Sozialrecht

Kein Ausschluss des Betreuungsgeldes für vor dem 01.08.2012 geborene Kinder

Aktenzeichen  S 46 EG 109/16 BG

Datum:
23.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5747
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayBtGG Art. 1 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2
SGB X § 37 Abs. 2

 

Leitsatz

Das Bayerische Betreuungsgeldgesetz (BayBtGG) enthält keinen Leistungsausschluss für Kinder, die vor dem 01.08.2012 geboren sind. § 27 Abs. 3 BEEG ist weder direkt noch entsprechend anwendbar. Damit können Eltern für Kinder, die vor dem 01.08.2012 geboren sind, für Leistungszeiträume ab 01.01.2015 (Inkrafttreten des BAyBtGG) Betreuungsgeld erhalten. (Rn. 14 – 19)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2016 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2015 bis 03.04.2015 Betreuung Geld zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Berufung zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch überwiegend begründet, weil die Klägerin einen Anspruch auf Betreuungsgeld für die Zeit von 01.01.2015 bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats von L., also bis 03.04.2015 hat. Es gibt keinen Leistungsausschluss für vor dem 01.08.2012 geborene Kinder.
1. Streitgegenstand dieser Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG ist der Anspruch der Klägerin auf Bayerisches Betreuungsgeld nach BayBtGG für den 33. bis 36. Lebensmonat ihrer Tochter L.
Für die versäumte Klagefrist ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Die Klagefrist beträgt nach § 87 SGG einen Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. Der Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 wurde laut Aufgabevermerk am selben Tag als einfacher Brief zur Post gegeben. Er gilt gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag danach, also am 21.10.2016 als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid enthielt eine dem Gesetz entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung:zur schriftlichen Klage binnen eines Monats ab Bekanntgabe.
Die Klage wurde erst am Montag, den 10.04.2017 erhoben, nachdem das Gericht die Klägerin am 08.03.2017 (Zustelldatum der zugehörigen Postzustellungsurkunde) auf das Problem bei der Klageerhebung aufmerksam gemacht hatte. Weil die Klägerin infolge der Klageeingangsbestätigung vom 31.10.2016 davon ausgehen durfte, bereits fristgerecht Klage erhoben zu haben, war sie schuldlos gehindert, die Klagefrist einzuhalten. Die nachfolgende Klageerhebung am Montag, den 10.04.2017, erfolgte unter Berücksichtigung der Montagsregelung des § 64 Abs. 2 SGG fristgerecht binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (Zugang des Hinweisschreibens des Gerichts). Wegen Nachholung der versäumten Rechtshandlung war ein gesonderter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 2 S. 3 und 4 SGG nicht mehr nötig.
2. Die Klägerin erfüllt in der Zeit von 01.01.2015 bis 03.04.2015 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Bayerisches Betreuungsgeld.
a) Die Klägerin erfüllt die Grundvoraussetzungen nach Art. 1 Abs. 1 BayBtGG. Sie hatte ihre Hauptwohnung im Freistaat Bayern, lebte mit ihrer Tochter in einem Haushallt, betreute und erzog dieses Kind selbst und nahm keinen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege in Anspruch. Es besteht kein Anlass, an den nach Ablauf des Bewilligungszeitraums im Leistungsantrag vom 01.07.2016 gemachten Angaben der Klägerin zu zweifeln. Die Voraussetzung der Durchführung der altersentsprechenden Früherkennungsuntersuchung für Kinder nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 4 BayBtGG ist gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayBtGG wegen Anspruchsbeginn vor dem 22.06.2016 nicht relevant. Ein Leistungsausschluss nach Art. 9 Abs. 2 BayBtGG besteht nicht, weil die Klägerin kein Bundesbetreuungsgeld bezogen hat.
