Aktenzeichen L 17 U 248/16
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls bei einem nächtlichen Überfall auf ein Mitglied einer Burschenschaft
Verfahrensgang
S 13 U 104/15 2016-06-08 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.06.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet, weil die Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls unbegründet war.
Zu Recht hat das SG die Klage gegen die verfahrensgegenständlichen Bescheide vom 29.08.2014 und vom 17.04.2015 (Widerspruchsbescheid) abgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten sind rechtmäßig. Denn der Kläger hat am 11.05.2013 keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall erlitten.
Das Begehren des Klägers ist auszulegen, § 123 SGG. Streitgegenstand ist die Frage, ob der Kläger am 11.05.2013 einen Arbeitsunfall erlitten hat, als er in K-Stadt gegen 5:10 Uhr auf dem Weg von einer versicherten Tätigkeit in sein Hotel überfallen und zusammengeschlagen worden ist. Die Klage ist auf Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Bescheide und gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls gerichtet und als solche als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zulässig. Geht es um die Feststellung eines Arbeitsunfalls, hängt die Klageart vom Begehren des Klägers ab, ob er eine behördliche oder – was eben im Wege der Feststellungsklage zu verfolgen ist – unmittelbar eine gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalles erstrebt (vgl. BSG vom 27.04.2010, B 2 U 23/09 R, juris Rn 9; vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, juris Rn 12 m.w.N.). Der Kläger war in beiden Instanzen in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend und auch nicht vertreten. Sein erstinstanzlich zur Niederschrift des SG gestellter Antrag zeigt aber, dass er die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls begehrt.
Die mit diesem Begehren geführte Klage war unbegründet.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (vgl. z.B. BSG vom 05.07.2016, B 2 U 16/14 R juris Rn 9 mwN).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle versicherte Kläger erlitt zwar am 11.05.2013 durch den Überfall eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Dieser führte auch zu seine körperliche Unversehrtheit verletzenden, oben bereits genannten Gesundheitserstschäden. Er war zum Zeitpunkt des Unfalls auch in seiner Tätigkeit als Veranstalter des Festkommers samt After-Show-Party versichert. Zu den versicherten Tätigkeiten zählt auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit; auf einem solchen Weg befand sich der Kläger. Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls scheitert aber daran, dass der Unfall nicht „infolge“ des Zurücklegens dieses Weges eingetreten und ihm deshalb rechtlich nicht zuzurechnen ist.
Dass der Kläger als Veranstalter eine bei der Beklagten grundsätzlich versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, ergibt sich daraus, dass er zur vollen Überzeugung des Senats von der Burschenschaft T. e. V. mit der Durchführung und Betreuung des Festkommers in der Festhalle E. sowie der Durchführung einer entsprechenden After-Show-Party am 10.05.2013 beauftragt war, was insbesondere auch die entsprechende aktenkundige Rechnung in Höhe von 6.000,00 Euro zeigt. Der Kläger hat hierzu auch glaubhaft angegeben, dass er für die Projektleitung beim Stiftungsfest und die sich anschließende After-Show-Party beauftragt war. Der Kläger hat bei Eintritt des Unfallereignisses um 05.10 Uhr auch einen mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg von dem Ort der Tätigkeit in sein Hotel zurückgelegt.
Der Unfall ist aber nicht der versicherten Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zuzurechnen. Denn mit dem Überfall hat sich keine Gefahr verwirklicht, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.
Insofern gelten folgende Grundsätze: Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben Schutz gegen Gefahren zu gewähren, die sich durch die ihre Verbandszuständigkeit, den Versicherungsschutz und das Versichertsein des Verletzten begründende Verrichtung von im jeweiligen Versicherungstatbestand konkret umschriebenen Tätigkeiten realisieren können. Ihre Einstandspflicht besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung „allgemein“, sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert daher zweistufig die Erfüllung erstens tatsächlicher und zweitens darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben. Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung mithin voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit-)verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der „conditio-Formel“ eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Selbst wenn eine versicherte Tätigkeit als Wirkursache feststeht, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der „Wesentlichkeit“ der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass eine versicherte Verrichtung wegen ihrer objektiven (Mit-)Verursachung der Einwirkung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vgl. zum Ganzen BSG vom 17.12.2015, B 2 U 8/14 R juris Rn 18 – 20).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Kläger vorliegend keinen Arbeitsunfall – Wegeunfall – erlitten. Denn das Zurücklegen des (grundsätzlich unter Versicherungsschutz stehenden) Weges war vorliegend nicht wesentliche Ursache im vorgenannten Sinn. Der Überfall auf den Kläger war nicht rechtlich wesentlich durch das Zurücklegen des Weges bedingt.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung, die vorrangig gegen die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr ergebenden Gefahren schützen soll, grundsätzlich auch Überfälle auf den Versicherten auf dem Weg zur Arbeit fallen können, soweit sie eben rechtlich wesentlich durch das Zurücklegen des Weges bedingt sind. Vorliegend hat sich jedoch eine Gefahr realisiert, die aus dem persönlichen Bereich des Klägers als Opfer des Überfalls stammt und die sich als unabhängig vom Ort der Tat und dessen besonderen Verhältnissen erweist. Diese Gefahr wird nicht vom Schutzbereich der Wegeunfallversicherung erfasst (vgl zu der zugrunde liegenden Abgrenzung BSG vom 18.06.2013, B 2 U 10/12 R juris Rn 20).
Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger zusammen mit E am 11.05.2013 gegen 5:00 Uhr morgens in K-Stadt, von einer versicherten Tätigkeit kommend, in Richtung des Hotels N. K-Stadt zu Fuß unterwegs war. Der Kläger und E waren aufgrund ihrer Kleidung – sie trugen nach ihren eigenen Angaben Couleur – als Burschenschaftler erkennbar. Wie die Schilderungen des Klägers zeigen, stand das Tragen der Couleur nicht in Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, sondern mit seiner Mitgliedschaft bei T. Etwa 750 m vor dem Hotel wurden sie von einer Gruppe junger Männer angepöbelt, unter anderem mit den Worten „Scheiß Burschis. Nazis raus aus der Südstadt.“, „Nazis verpisst euch aus unserer Südstadt“ sowie „Verpisst euch, ihr habt nichts zu suchen“ und „Ihr kriegt aufs Maul“. Zumindest eine Person aus der Gruppe nahm die Verfolgung des weitergehenden Klägers und des E auf und wiederholte die Beschimpfung. Die Person spuckte den Kläger mindestens zweimal an. Auch die anderen Personen der Gruppe nahmen dann die Verfolgung auf. E konnte flüchten. Dem Kläger gelang die Flucht nicht. Er wurde von zumindest einer der Personen aus der Gruppe zusammengeschlagen und schwer verletzt. Der vorstehende Sachverhalt ergibt sich aus den glaubhaften Schilderungen des Klägers und des E wie sie insbesondere auch in den aktenkundigen Auszügen aus den staatsanwaltlichen Ermittlungsakten enthalten sind. An der Richtigkeit dieser Angaben hat der Senat keine Zweifel.
Schon der geschilderte Geschehensablauf spricht dagegen, dass der Weg „wesentliche“ Ursache und damit Ursache im rechtlichen Sinne für die durch den Überfall bewirkten Einwirkungen war. Wie die geschilderten Beschimpfungen belegen, waren vielmehr die dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzuordnenden Beweggründe des Angreifers für die Art und Weise des Überfalls prägend. Sind die Beweggründe des Angreifers – wie hier – dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzuordnenden, verliert der grundsätzlich auf dem Arbeitsweg gegebene innere Zusammenhang zwischen dem Überfall und dem versicherten Weg an Bedeutung (vgl. dazu BSG vom 30.06.1998, B 2 U 27/97 R juris Rn 18). Es liegen auch keine besonderen Verhältnisse des zurückzulegenden Weges vor, die zu einer anderen Bewertung der „Wesentlichkeit“ führen. Solche Verhältnisse könnten etwa dann anzunehmen sein, wenn der Weg besondere Gegebenheiten aufweisen würde, die den Überfall erst begünstigen oder ermöglichen (vgl. dazu BSG, a.a.O. Rn 22). Solche Verhältnisse waren aber hier nicht gegeben. Insbesondere sieht der Senat in den zeitlichen Gegebenheiten der Tat, d.h. aus dem Umstand, dass der Überfall um 05.10 Uhr geschah, keine Verhältnisse, die ein erhöhtes Gefahrenpotential begründen konnten. Die Tat geschah in den Morgenstunden des 11.05.2013. Auch in den örtlichen Gegebenheiten der Tat ist kein erhöhtes Gefahrenpotential zu erkennen. Die Tat ereignete sich im Stadtgebiet K-Stadt kurz vor Erreichen des ebenfalls im Stadtgebiet K-Stadt gelegenen Hotels des Klägers; der Ort gilt nach einer Auskunft der örtlichen Polizei, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat, nicht als Kriminalitätsschwerpunkt. Zudem war der Kläger nicht allein, sondern in Begleitung eines Kameraden unterwegs. Die Zurücklegung des Weges von der Arbeitsstätte zum Hotel bedeutete mithin nur eine von vielen denkbaren Gelegenheiten für die Angreifer, den Kläger aus persönlichen Motiven zu überfallen. Der Überfall hätte sich genauso gut zu anderer Zeit an anderer Stelle ereignen können. Insgesamt lagen besondere Verhältnisse bei der Zurücklegung des Weges, die die Verübung der Gewalttat entscheidend begünstigt haben, nach Auffassung des Senats nicht vor.
Zusammenfassend waren die das Zurücklegen des versicherten Weges kennzeichnenden Umstände für den Überfall weit weniger bestimmend als die Gründe aus der persönlichen Motivlage des Angreifers. Entgegen der Auffassung des Klägers beinhalten die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen mithin keine Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe; sie beruhen vielmehr auf der Überlegung, dass die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Versichertem vorherrschten und den Zusammenhang des Überfalls mit dem Zurücklegen des versicherten Weges als rechtlich unwesentlich zurückdrängen. Aus diesem Grund rechtfertigt sich die Versagung des Unfallversicherungsschutzes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.