Sozialrecht

Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  L 13 R 654/14 

Datum:
30.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 240 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer teilweisen bzw. vollen Erwerbsminderung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 R 218/13 2014-05-22 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 9. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Januar 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI zu.
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeiten zu verrichten.
Beim Kläger stehen die Gesundheitsstörungen auf internistischem und nervenärztlichem Fachgebiet im Vordergrund.
Bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. M. war der Kläger übergewichtig, im Übrigen aber in einem normalen Allgemeinzustand. Es zeigten sich kein Ikterus und keine Zyanose. Kraftausfälle an den oberen und unteren Extremitäten fanden sich nicht. Der Romberg- und der Unterberger-Tretversuch gelangen dem Kläger normal, ebenso der Zehen- und Hackenstand. Allein der Einbeinstand war beidseits unsicher. Die Oberflächensensibilität war ungestört, die Reflexe seitengleich lebhaft auslösbar.
Die Untersuchung von Schädel und Hals erbrachte keine Auffälligkeiten. An der Lunge zeigte sich ein normaler sonorer Klopfschall, normal atemverschiebliche Lungengrenzen und ein beidseits vesikuläres Atemgeräusch. Bei der Lungenfunktionsdiagnostik fand sich eine leichtgradige restriktive Lungenventilationsstörung, wobei die Mitarbeit des Klägers nicht optimal war. Eine signifikante Obstruktion konnte Dr. M. ausschließen. Der Puls war regelmäßig, der Blutdruck normgerecht. Im Rahmen des EKG zeigte sich ein normofrequenter Sinusrhythmus ohne Extrasystolen oder Erregungsrückbildungsstörungen. Das Belastungs-EKG musste bei 125 W wegen allgemeiner Erschöpfung des Klägers abgebrochen werden. Zu diesem Zeitpunkt war er jedoch nach den Ausführungen von Dr. M. kardial noch nicht ausbelastet. Zwar zeigten sich grenzwertige pathologische ST-Negativierungen. Angina Pectoris-typische Beschwerden wurden jedoch vom Kläger während der Belastungsuntersuchung nicht angegeben, auch im Alltag leidet er nach den Feststellungen von Dr. M. nicht unter solchen. Bei der Echokardiographie konnte eine Linksherzhypertrophie bei Pumpfunktion im unteren Normbereich ausgeschlossen werden. Am Abdomen zeigte sich kein gravierender Befund, insbesondere waren Leber und Milz nicht vergrößert und die Nierenlager klopfschmerzfrei. Allerdings erbrachte die Abdomensonographie den Nachweis einer Fettleber sowie zweier Nierenzysten. Eine dekompensierte Lebererkrankung liegt beim Kläger jedoch nicht vor, die Leberfunktion ist nicht signifikant eingeschränkt.
An den oberen Extremitäten fanden sich keine geschwollenen Gelenke, keine Rötungen oder Überwärmungen. Die linke Schulter war in allen Ebenen unauffällig beweglich. Das Abduktionsvermögen des rechten Armes war auf 90° eingeschränkt. Im Übrigen war die Beweglichkeit des rechten Armes jedoch unauffällig. Auch an den Ellenbogen- und Handgelenken war die Beweglichkeit normal. An den Händen imponierte eine endgradige Streckhemmung des rechten 5. Fingers. Im Übrigen war jedoch das Abspreizvermögen ebenso wie der Faustschluss beidseits normal möglich.
Auch an den unteren Extremitäten waren die Gelenke nicht überwärmt oder geschwollen. Bei zunächst erheblicher Gegenspannung des Klägers waren letztendlich die Kniegelenke frei beweglich. An den Hüftgelenken zeigte sich eine eingeschränkte Beweglichkeit, auch hier ist jedoch eine Gegenspannung des Klägers in Rechnung zu stellen.
Die Wirbelsäule war in ihrem obersten Abschnitt bei Drehung nach links und rechts endgradig eingeschränkt bei deutlichem Muskelhartspann der Halswirbelsäule und im Bereich beider Schultergelenke. Der Finger-Boden-Abstand betrug 30 cm.
