Sozialrecht

Rente wegen Erwerbsminderung – Verbrauch des Antragsrechts nach § 109 SGG

Aktenzeichen  L 1 R 351/15

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17404
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43
SGG § 109

 

Leitsatz

1. Der Antrag nach § 109 SGG ist abzulehnen, wenn er nicht rechtzeitig gestellt wird. (Rn. 54 – 55)
2. Einem wiederholten Antrag nach § 109 SGG ist nach Verbrauch des Antragsrechts nur stattzugeben, wenn inzwischen weitere wesentliche Gesundheitsstörungen aufgetreten sind, die noch nicht Gegenstand der Begutachtung von Amts wegen waren. (Rn. 56)
3. Das Antragsrecht lebt auch dann nicht wieder auf, wenn das Gericht neu vorgelegte Befundberichte dem von Amts wegen bestellten Gutachter zur Prüfung neuer Gesundheitsstörungen vorlegt. (Rn. 57)

Verfahrensgang

S 12 R 347/12 2014-12-09 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 09.12.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2012 ist rechtmäßig ergangen und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger, der bereits eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bezieht, hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind angesichts der umfangreichen und aussagekräftigen Befundlage nicht angezeigt. Der Antrag nach § 109 SGG vom 17.01.2017 ist vom Kläger verspätet gestellt worden und deshalb abzulehnen. Eine neues Antragsrecht nach § 109 SGG ist danach nicht mehr entstanden.
1. Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI liegen bei dem Kläger zur Überzeugung des Senats nicht vor. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden, schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen der Gutachter Dr. P., Dr. P. und Dr. F. an, die übereinstimmend zum Ergebnis gelangt sind, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie jedenfalls als Pförtner noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann. Nicht gefolgt wird den Feststellungen des Gutachters nach § 109 Dr. S., der die Auffassung vertreten hat, der Kläger könne auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch unter sechsstündig verrichten.
Der Kläger leidet an vielfältigen orthopädischen Gesundheitsstörungen, die aber bisher nur zu einer qualitativen Leistungseinschränkung geführt haben. Eine Verschlechterung, die zu einer quantitativen Leistungseinschränkung geführt hat, hat sich auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren zuletzt vorgelegten Befunde nicht ergeben, Das steht insbesondere fest aufgrund der Feststellungen des Gerichtsgutachters im Berufungsverfahren Dr. F., der den Kläger im Juli 2016 untersucht hat. Dr. F. hat neben den bereits vorhandenen Befunden und Vorgutachten auch eigene Röntgenaufnahmen ausgewertet und auf dieser Grundlage auch zu etwaigen Veränderungen Stellung genommen. Relevante Veränderungen im Gesundheitszustand sind seitdem nicht eingetreten, was sich aus den vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen sowie den auf seinen Antrag bei den behandelnden Ärzten angeforderten Befundberichten ergibt. Soweit darin Gesundheitsstörungen aufgeführt sind, waren diese dem Gutachter entweder bereits bekannt oder sie sind ohne Auswirkung auf das bestehende Leistungsvermögen. Dies hat Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11.10.2017 für den Senat überzeugend und nachvollziehbar bestätigt.
Der Kläger war bei der Untersuchung durch Dr. F. zwar etwas schwerfällig entsprechend auch der Leibesfülle von 127 kg bei 185 cm Körpergröße. So war das Gangbild etwas schaukelnd und das Bücken und Wiederaufrichten beim Aufheben vom Boden waren etwas verlangsamt. Die Stufen zum Praxisaufgang hat er aber ohne Handlauf und Nachgang genommen, Arme und Hände sind beim Entkleiden zügig eingesetzt und über den Kopf angehoben worden. Das Ausziehen der Hose erfolgte im Stehen und der Einbeinstand wurde seitengleich sicher ausgeführt.
