Aktenzeichen L 11 AS 601/17 NZB
Leitsatz
Keine Zulassung der Berufung mangels Vorliegens von Zulassungsgründen.
Verfahrensgang
S 10 AS 5/17 2017-07-18 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.07.2017 – S 10 AS 5/17 – wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Minderung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.11.2016 bis 31.01.2017 in Höhe von 121,20 € monatlich.
Der Kläger bezog Alg II zuletzt aufgrund des Bescheides vom 02.03.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.04.2016, 24.08.2016, 07.09.2016 und 23.09.2016 für die Zeit vom 01.03.2016 bis 28.02.2017. Zu einer im August 2016 aufgenommenen Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma ist der Kläger ab 24.08.2016 nicht mehr erschienen; der Arbeitgeber kündigte am 26.08.2016 daher fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31.08.2016. Nach Befragung des Arbeitgebers und Anhörung des Klägers stellte der Beklagte mit Bescheid vom 19.10.2016 den Eintritt einer Minderung um 30 vom Hundert des maßgebenden Regelbedarfes (121,20 € monatlich) für die Zeit vom 01.11.2016 bis 31.01.2017 wegen des Herbeiführens der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Nichterscheinen fest und hob (allein) den Bescheid vom 02.03.2016 insoweit auf.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch hin hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2016 die Bewilligungsbescheide vom 02.03.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.04.2016, 24.08.2016, 07.09.2016 und 23.09.2016 auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Eine Kündigung habe nicht vorgelegen, der Beklagte verstoße gegen § 226 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.07.2017 abgewiesen. Der Kläger habe durch sein Nichterscheinen zur Arbeit das Arbeitsverhältnis gelöst; darauf, wer gekündigt habe, komme es nicht an. Eine mangelnde Förderung der Arbeitsaufnahme durch den Beklagten stelle ebenso wenig einen wichtigen Grund für das Lösen des Beschäftigungsverhältnisses dar, wie die Tatsache, dass es sich beim Arbeitgeber um eine Zeitarbeitsfirma gehandelt habe. Zudem sei dem Kläger vom Arbeitgeber ein Vorschuss angeboten worden und es wären nur geringe Fahrtkosten zur Arbeit entstanden. Darlehensweise Leistungen des Beklagten lehne der Kläger ab. Eine Schikane des Beklagten gemäß § 226 BGB sei nicht zu erkennen. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Minderung bestünden nicht. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Eine Förderung des Arbeitsverhältnisses sei vom Beklagten abgelehnt worden. Gründe für eine Sanktion lägen nicht vor. Die Ausübung einer Tätigkeit ohne finanzielle Rücklagen sei unzumutbar. Ein Vorschuss hätte nur den Weg zur Arbeit abgesichert, nicht aber das Überleben. Eine Darlehensgewährung sei nicht angesprochen worden. Es bestehe die Besorgnis der Befangenheit gegenüber einem ehrenamtlichen Richter, der sich in der mündlichen Verhandlung durch ein Abzeichen als Vertreter der Arbeitgeberseite zu erkennen gegeben habe, und gegenüber dem Vorsitzenden des SG, da das Urteil schon bei Beginn der Verhandlung festgestanden habe. Ein Schriftsatz des Beklagten sei erst nach der mündlichen Verhandlung an ihn übersandt worden. Dazu hat der Kläger ein Schreiben des Beklagten vom 10.07.2017 in dem Verfahren S 10 AS 252/17 vorgelegt. Der Beklagte müsse Falschbehauptungen unterlassen. Wegen der Verschwendung von Steuergeldern habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12.Aufl, § 144 RdNr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4).
