Sozialrecht

Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  S 14 R 421/17

Datum:
27.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 50872
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43

 

Leitsatz

Das Risiko einen Arbeitsplatz zu erlangen fällt nicht in den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 13.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2017 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Gemäß Absatz 3 der zitierten Vorschrift ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei ist die allgemeine Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das Leistungsvermögen des Klägers ist in qualitativer aber noch nicht in quantitativer Hinsicht eingeschränkt. Er kann noch regelmäßig leichte bis mittelschwere Arbeiten, im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Akkord- und Schichtarbeit, ohne Arbeiten am Fließband und unter Zeitdruck sowie Tätigkeiten mit Unfallgefahr bzw. Anforderungen an die nervliche Belastung mindestens 6 Stunden täglich verrichten.
Zu diesem Ergebnis ist die Kammer auf Grund der vorliegenden zahlreichen Befundberichte, der Vorgutachter und insbesondere der schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. I und des Gutachters Prof. J gelangt.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers ist eingeschränkt durch
– psychiatrisch
1. narzisstische Persönlichkeitsstörung
2. reaktive depressive Erkrankung, gegenwärtig leichtgradige Episode
– somatisch
* maskenpflichtiges Schlafapnoe-Syndrom
* Asthma bronchiale
* Herzrhythmusstörungen
* Hypertonie
* Hypothyreose
* Epikondylitis rechts
* Z. n. Unterschenkelhämatom rechts
Der Kläger beklagt, dass er nicht in der Lage sei, sein gesamtes Leistungspotenzial auszuschöpfen. Er leide unter Parästhesien und Hypästhesien im Bereich des lateralen Unterschenkels, einer depressiven Episode mit Überlastungssyndrom und einer Schlafapnoe. Seine selbständige Berufstätigkeit reiche noch nicht aus, um den Lebensunterhalt vollständig zu bestreiten. Er müsse immer wieder Arbeitspausen einlegen, fühle sich schnell erschöpft, habe Defizite bei Konzentration und Arbeitsgedächtnis. Zudem bestehe Tagesmüdigkeit und Schwindelgefühl.
Dr. I beurteilt den neurologischen Befund im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung als regelrecht, insbesondere ohne Hinweise auf Sensibilitätsstörungen. Es handle sich um dysfunktionales Verhalten im Hinblick auf angewandte Coping-Strategien bezüglich veränderlicher Lebensumstände. Die Persönlichkeitsstörung bestehe seit der Adoleszenz. Die rezidivierende reaktive depressive Erkrankung seit 2010, gegenwärtig leichte Episode. Die Zusammenschau der psychiatrischen Symptomatik bedinge keine quantitative Leistungseinschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die psychiatrischen und somatischen Erkrankungen begründen qualitative Leistungseinschränkungen, aber keine quantitativen.
Prof. J ergänzt, dass sich das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom aktuell ohne Therapie bezüglich der Häufigkeit der auftretenden Atempausen und der Episode mit herabgesetzter Sauerstoffsättigung gegenüber den Vorbefunden verschlechtert habe. Die psychosomatische Symptomatik flukturiere im Verlauf in Abhängigkeit der psychosozialen Belastungssituation ohne erkennbare richtungsweisende Verschlechterung seit der Erstdiagnose.
Bezüglich der qualitativen Leistungseinschränkungen ergänzt Prof. J, dass auf Grund der Schlafstörungen, der Notwendigkeit einer konsequenten CPAP-Therapie und der Notwendigkeit eines regelmäßigen Schlafrhythmus eine Arbeit im 3-Schichtbetrieb nicht zumutbar sei. Auf Grund der Notwendigkeit der gerätegestützten CPAP-Therapie seien Arbeitstätigkeiten, die weit überwiegend durch Tätigkeiten während Geschäftsreisen charakterisiert sind, nicht möglich, da diese den täglichen Transport des CPAP-Gerätes notwendig machen würden. Berufliche Tätigkeiten mit gelegentlicher Notwendigkeit einzelner Übernachtung und an einem anderen Wohnort seien hingegen zumutbar.
Dr. I weist in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 25.06.2019 nochmals darauf hin, sollte der Kläger auf Grund seiner Schlafapnoe-Erkrankung eine unüberwindbare Notwendigkeit zum Mittagsschlaf von einer Stunde benötigen, könne dies allenfalls als qualitative Leistungseinschränkung bewertet werden. Entsprechend lange Mittagspausen und Ruhezeiten seien in verschiedenen Branchen durchaus möglich. Im Übrigen sei eine Behandlung der Tagesmüdigkeit durch diverse Therapiemaßnahmen grundsätzlich nicht ausgeschlossen und auch zielführend.
Eine neurochirurgische Begutachtung hält der Gutachter nicht für sachdienlich. Bezüglich der Schlafproblematik sei eine stationäre Behandlung zur Schlafhygiene und ein Schlaftraining aber sinnvoll.
Dem Vortrag der Klägerseite, dass auf Grund seiner Tagesmüdigkeit eine Erwerbsminderung bestehe, konnte sich die Kammer nicht anschließen.
Dies konnte durch die Gutachter nicht bestätigt werden. Der bestehenden Tagesmüdigkeit wird bei Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen ausreichend Rechnung getragen.
Den Beurteilungen der Sachverständigen Dr. I und Prof. J folgt die Kammer vollumfänglich. Sie sind schlüssig. Die Leistungseinschätzungen stimmen mit den anerkannten Bewertungsmaßstäben überein. Die objektiv vorliegenden Befunde wurden von Dr. I… und Prof. J nachvollziehbar ausgewertet.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Kläger noch mindestens 6 Stunden täglich leichte Arbeiten bei Einhaltung der qualitativen Einschränkungen verrichten kann. Eine Erwerbsminderung liegt demnach nicht vor.
Es besteht auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger in seinem Beruf als IT-Techniker noch weiter tätig sein kann. Gemäß § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI fällt der am  … 1967 geborene Kläger nicht in den begünstigten Personenkreis.
Er ist daher breit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.
Ob dem Kläger tatsächlich ein geeigneter Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden kann, hat die Kammer nicht zu prüfen. Denn das Risiko einen Arbeitsplatz zu erlangen fällt nicht in den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Anträge zu 1 und 2 waren abzulehnen.
Eine Schlafdiagnostik seitens des Gutachters Prof. J wurde durchgeführt. Die Tagesmüdigkeit mit den sich daraus ergebenden negativen Folgen wird von beiden Sachverständigen angenommen.
Zur Auswirkung dieser auf eine verminderte Durchhalte- und Konzentrationsfähigkeit und einer damit verbundenen quantitativen Einschränkung der Leistungsfähigkeit haben die Sachverständigen ausführlich Stellung genommen. Eine Behandlungsmöglichkeit wurde nicht ausgeschlossen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass, soweit die Tagesmüdigkeit durch Medikamente begründet sei, eine Therapie-Switch zu einer antidepressiven Behandlung durchzuführen sei. Die negativen Folgen wurden nachvollziehbar durch die Aufstellung von qualitativen Leistungseinschränkungen berücksichtigt.
Die Option zu einem weiteren Gutachten gemäß § 109 SGG besteht grundsätzlich nicht (Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt SGG, 12. Auflage 2017, § 109 SGG, Rn 10b). Ein besonderer Umstand liegt hier nicht vor.
Anhaltspunkte für die Notwendigkeit weiterer Gutachten gem. § 106 SGG wegen einer Lungenproblematik und orthopädischen Beschwerden konnten die Sachverständigen und das Gericht nicht erkennen.
Nach alledem konnte die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben und war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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