Sozialrecht

Soziales Entschädigungsrecht – Berufsschadensausgleich – Berücksichtigung einer Rente aus einer privaten Unfallversicherung – anrechenbares Einkommen – eigene Beitragszahlung

Aktenzeichen  B 9 V 1/20 R

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:100621UB9V120R0
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 6 BSchAV vom 28.06.2011
§ 30 Abs 3 BVG
§ 30 Abs 4 BVG
§ 178 VVG 2008
Spruchkörper:
9. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Dresden, 9. März 2017, Az: S 39 VE 25/14, Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 9. Dezember 2019, Az: L 9 VE 7/17, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung einer privaten Unfallversicherungsrente beim Berufsschadensausgleich (BSchA).
2
Die 1950 geborene Klägerin war seit Februar 1992 als kaufmännische Sachbearbeiterin und Sekretärin in Vollzeit beschäftigt. Am Neujahrsmorgen des Jahres 2010 wurde sie Opfer einer Gewalttat.
3
Mit Bescheid vom 15.12.2011 erkannte der Beklagte bei der Klägerin als Folge der Gewalttat ab Januar 2010 diverse Kopfverletzungen nach Schädel-Hirn-Trauma mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 an. Er gewährte eine Grundrente, verneinte aber eine besondere berufliche Betroffenheit und die Voraussetzungen für einen BSchA.
4
Auf die Neufeststellungsanträge der Klägerin vom 29.6. und 23.8.2012 nahm der Beklagte mit Bescheid vom 14.3.2013 den Bescheid vom 15.12.2011 ab Januar 2010 hinsichtlich des GdS von 30 zurück. Er erkannte ab diesem Zeitpunkt bei gleichbleibenden Gesundheitsstörungen einen GdS von 40 und ab Mai 2012 einen Gesamt-GdS von 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit an. Wegen der geänderten Verhältnisse setzte der Beklagte ab Mai 2012 den Versorgungsanspruch insgesamt neu fest, indem er neben der Grundrente einen Anspruch auf BSchA sowie dem Grunde nach auf Ausgleichsrente und Ehegattenzuschlag anerkannte und entsprechende Leistungen gewährte.
5
Seit Mai 2013 bezog die Klägerin eine private Unfallversicherungsrente in Höhe von monatlich 990 Euro aus einer von ihrem Ehemann als Versicherungsnehmer für sie als Versicherte abgeschlossenen privaten Unfallversicherung. Für die Zeit von Januar 2010 bis zum April 2013 bekam sie eine Nachzahlung des Versicherers in Höhe von 39 600 Euro. Seit Oktober 2013 erhielt die Klägerin zudem eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem monatlichen Zahlbetrag ab Rentenbeginn von 1007 Euro.
6
Nachdem die Klägerin den Beklagten hierüber in Kenntnis gesetzt hatte, hob er mit Bescheid vom 13.3.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2014 seine bisherige Entscheidung im Bescheid vom 14.3.2013 zum BSchA ab Mai 2012 teilweise auf. Für die Zeit von Mai 2012 bis März 2014 stellte der Beklagte eine Überzahlung in Höhe von 8995 Euro fest und forderte deren Erstattung. Bei der Feststellung der Höhe des BSchA berücksichtigte er die private Unfallversicherungsrente als anzurechnendes Einkommen.
7
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.3.2017). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das SG-Urteil und die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufgehoben, soweit darin die private Unfallversicherungsrente der Klägerin als Einkommen auf den BSchA angerechnet worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für die Berücksichtigung der privaten Unfallversicherungsrente beim BSchA fehle es an einer Rechtsgrundlage. Diese unterfalle keinem der in § 8 Abs 2 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) idF vom 28.6.2011 (BGBl I 1273) genannten Regelbeispiele. § 8 Abs 2 Nr 3 BSchAV sei nicht einschlägig, weil Zweck der privaten Unfallversicherungsrente gerade nicht sei, sich nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben den Lebensunterhalt zu sichern. Aus den in § 8 Abs 2 BSchAV enumerativ aufgeführten Regelbeispielen sei erkennbar, dass der Gesetzgeber beim BSchA nur Einnahmen berücksichtigen wolle, die einerseits in Bezug zur Beschäftigung stünden und andererseits gesetzliche Leistungen seien. Beides treffe auf die private Unfallversicherungsrente der Klägerin nicht zu (Urteil vom 9.12.2019).
8
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 8 BSchAV. Die private Unfallversicherungsrente der Klägerin falle unter den Anwendungsbereich des § 8 Abs 2 Nr 3 BSchAV. Entgegen der Ansicht des LSG sei diese dazu bestimmt, nach dem unfallbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zum Lebensunterhalt der Klägerin beizutragen. Selbst wenn nicht von einer Anwendbarkeit des § 8 Abs 2 Nr 3 BSchAV auszugehen sei, gehöre eine private Unfallversicherungsrente zum anrechenbaren Einkommen nach § 8 BSchAV. Denn es sei von einem weiten Einkommensbegriff auszugehen. Die zu berücksichtigenden Einnahmen aus früherer Erwerbstätigkeit seien in § 8 Abs 2 BSchAV nur beispielhaft aufgeführt. Zu berücksichtigen seien deshalb auch andere, dort nicht ausdrücklich genannte, jedoch im Zusammenhang mit der früheren Erwerbstätigkeit stehende Einnahmen.
9
Der Beklagte beantragt,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2019 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 9. März 2017 zurückzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
11
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.


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