Bei der Untersuchung waren bei aufrechter Haltung Schulter und Becken gerade mit leichtem Schultervorfall beidseits, die Wirbelsäule bei mäßiger Kyphosierungsvermehrung der Brustwirbelsäule lotrecht, im Schulter- und Nackenbereich mäßig verspannt und in allen Abschnitten mittel- bis endgradig bewegungseingeschränkt. Bei der Körpervorneige erreichten die Fingerspitzen Schienbeinhöhe. Auch die Seitneigung der Lendenwirbelsäule war nur endgradig eingeschränkt, allerdings auch bei deutlichem Schmerzmaximum im Bereich der rechtsseitig blockierten Kreuzdarmbeinfuge und im Sinne einer funktionellen Störung sozialrechtlich unerheblich. Das Ott´sche Zeichen war mit 30 : 32 im unteren Normbereich. Das Abrollen der Wirbelsäule auf der Liege erfolgte flüssig und ohne Abstützen über die Seitenlage.
Die oberen Extremitäten waren weitgehend unauffällig und die Funktionsgriffe der Schultergelenke nur endgradig verlangsamt. Im Bereich der Halswirbelsäule hat sich eine mittelgradige Funktionseinschränkung bei Nackenkyphose gezeigt, aber ohne Hinweise auf persistierende Nervenwurzelreizzustände.
Zwar hat Dr. F. eine deutliche Daumensattelgelenksarthrose mit Minderung der groben Kraft beim Zangen- und Schlüsselgriff zwischen Daumen und Zeigefinger festgestellt. Die Handinnenmuskulatur war aber seitengleich normal ausgebildet ohne Atrophie der Daumenmuskulatur im Sinne einer fortwährenden Schonhaltung und auch die Handgelenksbeweglichkeit war seitengleich normal. Insbesondere hat sich keine Bewegungseinschränkung des rechten Zeigefingers nachweisen lassen, diesbezüglich auch kein Druckschmerz oder Schnappen beim Durchbewegen. Letztlich bestand eine komplett freie Beweglichkeit aller Fingergelenke zumindest nach „Überredung“. Schlüsselgriff, Zangengriff sowie Daumenkuppen-/Kleinfingerkuppenschluss waren – verlangsamt – möglich. Die beim Faustschluss zunächst nicht aktiv eingeschlagenen Fingergrundgelenke waren nach Aufforderung frei beweglich ohne entzündungstypische Anzeichen. Das nunmehr vom Kläger vorgelegte Attest vom 22.07.2015 stellt vor diesem Hintergrund keinen neuen Befund dar, der eine geänderte Beurteilung rechtfertigen könnte.
Im Bereich der unteren Extremitäten war neben einer leichten O-Stellung der Knieachsen beim Liegen zunächst eine ausgeprägte Varikosis der Unterschenkel feststellbar. Die Kniegelenke waren leicht verdickt, aber ohne Überwärmung oder Ergussbildung, die Kniescheiben im Gleitlager etwas eingeschränkt verschieblich. Beugung und Streckung waren aber beidseits mit 120/0/0° möglich. Dies entspricht den Feststellungen des Krankenhauses A-Stadt vom 06.02.2016, wonach die mit der Varusgonarthrose zusammenhängenden Beschwerden zu diesem Zeitpunkt bereits wieder rückläufig waren. Auch dem Attest von Dr. E. vom 10.04.2017 kann nicht entnommen werden, dass es anschließend zu einer relevanten Verschlechterung gekommen wäre.
Jedenfalls bei den gerichtlich angeordneten Untersuchungen waren untere Sprunggelenke, Fußwurzelgelenke und Zehen frei beweglich und seitengleich normal ausgebildet. Für die vom Kläger angegebenen Taubheitsgefühle der Vorderfüße (seit 10 Jahren) haben sich bei keiner Untersuchung Entsprechungen ergeben. Zwar waren Muskeleigenreflexe nicht auszulösen, das Lasègue-Zeichen, das von Dr. S. noch mit 70° positiv angegeben worden ist, war bei der Untersuchung durch Dr. F. mit 90° eindeutig und seitengleich negativ, Vorfuß- und Fersenstand seitengleich regelrecht.
