Sozialrecht

Unfall, Unfallversicherung, Gutachten, Versicherungsbedingungen, Amputation, Diabetes, Beweisaufnahme, Attest, Versicherungssumme, Ehemann, Unfallereignis, Krankheitsverlauf, Klinikum, Zahlung, Diabetes mellitus, Ergebnis der Beweisaufnahme, Einholung eines Gutachtens

Aktenzeichen  25 O 20/19

Datum:
8.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42109
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Hof
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 113.372,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus dem Unfallversicherungsvertrag.
1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Klägerin der Nachweis eines kausalen Zusammenhanges zwischen dem Unfallereignis ihres Ehemannes am 30.9.2017 und den Amputationen der Zehen am rechten Fuß sowie des linken Unterschenkels nicht gelungen.
a) Die Klägerin muss die adäquate Ursächlichkeit des Unfallereignisses vom 30.9.2017 für die Gesundheitsbeeinträchtigungen ihres Ehemannes durch die Amputationen beweisen, wobei Mitursächlichkeit genügt (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2016 – IV ZR 521/14; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.3.2011 – 5 U 464/08). Dieser Vollbeweis ist aber nur für das Unfallereignis und die dadurch entstandene Gesundheitsbeschädigung zu führen. Ob die Amputationen und die Invalidität auf dieses Geschehen zurückzuführen sind, ist dagegen gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen (BGH, Urteil vom 23.9.1992 – IV ZR 157/91). Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reicht dann eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen aus, dass die behauptete Unfallfolge in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht (BGH, Urteil vom 17.10.2001 – IV ZR 205/00).
b) Nach der Beweisaufnahme ist der Klägerin lediglich der Beweis dafür gelungen, dass ihr Ehemann am 30.9.2017, als er auf einer Leiter das Gleichgewicht verlor, deshalb absprang und auf den Füßen in einem Gartenbeet landete, Prellungen beider Sprunggelenke erlitten hat.
Zu diesem Ergebnis gelangte der Sachverständige Dr. E2. in seinem schriftlichen Gutachten nach sorgfältiger Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden Behandlungsunterlagen (GA S. 32, 36). An diesen auch für einen medizinischen Laien nachvollziehbaren Schlussfolgerungen des Sachverständigen, der dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als zuverlässig und kompetent bekannt ist, bestehen keine vernünftigen Zweifel. Ergänzende Fragen konnte der Sachverständige in der Verhandlung am 18.03.2021 schlüssig und nachvollziehbar beantworten.
Das Gutachten des Sachverständigen ist daher umfassend verwertbar. Der Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 Abs. 1 ZPO bedarf es nicht.
Zu äußeren Verletzungen unmittelbar nach dem Sturzereignis vom 30.9.2017 ist es bei dem Ehemann der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gekommen.
Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten nachvollziehbar und sorgfältig herausgearbeitet, dass in den Unterlagen nicht dokumentiert sei, dass der Ehemann der Klägerin bei dem Vorfall am 30.9.2017 Hautverletzungen, wie z.B. Risse im rechten Vorfußbereich, erlitten habe. Der Hausarzt des Klägers, Herr Dr. S., habe lediglich in einem einzigen Attest vom 12.3.2019 einmalig von „kleinen Gewebeeinrissen im Vorfußbereich“ geschrieben. Auch habe der Ehemann der Klägerin dem Sachverständigen selbst gegenüber Wunden infolge des Sturzes verneint (GA S. 35/36). In der Verhandlung am 18.3.2021 hat der Sachverständige schließlich auch schlüssig erläutert, dass die Behauptung der Klägerin, es seien durch Wunden im rechten Vorfußbereich Bakterien eingedrungen, die eine Entzündung ausgelöst hätten, auch pathophysiologisch nicht nachvollziehbar sei. So setze die Blasenbildung zunächst eine intakte Haut voraus, so dass sich Flüssigkeit unter der Haut ansammeln könne. Irgendwann komme es dann zum Aufbrechen der Blase, also zum Aufreißen der Haut. Wenn bereits Gewebeeinrisse vorhanden gewesen wären, dann hätte die Flüssigkeit austreten können und es hätte sich keine Blase bilden können (Protokoll S. 4/5).
Im Ergebnis hat die Beweisaufnahme somit eindeutig ergeben, dass der Ehemann der Klägerin infolge des Unfalls am 30.9.2017 keine äußeren Verletzungen an den Füßen erlitten hat. Die Vernehmung des Hausarztes Dr. S. war angesichts der überzeugenden und eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. E2. nicht erforderlich.
c) Es steht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – auch unter Anwendung des reduzierten Beweismaßes gemäß § 287 Abs. 1 ZPO – nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den unfallbedingten erlittenen Prellungen der Sprunggelenke und den in der Folgezeit durchgeführten Amputationen der beiden Zehen am rechten Fuß und des linken Unterschenkels besteht.
