruch verhilft der Klägerin ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein von der Rechtsprechung entwickeltes sozialrechtliches Institut aus dem System der Staatshaftung, das einen Primäranspruch vermittelt (vgl. u.a. SozR 2200 § 1303 Nr. 27; SozR 2200 § 55 Nr. 8). Voraussetzung dieses Anspruchs ist die Pflichtverletzung eines Leistungsträgers, die zu einem (rechtlichen) Schaden in Form des Ausbleibens von Vorteilen geführt hat, auf welche der Berechtigte jedoch einen Anspruch hatte. Der Anspruch geht auf Herstellung des Zustandes, der eingetreten wäre, wenn die Verwaltung sich nicht rechtswidrig verhalten hätte, ist also auf Naturalrestitution gerichtet. Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann die Klägerin also nur das Ersetzen einer behördlichen Handlung erreichen. Die Klägerin wäre dann so zu stellen, wie sie gestanden hätte, wenn die Beklagte sich rechtmäßig verhalten hätte, also den ablehnenden Bescheid nicht erlassen hätte.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte trotz des Eintritts der Genehmigungsfiktion mit Bescheid vom 14.06.2017 die Leistung abgelehnt. Für diesen Fall der rechtswidrigen Ablehnung einer Leistung kann Widerspruch erhoben werden. Mit der Einräumung des Rechtsbehelfs gem. § 83 SGG und des daraufhin durchzuführenden Vorverfahrens (§ 78 SGG) konnte sich die Klägerin gegen die Ablehnung wenden. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V der Klägerin einen Anspruch zuerkannt, der auch ohne Durchführung des Vorverfahrens durchsetzbar war. Zudem eröffnet § 44 SGB X als besondere Ausgestaltung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die nachträgliche Korrektur unzutreffender Verwaltungsentscheidungen. Eine Erstattung der Rechtsanwaltskosten mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist daher im vorliegenden Fall nicht möglich.
3. Für einen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch besteht vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches bei Verletzung von Leistungspflichten kein Raum (vgl. BSGE 41, 126-128). Der Folgenbeseitigungsanspruch bezieht sich vielmehr auf schlichtes Verwaltungshandeln (vgl. BSGE 49, 76-81) und nicht auf Kosten der Rechtsverfolgung.
4. In Betracht kommt allerdings ein Anspruch der Klägerin aus Amtshaftung. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Amtspflichtverletzung vor, wenn eine Behörde einen ablehnenden Bescheid erlässt, obwohl bereits zuvor eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist. Eine weitere Amtspflichtverletzung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Behörde die anwaltlich nicht vertretene Antragstellerin nicht von sich aus auf die eingetretene Genehmigungsfiktion hingewiesen hat. Der infolge dieser Amtspflichtverletzungen eingetretene Schaden fällt unter den Anwendungsbereich von § 839 BGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20.04.2017, III ZR 470/16, BGHZ 214, 360-382). Zur Entscheidung über einen Amtshaftungsanspruch sind die Sozialgerichte allerdings nicht berufen. Hierfür ist der ordentliche Rechtsweg zu beschreiten, auch wenn sich die Amtshandlung auf einen Mitarbeiter der Sozialversicherung bezieht und auch dann, wenn die Klage zusätzlich auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt wird, für die der Sozialrechtsweg eröffnet ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 51 Rn. 39 m.w.N.).
Der Berufung bleibt daher vollumfänglich der Erfolg versagt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.


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