Sozialrecht

Persönliche Entgeltpunkte – Kindererziehungszeiten

Aktenzeichen  L 19 R 436/15

Datum:
26.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110491
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 249 Abs. 1, § 294, § 294a, § 307d Abs. 1
SGB X § 44

 

Leitsatz

Zur Verfassungsmäßigkeit von § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 R 124/15 2015-05-18 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 18.05.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144,151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente hat.
Zu Recht hat das Sozialgericht Würzburg den Klageantrag, soweit er auf Zuerkennung von Kindererziehungszeiten für das erste Lebensjahr des Kindes C. gerichtet war, als unzulässig angesehen. Über die Ablehnung dieser Zeiten war bereits bestandskräftig mit Bescheid vom 20.05.1988 entschieden gewesen; der angefochtene Bescheid vom 30.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2015 hatte darüber nicht erneut entschieden, sondern nur die entsprechenden Fakten übernommen.
Daran hat sich auch nichts durch das zwischenzeitliche Verfahren nach § 44 SGB X geändert. Der Bescheid vom 06.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2016 ist nicht über § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens bzw. Berufungsverfahrens geworden, weil er den angefochtenen Bescheid weder abändert noch ersetzt. Er ist somit seinerseits bestandskräftig geworden.
Zutreffend ist die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen worden, da der Bescheid vom 30.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2015 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, nachdem sie keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für die Kindererziehung ihres Sohnes C. nach § 307 d SGB VI hat.
§ 307 d Abs. 1 SGB VI gilt für Fälle, in denen am 30.06.2014 Anspruch auf eine Rente bestand. Nach dieser Vorschrift wird in der Rente ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind dann berücksichtigt, wenn 1. in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde und 2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a SGB VI besteht. Dabei beträgt der Zuschlag für jedes Kind nach dieser Vorschrift zu berücksichtigende Kind einen persönlichen Entgeltpunkt (§ 307 d Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
Die Klägerin bezog am 30.06.2014 eine Altersrente. In dieser Rente wurden für zwei Kinder (M. und P.) Kindererziehungszeiten für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet. Nachdem auch §§ 294 und 294 a SGB VI nicht einschlägig waren, wurde in dem angefochtenen Bescheid für diese beiden Kinder je ein persönlicher Entgeltpunkt als Zuschlag nach § 307 d SGB VI zuerkannt.
Für den am 07.04.1950 geborenen Sohn C. war im Rentenbescheid keine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Geburtsmonats – und auch sonst keine – berücksichtigt worden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 307 d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI kann somit in der Rente der Klägerin ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für dieses Kind nicht berücksichtigt werden.
Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung von Gesetzesvorschriften, die ausschließlich Vergünstigungen ohne unmittelbare Beitragsleistungen zum Gegenstand haben, einen weiten, für die Gerichte regelmäßig nicht überprüfbaren, Gestaltungsspielraum (vgl. z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 09.11.2011, Az. 1 BvR 1853/11 – nach juris). Dieser Spielraum erweitert sich zusätzlich noch deshalb, weil der Gesetzgeber bei der Gestaltung der erweiterten Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten ausnahmsweise diese Vergünstigung nicht nur mit Wirkung für zukünftige Rentenbezieher eingeführt hat, sondern auch die sog. Bestandsrenten an dieser Vergünstigung teilhaben lässt. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung an die Stelle einer umfassenden Einzelfallprüfung zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit eine vergröbernde und pauschalierende Regelung gesetzt wird. Dies gilt jedenfalls solange die Regelung sinnvoll und nachvollziehbar erscheint. Schon die erstinstanzliche Entscheidung hat auf die Motive des Gesetzgebers hingewiesen und hierzu aus der BR-Drs. 25/14 (S.11 und 21) zitiert. Unmittelbare Ausführungen enthält die BT-Drs. 18/909, S. 24, auf die auch das Sozialgericht Berlin in einem ähnlich gelagerten Fall Bezug nimmt (Urt. v. 29.06.2015, Az. S 17 R 473/15 – nach juris). Aus alledem ist zu entnehmen, dass das Anknüpfen des Entgeltpunktezuschlags an das Vorliegen einer anerkannten Kindererziehungszeit für den 12. Lebensmonat des Kindes ein einfach handhabbares und sinnvolles Kriterium darstellt, das in der überwiegenden Anzahl der Fälle zum vollständig zutreffenden Ergebnis führt. Dass eine solche Pauschalregelung in einigen besonders gelagerten Fällen zu einer Härte im Einzelfall führt, ist dabei regelmäßig hinzunehmen.
Die gesetzliche Regelung genügt aus Sicht des Senats den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere auch hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 12.11.1996, Az. 1 BvL 4/88 – nach juris). Demzufolge kann die Klägerin die sie negativ treffenden Auswirkungen der zulässigen Pauschalierung im Rahmen des § 307 d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht erfolgreich beanstanden.
Der angefochtene Bescheid ist auch nicht etwa deshalb fehlerhaft, weil er für die Zeit vom Zuzug der Klägerin mit dem Kind C. im Juni 1951 bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes (d.h. bis zum Ablauf von 24 Kalendermonaten nach Vollendung des Monats der Geburt) keine Kindererziehungszeit nach § 249 Abs. 1 SGB VI in der ab 01.07.2014 geltenden Fassung zuerkennt. Zwar wären die materiellen Voraussetzungen dieser Vorschrift in der Zeit vom 10.06.1951 bis 30.04.1952 erfüllt, nachdem die Sperrwirkung des § 249 Abs. 8 SGB VI im Fall der Klägerin für das Kind C. nicht zum Tragen gekommen ist. Eine Neufeststellung der Rente der Klägerin in diesem Sinne scheitert jedoch an § 306 Abs. 1 SGB VI, der festlegt, dass für Renten, die zum Zeitpunkt einer Rechtsänderung bereits bestanden haben, eine Neufeststellung der Rente aus Anlass der Rechtsänderung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Eine Ausnahme müsste in den folgenden Vorschriften, §§ 307 – 310 SGB VI, ausdrücklich vorgesehen sein. Hier ist aber lediglich die Regelung des § 307 d SGB VI mit ihren speziellen Bedingungen auf diese Thematik anwendbar, die – wie dargestellt – jedoch gerade nicht den von der Klägerin gewünschten Neufeststellungsumfang mit sich bringt.
Die Frage, ob Zeiten der Erziehung eines Kindes – mit zumindest einem deutschen Elternteil – für die Zeit der Erziehung im Ausland auch im Lichte der Grundrechte und supranationalen Vereinbarungen vom deutschen Gesetzgeber zu Recht in den als Familienlastenausgleich konzipierten Vorschriften des Rentenrechts unberücksichtigt gelassen werden dürfen, ist für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Deshalb sei nur kurz ergänzend auf Folgendes hingewiesen: Das BVerfG hat seine diesbezügliche, die geltende Gesetzeslage unbeanstandet lassende Rechtsprechung mit Nichtannahmebeschluss vom 06.03.2017 bestätigt (Az. 1 BvR 2740/16 – nach juris). Dort wird maßgeblich die Einbeziehung in das nationale Sozialversicherungssystem angesehen, wobei es nicht darauf ankommen soll, ob dort eine vergleichbare Regelung wie in Deutschland existiert. Im Fall der Klägerin bestand sowohl für die Klägerin als auch den Kindesvater eine Einbeziehung in das Rentenversicherungssystem des Vereinigten Königreichs. Zeiten einer im Ausland freiwillig ausgeübten Beschäftigung lassen den Rückbezug zu einer ggf. durch Zwangsmaßnahmen verlängerten Entsendesituation entfallen.
Damit sind der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg und der angefochtene Bescheid der Beklagten nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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