Bei der Beurteilung der Kausalitätsfrage muss berücksichtigt werden, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen beim Ehemann der Klägerin zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls am 30.9.2017 bereits gut dokumentiert ein neuropathisches diabetisches Fußsyndrom (DFS) beidseits bei langjährigem Diabetes mellitus vorgelegen habe. Dieses sei zum Unfallzeitpunkt bereits so stark fortgeschritten und derart leicht ansprechbar gewesen, dass jedes alltägliches Bagatelltrauma den vom Ehemann der Klägerin erlittenen Krankheitsverlauf in einem vergleichbaren Zeitraum hätte auslösen können (GA S. 33/34, 36/37).
Zwar ist zu beachten, dass in der privaten Unfallversicherung für einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung genügt, dass das Unfallereignis an der eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung mitgewirkt hat, wenn diese Mitwirkung nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt; eine wesentliche oder richtungsgebende Mitwirkung ist – anders als im Sozialversicherungsrecht – nicht zu verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2016 – IV ZR 521/14).
Dennoch kann hier ein Kausalzusammenhang nicht festgestellt werden. Der Sachverständige E2. führte aus, dass nicht nur das streitgegenständliche Unfallereignis vom 30.9.2017, sondern jedes Bagatelltrauma theoretisch geeignet gewesen sei, den Entzündungsprozess, der letztendlich in den Amputationen gipfelte, auszulösen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Prellung bzw. die Stauchung der Fußgelenke Auslöser für die Folgeerscheinungen beim Ehemann der Klägerin gewesen ist, schätzte der Sachverständige auf unter 50 % ein (Protokoll S. 3). Dies begründete der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar wie folgt:
„Hinsichtlich der Blasenbildung im Bereich des Großzehen rechts sei es bereits zuvor zweimal zu einer Blasenbildung gekommen, ohne dass dort ein Trauma als Auslöser festzustellen gewesen sei. Vielmehr habe sich dies aufgrund schlechten Schuhwerkes entwickelt (Protokoll S. 3; GA S. 36 und GA S. 7-9, wo der Sachverständige die Behandlungsunterlagen, auf denen seine Feststellungen beruhen, zitiert).“
Hinsichtlich des Empyems, das sich im linken Sprunggelenk entwickelt hatte, stellte der Sachverständige fest, dass sich eine ausgeprägte Arthropathie des Sprunggelenkes nicht unmittelbar nach dem Unfall, sondern erst einen Monat später entwickelt habe. Wie der Sachverständige in seinem Gutachten herausarbeitete, erfolgte die stationäre Aufnahme des Ehemannes der Klägerin wegen dem Sprunggelenksemblem links erst am 31.10.2017 und damit ca. 1 Monat nach dem Unfallereignis vom 30.9.2017. Eine solche Arthropatie des Sprunggelenkes entstehe nicht aufgrund eines Bagatelltraumas, sie könne auch durch anderweitige Belastungen, wie zum Beispiel längeres Herumlaufen, bei einem diabetisch vorgeschädigten Fuß ausgelöst werden. Genauso gut sei es möglich, dass die Aktivierung der Osteopathie bei einem Diabetespatienten ohne feststellbare Ursache ausgelöst werde, also spontan auftrete. Wie es im vorliegenden Fall bei Herrn B2. gewesen sei, sei nicht feststellbar (Protokoll S. 3/4).
Der Sachverständige führte in seinem schriftlichen Gutachten deshalb aus, dass das streitgegenständliche Unfallereignis vom 30.9.2017 ohne Probleme hinweggedacht werden könne, ohne dass gleichzeitig der Krankheitsverlauf mit Entzündungen und Amputationen entfiele. Der in den Arztberichten dokumentierte Krankheitsverlauf sei aus medizinischer Sicht schlüssig und plausibel allein basierend auf der Grunderkrankung des Diabetes mellitus mit diabetischen Fußsyndrom erklärbar (vgl. GA S. 33).
Soweit der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten (dort S. 37 unter Punkt 8.) geschrieben hat, dass das Unfallereignis selber als Bagatelltrauma die Aktivierung der zu diesem Zeitpunkt leicht ansprechbaren Grunderkrankung „getriggert“ habe, so hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung klargestellt, dass dies nur eine Möglichkeit darstelle. Einen positiven Kausalzusammenhang konnte der Sachverständige nicht feststellen und wollte er in mit seinen Ausführungen auch nicht zum Ausdruck bringen (Protokoll S. 4).
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist der Kausalitätszusammenhang zwischen den nachweislich erlittenen Prellungen und den weiteren gesundheitlichen Folgen nicht geführt. Der Sachverständige konnte eine Kausalität positiv nicht feststellen und taxierte die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges mit nachvollziehbarer Begründung auf unter 50 %. Zugleich führte der Sachverständige aus, dass nicht nur das Unfallereignis, sondern jedes alltägliche Bagatelltrauma geeignet war, die vom Ehemann der Klägerin erlittenen gesundheitlichen Folgeerscheinungen zu verursachen. Der Sachverständige erklärte, dass selbst ein spontanes Auftreten von Entzündungszeichen bei einem diabetischen Fuß ohne erkennbaren äußeren Anlass auftreten könne. Es fehlt daher an einer überwiegenden, auf gesicherter Grundlage beruhenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die von der Klägerin behaupteten Unfallfolgen im kausalen Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen.