Eine grundsätzliche Bedeutung ist vorliegend nicht gegeben. Die grundsätzliche Rechtsfrage, ob neben einer Minderung eine entsprechende Aufhebungsentscheidung bezüglich einer vorangegangener Leistungsbewilligung erforderlich ist, ist zum einen bereits geklärt (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R -; vgl. dazu auch Beschluss des Senates vom 27.10.2015 – L 11 AS 561/15 NZB – veröffentlicht in juris). Zum anderen ist die weitere grundsätzliche Rechtsfrage, ob eine Verböserung der Ausgangsentscheidung (hier: Bescheid vom 19.10.2016) durch den Widerspruchsbescheid (hier: Satz 1 des Verfügungssatzes des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2016) erfolgen kann, ebenfalls bereits durch die Rechtsprechung des BSG entschieden (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 22.08.1987 – 7 RAr 46/84 – veröffentlicht in juris). Das Vorbringen des Klägers, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, da es sich um eine Verschwendung von Steuergeldern und einen mutmaßlichen Betrug handle, kann allenfalls ein allgemeines Interesse begründen, stellt jedoch keine entsprechende Rechtsfrage dar.
Das SG weicht auch nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Dabei ist nicht zu prüfen, ob das SG das materielle Recht und somit auch die Vorschriften zur Anhörung und die Rechtsprechung zur Verböserung im Widerspruchsverfahren (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 85 Rn. 5) sowie zur Aufhebung bereits bewilligter Leistungen (auch für die Vergangenheit mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2016) zutreffend angewandt hat; vielmehr ist lediglich zu prüfen, ob das SG in Abweichung der Rechtsprechung der Obergerichte einen Rechtssatz aufgestellt hat, der von deren Rechtsprechung abweicht. Dies ist hier nicht zu erkennen. Eine von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz stellt das SG insbesondere nicht dadurch auf, dass es die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung im Rahmen des Widerspruchsbescheides nicht prüft, weil es vom Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ausgeht.
Der Kläger macht allerdings Verfahrensfehler des SG geltend. Zum einen führt er die Besorgnis der Befangenheit bezüglich eines ehrenamtlichen Richters an, der ein Abzeichen getragen habe, das ihn als Vertreter der Arbeitgeberseite ausweise. Zum anderen macht er die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden des SG geltend, weil der Ausgang des Verfahrens von Beginn an festgestanden habe. Zudem sei ihm ein Schriftsatz des Beklagten erst nach der mündlichen Verhandlung zugegangen. Dieses Vorbringen greift jedoch nicht durch. Zum einen gehört gemäß § 12 Abs. 2 SGG unter anderem in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende je ein ehrenamtlicher Richter dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber an. Eine Befangenheit ist daher im Tragen eines entsprechenden Abzeichens nicht zu erkennen. Ein Mangel der Besetzung scheidet daher aus. Zudem und entscheidend ist jedoch, dass der Kläger diesen Mangel ebenso wie die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden des SG nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG rechtzeitig gerügt hat. Vielmehr hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung trotz der Kenntnis der seiner Meinung nach bestehenden Mängel – er hat das Abzeichen des ehrenamtlichen Richters gesehen und ging von einer von Anfang an feststehenden Entscheidung des SG aus – einen Klageantrag gestellt, ohne den Ablehnungsgrund geltend zu machen. Somit hat er sich weiter auf eine Verhandlung eingelassen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt a.a.O. § 144 Rn. 33a, Keller ebenda § 60 Rn. 11a ff.; § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 43 Zivilprozessordnung -ZPO-). Der vom Kläger angesprochene, zu spät übersandte Schriftsatz des Beklagten vom 10.07.2017 bezog sich auf einen anderen Rechtsstreit und erlangt daher vorliegend keine Bedeutung.
Weitere Verfahrensfehler (wie z. B. fehlende Urteilsgründe hinsichtlich der Zulässigkeit einer Verböserung und der Aufhebung der Leistungsbewilligung eventuell für die Vergangenheit mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2016) hat der Kläger weder geltend gemacht noch liegen sie tatsächlich vor. Das Urteil des SG enthält diesbezüglich hinsichtlich der Entscheidungsgründe (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG) zwar Lücken (vgl. Keller a.a.O. § 136 Rn. 7g), macht jedoch Ausführungen zum wesentlichen Vorbringen des Klägers.
Nach alledem war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).