Dr. M. hat aus diesen Befunden nachvollziehbar abgeleitet, aus internistischer Sicht seien keine derart gravierenden Gesundheitsstörungen festzustellen, dass das Leistungsvermögen des Klägers für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in quantitativer Hinsicht eingeschränkt wäre. Der Kläger war kardiopulmonal nicht dekompensiert, insoweit fanden sich keine Beinödeme, Pleuraergüsse oder ähnliche Hinweise. Der Diabetes mellitus II ist beim Kläger gut eingestellt (HbA1c-Wert von 6,2%). Dr. M. hat darüber hinaus ausgeführt, dass die erhobenen Blutwerte eher gegen einen momentan sehr übermäßigen und exzessiven Alkoholmissbrauch sprechen. Auch die Gesundheitsstörungen am Bewegungsapparat des Klägers führten nicht zu gravierenden Leistungseinschränkungen. Insbesondere war die Beweglichkeit der Hände und Finger nicht höhergradig eingeschränkt.
An dieser sozialmedizinische Beurteilung ändert sich auch nichts bei Mitberücksichtigung der Gesundheitsstörungen des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet.
Bei der Untersuchung des Klägers durch den erfahrenen Gerichtssachverständigen Dr. H. im Januar 2014 ergab die Prüfung von Kopf und Hirnnerven keinen gravierend auffälligen Befund. Eine linksseitige Hypakusis wurde vom Kläger angegeben. Der Tonus war seitengleich locker. Trophische Störungen oder Paresen fanden sich nicht. Die Muskeleigenreflexe waren untermittellebhaft seitengleich auslösbar. Sensibilität, Koordination und Diadochokinese waren ungestört. Bei der Überprüfung des Zeichens nach Lasègue demonstrierte der Kläger eine heftige Gegeninnervation ab 30°. Den Langsitz konnte er jedoch gut einnehmen. Sensormotorische Ausfälle zeigten sich nicht.
In psychischer Hinsicht war der Kläger wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert. Die Stimmung war moros, verdrießlich, ungehalten und vorwurfsvoll, im Affekt nur wenig auslenkbar bei geringer Mimik, Gestik und Psychomotorik, jedoch ausreichender Mitarbeit bei der körperlichen Untersuchung. Die technischen Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf Hirnfunktionsstörungen.
Dr. H. hat dargelegt, im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stünden Depressionen. Der Kläger müsse seinen Angaben zufolge immer wieder an seinen Sohn denken, der vor etwas mehr als zwei Jahren gestorben sei. Seitdem träume er immer wieder von Friedhöfen, fühle sich verfolgt und habe auf der Straße den Eindruck, dass jemand hinter ihm gehe, der ihm etwas antun wolle. Sein Kopf sei schwer, er sei müde, leide unter seiner Arbeitslosigkeit und dem Umstand, dass er kein Geld mehr verdiene und von dem Verdienst seiner Frau leben müsse. Dies deutet nach den Feststellungen von Dr. H. auf einen reaktiv ausgelösten Verstimmungszustand hin, welcher als Dhysthymie zu bezeichnen sei. Dr. H. hatte darauf hingewiesen, dass die psychiatrische Symptomatik vom Kläger zweifelsohne verdeutlichend dargestellt werde.
Die vom behandelnden Nervenarzt erwähnten “psychotischen Elemente” konnte Dr. H. nicht bestätigen. Auch die Angaben des Klägers über das “Verfolgtsein” und die “Bedrohungen” hat Dr. H. für den Senat nachvollziehbar als etwas verdeutlichend mit einer gewissen Vordergründigkeit wahrgenommen. Für Dr. H. nicht nachvollziehbar waren auch die Angaben des Klägers über seine Trinkmengen. Eine entsprechende vegetative Symptomatik konnte Dr. H. nicht feststellen. Auch bestand kein Fötor alkoholikus.
Zusammenfassend ist Dr. H. für den Senat überzeugend zu der mit den Vorgutachtern übereinstimmenden Einschätzung gelangt, der Kläger könne noch vollschichtig leichte Tätigkeiten verrichten. Eine ausschließliche körperliche Schonung des Klägers, wie von ihm angegeben, war für den Sachverständigen nicht plausibel. Dem stehen insbesondere auch die von Dr. H. festgestellten deutlichen Verarbeitungsspuren an den Händen des Klägers entgegen, die darauf hindeuten, dass dieser noch körperlich tätig ist. Mit dem vom Kläger gegebenen Hinweis, er sei bis zum Jahr 2009 im Reinigungsgewerbe tätig gewesen, lassen sich im Jahr 2014 festgestellte Verarbeitungsspuren an den Händen jedenfalls nicht nachvollziehbar erklären.