Da es am rechten Fuß des Ehemannes der Klägerin bereits zuvor an gleicher Stelle zur Blasenbildung gekommen war, ohne dass ein feststellbares Trauma Auslöser hierfür gewesen ist und weil hinsichtlich des linken Sprunggelenkes ein deutlicher zeitlicher Versatz zwischen dem Unfallereignis und dem aufgetretenen Empyem festzustellen ist, fehlt es auch an einer hinreichenden Grundlage für eine Vermutung der Kausalität.
Es ist daher nachgewiesen, das der Ehemann der Klägerin infolge des Unfallereignisses am 30.9.2017 Prellungen beider Sprunggelenke erlitten hat. Die Kausalität zwischen den Prellungen und der in der Folgezeit aufgetretenen Entzündungsproblematik, die letztendlich in die Amputationen mündete, ist jedoch nicht erwiesen.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistungen würde jedoch selbst dann scheitern, wenn man trotz der obigen Ausführungen von einer (Mit-)Ursächlichkeit der unfallbedingten Prellungen für die Amputationen der beiden Zehen rechts und des linken Unterschenkels ausgehen würde. Denn das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass in diesem Fall nach § 8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen von einem Mitwirkungsanteil der Diabeteserkrankung des Ehemannes der Klägerin von 100 % auszugehen ist, so dass dies zum vollständigen Ausschluss des Anspruchs führt.
Der Sachverständige hat schon im schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass er von einer „überragenden ursächlichen Bedeutung“ des neuropathischen DFS für den Krankheitsverlauf ausgehe (GA S. 37). Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung führte der Sachverständige ergänzend aus, dass er die Mitwirkungsquote der Diabeteserkrankung mit deutlich über 90 % einschätze. Dies konkretisierte er dahingehend, dass auch eine Mitwirkungsquote von 95 % ohne Weiteres angenommen werden könne (Protokoll S. 4).
Das Gericht geht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles davon aus, dass die Diabeteserkrankung vorliegend einen Mitwirkungsanteil von 100 % hatte. Das Maß der Berücksichtigung der Krankheit bzw. der Gebrechen ergibt sich aus einer Abwägung, die bestimmt wird von der Schwere des Unfalls einerseits und der Schwere des Vorschadens andererseits. Insoweit ist zu fragen, welche funktionellen Einbußen zu erwarten gewesen wären, wenn allein das Unfallereignis zu gesundheitlichen Folgen geführt hätte und welche aufgrund des Hinzutretens von bereits davor vorhandenen Krankheiten oder Gebrechen eingetreten sind.
Hier liegt infolge des Unfallereignisses vom 30.9.2017 ein Bagatelltrauma vor. Wie der Sachverständige bestätigte, hat der Ehemann der Klägerin geringfügige Verletzungen erlitten, die bei einem nicht an Diabetes erkrankten Patienten mit Kühlung wahrscheinlich innerhalb von 2 bis 3 Tagen ausgeheilt gewesen wären (Protokoll S. 3). Diese Angaben des Sachverständigen sind vor dem Hintergrund des Unfallereignisses vom 30.9.2017, bei dem der Ehemann der Klägerin aus einer Höhe von 1,5 bis 1,8 m von einer Leiter absprang und auf den Füßen landete, ohne Weiteres nachzuvollziehen. Gleichfalls führte der Sachverständige überzeugend aus, dass ohne die Diabeteserkrankung des Ehemannes der Klägerin ein solcher Verlauf nicht denkbar gewesen wäre (Protokoll S. 4).
Es handelte sich demnach um einen Bagatellunfall, der ohne die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe folgenlos ausgeheilt wäre und keinem Fall bei einem gesunden Menschen zu einer Amputation geführt hätte. Unter Zugrundlegung dessen erscheint nur die Annahme einer 100 %-igen Mitwirkung als gerechtfertigt. Der schicksalshafte Verlauf der Entzündung war im vorliegenden Fall im Wesentlichen durch die Vorerkrankung an Diabetes mellitus geprägt, nicht dagegen durch das Unfallereignis.
3. Da die Klägerin in der Hauptsache keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen hat, steht ihr gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Ersatz aufgewendeter Rechtsanwaltskosten zu.
Die Klage war aus diesen Gründen insgesamt abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO.
III.
Die Streitwerfestsetzung erfolgte nach Maßgaben von §§ 63 Abs. 2 S. 1, 39, 40, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 9 ZPO.
Verkündet am 08.04.2021


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