Der erhobene Röntgenbefund hat hierzu korrelierend zwar eine teilüberbauende Spondylose sowie eine rechts betonte Spondylarthrose der tiefen LWS ergeben, im Vergleich zu den Voraufnahmen aber keine wirkliche Befundänderung. Die bei der Untersuchung zutage getretenen Belastungs- und Anlaufbeschwerden der tiefen Lendenwirbelsäule hat der Gutachter danach mit der Spondylarthrose bei Verstärkung durch das bestehende Übergewicht erklärt. Im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule und der Brustwirbelsäule konnten bei nahezu vollständigem Erhalt der Zwischenwirbel schwere degenerative Veränderungen nach den Feststellungen des Gutachters eindeutig ausgeschlossen werden. Radiologisch hat Dr. F. auch keinen Hinweis auf die von Dr. S. vermutete Bechterew´sche Erkrankung festgestellt, da neben entsprechenden Laborbefunden die typischen submarginalen Spondylophyten mit der nach Dihlmann beschriebenen schmalbasigen Überbauung und Ausbildung eines Bambusstabes fehlen würden. Zu Recht hat der Gutachter darauf hingewiesen, dass eine solche Erkrankung bisher auch von keinem der behandelnden Ärzte diagnostiziert worden ist. Dieser Befund korreliert mit den Befunden, auch soweit im Berufungsverfahren neue Befunde aufgrund angegebener Verschlechterung vorgelegt worden sind. Die Feststellungen decken sich aber auch mit denen der beiden Gerichtsgutachter im Verfahren vor dem Sozialgericht.
So hat Dr. P. im Bereich der Wirbelsäule, der Kniegelenke und der Hüftgelenke zwar Abnützungserscheinungen festgestellt, die aber noch zu keiner relevanten Funktionseinschränkung geführt haben. Dies gilt auch für die Einschränkungen der rechten Hand bei einer zwar schmerzhaften Kraftminderung des Daumengelenks, aber einer nur geringen Bewegungseinschränkung der Kleinfinger.
Bei der Untersuchung durch Dr. P. war die Schulter-Nacken-Muskulatur bei schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit in diesem Bereich leicht verspannt, die Beweglichkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule aber nicht schmerzhaft eingeschränkt. Auch an den Gelenken der unteren Extremitäten haben sich, abgesehen von den damals noch leicht ausgeprägten Unterschenkelödemen, keine wesentlichen Funktionseinschränkungen gezeigt. Auch die Beweglichkeit der Hand- und Fingergelenke war bei angegebenem Bewegungsschmerz des rechten Handgelenks nicht wesentlich eingeschränkt.
Nicht nachvollziehbar sind vor diesem Hintergrund die Feststellungen von Dr. S. hinsichtlich einer deutlichen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, zumal auch er entsprechende Einschränkungen nur im Bereich der Halswirbelsäule dokumentiert hat. Eine Erklärung dafür, womit er bei fehlender Diagnose den Verdacht eines Morbus Bechterew begründet, bleibt der Gutachter schuldig. Die Angaben hinsichtlich einer „massiven Störung der Grundfunktionen der rechten Hand bei chronischem Schmerzsyndrom“, die nach seinen Angaben mutmaßlich auf eine Nervenverletzung während der Operation zurückzuführen sei, stehen in Widerspruch zu den Feststellungen aller anderen Gutachter, die zwar nachvollziehbar (und übereinstimmend) eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks festgestellt haben, aber bei nur leicht eingeschränkter Funktionsfähigkeit der Kleinfinger gerade keine Einschränkung der Grundfunktionen. Vor allem bleibt Dr. S. auch jegliche Angaben dazu schuldig, inwiefern hieraus nicht nur ein qualitativ, sondern auch ein quantitativ wesentlich eingeschränktes Leistungsvermögen resultierten sollte.
