Sozialrecht

Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes

Aktenzeichen  L 19 R 134/17

Datum:
14.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5900
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 44 Abs. 1, § 54 Abs. 2 S. 1, § 143, § 144, § 153, § 160 Abs. 2, § 193
SGB VI § 294, § 294a, § 307d
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X richtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach Maßgabe der Rechtsnormen, die bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes zu beachten waren. (Rn. 19)
2. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist insoweit rechtswidrig im Sinne der Vorschriften über die Rücknahme ein Verwaltungsakt, der auf einer später vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruht.  (Rn. 19)

Verfahrensgang

S 16 R 409/16 2017-02-21 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, 144, 153 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht ist mit Urteil vom 21.02.2017 zum zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Zuerkennung weiterer persönlicher Entgeltpunkte für Kindererziehung und auch nicht auf Gewährung einer höheren Altersrente ab 01.07.2014 hat.
Der Bescheid vom 24.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2016 beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2014 einen weiteren Zuschlag in Höhe von vier persönlichen Entgeltpunkten zu berücksichtigen und ab 01.07.2014 eine höhere Altersrente zu gewähren.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X soll insbesondere dazu dienen, auch nach der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen Fehler, durch die Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht werden, noch korrigieren zu können. Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Korrektur des Bescheides vom 15.08.2014 nicht erfüllt.
Von einem unrichtigen Sachverhalt ist die Beklagte ist bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.08.2014 nicht ausgegangen: Sie hat schon bei der ursprünglichen Rentenberechnung zu Grunde gelegt gehabt, dass die Klägerin vier Kinder geboren hat und diese jeweils im ersten Lebensjahr – und darüber hinaus – auch erzogen hat, wobei diese Geburten sämtlich vor 1992 erfolgt waren. Dieser Sachverhalt ist auch für den Bescheid vom 15.08.2014 zu Grunde gelegt worden. Hinzu kam, dass der Klägerin jeweils für den 12. Lebensmonat der Kinder eine Kindererziehungszeit zuerkannt worden war. Dieser Sachverhalt ist insgesamt zutreffend, was von der Klägerseite auch nicht bestritten wird.
Die Beklagte hat bei dem zur Überprüfung gestellten Änderungsbescheid auch das Recht richtig angewandt. § 307d Abs. 1 SGB VI sieht vor, dass ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für die Kindererziehung für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind berücksichtigt wird, wenn am 30.06.2014 Anspruch auf eine Rente bestand, in der Rente eine Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden war und kein Anspruch nach §§ 294 und 294a SGB VI besteht. Nach § 307d Abs. 2 Satz 1 SGB VI beträgt der Zuschlag für jedes Kind einen Entgeltpunkt. Bei der Klägerin bestand zum Stichtag Anspruch auf Rente, in der für vier Kinder jeweils in deren 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt Kindererziehungszeiten angerechnet worden waren. Die Klägerin ist auch nicht vor 1921 geboren, so dass die §§ 294, 294a SGB VI nicht einschlägig sind. Damit ergab sich ein Zuschlag von vier Punkten für die Altersrente der Klägerin. Die Beklagte ist genau zu diesem Ergebnis gelangt.
Die Frage, ob bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht richtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach Maßgabe der Rechtsnormen, die bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes zu beachten waren. Eine Prüfung der anzuwendenden Rechtsnormen auf Verfassungsmäßigkeit – wie von der Klägerseite gewollt – ist anders als im Rechtsbehelfsverfahren nicht angezeigt; solange die streitige Rechtsnorm im Zeitpunkt des Erlasses des zu überprüfenden Verwaltungsaktes anwendbar war, ist auch dieser Verwaltungsakt rechtmäßig. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist insoweit rechtswidrig im Sinne der Vorschriften über die Rücknahme ein Verwaltungsakt, der auf einer später vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruht (vgl. Schütze in: v. Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn 7). Dies trifft für § 307d SGB VI nicht zu.
Damit ist keine der beiden Voraussetzungen des § 44 SGB X in Bezug auf den Bescheid vom 15.08.2014 erfüllt und die Beklagte hat zu Recht bei der Überprüfung eine Abänderung des Bescheides nicht vorgenommen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind daher nicht zu beanstanden und auch das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis zutreffend.
Aber selbst für den Fall, dass man anders als der Senat auch im Überprüfungsverfahren eine volle Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwenden Vorschriften vornehmen wollte, ergäbe sich nichts anderes. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 15.03.2017 (Az. L 19 R 218/16 – juris) näher ausgeführt hat, sieht er in der vom Gesetzgeber in § 307d SGB VI getroffenen Regelung keinen Verfassungsverstoß, insbesondere hält er die dahinter stehende Stichtagsregelung für verfassungsgemäß.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen. Insbesondere hat sich im vorliegenden Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGG keine klärungsfähige Rechtsfrage ergeben, über die in der Revision sachlich zu entscheiden sein könnte.


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