b) Der Leistungsantrag wurde am 01.07.2016 gemäß Art. 5 Abs. 1 BayBtGG schriftlich gestellt. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayBtGg hätte der Antrag nur für die drei Monate vor dem Beginn des Antragsmonats Rückwirkung; diese Regelung ist gemäß Art. 9 Abs. 1 HS. 2 BayBtGG nicht anwendbar, wenn der Antrag bis spätestens 22.09.2016 gestellt wurde. Der Antrag hat also Rückwirkung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.2015 nach Art. 10 Satz 1 BayBtGG.
c) Ein Leistungsausschluss für Kinder, die vor dem 01.08.2012 geboren sind, besteht für Bayerisches Betreuungsgeld nicht (ebenso Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 28.03.2017, S 5 EG 40/16 BG, nicht veröffentlicht).
Das BayBtGG trat zum 01.01.2015 in Kraft. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts bestehen dann auch ab 01.01.2015 Leistungsansprüche, weil nach dem Leistungsfallprinzip die anspruchsbegründenden Ereignisse (Betreuung des eigenen Kindes usw., vgl. § 40 Abs. 1 SGB I) und nach dem Geltungszeitraumprinzip auch die Rechtsfolgen (Leistungsgewährung) in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts fallen (vgl. zu den beiden Prinzipien BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, Juris Rn. 37 und 38).
Eine Abweichung von diesen Grundsätzen müsste durch Gesetz festgelegt sein. Die Verwaltungsrichtlinie, auf die sich der Beklagte beruft, kann das als bloße interne Verwaltungsanweisung nicht leisten. Eine gesetzliche Regelung besteht aber nicht. Das BayBtGG enthält kein derartige Regelung und § 27 Abs. 3 Satz 1 BEEG ist auf das Bayerische Betreuungsgeld weder direkt noch entsprechend anwendbar.
Für das Bundesbetreuungsgeld gab es in § 27 Abs. 3 Satz 1 BEEG folgende Übergangsvorschrift: „Betreuungsgeld wird nicht für vor dem 01.08.2012 geborene Kinder bezahlt.“ Mit dieser Regelung sollte erreicht werden, dass Betreuungsgeld im ersten Jahr nach dessen Einführung nur für Kinder, die sich im zweiten Lebensjahr befinden, bezahlt wird (BT-Drs. 17/11404, S. 15). Dieses Ziel, Betreuungsgeld erst nach dem Bezug von Elterngeld zu gewähren, wird durch Art. 2 Abs. 3 BayBtGG (Betreuungsgeld grundsätzlich erst ab dem 15. Lebensmonat) gewährleistet, der aber keinen Geburtsstichtag enthält.
Das BayBtGG enthält weder eine eigenständige derartige Regelung noch einen Verweis auf § 27 Abs. 3 BEEG. Es wäre allein Sache des Bayerischen Gesetzgebers gewesen, eine derartige Regelung zu treffen. Damit bleibt es bei der Anwendung des BayBtGG ab dem 01.01.2015 ohne einen Leistungsausschluss für Geburten vor dem 01.08.2012.
d) Die Klägerin hat ab dem 01.01.2015 bis 03.04.2015 Anspruch auf Betreuungsgeld in Höhe von 150,- Euro pro Monat, Art. 2 Abs. 1 BayBtGG. Für den Teil des 33. Lebensmonats vom 01.01.2015 bis 03.01.2015 sind drei Dreißigstel der Monatsleistung zu erbringen.
3. Die Klageabweisung bezieht sich auf die Zeit vom 04.12.2014 bis 31.12.2014, die zum 33. Lebensmonat gehört, in der aber das BayBtGG noch nicht in Kraft war.
Die Klageabweisung bezieht sich auch auf die von der Klägerin geforderten Zinsen, weil über einen eventuellen Zinsanspruch zunächst ein Verwaltungsakt nach § 44 SGB I zu ergehen hat. Aufgabe des Gerichts ist es, Verwaltungsakte der Behörde auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht aber, Verwaltungsakte anstelle der Behörde zu erlassen. Diese Aufgabenteilung ergibt sich aus der Gewaltenteilung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Die Berufung wurde – entsprechend des Antrags des Beklagten – wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. In dieser Kammer sind mehrere derartige Klagen anhängig und wohl auch an anderen Sozialgerichten.


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