Eine leistungsrelevante Verschlechterung ergibt sich auch nicht aus den nachträglich vorgelegten Befunden. Dr. E. hat am 23.11.2016 eine weiterhin nur geringe Verschmälerung der Zwischenwirbelgelenke der unteren Lendenwirbelsäule beschrieben. Bei der chronischen Lumbago, Gonarthrose und Rizarthrose links handelt es sich um bekannte Beeinträchtigungen, die zuletzt auch von Dr. F. beschrieben worden sind. Die im radiologischen Befundbericht der Radiologie A-Stadt vom 21.08.2017 erstmals beschriebene mäßige Coxarthrose hat derzeit nur eine endgradige Beugeeinschränkung sowie eine mittelgradige Einschränkung der Rotationsfähigkeit zur Folge, wie Dr. E. im Befundbericht vom 11.09.2017 selbst festgehalten hat. Die darin mitgeteilten Bewegungseinschränkungen entsprechen auch nach den Feststellungen von Dr. F. weiterhin nur einer mäßigen Coxarthrose, die einer leichten körperlichen Tätigkeit in wechselnder Körperausgangslage nicht entgegensteht. Dr. F. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme auch ausführlich dargelegt, unter welchen Voraussetzungen, die vorliegend noch nicht erfüllt sind, ein Absinken des zeitlichen Leistungsvermögens möglich wäre. Allerdings wären auch in diesem Fall vorrangig operative Behandlungsmöglichkeiten zu prüfen. Auch
Dr. E. hat zahlreiche therapeutische Behandlungsmöglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind, beschrieben.
Die Venenbeschwerden sind seit Jahren bekannt. Die bereits von Dr. F. festgestellte ausgeprägte Varikosis ist inzwischen im Januar 2017 in der C. S-Klinik A. erfolgreich operiert worden. Dem Kläger ist nur vorübergehend das Tragen von Kompressionsstrümpfen empfohlen worden. Anhaltspunkte für verbleibende Einschränkungen sind weder vorgetragen noch erkennbar. Nachvollziehbar sind bei dem erhobenen Befund schwere körperliche Tätigkeiten ausgeschlossen. Auch sollte der Kläger aufgrund der Stauungsdermatosen die Möglichkeit haben, stündlich zumindest einige Minuten aufzustehen und zu gehen.
Aufgrund des fortgeschrittenen medialen Knorpelabbaus und der das altersentsprechende Maß deutlich übersteigenden Veränderungen der Kniegelenke linksseitig und beginnend rechtsseitig ist von einer mittel- bis endgradigen Bewegungseinschränkung der Steh- und Gehfähigkeit auszugehen, die den Kläger zwar daran hindert, noch ausschließlich stehende und gehende Arbeiten sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und mit häufigem Treppensteigen auszuüben. Auch Verrichtungen wie das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Arbeiten am Fließband unter Körperzwangshaltung und – aufgrund der Einschränkungen der rechten Hand – ausschließlich feinmanuelle Tätigkeiten oder Arbeiten mit erheblicher Kraftaufwendung der rechten Hand sind zu vermeiden. Mit diesen Einschränkungen ist auch der beginnenden Coxarthrose ausreichend Rechnung getragen. Leidensgerechte Tätigkeiten sind danach weiterhin vollschichtig möglich.