Die vom Kläger gegen dieses Gutachten erhobenen Einwendungen konnten den Senat nicht überzeugen. Die von der Bevollmächtigten des Klägers behaupteten Symptome einer schweren Depression konnten von Dr. H. nicht festgestellt werden. Der Umstand, der Kläger sei unmotiviert; ist ebenso wenig ein Berentungsgrund wie die Tatsache, die vom Senat als wahr unterstellt wird, dass sich der Kläger gelegentlich selbst ohrfeigt. Die behaupteten massiven Konzentrationsstörungen konnten von Dr. H. schlicht nicht festgestellt werden. Die behaupteten massiven Alkoholprobleme haben noch keinen greifbaren körperlichen Schaden hinterlassen. Sowohl von Dr. M. als auch von Dr. H. wurden im Übrigen die vom Kläger angegebenen Trinkmengen bezweifelt. Diese müssten zu einer beim Kläger nicht nachweisbaren vegetativen Symptomatik und zu deutlich schlechteren Blutwerten führen, als sie beim Kläger tatsächlich vorliegen. Ansonsten stellen die Einwendungen gegen das Gutachten im wesentlichen Behauptungen dar, die sich nicht objektivieren lassen, so etwa die Angabe, der Kläger leide unter enormen Kopfschmerzen und ständigem Grübeln, vor seinen Augen schwirrten Fliegen umher, er habe das Gefühl, Ameisen im Kopf zu haben, was ihn wahnsinnig mache, er habe keine Kraft mehr, über sich zu sprechen, jedem zu erklären, was in ihm vorgehe, und könne seine Gefühle nicht in Worte fassen.
Der von Dr. H. abweichenden Einschätzung von Dr. E. in seinem Gutachten vom 12. Mai 2015 vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Dieses Gutachten leidet schon darunter, dass es sich nicht einmal ansatzweise mit der abweichenden Leistungsbeurteilung der Vorgutachter auseinandersetzt. Angaben des Klägers etwa zu der Trinkmenge werden ohne weitere Prüfung übernommen, obwohl in den Vorgutachten hierzu deutliche und nachvollziehbare Zweifel geäußert worden sind. Die von Dr. E. behaupteten erheblichen Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten werden nicht belegt. Insoweit wird eine deutliche Verlangsamung der kognitiven Leistungsgeschwindigkeit und der Auffassungsgabe mit Minderung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses angeführt. Woraus Dr. E. diese Einschätzung ableitet, bleibt allerdings vollständig im Dunkeln. Im Übrigen stützt er sich auf Selbstbeurteilungsbögen wie das Beck-Questionaire, die eine schwere Depression belegen sollen. Diese Bögen wurden aber nicht für eine sozialmedizinische Beurteilung im Rahmen eines Rentenverfahrens entwickelt, sondern für die Diagnosefindung zum Zwecke der Behandlung eines Patienten. Für einen Rentenantragsteller besteht natürlich – anders als für einen Patienten – der Anreiz, hier möglichst gravierende Einschränkungen anzugeben, um seinem Rentenbegehren zum Erfolg zu verhelfen. Zudem sind von den Vorgutachtern nicht unerhebliche Verdeutlichungstendenzen des Klägers festgestellt worden. Damit dürfen erst recht die Ergebnisse solcher Untersuchungen nicht so kritiklos übernommen werden, wie dies Dr. E. getan hat.
