Sozialrecht

Keine Kostenübernahme für eine Gleitsichtbrille aus dem Vermittlungsbudget

Aktenzeichen  S 22 AS 723/15

Datum:
30.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 16 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
SGB III SGB III § 44

 

Leitsatz

Eine Förderung der Kosten für eine Gleitsichtbrille durch das Jobcenter aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB II i.V.m. § 44 SGB III kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine „normale Gleitsichtbrille“ vorrangig dem Rechtskreis der gesetzlichen Krankenversicherung zuzurechnen ist. (Rn. 21 und 23)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 13.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2014, mit dem der Antrag des Klägers auf Förderung einer Gleitsichtbrille aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 SGB II i.V.m. § 44 SGB III abgelehnt wurde. Die begehrten Leistungen aus dem Vermittlungsbudget sind ein eigener Streitgegenstand (vgl. so wohl auch LSG Nordrhein-Westfalen, L 2 AS 407/14), zumal mit dem angegriffenen Bescheid ausschließlich über eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget entschieden worden ist. Die Leistungsbewilligung für den Antragsmonat Januar 2014 vom 29.01.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 05.03.2014 ist ohnehin bestandskräftig.
Der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung war nicht gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen, weil aufgrund des vorliegenden Streitgegenstandes ausdrücklich eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget der Bundesagentur für Arbeit begehrt wird, zu deren Leistung der Krankenversicherungsträger wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gar nicht verurteilt werden könnte (LSG Nordrhein-Westfalen, L 2 AS 407/14 – juris-Rn. 18).
An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Zweifel. Insbesondere ist die Klage auf Verpflichtung zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides gerichtet und somit als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsverbescheidungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 20b). Leistungen aus dem Vermittlungsbudget stellen Ermessensleistungen dar (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Die Klage ist nicht begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Förderantrag vom 21.01.2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet.
Rechtsgrundlage für eine Bewilligung von Leistungen aus dem Vermittlungsbudget ist § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB II i.V.m. § 44 SGB III. Danach können erwerbsfähige Empfänger von Leistungen nach dem SGB II bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn die Eingliederungsaussichten dadurch deutlich verbessert werden und ohne sie der gleich Erfolg wahrscheinlich nicht eintreten würde. Die Förderung aus dem Vermittlungsbudget darf die anderen gesetzlichen Leistungen nach dem SGB II und SGB III nicht aufstocken, ersetzen oder umgehen (§ 16 Abs. 2 Satz 2 SGB II, § 44 Abs. 3 SGB III). Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger vorrangig in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist (§§ 5 Abs. 1 Satz 1, 12a Satz 1, 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, 44 Abs. 3 Satz 3 SGB III).
Eine Förderung der begehrten Kosten für eine Gleitsichtbrille aus dem Vermittlungsbudget kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil eine „normale Gleitsichtbrille“ vorrangig dem Rechtskreis der gesetzlichen Krankenversicherung zuzurechnen ist.
Die Kosten einer Krankenbehandlung sind bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V, oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach dem SGB II abgedeckt (BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R). Durch die Versicherung von Leistungsempfängern in der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich grundsätzlich nicht gegen das Jobcenter, sondern gegen die Krankenkasse ein Anspruch auf Krankenbehandlung, der auch die Versorgung mit notwendigen Hilfsmitteln wie Sehhilfen umfasst (§ 27 SGB V). In § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen volljährige Versicherte gegen ihre gesetzliche Krankenkasse einen Anspruch auf die Versorgung mit Sehhilfen haben. Der Gesetzgeber gesteht zwar nur denjenigen Versicherten die Versorgung mit einer Sehhilfe zu, die auf beiden Augen an einer schweren Sehbeeinträchtigung leiden. Hintergrund dieses teilweisen Leistungsausschlusses war die Erwägung, dass die Versicherten – obgleich ein durchschnittlicher Betrag von rund 50 € eine medizinisch notwendige Versorgung mit einer Sehhilfe finanziell vollständig abdecke – im Durchschnitt bereit seien, darüber hinaus ca. 150 € für medizinisch nicht notwendige Leistungen (z.B. Entspiegelung und/oder Tönung der Gläser) auszugeben und damit aus nicht medizinischen Gründen schätzungsweise 70 bis 80% der Gesamtkosten einer Sehhilfenversorgung selbst trügen. Der Gesetzgeber ging deshalb davon aus, dass die Leistungsausgrenzung erwachsene Versicherte grundsätzlich finanziell nicht überfordere (BT-Drucks 15/1525 S. 85). Er hält es ausdrücklich für zumutbar, dass auch Empfänger von Leistungen nach dem SGB II die Kosten für Brillen (jedenfalls bis zur Belastungsgrenze) grundsätzlich aus dem Regelbedarf selbst bestreiten müssen (BT-Drs. 17/1465, Seite 8 f., vgl. auch BayLSG, Beschluss vom 29.11.2011, L 11 AS 888/11 B). Anderenfalls würden sie im Vergleich zu den anderen gesetzlich Versicherten bessergestellt. Das Bundessozialgericht hält den weitest gehenden Leistungsausschluss für Sehhilfen im SGB V trotz der dazu in der wissenschaftlichen Literatur vorgebrachten Bedenken (vgl. Wrase, GuP 2014, 58) auch noch für verfassungskonform (BSG, Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 21/15 R).
Da es sich bei der vom Kläger begehrten Brille nach der vorgelegten augenärztlichen Brillenverordnung um eine „normale“ (regelmäßig weit überwiegend im Alltag benötigte) Gleitsichtbrille – und gerade nicht um eine spezielle Arbeitsplatz- oder Bildschirmbrille – handelt, ist die begehrte Versorgung vorrangig dem Rechtskreis des SGB V zuzurechnen. Die Kostenerstattung für eine Arbeitsplatz- oder Bildschirmbrille hat der Kläger auch gar nicht beantragt.
Ob der Kläger dem in § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V geregelten, vom Bundessozialgericht noch für verfassungskonform angesehenen Leistungsausschluss unterliegt, ist nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens und wäre ggf. in einem gesondert gegen die gesetzliche Krankenkasse anzustrengenden Verfahren zu klären. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe des SGB II, für Bezieher von Arbeitslosengeld II den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern.
Damit sind schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget nicht erfüllt, so dass es auf das Vorliegen möglicher Ermessensfehler (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) nicht mehr ankam. Der Kläger muss die Anschaffung der Gleitsichtbrille aus dem Regelbedarf bestreiten.
Bei fehlenden finanziellen Mitteln kann der Beklagte ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II gewähren. Der Kläger hat dies jedoch trotz ausdrücklichen Hinweises des Beklagten sowohl im Ausgangs-, als auch im Widerspruchsbescheid bis zuletzt nicht beantragt, so dass hierüber vom Gericht nicht zu entscheiden war.
Im Ergebnis konnte die Klage somit keinen Erfolg haben und war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Da die Klage im Ergebnis erfolglos blieb, hat der Beklagte keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung war nach § 144 SGG nicht zuzulassen. Unter Berücksichtigung des günstigsten vorgelegten Angebotes für die Anschaffung der Gleitsichtbrille war die Berufungssumme nicht erreicht.


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