Leistungsrechtlich unerheblich ist daneben auf urologischem Gebiet eine mäßiggradige Vergrößerung der Prostata mit leichter Vermehrung des Restharns festgestellt worden. Insoweit ergibt sich auch aus dem auf Anregung des Klägers vom Senat angeforderten Befundbericht der Gemeinschaftspraxis für Urologie vom 09.05.2017 kein neuer Befund. Die Reizblasensymptomatik besteht schon seit Jahren im Wesentlichen konstant. Inwieweit aus dem augenärztlichen Befund über die Versorgung mit einer stärkeren Brille hinaus relevante Leistungseinschränkungen hergeleitet werden sollen, erschließt sich aus dem Attest vom 10.04.2017 nicht. Gleiches gilt für die weiterhin ungeklärte Symptomatik mit trockenem Mund, trockenen Ohren und Stuhlgangstörung ohne Hinweis auf eine ursächliche Erkrankung und jedenfalls ohne Auswirkung auf das Leistungsvermögen. Insbesondere besteht beim Kläger trotz der angegebenen Schwierigkeiten beim Essen weiterhin ein überreichlicher Ernährungszustand. Die Diagnose eines Struma ist bereits von Dr. P. mit Befundbericht von 10.07.2017 gestellt worden und hat Dr. F. ebenfalls vorgelegen. Weder hieraus noch aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Attest vom 12.12.2017 ergeben sich allerdings Einschränkungen, die den Kläger an der Ausübung leichter Tätigkeiten hindern könnten.
Eine Erwerbsminderung ergibt sich auch nicht aus einer eingeschränkten Gehfähigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21.03.2006 – B 5 RJ 51/04 – unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35). Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit des Klägers wurde von keinem Sachverständigen angenommen. Dr. E. hat im Arztbrief vom 11.09.2017 anamnestisch lediglich von Schmerzen beim Gehen nach einer Gehstrecke von langsam 1 1/4 Stunden berichtet. Soweit der Kläger mit Schreiben vom 06.10.2017 die Auffassung vertreten hat, das Gehen wäre ihm inzwischen nur noch im Umfang von 15 Minuten möglich und das „Schreiben von Dr. E.“ insoweit zu berichtigen, stellt dies bereits keine medizinische Feststellung dar, die zu einer geänderten sozialmedizinischen Feststellung führen könnte. Aber selbst wenn die Angabe von Dr. E., wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, von vornherein auf einem Missverständnis beruht, weil der Kläger ihm gegenüber tatsächlich angegeben hat, dass er langsam nur noch 1/4 Stunde gehen könne, ergibt sich heraus weder eine andere sozialmedizinische Beurteilung noch die Notwendigkeit einer Rückfrage bei Dr. E. oder Dr. F. Denn es handelt sich dabei lediglich um eine anamnestische Angabe des Klägers, d.h. dessen subjektive Einschätzung, die anschließend keinen Eingang in den von Dr. E. erhobenen Befund gefunden hat. Dr. F. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11.10.2017 aber ausschließlich auf die von Dr. E. erhobenen Befunde und nicht auf die subjektive Einschätzung des Klägers abgestellt. Der von Dr. E. beschriebene orthopädische Befund rechtfertigt aber, wie Dr. F. überzeugend dargelegt hat, weiterhin nicht die Annahme, der Kläger könne tatsächlich keine 500 m mehr zurücklegen. Selbst eine Verschlechterung insoweit würde aber zunächst nur eine Operation indizieren, bevor hieraus eine dauerhafte Leistungseinschränkung hergeleitet werden könnte. Im Übrigen verfügt der Kläger auch über ein KFZ, das er benutzen kann.
Nicht gefolgt werden kann schließlich dem Vortrag des Klägers, die gutachtlich festgestellten Einschränkungen würden eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen darstellen. Zwar hätte der Kläger tatsächlich auch dann einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und ihm keine Tätigkeit benannt werden könnte, die er trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Unter einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung sind in erster Linie die Fälle zu subsumieren, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 – B 5 RJ 64/02 R, in juris). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist.
Bei der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis „körperlich leichte Arbeit“ erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 96. EL September 2017, § 43 SGB VI Rn. 47). Dabei sind bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen an das Benennungsgebot aber nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Es genügt die Bezeichnung von Arbeitsfeldern wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (BSG, Urteil vom 19.08.1997 – 13 RJ 57/96, in juris).