Diese Einschätzung eines quantitativ unverkürzten Leistungsvermögens des Klägers wird nochmals bestätigt durch das neuerliche Gutachten von Dr. H. vom 7. Juli 2016. Hierin berichtet Kläger über eine Reduzierung des Alkoholkonsums. Es fanden sich erneut eine deutliche Beschwielung beider Daumenkuppen sowie mäßige Gebrauchsspuren im Bereich der Hohlhände und der Nägel. Auch hier setzte der Kläger wieder bei der offenen Prüfung des Zeichens nach Lasègue bereits bei 20° massiven Widerstand entgegen. Die Einnahme des Langsitzes war ihm dann aber ohne Probleme möglich. Insoweit ist erneut nicht plausibel, wenn der Kläger in seiner Stellungnahme vom 9. Oktober 2016 behauptet, er habe schon bei 20° unerträgliche Schmerzen gehabt. Zum einen gibt es keinerlei nachvollziehbaren Grund für “unerträgliche Schmerzen”. Zum anderen wäre dem Kläger dann auch die Einnahme des Langsitzes nicht möglich gewesen. Insgesamt zeigten sich bei der körperlichen Untersuchung mäßige Verdeutlichungszeichen. So war der Kläger angeblich auch nicht in der Lage, seine Finger zu spreizen. Bei Ablenkung war ihm dies jedoch kraftvoll möglich. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der erfahrene Gerichtssachverständige Dr. H. in der Lage ist, festzustellen, ob der Kläger bei Ablenkung seine Finger spreizen kann oder nicht. Nach den Feststellungen von Dr. H. war die Durchführung des Knie-Hacken-Versuchs nicht möglich, weil der Kläger nach seinen Angaben nicht in der Lage sei, seine Beine hoch zu heben. Auch in der Stellungnahme vom 9. Oktober 2016 wird behauptet, der Kläger könne dies nicht. Warum er dies nicht kann, erschließt sich dem Senat jedoch nicht. Ein nachvollziehbarer Grund hierfür ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich. Gerade angesichts des vom Kläger in vielerlei Hinsicht vor mehreren Gutachten gezeigten Verdeutlichungsverhaltens sieht sich der Senat nicht in der Lage, derartigen Behauptungen Glauben zu schenken.
In psychischer Hinsicht war der Kläger zunächst misstrauisch und zurückhaltend, im Laufe der Exploration dann aber viel lebhafter wirkend, aufgeschlossen und mit lebhafter Mimik und Gestik im Rahmen einer kleinen Diskussion über I., eine Stadt, die der Kläger einmal im Jahr besucht. Der Kläger konnte auch bei der Erwähnung eines Lottogewinns lachen. Die von Dr. E. behauptete Dumpfheit und Geistesabwesenheit des Klägers konnte Dr. H. nur in den ersten Minuten seines Gespräches feststellen. Dieser Eindruck ist aber rasch verflogen, als I. zur Sprache kam. Hier zeigte sich der Kläger sehr rasch deutlich attenter, freudig und nicht ganz ohne Stolz. Das zu Beginn der Exploration gezeigte Verhalten von Dumpfheit und Geistesabwesenheit ist damit für den Senat ebenfalls Ausdruck einer Verdeutlichung.
Die regelmäßigen stationären Aufenthalte des Klägers in der psychiatrischen Klinik in C-Stadt wurden von ihm dahingehend erklärt, er sei daran interessiert, jedes Jahr dort einzupassieren, es gehe ihm dort besser als zuhause, er habe viel Abwechslung, treffe einige Landsleute, mit denen er sich unterhalten könne. Mittlerweile habe er dort schon einige Freunde gewonnen, die auch regelmäßig kämen. Es sei immer etwas zu tun und man sei abgelenkt. Der Senat vermag angesichts solcher Äußerungen auch nicht in dem Umstand, dass der Kläger sich regelmäßig in stationäre psychiatrische Behandlung begibt, einen Berentungsgrund erkennen. Auch der Umstand, dass der Kläger ausweislich der von Dr. H. veranlassten Laboruntersuchungen seine Psychopharmaka nicht regelmäßig einnimmt, spricht nicht für einen erheblichen Leidensdruck. Die insoweit in der Stellungnahme vom 9. Oktober 2016 abgegebene Erklärung, der Kläger habe während des Ramadan versucht, sich von allem, also von Alkohol und Medikamenten, zu lösen, erscheint dem Senat schon als solche allenfalls in Bezug auf Alkohol, nicht aber auf benötigte Medikamente plausibel. Hinzu kommt aber auch, dass der Kläger gegenüber Dr. H. auf diesen Umstand nicht hingewiesen hatte, vielmehr von der abendlichen Einnahme von 100mg Quetiapin berichtet hatte, einem Medikament, das bei der Blutuntersuchung dann aber nur in einem deutlich unterhalb des therapeutischen Bereichs liegenden Umfang nachweisbar war.
Dr. H. hat auch betont, dass nachweisbare Hirnfunktionsstörungen nicht vorliegen würden. Der bloße Umstand, dass der Kläger einen schlürfenden Gang demonstriert hat, der ihn im Übrigen auch nicht von Reisen nach I. abhält, belegt entgegen der Ansicht des Klägers noch keine rentenrelevanten Hirnfunktionsstörungen.
