Sozialrecht

Grob fahrlässige Unkenntnis von der Fehlerhaftigkeit eines Altersrentenbescheids

Aktenzeichen  S 2 R 725/13

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152417
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

Der in einem Rentenbescheid enthaltene Fehler, einen Zuschlag anstelle eines Abschlags für den durchgeführten Versorgungsausgleich vorzusehen, der auch noch das Dreifache der übertragenen Summe beträgt, springt auch dem rechtsunkundigen Leser ohne Weiteres ins Auge und begründet grobe Fahrlässigkeit. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Fortbestand des Rentenbescheides vom 13.02.2008 und darauf, dass der bei ihm durchzuführende Abschlag aus seinem Versorgungsausgleich nicht berücksichtigt wird und stattdessen ein Zuschlag an Entgeltpunkten erfolgt. Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend wurde der angefochtene Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben. Der Bewilligungsbescheid bezüglich der gewährten Altersrente ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, denn er setzt die monatliche Rente unter Außerachtlassung des Abschlages aus dem Versorgungsausgleich und Ansetzen eines Zuschlages die monatliche Rente rechtsfehlerhaft zu hoch fest.
Nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögendisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit
1.er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Da keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Kläger den Rentenbescheid der Beklagten durch arglistige Täuschung, Drohung oder gar Bestechung erwirkt haben könnte, ist § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht einschlägig. Ebenso wenig beruht der Rentenbescheid auf Angaben, die der Kläger zumindest fahrlässig oder in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hat.
Es liegt jedoch ein Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis vor.
Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Voraussetzung für die Annahme grober Fahrlässigkeit bei der Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist somit, dass die Mängel des Bewilligungsbescheides für den Begünstigten unter Berücksichtigung seines Einsichtsvermögens ohne Weiteres erkennbar waren.
Hierbei ist dem Kläger vorliegend grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der in dem Rentenbescheid enthaltene Fehler, einen Zuschlag anstelle eines Abschlages für den durchgeführten Versorgungsausgleich vorzusehen und hierbei zusätzlich auch noch statt einer Höhe von 106,20 DM 352,55 DM anzunehmen, und somit hierdurch eine höhere Rente zu bewirken, springt auch dem rechtsunkundigen Leser ohne Weiteres ins Auge. Insbesondere die Angabe, es ergebe sich aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich ein Zuschlag an Entgeltpunkten kann bei Lektüre des Bescheides, die jedem Rentenempfänger zuzumuten ist, nicht falsch verstanden werden. Auch ohne Rechtskenntnisse und intensive Befassung mit allen Details des Bescheides ist erkennbar, dass hiermit ein rentensteigernder Vorteil verbunden ist, obwohl der Versorgungsausgleich zum gegenteiligen Ergebnis führen sollte. Im Scheidungsurteil des Familiengerichts D. wurden vom Konto des Klägers auf das Konto der geschiedenen Ehefrau 106,20 DM übertragen. Dies wurde dem Kläger auch mit dem Urteilt bekanntgegeben. Dass ihm dann in der Rentenversicherung stattdessen 352,55 DM auf sein Konto gutgeschrieben wurde, hätte der Kläger mit der erforderlichen Sorgfalt durchaus bemerken müssen. Mit Schreiben vom 01.12.1983 hat der Kläger zudem eine Mitteilung zum durchgeführten Versorgungsausgleich erhalten.
Aus der Anlage 5 des Rentenbescheides vom 03.04.2013 geht weiter auch eindeutig hervor, dass hinsichtlich der Rentenhöhe ein Zuschlag statt eines Abschlages aufgrund des Versorgungsausgleiches berücksichtigt wurde und das dieser auch noch das Dreifache der übertragenen Summe betrug.
Die Beklagte hat auch die für die Rücknahme der Rentenbescheide maßgeblichen Fristen eingehalten.
Die Beklagte muss den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt. Dabei erlangt die Behörde die erforderliche Kenntnis nicht bereits dann, wenn irgendeiner ihrer Mitarbeiter Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erlangt, sondern erst dann, wenn ein nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Aufhebung des konkreten Verwaltungsaktes berufener Bediensteter der Behörde diese Kenntnis erlangt. Nachdem die die Rücknahme auslösende Fehlermeldung vom 13.12.2012 datiert, und der Rücknahmebescheid am 03.04.2013 erging, ist die Jahresfrist eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X kann ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe dann zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Absatz 2 Satz 3 Nr. 2 (Nr. 3) Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gegeben sind. Auch diese Frist ist eingehalten. Der Rentenbescheid datiert vom 13.02.2008, die Rücknahme erfolgte mit Bescheid vom 03.04.2013. Zudem kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von 10 Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde.
Die Beklagte hat auch eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen. Sie hat das ihr zustehende Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Die vom Kläger getroffenen Vermögensdispositionen wurden alle samt und sonders vor Erlass des Altersrentenbescheides getroffen. Die getroffenen Vermögensdispositionen haben ihre Ursache nicht im erteilten Rentenbescheid von 2008, sodass dieser nicht ursächlich für die getroffenen Dispositionen ist.
Ihr Mitverschulden hat die Beklagte dadurch berücksichtigt, dass sie die entstandene Überzahlung von 18.030,25 € auf 9.172,25 € reduzierte.
Die dem Kläger mehrfach erteilten Rentenauskünfte – denen jeweils ebenfalls der falsch gespeicherte Versorgungsausgleich zugrunde lag – sind keine Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X und auch keine Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X. Die dem Kläger nach § 109 Abs. 4 SGB VI erteilten Rentenauskünfte sind bereits nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut unverbindlich. Dies wurde zuletzt so auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27.02.007, 1 BvL 10/00, bestätigt.
Die Erstattungsforderung ist auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist beträgt nach § 52 Abs. 2 SGB X 30 Jahre.
Der vom Kläger erhobene Entreicherungseinwand greift nicht. § 818 Abs. 3 BGB findet keine entsprechende Anwendung (LSG NRW L 9 176/15).
Der Bescheid vom 03.04.2013 ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, sodass die Klage abzuweisen war.
Ein Gerichtsbescheid war nach § 105 SGG möglich. Die Beteiligten wurden vorab auf die beabsichtigte Form der Entscheidung hingewiesen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.


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