Der Senat ist bereits nicht davon überzeugt, dass beim Kläger eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Zwar ist die Beweglichkeit der kleinen Finger geringfügig eingeschränkt und die rechte Hand nur noch für leichtere Arbeiten ohne größere Anforderungen an die Feinmotorik zu gebrauchen. Allerdings hat Dr. F., der der Kläger gerade auch unter diesem Gesichtspunkt untersucht hat, festgestellt, dass die mit einer ungelernten Tätigkeit üblicherweise verbundenen Verrichtungen wie das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen vom Kläger noch ausgeübt werden können. Auch unter Berücksichtigung der festgestellten Beweglichkeitseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und der Kniegelenke ist dadurch das dem Kläger offen stehende Tätigkeitsfeld auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich eingeschränkt. Davon abgesehen ist der Kläger nach der überzeugenden Einschätzung von Dr. F. jedenfalls noch in der Lage, sechs Stunden täglich eine Tätigkeit als Pförtner verrichten. Dr. F. stand bei seiner Prüfung eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 01.06.2014 zur Verfügung. Danach handelt es sich bei der Tätigkeit eines Pförtners um eine meist körperlich leichte Arbeit in geschlossenen temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Die Tätigkeit erfordert keine besonderen Anforderungen etwa an das Seh- und Hörvermögen. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Schichtdienst ist je nach Arbeitsort möglich. Diesen Leistungsanforderungen wird der Kläger trotz der bei ihm vorliegenden Leistungseinschränkungen gerecht. Schwere Tätigkeiten wie das schwere Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken fallen hierbei nicht an. Die nicht wesentlichen Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit der Hände machen es dem Kläger nicht unmöglich, die im Rahmen von Pförtnertätigkeiten anfallenden Verrichtungen (Kontrolle von Werksausweisen, Ausstellen von Besucherkarten, Anmeldung bei der zuständigen Stelle, Aushändigen von Formularen, Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen sowie ggf. einfache Bürotätigkeiten) zu erledigen. Es handelt sich um eine ungelernte Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von bis zu drei Monaten vom Kläger verrichtet werden könnte. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehen insoweit hinreichend Arbeitsplätze, auch für Betriebsfremde, zur Verfügung. Dabei kann es aber entgegen der Vorstellungen des Klägers nicht darauf ankommen, in welcher Zahl entsprechende Arbeitsplätze an seinem Wohnort und in der näheren Umgebung tatsächlich verfügbar sind.
Ob der Kläger auch auf den Beruf eines Telefonisten oder eines Mitarbeiters der Poststelle verwiesen werden kann, ist danach nicht mehr zu entscheiden.
2. Bei ausreichend aussagekräftiger Befundlage und deren abschließender Würdigung durch Dr. F. ist eine weitere Begutachtung nicht erforderlich. Der Senat ist auch durch den mit Schriftsatz vom 16.01.2017 gestellten Antrag gemäß § 109 SGG nicht an einer Entscheidung gehindert, da dieser Antrag verspätet gestellt und daher zurückzuweisen ist. Ein neues Antragsrecht nach § 109 SGG ist anschließend nicht mehr entstanden.
Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Antrag kann abgelehnt werden, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vor-gebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG). Grobe Nachlässigkeit ist das Verabsäumen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der behinderte Mensch den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/5).