Die von Dr. E. vorgenommene elektrokardiographische Untersuchung zusammen mit der Messung der Herzratenvariabilität hat nach den Feststellungen von Dr. H. keine größere Bedeutung bei der Diagnostik seelischer Erkrankungen. Sie erlaubt nur eine Beurteilung der Funktion des vegetativen Nervensystems. Eine eingeschränkte quantitative Leistungsfähigkeit für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts lässt sich hieraus nicht ableiten. Soweit Dr. E. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 2016 meint, diese Untersuchung sei für sich alleine nicht beweisend, vermag der Senat ihm zuzustimmen. Solange er meint, sie unterstreiche im vorliegenden Fall jedoch die Glaubhaftigkeit der Beschwerdeschilderung und die Aussagekraft der testpsychologischen Untersuchungsbefunde, vermag der Senat ihm angesichts der Ausführungen von Dr. H. zu dieser Frage nicht zu folgen.
Soweit der Kläger sich auf die Leistungsbeurteilungen seiner behandelnden Ärzte beruft, ist darauf hinzuweisen, dass diese in knappen Sätzen abgegeben worden und ohne nachvollziehbare Begründung erfolgt sind. Diese Kurzbeurteilungen können eine nach ausführlicher Begutachtung und in genauer Kenntnis der gesamten Aktenlage abgegebene Leistungsbeurteilung durch einen sozialmedizinisch erfahrenen Gerichtssachverständigen nicht entkräften. Nicht durchdringen kann der Kläger auch mit seiner These, allein aufgrund des Vorliegens bestimmter Diagnosen (z. B. Dupuy´trensche Kontraktur, Schwerhörigkeit) bestehe ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Denn entscheidend hierfür sind nicht bestimmte Diagnosen, sondern die aus festgestellten Gesundheitsstörungen resultierenden funktionellen Einschränkungen. Aus den von Sachverständigen festgestellten Gesundheitsstörungen des Klägers ergibt sich aber nicht zur Überzeugung des Senats eine Einschränkung dessen quantitativen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts.
Ein Rentenanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarkts keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihm liegen weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, durch die für ihn der Arbeitsmarkt verschlossen ist. Die von den Gerichtsachverständigen genannten qualitativen Leistungseinschränkungen, die der Senat bei seiner Prüfung zugrunde legt, sind nicht ungewöhnlich und schränken die Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht im besonderen Maße ein. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die oberen Extremitäten des Klägers keine wesentlichen Funktionsbehinderungen aufweisen.
Schließlich besteht auch keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35). Eine rentenrelevante Beschränkung der Wegstrecke wurde zwar von Dr. E. angenommen. Die hierfür gegebene Begründung konnte den Senat jedoch nicht überzeugen. Dr. E. hat eine Einschränkung der Wegefähigkeit mit einer sensormotorischen und vegetativen Polyneuropathie der Beine begründet, jedoch keine elektromyografische Untersuchung durchgeführt. Dies hat jedoch Dr. H. sowohl im Januar 2014 als auch im Juni 2016 getan. Hierbei haben sich jedoch keine Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben.
Ein Anspruch auf volle bzw. teilweise Erwerbsminderung resultiert schließlich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger auch angesichts seines fortgeschrittenen Alters möglicherweise keine realistische Chance hat, wieder tatsächlich in Arbeit zu gelangen. Für dieses Risiko hat die Beklagte nach der gesetzgeberischen Gesamtkonzeption nicht einzustehen.
Dem Kläger steht schließlich auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben auch vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte, die berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden verrichten kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung des “vergleichbaren Versicherten” ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der “bisherige Beruf”. Dieser ergibt sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit. Es ist die Berufstätigkeit zugrunde zu legen, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vor- übergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130, 164).
Der Kläger hat weder eine Berufsausbildung absolviert noch eine sonstige Qualifikation erworben. Er war stets nur in ungelernten, allenfalls einfach angelernten Berufen als Produktionsmitarbeiter und Reinigungskraft tätig. Dies ergibt sich auch aus der von der Beklagten eingeholten Arbeitgeberauskunft. Damit ist der Kläger uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Da insoweit noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr besteht, kommt die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ebenfalls nicht in Betracht.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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