Sozialrecht

Kein Anspruch auf eine Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation

Aktenzeichen  L 5 KR 356/15 ZVW

Datum:
20.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 127557
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 143, § 144, § 151 Abs. 1
SGB V § 11 Abs. 2 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 1, § 40 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Zum Verhältnis einer ambulanter Krankenbehandlung bzw. einer ambulanten Rehabilitation zu einer stationären Rehabilitation. (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 KR 17/15 B 2015-06-23 Bes BSG LSG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 28.04.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gem. §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht im angegriffenen Gerichtsbescheid vom 28.04.2014 einen Anspruch des Klägers auf die strittige stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation verneint. Der streitgegenständliche Bescheid vom 18.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.03.2012 verletzt keine Rechte des Klägers und ist zu Recht ergangen.
1. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, die notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Versicherte haben auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Reicht eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um diese Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen SGB V (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Reicht die Leistung nach Absatz 1 nicht aus, erbringt die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs. 2a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V).
Das Gesetz enthält entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot in §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V insoweit ein Stufensystem und schafft in § 40 SGB V durch die Voraussetzung der Erforderlichkeit einen Vorbzw. Nachrang der einzelnen Leistungen. Ambulante Krankenbehandlung ist vorrangig gegenüber einer ambulanten Rehabilitation, diese wiederum ist vorrangig der stationären Rehabilitation. Diese Konzeption des abgestuften Leistungsangebots bedingt jedoch keine starre oder routinemäßige Ausschöpfung des gesetzlichen Leistungsspektrums der jeweils vorrangigen Stufe. Die Erforderlichkeit einer konkreten Rehabilitationsleistung, insbesondere auch ihr Vorzug gegenüber der Art nach vor- oder nachrangiger Leistungen, ergibt sich aus dem individuellen Rehabilitationsbedarf und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten (vgl. Noftz in Hauck, Sozialgesetzbuch SGB V, Stand Juli 2013, § 40 SGB V Rn. 43 f. m.w.N.).
2. Unter Beachtung dieser Regelungen und Grundsätze ist festzustellen, dass die medizinischen Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Maßnahme der stationären, psychiatrischen Rehabilitation auf Seiten des Klägers nicht erfüllt sind.
a) In Berücksichtigung und Auswertung der beigezogenen Befund- und Behandlungsberichte, der gesamten medizinischen Dokumentation, der Stellungnahmen des MDK und in Würdigung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dr. B. vom 04.07.2016 steht fest, dass bei dem Kläger folgende Erkrankungen bestehen: mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Betroffenheit des zentralen Nervensystems infolge des Patella-Nagel-Syndroms, verlangsamtes Denken, Konzentrationsschwierigkeiten, Merkfähigkeitsprobleme, geminderte Selbstbeurteilung, wahnhafte Symptomatik, Manierismen bei leicht gedrückter Stimmung, reduziertem Antrieb und depressive Symptomatik sowie organisch-psychische Störung mit affektiven, ängstlichen, wahnhaften und kognitiven Auffälligkeiten. Demenz liegt nicht vor, ebenso wenig wie eine schizo-affektive Störung und eine Persönlichkeitsstörung. Als zusammenfassende Diagnose besteht deshalb eine organisch psychische Störung mit affektiven, ängstlichen, wahnhaften und kognitiven Auffälligkeiten bei Nagel-Patella-Syndrom. Daraus folgt eine Notwendigkeit der Behandlung, welche die organisch bedingte psychische Störung nicht beseitigen, aber in den Auffälligkeiten reduzieren kann. Die Depression ist mit einer Reduktion der psychosozialen Belastungsfaktoren sowie medikamentös mit einem niedrig dosierten Antidepressivum zu therapieren. Der Gebrauch des Schlafmittels Zolpidem ist zu reduzieren, einer im Laufe der Zeit zu prognostizierenden Pflegebedürftigkeit sowie einer – aktuell in gleicher Weise nicht vorhandenen – Demenz ist entgegenzuwirken, der Alltagskontext ist zu strukturieren. In Anbetracht der bisherigen Behandlungen ist daher eine Maßnahmen-Verstärkung hinsichtlich des sozialen Bereiches auszubauen. Insoweit ist zwar eine stationäre Reha-Maßnahme sinnvoll, jedoch ist diese nicht erforderlich, weil ambulante Maßnahmen derzeit ausreichend sind. Andererseits können die Messie-Defizite des Klägers in einer stationären Maßnahme soziotherapeutisch nicht ausreichend therapiert werden. Dieser medizinischen Gesamteinschätzung der bestehenden Erkrankungen, ihrer Behandlungsbedürftigkeit sowie der Erforderlichkeit der therapeutischen Maßnahmen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. schließt sich der Senat an, weil diese überzeugend sind. Denn Dr. B. weist als Zentralkompetenzen auf für die wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers. Der Sachverständige hat die gesamte medizinisch relevante Dokumentation erfasst sowie gewürdigt und ist nach persönlicher Untersuchung des Klägers zu schlüssigen Diagnosen, Einschätzungen der Behandlungsbedürftigkeit und -notwendigkeit sowie zu einer schlüssigen Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit gelangt. Dieser in sich widerspruchsfreien, überzeugenden Gesamteinschätzung schließt sich das Gericht an.
b) Diese Einschätzung wird darüber hinaus bekräftigt durch den zeitnahen Entlassungsbericht des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin L-Stadt zur stationären Behandlung vom 06. – 16.08.2016. Namentlich ist dort als primäre Medikation die Behandlung mit dem Antidepressivum Mirtazapin in der niedrigen Dosis von 7,5 mg nur abends benannt sowie als weitere Therapiemaßnahmen die Fortsetzung der ambulant-psychiatrischen Therapie, der aufsuchenden Fachpflege und des aufsuchenden Sozialdienstes.
c) Die weitergehenden Erkrankungen des Klägers der Augen, auf internistischem Gebiet sowie der Speichenbruch fallen nach den Befunden und den ärztlichen Behandlungsberichten nicht zusätzlich so ins Gewicht, dass sie an der dargestellten Einschätzung etwas Wesentliches ändern würden. Der Speichenbruch hat einen adäquaten Heilverlauf genommen, in der mündlichen Verhandlung war der Kläger nicht mehr mit einer Gipsschiene versorgt. Zudem hat auch der Sachverständige Dr. B. keine Veranlassung für einen Hinweis gesehen, die Notwendigkeit der strittigen Maßnahme lasse sich nur durch weitere sachverständige Beurteilung auf einem anderen Fachgebiete einschätzen.
Damit ist wegen des Hinreichens von ambulanten Maßnahmen und der fehlenden Erforderlichkeit einer stationären, psychiatrischen Maßnahme der Rehabilitation der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


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