Das war vorliegend der Fall. Mit Schreiben vom 19.07.2016 hat die Berichterstatterin dem Bevollmächtigten des Klägers das Gutachten Dr. F. übersandt und darauf hingewiesen, dass die Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschlossen ist. Dabei ist zwar keine ausdrückliche Frist gesetzt worden. Dem rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers musste gleichwohl bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb angemessener Frist, i.d.R. von einem Monat, möglich ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 109 SGG, Rn. 11). Das BSG hat eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen (Beschluss vom 10.12.1958 – 4 RJ 143/58 -). Der Bevollmächtigte hat aber erst unmittelbar vor der für den 18.01.2017 anberaumten mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 16.01.2017 und damit deutlich verspätet einen Antrag nach § 109 SGG gestellt. Da bei diesem zeitlichen Ablauf bereits der Tatbestand der groben Nachlässigkeit offensichtlich erfüllt ist, kommt es zwar nicht mehr darauf an, ob der Antrag auch in Verschleppungsabsicht gestellt wurde. Allerdings spricht die Tatsache, dass der Antrag erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellt und auf die Ablehnung des Vertagungsantrags mit einem Ablehnungsgesuch reagiert wurde, dafür, dass mit dem Antrag nach § 109 SGG auch die Durchführung der mündlichen Verhandlung und damit eine Entscheidung hinausgezögert werden sollte.
Das danach verbrauchte Antragsrecht nach § 109 SGG ist vorliegend auch nicht dadurch neu entstanden, dass der Kläger nachfolgend wiederholt Befundberichte vorgelegt bzw. deren Beiziehung beantragt hat. Einem wiederholten Antrag ist nur stattzugeben, wenn weitere wesentliche Gesundheitsstörungen neu aufgetreten sind, die noch nicht Gegenstand des ersten Gutachtens gewesen sind. Auch ein erstinstanzlich nach § 109 SGG durchgeführtes Begutachtungsverfahren verbraucht das Antragsrecht für die Berufungsinstanz, es sei denn, die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände hätten sich inzwischen wesentlich verändert (Keller, a.a.O., Rn. 10b; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.07.2017 – L 3 U 22/11 -, juris). Nichts anderes gilt für den vorliegenden Fall, dass das Antragsrecht deshalb verbraucht ist, weil von ihm nicht fristgerecht Gebrauch gemacht worden ist. Die Rücksicht auf alle Beteiligten und auf die Kostenfreiheit des gerichtlichen Verfahrens fordert auch in dieser Konstellation, dem Berechtigten das Antragsrecht mehrmals nur dann zuzubilligen, wenn sein neuer Antrag sich in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung hält (Kühl in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 109 SGG, Rn. 6; BSG, Beschluss vom 06.05.1958 – 10 RV 813/56 -, SozR Nr. 18 zu § 109 SGG).
Wesentlich geänderte rechtliche oder tatsächliche Umstände, die es rechtfertigen könnten, das Anhörungsrecht nach § 109 SGG neu zu eröffnen, können vorliegend aber nicht festgestellt werden. Insbesondere ergeben sich entscheidungserhebliche neue Tatsachen, die nach der Auffassung des Senats geeignet wären, eine geänderte sozialmedizinische Beurteilung herbeizuführen, auch aus den inzwischen zahlreich vorliegenden Schriftsätzen und Befundberichten nicht. Auf die Ausführungen hierzu unter Punkt 1 der Gründe wird Bezug genommen. Dass der Senat diese Befundberichte einer abschließenden Beurteilung durch Dr. F. vorgelegt hat, ist ebenfalls nicht geeignet, ein neues Antragsrecht zu begründen (Kühl, a.a.O.). Andernfalls hätte eine Klagepartei es in der Hand, allein durch die Vorlage neuer Befundberichte einem verbrauchten Antrag nach § 109 SGG eine neue Grundlage zu verschaffen. Letztlich bleibt, nachdem der Kläger auch der Ladung für den 31.01.2018 zunächst mit einem Vertagungsantrag entgegengetreten ist, weiterhin die Vermutung, dass mittels Angabe neuer Diagnosen und Vorlage neuer Berichte vornehmlich das Verfahren verzögert bzw. jedenfalls die Grundlage für eine geänderte Beurteilung des Senats hinsichtlich der Verspätung des Antrags nach § 109 SGG gelegt werden soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Sinne des Erfolgsprinzips den Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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